Kapitel 16
Harrys Gesichtszüge gaben nichts preis. Auch mit Worten hielt sich der bebrillte Magier weiterhin zurück. Doch die Hand, die auf der Stuhllehne ruhte, umklammerte fest das Holz. Konzentriert sah Harry schließlich auf sein Bier hinab, hob das Glas und nahm einen tiefen Schluck. Mit tonloser Stimme wandte er sich dann wieder Draco zu:
„Sie wird wohl ihre Gründe haben, wenn sie das nicht weiter ausgeführt hat."
Die vorherige Lässigkeit war aus Harrys Gesicht geschwunden und seine Lippen waren zu einem schmalen Strich zusammengepresst. Ahnte er, worauf Draco aus war? Nichtdestrotz setzte der blonde Zauberer mit demonstrativem Zögern nach:
„Irgendwas lässt sie zurückschrecken... Ich habe keine Ahnung, was... Aber wenn ich ihr diese Furcht nehmen kann, haben wir vielleicht noch eine Chance..."
Mit einem, wie Draco hoffte und gleichzeitig verabscheute, bittenden Gesichtsausdruck blickte er zu Harry hinüber, der nun deutlich zerrissen schien zwischen Mitgefühl, Betroffenheit und Vorbehalt. Draco beglückwünschte sich zu seinem schauspielerischen Geschick, das die Peinlichkeit seiner gemachten Aussagen größtenteils minderte. Als wenn er jemals um etwas betteln würde! Er legte leichte Verzweiflung in seine Stimme, als er anschließend ergänzte:
„Was ist damals bei dir zu Hause passiert?"
Doch Harrys Unentschlossenheit war so schnell wieder verschwunden wie sie gekommen war. Der Ausdruck seines Gesichts fror bei Dracos letzten Worten ein und er starrte den Zauberer vor sich so prüfend an, als könne er bis in sein Innerstes blicken. Draco schluckte unauffällig und hatte Mühe, seine Hände ruhig auf dem Tisch liegen zu lassen.
Um sich herum vernahm er Lachen und heitere Unterhaltungen, während sich das Schweigen zwischen Harry und ihm hingegen unangenehm auszudehnen begann. Draco spürte, wie sich sein Herzschlag unwillkürlich beschleunigte. Er hatte wenig Lust, auf Legilimentik zurückzugreifen. Es war deutlich besser, geschweige denn sicherer, wenn Harry von selbst enthüllen würde, was sich damals genau zugetragen hatte. Komm schon, Harry...
Der schwarzhaarige Zauberer löste die Hände, die er um den Bierkelch gelegt hatte, und verschränkte die Arme vor der Brust.
„Ich glaube...", sagte er langsam, aber mit fester Stimme, „... dies hat nichts damit zu tun, dass sich Hermine von dir getrennt hat. Sorry, aber ich fürchte, da musst du alleine weiterkommen."
Der Blick von Harrys Augen war unvermittelt eisern geworden und Draco begriff, dass hier nichts mehr für ihn zu erfahren war. Ob Harry etwas von seinen Absichten gespürt hatte oder nicht – der letzte Satz kam einem Rauswurf gleich und ließ Draco ahnen, dass er kein weiteres Mal die Chance bekommen würde, mit Harry ein vertrauliches Gespräch zu führen. Verärgert umfasste er den Stiel seines Weinglases und leerte es in einem Zug.
„Hallo ihr beiden!"
Dracos Kopf fuhr herum und überrascht gewahrte er Ginny, die unerwartet aufgetaucht war und als erstes Harry mit einem raschen Kuss begrüßte. Die Erleichterung, die Harry dabei auf einmal ausstrahlte, war beinahe mit den Händen zu greifen.
„Draco, wie geht's?"
Ginnys kühle Höflichkeit machte deutlich, dass sie ihm die Schuld für die Trennung gab, auch wenn es Hermine war, die sie vollzogen hatte. War natürlich klar gewesen. Harry stand auf und machte Anstalten, einen Stuhl heranzuziehen.
Draco erhob sich gleichzeitig. „Nicht besonders angesichts der Umstände", antwortete er ebenso frostig, was nicht einmal gelogen war. Den folgenden Seitenhieb konnte er sich angesichts seiner Frustration nicht verkneifen:
„Leider will Harry mir offenbar nicht helfen."
Ginny drehte sich fragend zu ihrem Verlobten um. Dieser schwieg jedoch und maß Draco mit einem Blick, der unmissverständlich deutlich machte, dass Harry keinen Wert mehr auf Dracos Anwesenheit legte. Der blonde Magier spannte den Kiefer an und unterdrückte einen frustrierten Fluch, bevor er mit bemühter Lässigkeit hervorquetschte:
„Ich gehe dann mal besser. Man sieht sich..."
Dracos Worte verloren sich in der angespannten Stimmung, die auf einmal herrschte und nichts mehr mit der vorherigen, angenehmen Atmosphäre gemein hatte. Er legte mehrere Münzen auf den Tisch und verschwand unter Harrys knappen „Bis dann!" mit großen Schritten in Richtung Ausgang. Sobald er außer Sicht war, zückte Draco seinen Zauberstab. Er war noch nicht bereit aufzugeben. Nicht bei dem, was auf dem Spiel stand!
Darauf achtend, dass niemand ihn beobachtete, murmelte er leise einen Desillusionierungszauber und passte sich damit seiner Umgebung an, so dass er nicht mehr zu sehen war. Dann kehrte er zu Harry und Ginny zurück, wobei er darauf achtete, keine hastigen Bewegungen zu machen, die ein Wabern in der Luft verursachen und ihn daher verraten könnten. Er positionierte sich zwischen zwei Pflanzen nahe des Tisches, an dem sich Ginny inzwischen niedergelassen hatte, und konnte von da aus die Auroren gut beobachten.
„... überzeugt. Seine anschließende Frage hat es dann nur bestätigt."
Gedankenverloren starrte Harry auf die beiden leeren Gläser vor ihm. Vertikale Falten zogen sich über seine Stirn, die seine schwach zu sehende Narbe mehrfach zerteilten.
„Warum hat er das gefragt?" Leise Sorge schwang in Ginnys Stimme mit.
„Das frage ich mich auch gerade."
Harry sah hoch und erwiderte Ginnys beklommenen Blick. Die Hexe verschränkte ihre Arme vor der Brust und unterdrückte erfolglos ein leichtes Schaudern. Ihre Augen wirkten beschattet und ihr ganzes Gesicht hatte nichts mehr von der Lebendigkeit an sich, die es normalerweise auszeichnete.
„Wenn ich daran zurückdenke, habe ich noch immer Ambers eiskalten Blick vor Augen. Diese absolute Gefühllosigkeit, als sie damit drohte, dich den Flammen auszuliefern..."
Harrys Hand griff nach Ginnys und er verschränkte seine Finger mit den ihren. Ginny schien jedoch in ihren Erinnerungen versunken zu sein und reagierte nicht erkennbar darauf.
„Und dann diese Haltung, als sie vor mir stand und uns verhöhnte... Sie wollte es, Harry. Sie hat nicht einmal versucht auszuweichen." Ginnys Stimme wurde immer leiser und klang, als wäre sie kurz vorm Ersticken.
„Ich weiß, Liebes", versicherte Harry und strich sanft über Ginnys Finger. „Aber du hast genau das Richtige getan!"
Draco unterdrückte mit Mühe einen hörbaren Atemzug. Ginny war es also gewesen. Nicht, dass es ihn besonders überraschte. Doch wieso hatte Amber sich nicht verteidigt? Mit gespitzten Ohren versuchte er weitere Details zu erlauschen. Doch beide Magier hatten ihre Unterhaltung abrupt unterbrochen und starrten auf den Punkt, an dem sich Draco verborgen hielt. Unwillkürlich hielt Draco die Luft an und stellte jegliche Bewegung ein, als hätte man ihn mit einem Immobilisierungszauber belegt.
„War da nicht etwas?", wisperte Ginnys alarmiert, zog ihre Finger aus Harrys Griff und hatte sofort ihren Zauberstab in der Hand.
Bei Merlin! Wenn er jetzt apparierte, würde es auffallen... Hastig schützte sich Draco mit einem wortlosen Schutzzauber und hoffte, dass dieser ausreichen würde.
„Revelio!"
Ginny und Harry starrten Draco ein paar Sekunden direkt lang an, waren jedoch offenbar weiterhin nicht in der Lage, ihn zu sehen. Draco fiel ein Stein vom Herzen. Harry und Ginny wechselten einen Blick miteinander.
„Lass uns das lieber zu Hause besprechen", entschied Harry schließlich leise. „Kein Thema für die Öffentlichkeit."
Sein misstrauischer Blick verharrte noch ein wenig auf der gleichen Stelle und wanderte dann in Richtung Nachbarstisch, an dem zwei Hexen ihre neuesten Eroberungen zum Besten gaben. Ginny nickte.
„Du hast Recht! Lass uns einfach den heutigen milden Abend genießen, nachdem ich so unverhofft früh Schluss machen konnte." Ein Lächeln stahl sich auf Ginnys Lippen und breitete sich von dort auf ihrem ganzen Gesicht aus. „Wer weiß, wann du wegmusst..."
„Oh, das kann ich dir jetzt sagen. Morgen geht es los."
Harrys Gesichtszüge spiegelten die Ambivalenz wider, die ihm diese Aussage verursachte: das Bedauern, Ginny alleine zu lassen, und die freudige Erwartung angesichts eines, wie Draco vermutete, Auftrages der Aurorenzentrale.
„Na, dann lass uns jetzt noch das Beste daraus machen..." versetzte Ginny lächelnd und griff erneut nach Harrys Händen. Dank der intensiven Konzentration beider Magier aufeinander sah Draco die Chance gekommen, endlich zu verschwinden. Er hatte alles erfahren, was er wissen wollte.
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So, nun hat Draco es also herausgefunden. Glücklicherweise, ohne Legilimentik anwenden zu müssen. Aber was wird er nun mit dieser Information anfangen? Bin gespannt auf eure Mutmaßungen ;)
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