Kapitel 30
„Hermine! Hermine, mach auf!"
Ron klopfte erneut, diesmal drängender, ohne Rücksicht auf die Muggel unter- und oberhalb von Hermines Wohnung, an die er nicht einen Gedanken verschwendete. Sein Gesicht war erhitzt, sein Atem keuchend. Er hatte die Treppen zu Fuß hochsteigen müssen, da er nicht genau wusste, auf welcher Etage Hermine wohnte und verfluchte daher die Unmöglichkeit, einfach vor ihre Tür apparieren zu können. Die aufwühlenden Emotionen ließen seine Stimme höher als gewöhnlich klingen, als er ein weiteres Mal gegen die Tür pochte.
„Hermine?" Schlief sie etwa schon?
In diesem Moment schwang langsam die Haustür auf und er konnte im Halbdunkel die Silhouette seiner besten Freundin erkennen. Erleichterung wusch über Ron hinweg. Noch bevor Hermine überrascht mehr als seinen Namen sagen konnte, trat er entschlossen in den Flur ihrer Wohnung.
Glücklicherweise schien Hermine keine Einwände gegen seinen späten Besuch zu haben und ihre Kleidung machte deutlich, dass sie sich noch nicht schlafengelegt hatte. Sofern sie nicht dazu übergegangen war, in Jeans und Shirt ins Bett zu steigen.
Das Licht fiel von einem anderen Raum aus in den Flur und beleuchtete ein hölzernes Gestell voller akkurat gestapelter Schuhe sowie ein kleines Regal darüber, auf dem sich die in Zaubererhaushalten meist übliche Schale befand, in die man Zauberstäbe hineinzulegen pflegte. Ungeduldig ließ Ron seinen Zauberstab neben Hermines Stab fallen und folgte ihr dann hinein in die Stube.
„Hermine!" Er krächzte es beinahe, und der Ton, mehr als ihr Name veranlasste seine beste Freundin, sich mit einem Ruck zu ihm umzudrehen. Außerstande sich zurückzuhalten brach es aus Ron heraus:
„Sie haben Ginny zu Azkaban verurteilt!"
Die Wahrheit ausgesprochen zu hören machte die ganze Tragweite des Geschehens mit einem Mal überaus greifbar. Rons Brust hob und senkte sich in raschem Rhythmus und über sein Gesicht hatte sich der Ausdruck völliger Verzweiflung gelegt.
Hermine hingegen wirkte wie erstarrt, nur ihre Augen weiteten sich geschockt und es dauerte ein Weilchen, bis sie ihre Sprache wiedergefunden hatte.
„Das ist unmöglich!", hauchte sie und stützte sich auf dem Tisch hinter ihr ab. Dann schüttelte sie vehement den Kopf. „Das kann nicht sein!" Mit jeder Sekunde wurde ihre Stimme stärker. „Eine Gerichtsverhandlung kann nicht so schnell anberaumt werden. Es sei denn..." Abrupt stoppte sie.
„Es sei denn?", wiederholte Ron mit gepresster Stimme und registrierte zum ersten Mal Hermines auffallend rotgeränderte Augen. Er schob seine Frage jedoch erst einmal nach hinten und konzentrierte sich auf das Drängendste.
„Außer es ist Gefahr im Verzug", flüsterte Hermine, völlige Fassungslosigkeit im Blick. „Aber das ist doch absoluter Unsinn!"
Ihre Augen bohrten sich in Rons.
„Woher kommt das? Vom Daily Prophet?"
Schön wär's, dachte Ron bitter und konnte plötzlich kaum einen klaren Gedanken mehr fassen. Der Schock seiner Eltern und Brüder, sein eigenes Entsetzen und der Fakt, dass Ginny damals tatsächlich den Todesfluch verwendet hatte, verwoben sich in seinem Kopf zu einem Kreisel, der sich immer schneller drehte. Und es ihm unmöglich machte, die Wahrheit zu verkünden, die hinter seiner Hiobsbotschaft steckte.
„Hast du vielleicht Bier? Oder noch besser, etwas Stärkeres?", entfuhr es ihm direkt.
„In der Küche. Aber..."
Ron drehte sich um und trat entschlossen auf die halbgeöffnete, zweite Tür zu, die ihn wie erwartet in einen Raum mit Küchenutensilien führte.
„Ron! Wer hat das gesagt?", hörte er Hermines sich nähernde Stimme in seinem Rücken, deren Tonfall kaum die Furcht kaschieren konnte, die sich ihrer nun bemächtigte.
„Gleich", raunte er, während er wahllos Schranktüren öffnete, bis er eine Flasche Feuerwhiskey fand, das Glas erfreulicherweise kühl unter seinen Fingern. Mit einer raschen Bewegung löste er den Deckel und setzte die Flasche direkt an die Lippen. Es brannte in seiner Kehle, aber gleich darauf breitete sich eine angenehme Wärme in seinem Magen aus, was ihn noch mehr Schlucke nehmen ließ.
„Ron, hör auf damit!"
Mit entschlossenem Griff entwand Hermine ihm die Flasche und stellte sie auf den Tisch.
„Reg dich ab, es gibt Momente, da braucht man eine Stärkung", entgegnete Ron matt und ließ sich auf einen Küchenstuhl fallen.
„Von wem kommt das?", fragte Hermine erneut und machte bedeutungsvolle Pausen zwischen den Wörtern. Ihr Gesichtsausdruck war grimmig und es war deutlich zu sehen, dass sie kurz davor war, die Geduld zu verlieren.
„Setz dich lieber", empfahl Ron gepresst, bevor er dann ohne abzuwarten berichtete, was sich im Fuchsbau zugetragen hatte:
„Das Ministerium hat uns eine Eule geschickt. Und in dem Brief stand... stand, dass Ginny während der Verhandlung in eindeutigen Worten zugegeben hat, Amber getötet zu haben." Rons Worte wurden immer schneller, als das Grauen erneut drohte, ihn zu überwältigen. „Angeblich hat sie aus..." – er zitierte den Wortlaut des Briefes – „...niederen Motiven gehandelt, weil sie Potters Freundin aus dem Weg räumen wollte, um selbst wieder ein gemeinsames Leben mit ihm zu beginnen." Ein riesengroßes Gewicht lag auf seiner Brust. Wieso, bei Merlin, hatte Ginny so etwas zugegeben?
Hermine entwich ein erstickter Aufschrei und sie sank nun ebenfalls auf einen Stuhl. Ihre Daumen pressten sich um die Tischkante und ihre Augen waren mit einem Mal riesengroß. „Und keine Erwähnung von Voldemorts Tochter?"
Stumm schüttelte Ron den Kopf. Er merkte, dass seine Emotionen nun gedämpfter waren und schob es dem Alkohol zu, der wie beabsichtigt seine Wirkung entfaltet hatte. Hermine sprang indessen wieder auf, ging hastig auf und ab und sprach dann flüsternd aus, was auch Ron die ganze Zeit durch den Kopf ging:
„Wieso hat Ginny solch einen hanebüchenen Unsinn zugegeben?"
Mit gefurchter Stirn starrte sie auf den Boden zu ihren Füßen, die Arme eng um ihren Körper geschlungen, und der Klang ihrer bloßen Füße hinterließ ein seltsam patschendes Geräusch.
„Was machen wir jetzt?", fragte Ron erschöpft.
Hermine biss sich auf die Lippen. „Ich weiß es nicht", bekannte sie mit leiser Stimme. Unversehens hatte Ron das Gefühl, der Boden glitte unter seinen Füßen fort und ließ ihn ungebremst in die Tiefe sausen. Hastig verbarg er sein Gesicht in den Händen.
„Es muss einen guten, einen sehr guten Grund dafür geben, dass Ginny nicht Ambers wahre Identität enthüllt hat", hörte er Hermine zögernd spekulieren. Das Tappen ihrer Füße war unverändert das einzige Geräusch im Raum. „Daher weiß ich gerade nicht, ob es hilft, wenn wir das jetzt tun oder ob es noch mehr Schaden anrichten könnte."
Ron sah hoch und schnaubte. Was konnte noch schlimmer sein?
„Ich kann mir eigentlich nur einen Grund vorstellen." Hermine blieb direkt vor Ron stehen und seufzte. „Sie versucht Harry zu schützen. Aber nicht aus dem einfachen Grund heraus, irgendeine Öffentlichkeit zu vermeiden. Es muss etwas anderes sein. Etwas, das wir nicht wissen. Wenn wir bloß mit Harry sprechen könnten!"
Hermine ballte die Hände an ihren Seiten zu Fäusten und nahm ihren Gang wieder auf. Unvermittelt fühlte sich Ron in ihre Vergangenheit zurückkatapultiert, als sie krampfhaft versucht hatten, Horcruxe zu finden, um Voldemort besiegen zu können. Auch da war Hermine beim Denken unablässig auf und ab gegangen.
Es war eine schlimme Zeit gewesen. Aber die Gefahr, in der sich alle sich das ganze Jahr über befunden hatten, hatte eine vage Bedrohung dargestellt. Jetzt hingegen – Azkaban war real. Bei Merlin, das konnte einfach nicht wahr sein! Vielleicht träumte er ja nur... Hermines Stimme riss Ron aus seinen Gedanken. Erneut war sie vor ihm stehengeblieben.
„Was haben Molly und Arthur gesagt?"
Leichenblass waren seine Eltern geworden, als Dad den Brief vorgelesen hatte. Doch am Ende hatte Mum erzürnt, mit einer absolut von Vertrauen durchsetzten Stimme, von sich gegeben: So etwas würde meine Tochter nie tun! Und sich sogleich kämpferisch an Dad gewandt: Art, du kennst doch so viele Leute. Auch vom Wizengamot. Frag mal rum. Wir müssen den besten Advokaten finden, den es gibt. So schnell wie möglich. Und diesen verfluchten Rechtsirrtum beheben!
George hatte hinzugefügt: „Geld spielt keine Rolle. Wir haben genug..."
Und Percy hatte hastig etwas auf ein Pergament gekritzelt, kurzentschlossen seine Eule damit fortgeschickt und grimmig verkündet: Ich kündige. So nicht!
Wenngleich Ron froh über die pulsierende Entschlossenheit seiner Familie und deren Glaube an Ginny war, hatte er alle dennoch nur wie betäubt ansehen können. Denn allein er wusste, dass Ginny tatsächlich einen unverzeihlichen Fluch ausgesprochen hatte,
„Ron?"
Hermines Hand an seiner Schulter machte Ron klar, dass er ihr noch immer eine Antwort schuldete. Er löste seine Beine, die er unbemerkt um den Stuhl gewickelt hatte, und berichtete tonlos:
„Sie waren erst geschockt. Und haben sich dann geweigert zu glauben, was das Ministerium geschrieben hat. Halten es für einen Irrtum."
Aus einem Impuls heraus griff er sich die Whiskeyflasche, nahm erneut ein paar Züge und stellte sie dann wieder ab. Hermine hatte die Stirn gerunzelt und ihren Arm zurückgezogen, sagte aber glücklicherweise nichts. Mit dem Handrücken wischte Ron sich über den Mund und sah dann zu Hermine hoch.
„Sie werden einen Advokaten beauftragen. Um Widerspruch einzulegen. Aber... Mum war so voller Überzeugung. Mine, ich kann ihnen doch nicht sagen, dass Ginny tatsächlich..." Er schluckte und mochte sich gar nicht ausmalen, was diese Erkenntnis mit seiner Mutter machen würde... Sein Blick glitt fort und verharrte auf der Whiskeyflasche.
Einen Augenblick später spürte er Hermines Arme um seine Schultern, ihre Finger auf seinem Rücken. Lange Haarsträhnen kitzelten seine Wangen. Ohne nachzudenken umschlang Ron ebenfalls ihren Körper und ließ seinen Kopf an ihre Brust sinken. Er roch den vertrauten Duft ihres Parfüms, das sie offenbar in all den Jahren nicht geändert hatte, und überließ sich dem Trost, der von ihrer Umarmung ausging. Wie damals bei Freds Tod.
Genau dies war der Platz, wo er hingehörte. Der Unterstützung, Akzeptanz und Verbundenheit versprach. So wie früher. Warum war er bloß so bescheuert gewesen, Mine ziehen zu lassen?
Als spürte Hermine seine Gedanken, entzog sie sich ihm vorsichtig und löste ihre Umarmung. Ohne die Wärme ihrer Nähe verspürte Ron ein innerliches Frösteln. Doch längst hatte sich Hermine den zweiten Stuhl herangezogen, sich direkt vor Ron niedergelassen und griff nach seinen Händen.
Unweigerlich sah er zu ihr hin, in diese braunen Augen, die er noch so gut kannte, als wären es seine eigenen. In das zarte Gesicht, das heute von offenen Haaren umrahmt war. Hermine verständnisvolle Worte kamen von weither:
„Ich weiß, was du fühlst, Ron. Aber du liegst da falsch, glaub mir. Deine Eltern sind stark. Sie werden verstehen, warum Ginny so gehandelt hat, wenn sie die Wahrheit erfahren. Genauso wie du und ich."
Sie machte eine kurze Pause und drückte seine Hände. „Einen Advokaten zu nehmen, ist eine gute Entscheidung. Man kann jedes Urteil einmal anfechten. Und soweit ich weiß, hat das aufschiebende Wirkung, so dass Ginny vorerst hier in London bleiben kann."
Ron wollte ihr gerne glauben.
„Aber warum hat man uns denn nicht einmal über die Verhandlung informiert?", gab er müde zu bedenken und ignorierte den Schauder, der ihm über den Rücken lief. „Wieso haben wir erst im Nachhinein davon erfahren?"
Darauf blieb ihm Hermine die Antwort schuldig. Schweigend betrachtete sie die Maserung ihres Korkfußbodens, der dem Anblick von Holz nachempfunden war. Aus der Ferne war ein schrill ansteigendes Geräusch zu vernehmen, das sich dann schließlich wieder verlor. Hermines kleine Katze tapste in die Küche, hielt aber gebührend Abstand und beäugte Ron vorsichtig.
„Es ist irgendwie komisch, was gerade passiert, oder?", stellte Ron leise fest und sah auf ihre miteinander verschränkten Hände hinab.
„Sehr", gab ihm Hermine seufzend Recht und sah auf. „Ich will es nicht mit früher vergleichen. Aber irgendetwas fühlt sich derzeit merkwürdig an... Vielleicht hätte man Richards mehr unterstützen sollen..."
„Hast du doch! Mit deinen ganzen..." Was hatte er noch mal sagen wollen?" Dann formten seine Lippen das Wort, das sich schließlich in seinem Kopf materialisiert hatte: „Aaartikeln."
„Offensichtlich nicht genug. Denn noch immer haben wir einen Zaubereiminister mit unumschränkter Macht. Der allein Britanniens Weg bestimmen kann, wie es ihm beliebt", erwiderte Hermine nüchtern. „Die Zeitungen können lediglich auf unerwünschte Entwicklungen aufmerksam machen. Wenn sie dem Ministerium nicht ohnehin nach dem Mund reden, wie der Daily Prophet manchmal."
Sie entzog Ron ihre Hände und schob sich die Haare zurück über die Schulter. Die Hilflosigkeit, die sie empfand, war ihr vom Gesicht abzulesen, als sie fortfuhr:
„Anders als bei euch, Ron, gibt es bei uns noch immer keine Kontrolle des Regierungshandelns und jeder, der sich politisch betätigen will, macht das im Rahmen des Ministeriums."
Sie machte eine kurze Pause und ergänzte dann:
„Nichtdestotrotz sollte man über das, was Ginny gerade passiert, schreiben! Eine Diskussion in Gang bringen. Wenn ich bloß wüsste, warum Ginny nichts gesagt hat..."
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Nun, ihr wisst mehr ja mehr als Hermine. 😉 Was meint ihr, wäre ein Artikel in der Zeitung ein erfolgsversprechender Weg?
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