Kapitel 27
Die Wut, die jetzt in Harry aufwallte, stand Ginnys in keinster Weise nach. Er hätte laut darauf aufmerksam machen können, dass Ginny gezwungen gewesen war, widerrechtlich einen Wahrheitstrank zu sich zu nehmen. Hätte öffentlich verkünden können, was sich wirklich damals in seinem Haus abgespielt hatte. Doch er begriff, dass es nichts bringen würde – es wäre nur seine eigene, geschönte Version, die Ginny im Moment nicht aktiv unterstützen konnte.
Man würde ihn daher lediglich wegen Unruhestiftens sofort des Saales verweisen. Eine blonde Hexe, die Unsinn von sich gab. Und wenn der neue Zaubereiminister schon zu solchen Mitteln wie Veritaserum griff, dann war nicht abzusehen, was ihm noch alles einfallen würde, um zu verhindern, dass die Wahrheit ans Licht kam. So würde er Ginny auf keinen Fall helfen können.
Ein Knurren entrang sich Harrys Kehle, was ihm einen befremdeten Blick von der Hexe neben ihm eintrug. Hätte er bloß seinen Zauberstab bei sich gehabt. Mit einem kurzen Moment der Überraschung hätte er versuchen können, Ginny zu befreien und mit ihr zu flüchten...
„... gehasst, dass sie existierte."
Merlins Bart, warum fiel niemandem außer ihm auf, wie mechanisch Ginnys Stimme klang? Der Rechtsprecher verfolgte den Dialog aufmerksam, ließ aber kein Misstrauen erkennen.
„Lassen Sie mich alles einmal zusammenfassen." Penningtons Augen schienen Ginny nun förmlich zu durchbohren.
„Trotz der von Ihnen vollzogenen Trennung von Mr. Potter empfanden Sie weiterhin große Zuneigung zu ihm und konnten es daher nicht ertragen, dass er in Ms Fawcett eine neue Partnerin gefunden hatte. Sie begaben sich daher am 14. April nach Godrics Hollow mit dem Vorsatz, diese Beziehung zu torpedieren. Sie drangen widerrechtlich in das Haus ein, dass Mr. Potter und Ms. Fawcett bewohnten und begannen ein Duell mit Ms. Fawcett, in dessen Verlauf Sie sie entwaffneten."
Hilflos biss Harry die Zähne zusammen und umklammerte seine Hände so fest, dass die Knöchel weiß hervortraten. Das Ganze war so völlig anders abgelaufen! Amber hatte Ginny im Duell besiegt gehabt, doch war anschließend vom ihm selbst entwaffnet worden. Durch die Raffinesse von Ambers gedanklichen Manipulationen hatte jedoch sein und Ginnys Vorteil auf der Kippe gestanden. Und um zu vermeiden, dass Amber mit ihr angeborenen Legilimentikfähigkeit später das Gericht zu ihrem Vorteil beeinflussen würde, hatte Ginny zum letzten Mittel gegriffen. Da Pennington seine ganzen Sätze jedoch nicht als Frage formulierte hatte, gab es für Ginny keine Möglichkeit, sich dazu zu äußern.
„Und dann sahen Sie Ihre Chance gekommen, die unerwünschte Rivalin ein für alle Mal aus dem Weg zu räumen und es wie ein leider eskaliertes Duell aussehen zu lassen."
Harry bemerkte, wie die Advokatin Ginny etwas ins Ohr flüsterte, doch der Zaubereiminister fuhr bereits fort.
„Und daher frage ich Sie jetzt, Ms. Weasley, und ich rate Ihnen, ehrlich zu antworten: Haben Sie Ms. Fawcett mit Hilfe des Todesfluches umgebracht?"
Die plötzliche Blässe ihres Gesichtes stach angesichts von Ginnys roten Haaren besonders deutlich hervor. Ihre Augen hatten sich entsetzt geweitet, doch ihre Lippen konnten nicht anders als ein tonloses Ja von sich zu geben, das in der Stille des Saales umso lauter widerhallte. Ein Raunen ging durch die Zuschauer und die Advokatin hob resigniert ihre Hände. Einige der Mitglieder des Wizengamots starrten mit versteinertem Gesicht auf Ginny hinunter, andere hatten begonnen miteinander zu tuscheln. Der Rechtsprecher ignorierte das zunehmende Murmeln vor und hinter sich und behielt einen neutralen Gesichtsausdruck bei.
Harry hatte das Gefühl, keine Luft mehr zu bekommen und sank kraftlos gegen die Säule, deren Kälte ihm in alle Glieder kroch. Was wünschte er, Ginnys Platz dort vorne einnehmen zu können. Doch nichts, was er tun könnte, würde verhindern, dass über Ginny ein Urteil gefällt werden würde, jetzt, wo sie ihre Tat so unverblümt zugegeben hatte. Hatte zugeben müssen.
„Ms. Weasley", drang Penningtons Stimme durch das ansteigende Stimmengewirr im Saal, „Sie sind seit mehr als drei Jahren mit Mr. Potter liiert. Genaugenommen seit der Nacht des 14. auf den 15. April. Ist das richtig?"
„Nein", erklang Ginnys monotone Stimme.
„Nein?", wiederholte Pennington überrascht, doch er fing sich rasch wieder. „Seit wann sind Sie und Mr. Potter wieder ein Paar?"
„Seit dem 22. April."
Ein befriedigtes Lächeln glitt über das Gesicht des Zaubereiministers, als er für die Zuhörer verdeutlichte:
„Also sind Sie eine Woche nach dem Tod von Ms Fawcett wieder mit Mr. Potter zusammengekommen." Er ließ seine giftigen Worte kurz nachklingen und stellte dann seine nächste Frage:
„Sie sind seit langem Aurorin des Ministeriums. Können wir davon ausgehen, dass sie mit dem Konzept der unverzeihlichen Flüche vertraut sind?"
In der Ironie seiner Worte hoben sich erneut seine Mundwinkel und verschwanden in den Spitzen seines Schnurbartes. Harry erschrak beinahe über den Hass, den er diesem Mann gegenüber auf einmal empfand. Ginny rutschte auf dem Stuhl umher, zog die Schultern nach hinten und richtete sich noch einmal zu ihrer vollen Größe auf. Ihr Kinn angriffslustig nach vorn gestreckt gab sie Pennington die Antwort, die dieser hören wollte: „Ja."
Harry vernahm einen Schimmer Härte aus ihren Worten und sein Herz flog ihr und ihrer inneren Unbeugsamkeit entgegen.
„Somit haben Sie in vollem Wissen der Gesetzeswidrigkeit ihres Tuns kaltblütig Ihre Rivalin um die Gunst Mr. Potters aus dem Weg geräumt."
Das Murmeln der Zuschauer schwoll zu lauter Empörung an und die latente Unruhe verwandelte sich in eine Atmosphäre der Feindseligkeit.
„Nicht zu fassen, eine Aurorin..."
„Warum nennt er es nicht beim Namen – es war Mord."
„Schande! Dazu kann es nur eine Entscheidung geben..."
„Ruhe!", donnerte der Rechtsprecher und unvermittelt verstummten die Gespräche. Stattdessen begannen die Zuhörer, Ginny abfällige und aggressive Blicke zuzuwerfen.
„Ich werde es dem Rechtsprecher überlassen, gleich eine weise Entscheidung zu fällen." Penningtons Augen verweilten kurz auf den Zauberer an seiner Seite, bevor er ergänzte:
„Aber zunächst möchte ich noch etwas anderes in Erfahrung bringen."
Er ließ seine Augen kurz über die Mitglieder des Wizengamots und dann über der Menge vor ihm schweifen, bis sie bei Ginny stoppten, die sich nicht gerührt hatte, aber den Minister unverändert wütend anstarrte.
„Ms. Weasley...", seine Augen verengten sich konzentriert, „Befand sich noch jemand im Raum, als Sie Ms. Fawcett den Todesfluch versetzten?"
Harry erkannte die Bedeutung dieser Frage erst, als er merkte, dass Ginnys Antwort nicht wie immer unvermittelt erfolgte, sondern sie stattdessen die Finger in die Armlehnen krallte. Schließlich entfuhr ihr ein gequältes Ja. Unvermittelt lief Harry ein kalter Schauer über den Rücken und ohne es zu merken trat er einen halben Schritt nach hinten.
Pennington hingegen lehnte sich leicht nach vorne.
„Erzählen Sie es uns, Miss Weasley. Wer war noch dabei?"
Ginny kämpfte. Ihre Stirn glänzte vor Schweiß und ihr Gesicht war vor lauter Anstrengung zu einer verzerrten Grimasse verzogen. Längst hatte sie ihre würdevolle Haltung eingebüßt, war ein wenig zusammengesunken und presste sich an die Stuhllehne in dem Versuch, der Wirkung des Veritaserums zu entfliehen.
„Wer war dabei, Miss Weasley?", wiederholte Pennington, beinahe grollend. Er ignorierte die zaghaften Versuche der Advokatin, etwas einzuwenden, das klang wie „...meine Klientin möchte keine Aussage machen..." und starrte mit einschüchterndem Gestus zu Ginny hinunter.
Mit einem letzten Aufbäumen presste Ginny die Lippen aufeinander, während ihr ganzer Oberkörper sichtbar zu zittern begann. In der gespannten Stille des Saales war ihr gepeinigtes Keuchen nicht zu überhören.
Harry konnte kaum mitansehen, wie sehr seine Freundin litt. Dennoch war er unfähig, den Blick abzuwenden. Es war, als hätte ihn eine Lähmung erfasst, die jedes Wort und jegliche Bewegung unmöglich machte und ihn zwang, Ginnys herzzerreißenden Kampf zu verfolgen. Nach Sekunden, die ihm wie eine Ewigkeit vorkamen, öffneten sich Ginnys Lippen. Obwohl sie die Antwort lediglich hauchte, war das Wort dennoch unmissverständlich:
„Harry."
Tumult brach im Saal aus, während Ginny hilflose Tränen über die Wangen liefen. Angesichts der unzähligen Stimmen, die seinen Namen raunten, zog Harry in einer automatischen Reaktion den Kopf zwischen die Schultern und verschwand beinahe völlig hinter der Säule. Dies alles war ein absoluter Alptraum! Einen geliebten Menschen leiden zu sehen war schlimmer als alles, was er jemals erlebt hatte.
Der Rechtsprecher musste mehrfach Ruhe fordern, bevor sowohl die entsetzten als auch die entrüsteten Worte versiegten. Pennington schien von dem Aufruhr unbehelligt, hatte sich in seinem Stuhl zurückgelehnt und strich sich in fast liebevoller Geste über den Schnurrbart. Auf den auffordernden Blick des Rechtsprechers hin richtete sich der Zaubereiminister wieder auf und fasste mit zufriedenklingender Stimme die soeben ans Licht gekommenen Fakten zusammen:
„Wertes Gericht! Meine lieben Hexen und Zauberer! Sie haben es alle gehört: Nicht nur hat eine Aurorin verabscheuungswürdig ihre erlernten Fähigkeiten dazu benutzt, einen Mord zu begehen. Sondern sie wurde dabei anscheinend unterstützt von ihrem früheren und aktuellen Partner Harry Potter, der uns allen als Bezwinger von Lord Voldemort bekannt ist. Ich möchte mich nicht in das Reich der Spekulation begeben, welche Gründe Mr. Potter dafür gehabt haben könnte, Miss Weasley nicht an der Ausübung ihrer Tat zu hindern und die Wahrheit drei Jahre lang verborgen zu halten.
Ich plädiere jedoch dafür, Mr. Potter unverzüglich nach seiner Rückkehr von dem Auslandseinsatz, auf dem er sich gerade befindet, hierzu vor Gericht zu vernehmen. Wir haben nicht die Schrecken der dunklen Zeit hinter uns gelassen, um nun zu erleben, dass anmaßende Magier meinen, sich über das Recht erheben zu können! Ganz gleich, wie berühmt und verehrt sie auch sein mögen. Solcher Arroganz gilt es unverzüglich Einhalt zu gebieten."
Mit diesen Worten überließ Pennington den weiteren Verlauf der Gerichtsverhandlung dem Rechtsprecher. Dieser bedankte sich mit salbungsvollen Worten für die Bemühungen des Ministers um die Wahrheitsfindung und gab dann den Mitgliedern des Gerichtes ein paar Minuten für die Stimmabgabe.
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Und, sollte Harry sich stellen?
Was glaubt ihr, wie der Richter entscheiden wird?
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