Kapitel 19
Unheilvoll ragten die spitzen Türme von Malfoy Manor hoch vor Draco auf. Die Zufahrt zum Tor war wie eh und je von hohen Hecken eingefasst und vermittelte einem das Gefühl von sich nähernden Wänden, die einem jegliche Luft zum Atmen nahmen. Früher war Draco aus genau diesem Grund lieber appariert. Auf einen diesbezüglichen Versuch hatte er es jedoch heute nicht ankommen lassen. Er vermutete, dass seine Eltern längst den Schutz um das Landgut verändert hatten.
Widerwillig näherte sich Draco dem schmiedeeisernen Gitter des Eingangstores, das unwillkommene Besucher vom Betreten des Landgutes abhielt. Er presste die Lippen aufeinander, so dass sein Mund nur noch einen schmalen Strich bildete, und trat so nahe an das Tor heran, dass er die fein gemeißelten Schlangenköpfe und weitere kunstvolle Verzierungen hätte berühren können. Die dunkelgraue Farbe des Eisens leuchtete im Sonnenlicht so gleißend, dass es fast in den Augen schmerzte.
Mit äußerlicher Lässigkeit blickte Draco durch die Ornamente hindurch auf den gepflegten Rasen, der sich bis zum Eingang erstreckte. Doch in seinem Inneren tobten Furcht und Angriffsbereitschaft zugleich und lieferten sich einen Kampf um das weitere Vorgehen. Doch noch bevor er seinen Emotionen Herr werden konnte, tauchte ein weißhaariger Hauself hinter dem Tor auf.
„Mr. Malfoy! Wie schön, Sie zu sehen!", quiekte der Elf und Draco erkannte ihn schließlich als Herbin, der bereits ein Teil von Malfoy Manor gewesen war, noch bevor Draco selbst geboren war. Alt war er geworden... Der Elf schnipste mit dem Finger und geräuschlos öffneten sich die Flügeltüren nach innen und gaben den Weg zum Herrenhaus frei.
Es war ein äußerst merkwürdiges Gefühl, die Auffahrt entlangzuschreiten – wie der Besuch, der er war und doch wieder nicht, wie ihm das vertrauensvolle Brabbeln des alten Hauselfen bewies, der Draco sogleich mit dem neusten Stand der Vorkommnisse versorgte: den Besuch von Arthur Weasley und die letzte Soiree zu Gunsten mittelloser reinblütiger Magierkinder. Der Wind rauschte in den alten Bäumen, die den Weg zum Portal des Herrenhauses säumten, und die milde, blumendurchtränkte Abendluft schmeichelte dem Geruchssinn.
Draco fühlte seine Schritte immer schwerer werden, je näher er seinem Elternhaus kam. Es war, als zöge ihn Treibsand zurück. Doch automatisch setzte er einen Fuß vor den nächsten, entschlossen sich vom Prunk des Hauses und der erneuten Macht seines Vaters nicht einschüchtern zu lassen. Die vornehme Haustür glitt ebenso leise auf wie zuvor das Tor und ehe Draco es sich versah, stand er bereits im Salon.
Sein Blick glitt langsam umher, gewahrte die silbernen Kerzenfassungen an den mit dunkelgrünem Brokat behangenen Wänden sowie die Portraits seiner Großeltern, Abraxas und Beatrice Malfoy. Der helle Stoff der Gardinen wehte leicht in der Brise, die durch das offene Fenster hereindrang, und changierte zwischen silbrig und weiß. Der Kronleuchter an der Decke spiegelte in seinem makellos geputzten Kristall die Farbe der Wände wieder und spendete trotz des noch frühen Abends schon ein warmes Licht. Es hatte sich nichts verändert.
„Draco."
Aus dem Winkel hinter der Tür zu den privaten Räumen löste sich eine Gestalt und trat ins Licht. Der seidene Stoff ihres Kleides rauschte leicht, als seine Mutter nähertrat, die Handflächen offen ausgestreckt, als hielte sie etwas Zerbrechliches in den Händen. Auf ihren Gesichtszügen lag ein Lächeln ehrlicher Freude, wie Draco es selten erlebt hatte, und unvermittelt wallte ein Gefühl in ihm auf, das er nicht benennen konnte.
Längst stand sie direkt vor ihm und wie automatisch reichte Draco ihr seine Hände, die sie so fest umfasste, dass die dahinterliegende Emotion zum Vorschein kam, auch ohne dass Narcissa etwas sagte. Dann, kurz und sachte, schloss sie Draco in eine Umarmung und berührte mit ihren Lippen leicht seine Wange, dabei hauchend:
„Schön, dich zu sehen, mein Sohn."
Draco schluckte und war einen Moment lang außerstande, etwas zu sagen. Dann übernahm der Schmerz, den er in den letzten Jahren erfolgreich verdrängt hatte. Unvermittelt trat er einen Schritt zurück und gab harsch von sich:
„Das hättest du auch früher haben können, Mutter."
Narcissa zuckte sichtbar zusammen.
„Ich weiß", sagte sie leise, mit einem Blick, der um Verständnis warb. Vermutlich hatte Lucius nicht viel von etwaigen Plänen Narcissas, ihren Sohn aufzusuchen, gehalten. Denn in den Augen seines Vaters hatte er sich mit der Beziehung zu einem Schlammblut zu einem Blutsverräter gemacht. Zorn verdrängte Dracos vorige Empfindungen. Eine wahre Mutter wäre trotzdem gekommen. Aber vermutlich empfand seine Mutter es ebenfalls als Schande, dass ihr Sohn sich mit einer muggelgeborenen Hexe eingelassen hatte.
„Aber jetzt bist du ja hier", hörte er Narcissa sagen, ohne dass es der Sanftheit ihrer Stimme gelang, seinen Ärger zu mindern.
„Wohl kaum freiwillig", zischte er und verschränkte die Arme vor der Brust.
Seine Mutter zögerte mit der Antwort, sagte dann aber behutsam:
„Manchmal braucht es nur einen leichten Schubs in die richtige Richtung." Gelassen ruhte ihr Blick auf ihm. „Es ist zu unser aller Besten, Draco. Und es wäre wirklich schön, dich wieder in unseren Reihen zu sehen."
Anders als gegenüber seinem Vater gelang es Draco nicht völlig, sich diesen so milde vorgebrachten Worten zu entziehen. Ein Stück von ihm sehnte sich danach, wieder Teil der Familie zu sein, sich mit seinen Wurzeln zu verbinden. Seine Mutter schien dies zu spüren.
„Wir würden uns freuen, wenn du zum Essen bleiben würdest, Draco", sagte sie voller Wärme in der Stimme, gefolgt von einem Lächeln, das auch ihre Augen erreichte. „Ich habe Minny aufgetragen, Beef Wellington zuzubereiten."
Draco senkte den Kopf und starrte auf den glänzenden Parkettfußboden. Es war sein Lieblingsgericht. Der Versuch seiner Eltern, ihn zurück in den Schoß der Familie zu holen, war deutlich. Zu deutlich. Vermutlich hatte es seinen Grund, dass seine Mutter ihn zuerst empfing. Saß Lucius womöglich gar nicht an einem so langen Hebel, wie er geglaubt hatte?
„Mal schauen", gab Draco knapp von sich, ohne etwas zu versprechen.
„Ein Aperitif, Mr. Malfoy, Sir?"
Dorin war unvermittelt aufgetaucht, ein Tablett mit zwei Gläsern geschickt in der Luft balancierend. Draco nickte ohne zu zögern und ließ sich von dem Hauselfen ein mit einer Zitrone dekoriertes Glas reichen. Die perlende Flüssigkeit schien im Sonnenlicht zu glitzern und verströmte eine Spur fruchtigen Duftes. Zu Dracos Verwunderung verzichtete seine Mutter und nur einen Augenblick später wurde ihm klar warum.
„Ich lasse euch dann mal alleine", sagte Narcissa in einem Ton, der Geschäftliches vorwegnahm und zugleich Dracos Aufmerksamkeit auf seinen Vater lenkte, der mit einem breiten Lächeln den Salon betreten hatte.
„Draco", sagte Lucius warm und anders als die ruhige Zurückhaltung seine Frau strahlte er den Charme desjenigen aus, der wusste, dass es ihm mit seiner Art gelang, andere für sich einzunehmen.
„Vater."
Draco begnügte sich mit einem leichten Nicken und überspielte die aufgekommene Nervosität mit demonstrativer Kühle. Ohne jedes Zeichen von Irritation nahm sich Lucius das zweite Glas und prostete seinem Sohn dezent zu.
„Auf neue Möglichkeiten."
Leicht widerwillig tat es ihm Draco gleich und führte das Glas zum Mund, bevor er es geleert wieder auf dem Tablett abstellte. Mit jovialer Geste wies Lucius auf das Ensemble an gemütlichen Sitzmöglichkeiten gegenüber dem Fenster. Er wartete, bis Draco sich gesetzt hatte, schickte Dorin mit einer herrischen Handbewegung aus dem Raum und ließ sich dann auf dem Sofa nieder.
Ohne sich mit Smalltalk aufzuhalten, kam Lucius gleich zur Sache. „Nun, Draco, ich bin gespannt zu hören, was du herausgefunden hast."
Auf Lucius' Miene lag ein erwartungsvoller, beinahe intensiver Ausdruck, als er Dracos Antwort harrte. Stoisch erwiderte Draco dessen Blick, während seine Hand verstohlen über das weiße Leder strich. Unauffällig holte er tief Luft und gab dann gleichmütig von sich:
„Ich fürchte, ich muss dich enttäuschen, Vater. Die Tochter von Bella und dem Dunklen Lord ist nicht mehr am Leben."
Zu seinem eigenen Erstaunen kam Draco die lange nicht mehr benutzte, ehrfürchtige Anrede automatisch über die Lippen. Lucius neigte den Kopf in eine leichte Schräglage angesichts einer Antwort, die ihn nicht zufriedenstellen konnte, verbarg jedoch, was in ihm vorging. Mit sachlichem Ton erkundigte er sich:
„Gehe ich recht in der Annahme, dass du noch mehr dazu zu berichten weißt, Draco?"
Dracos Finger gruben sich in den weichen Stoff eines Sitzkissens. „Meine Quelle war nicht sehr gesprächig", berichtete er knapp und starrte Lucius in das nicht versiegende Lächeln.
„Und doch sagt mir irgendetwas, dass du mehr darüber weißt, was mit deiner Cousine geschehen ist..."
Lucius ließ das Satzende betont offen in der Luft stehen. Sein Lächeln vertiefte sich, was Draco als unangemessen empfand, bis ihm bewusst wurde, dass auch sein Vater Amber nicht besonders gekannt hatte. Sie war für ihn lediglich eine Figur in einem Spiel. So, wie Draco Amber damals wahrgenommen hatte – machtbewusst und einschüchternd – , zweifelte er daran, dass sie, wäre sie jetzt noch am Leben, je die Rolle angenommen hätte, die sein Vater ihr zugedacht hatte.
Unbeabsichtigt schob sich eine von Dracos Stiefelspitzen nach vorne, bis sie mit einem leisen, dumpfen Ton an das Tischbein stieß. Auf seiner Kopfhaut kribbelte es, aber Draco widerstand dem Drang, sich durchs Haar zu fahren. Stattdessen schob er seine Hand unter das Kissen und presste sie unwillkürlich gegen die lederne Sitzfläche. Was genau war damals bloß passiert? Amber musste schließlich ohne Zauberstab gewesen sein – anders war es nicht zu erklären, dass Ginnys Fluch sie tödlich getroffen hatte...
Zu gern hätte er gewusst, wie Ginny es geschafft hatte, Harry zu befreien. Denn er war sich während seines Besuches in Godrics Hollow sichergewesen, dass Amber Harry erfolgreich überwältigt und seine Abwehr komplett ausgeschaltet hatte. Anschließend musste es ihnen somit zu zweit gelungen sein, die Tochter des Dunklen Lords zu entwaffnen...
Lucius hatte die Hand auf dem Knauf seines Gehstockes liegen und betrachtete seinen Sohn mit einem Blick, der etwas Lauerndes hatte. Draco wusste nicht, ob sein Vater inzwischen möglicherweise Legilimentik beherrschte – er bezweifelte es, die Aneignung war überaus schwierig gewesen – aber sicherheitshalber hielt er seine eigenen Gedanken mittels Okklumentik verborgen..
„Erspare dir und mir die Unwahrheit, Draco", ließ sich nun Lucius' gelangweilte Stimme vernehmen. „Ich sehe dir an, dass du etwas verbirgst."
Und das, dachte Draco resigniert, war der Nachteil an Okklumentik. Man konnte nicht zeitgleich seine Gedanken und jegliche non-verbalen Regungen abschirmen. Offenbar hatte seine Nervosität ihn verraten.
„Amber starb durch einen Todesfluch", teilte er widerstrebend mit und hielt dem Blick seines Vaters stand.
„Ah", konstatierte Lucius ohne sichtbare Überraschung. „Den wer ausgesprochen hat?"
Draco hielt sich sein Unternehmen vor Augen. Die inzwischen vorhandene Anerkennung durch andere Magier und das erwirtschaftete Vermögen. Eine Sekunde lang schloss er seine Augen und schluckte. Dann gab er sich einen Ruck.
„Arthur Weasleys Tochter."
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Hallo, ihr Lieben, überrascht es euch, dass Draco nun tatsächlich Ginny verrät? Haltet ihr sein Handeln für nachvollziehbar?
Offenbar ist das Thema "Hermine" für Draco noch nicht wirklich abgeschlossen. Haben die beiden noch eine Chance? Bin gespannt auf eure Gedanken :)
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