Kapitel 11
„Hermine."
Harrys warmer Blick kündete von der Freude sie zu sehen und einladend öffnete er sperrangelweit die Tür. Hermine schlang in freundschaftlicher Geste die Arme um seine Schultern und stellte dabei überrascht fest, dass sie sich dank ihrer Stiefel heute nicht zu recken brauchte.
„Hallo Harry", erwiderte sie, allerdings nur mit einer Spur ihrer üblichen Leichtigkeit. Wenngleich sie froh war, ihren besten Freund zu sehen, so war ihre Stimmung dennoch gedämpft. Es war nun fast vier Wochen her, dass sie sich von Draco getrennt hatte, doch obwohl sie diejenige war, die die finalen Worte gesprochen hatte, litt sie unter ihrer Entscheidung und vergrub sich daher in ihre Arbeit, so gut es ging. Sie schrieb mehr als die übliche Anzahl an Artikeln, weil sie dankbar für jegliche Ablenkung war, ging spät schlafen und wachte viel zu früh wieder auf. Und wie in Endlosschleife stand ihr ständig nur die eine Frage vor Augen: Warum hatte Draco dies getan?
Es war nicht nur das Unverständnis, das Hermine aufwühlte, sondern auch eine gewisse Fassungslosigkeit. Wie hatte sie nur so dumm sein können nicht zu bemerken, dass Draco weiterhin eine Faszination für Dinge besaß, die sich außerhalb des rechtlich Erlaubten befanden? Zwar ließ sich Legilimentik nicht automatisch der dunklen Magie zuordnen, denn die Fähigkeit an sich war weder gut noch böse. Es war lediglich die dahinterstehende Intention, die ihr eine Bewertung gab.
Doch ihre Anwendung in Britannien war aus gutem Grund untersagt. Und damit gab es für Hermine keinen entschuldbaren Grund, sie zu lernen und zu gebrauchen. Nicht eine Sekunde lang hatte sie Draco seine Worte abgekauft, Legilimentik niemals angewandt zu haben. Zu Recht, wie seine nachfolgenden Äußerungen gezeigt hatten. Sie hatten unausgesprochen darauf gefußt, dass er Gedanken lesen konnte, wenn er wollte.
„Ginny ist noch nicht..."
Hermine realisierte schließlich, dass Harrys Satz unvollendet in der Luft hing und er sie forschend betrachtete. Sie hatte die tiefen Schatten, die sich unter ihre Augen gegraben hatten, zwar verborgen und Lippenstift aufgetragen, doch sie ahnte, dass ihre Haltung nur zu deutlich davon kündete, dass ihr Leben gerade einen Verlauf zum Schlechteren genommen hatte. Es überraschte Hermine daher nicht, dass sie ihrem besten Freund nichts vormachen konnte. Einen Moment schien es, als spiele Harry mit dem Gedanken, sie tröstend an sich zu ziehen, doch hastig trat Hermine einen Schritt zurück.
Sie würde sich in ein Häufchen Elend verwandeln, wenn sie dies zuließe, soviel war klar. Dabei hatte sie eigentlich gar kein Recht auf diese Traurigkeit, denn sie hatte ja die Beziehung beendet. War sie zu vorschnell gewesen? Vielleicht hätte sie ihn länger anhören sollen... Denn wenn sie ehrlich war: Draco fehlte ihr. Sie vermisste die Wortgefechte mit ihm, vermisste das Strahlen seiner Augen, sobald er ihrer ansichtig wurde und den liebevollen Spott, mit dem er sie zuweilen bedachte. Doch wenn man kein Vertrauen zu seinem Partner haben konnte... Nein, sie musste ihn vergessen!
Ihren eigenen Gedanken zum Trotz hörte sich Hermine tonlos sagen: „Ich habe ständig noch Erinnerungen im Kopf... schöne Erinnerungen. Was völlig daneben ist. Ich meine, wie kann man... jetzt, wo ich weiß, wie er tatsächlich denkt..."
Hermine wandte den Kopf und unterdrückte ein Schniefen.
„Ich glaube nicht, dass das damit etwas zu tun hat, Hermine" hörte sie Harry sanft einwenden. „Dass Draco sich jetzt wieder gewissen... Ansichten zuneigt, hat nichts damit zu tun, was er bislang für ein Mensch gewesen ist. Einer, der dir viel gegeben hat. Und du ihm. Natürlich gibt es schöne Erinnerungen. Das ist nichts, wofür du dich schämen müsstest."
Obwohl Hermine klar war, dass Harrys Worte nicht von der Hand zu weisen waren, wurde sie dennoch das Gefühl nicht los, die vergangenen Jahre einfach nur blind gewesen zu sein. Langsam drehte sie sich wieder zu ihrem besten Freund um.
„So muss es dir mit Amber gegangen sein, schätze ich."
Sie versuchte sich an einem Lächeln, das ihr jedoch kläglich misslang und zur Grimasse geriet. Harry schob die Hände in seine Hosentaschen und sah einen Moment auf den Boden zu ihren Füßen, während das Ticken der Wanduhr hinter ihnen ungemein laut zu hören war. Als er dann antwortete, klang seine Stimme jedoch fest:
„Ein wenig, ja. Aber es gibt einen bedeutsamen Unterschied. Amber war die ganze Zeit über böse gewesen und hatte mir ihre Liebe nur vorgespielt, als Teil eines großen Plans, die Geschicke Britanniens zu steuern. Ich bin jedoch überzeugt davon, dass Dracos Gefühle dir gegenüber echt sind... waren... und seine tolerante Einstellung der letzten Jahre auch."
Hermine presste die Lippen aufeinander. Harry wusste natürlich nicht, was der Auslöser für ihre Entscheidung gewesen war. Ebenso wenig wie Ginny. Sie hatte es nicht über sich gebracht, ihren Freunden zu gestehen, dass Draco sich in Wirklichkeit nie geändert und ihnen seine Aufgeschlossenheit und Menschlichkeit jahrelang nur vorgespielt hatte. Vielleicht sollte sie ihnen dies doch offenbaren... Draco hatte ihre Loyalität gar nicht verdient... er hatte sie schließlich belogen...
Mit dem ansteigenden Ärger, den dieser Gedanke in ihr verursachte, geriet Hermines Antwort harsch und mitleidslos.
„Jemand, der einen autoritären Staat befürwortet, ist für mich als Freund nicht mehr tragbar. Insbesondere, wenn ich das Gefühl habe, dass er dabei all das rigoros ablehnt, was mir so überaus wichtig ist."
Ihre Begründung trug einen abschließenden Ton in sich und mit gereckten Schultern schritt sie auf das Sofa zu, auf dem Harry zuvor augenscheinlich gesessen hatte. Diverse Pergamente lagen verstreut auf Tisch und Boden, was sich bei näherem Hinsehen jedoch als eine Art Ordnung entpuppte. Hermine musste schmunzeln, als sie die kleinen Steine entdeckte, die verhinderten, dass sich die Pergamente wieder einrollten.
„Möchtest du es nicht weniger umständlich haben?", wollte sie an Harry gewandt wissen, während ein kundiges Lächeln ihre Mundwinkel umspielte. Harry respektierte ihren abrupten Wechsel des Themas und lachte leise, als er zugab:
„Mir ist da einfach nichts eingefallen."
Hermine zog ihren Zauberstab aus der Jeans. „Darf ich?"
Harry machte eine einladende Handbewegung. „Tu dir keinen Zwang an."
„Gravatis Pergamenta."
Mit einem zweiten Zauber erhoben sich die Steine, schwebten durch die Luft und sanken dann neben der Eingangstür zu Boden, wo sie einen kleinen Haufen bildeten. Die Pergamentrollen blieben nun jedoch flach auf ihren jeweiligen Plätzen liegen. Zufrieden steckte Hermine ihren Stab wieder fort.
„Hermine, du bist und bleibst ein As", lobte Harry und sah zufrieden auf die Unterlagen herab. „Wenn du jetzt noch etwas weißt, was alles nach Daten sortieren würde..."
Ein fast schon frech zu nennendes Grinsen erschien auf Hermines Gesicht, während sie sich auf einen Sessel setzte. „Ein bisschen was musst du schon selbst tun."
Doch bevor sie mit hilfreichen Tipps fortfahren konnte, weckte eine Verkündung der Aurorenzentrale ihre Aufmerksamkeit. Neugierig nahm sie das silbrig schimmernde Blatt in die Hand. Für ein Pergament wies es eine überraschende Glattheit auf, die Hermine an die Papierblätter ihrer Kindheit erinnerte.
Aus gegebenem Anlass werden jeder Auror und jede Aurorin gebeten, stets Neutralität gegenüber den von außen in unsere Organisation getragenen Themen zu wahren. Zuwiderhandlungen werden Konsequenzen nach sich ziehen. Wir sind eine dem Ministerium unterstellte Institution und dulden daher weder Verunglimpfungen noch Schmähungen.
Hermine schürzte betroffen ihre Lippen. „So notwendig?"
Harry zuckte resigniert mit den Schultern und setzte sich nun ebenfalls. „Es gab zwischen einigen Auroren ein paar Auseinandersetzungen, die etwas hitzig wurden und dazu geführt hatten, dass Verletzungen im Sankt Mungos behandelt werden mussten."
Hermine sog geräuschvoll die Luft ein. „Das klingt nicht gut", kommentierte sie und starrte Harry nachdenklich an.
„Wem sagst du das", erwiderte er und rieb gedankenverloren mit seinem Finger über den Stoff des Sessels.
Das Huten zweier Eulen war zu vernehmen, doch keine von ihnen begehrte Einlass am Fenster und schnell wurde es daher wieder still draußen. Vom Stockwerk über ihnen war das dumpfe, leise Geräusch zu vernehmen, das von regen Fußbewegungen kündete. Statt hochzugehen und Ginny bei ihren Vorbereitungen für den Abend Gesellschaft zu leisten, zog Hermine es vor, das aufgegriffene Thema noch etwas zu vertiefen.
„Eigentlich ist Pennington keiner, der polarisiert", gab sie ruhig von sich und dachte an den blonden Zauberer mit dem auffallenden Schnauzbart. „Auch wenn ich für ihn absolut nichts übrig habe – er ist jedenfalls sehr verhalten in dem, was er bislang geäußert hat. Wobei ich nicht weiß, ob er da ehrlich ist. Aber alleine seine temporäre Übernahme der Amtsgeschäfte motiviert offenbar gewisse Magier, zugespitzte Äußerungen zu machen und mit ihren Worten manchmal das erforderliche Maß an Respekt zu verlieren."
Harry warf ihr einen schrägen Blick zu. „Vor allem auch deine Zunft ist da sehr aktiv unterwegs.
„Du spielst auf den Daily Prophet an", stellte Hermine grimmig fest.
„Nicht nur. Jedenfalls haltet ihr alle die Auseinandersetzungen zwischen den Verfechtern von Richards Demokratisierungsbemühungen und den Positionen einiger besonders rückwärtsgewandter Politiker am Glimmen. Und nicht immer in neutralen Formulierungen."
„Es ist wichtig, dass darüber berichtet wird", protestierte Hermine, die sich in zwei Leitartikeln ebenfalls zu den in der Luft liegenden Spannungen geäußert hatte.
„Natürlich", gab Harry ihr recht. „Aber es wird gefährlich, wenn die Auseinandersetzungen polemisch aufgeladen sind. Denn dann..."
Er wurde von Ginnys Ausruf, halb Überraschung, halb Empörung, unterbrochen.
„Hermine! Wie lange bist du schon hier?"
Zügig stieg die rothaarige Hexe die Treppe hinunter und unterzog Hermine dabei eines genauen Blickes, ohne zu merken, dass Harry überaus überrascht ihren Minirock beäugte.
„Habe ich etwas verpasst?", scherzte er. „Ich dachte, ihr wolltet in den Leaky Cauldron."
„Unsere Pläne haben sich ein wenig geändert", flötete Ginny und bedachte Harry mit einem lässigen Augenaufschlag, als sie vor ihnen stehenblieb. „Heute ist Tanzen angesagt."
Nur einen Moment später spürte Hermine wieder Ginnys Augen auf sich ruhen. Doch ohne zu sagen, was ihr durch den Kopf ging, zog ihre Freundin sie nur einmal kurz in eine feste Umarmung und gab ihr dann wieder Raum. Hermine dankte es ihr mit einem kurzen Nicken und seufzte leise.
Heute verspürte sie nichts von der Vorfreude, die sie normalerweise erfasste, wenn sie ausging. Unvermittelt tauchte die Erinnerung an den Pub in Brighton auf, den sie vor einigen Wochen gemeinsam mit Draco und ihren Kollegen aus der Redaktion besucht hatte: das Bild, wie Draco mit seinem hellem Haar, dem das Kerzenlicht einen goldenen Schimmer verpasst gehabt hatte, vor der dunklen vertäfelten Wand gestanden hatte. Sein fröhliches Lachen, seine gelöste Stimmung, seine Art, ihr immer wieder zwischendurch einen verliebten Blick zuzuwerfen...
Harry und Ginny hatten wenig von dieser Persönlichkeit zu sehen bekommen. Angesichts einer Vergangenheit, die von übermäßiger Feindschaft zueinander dominiert gewesen war, hatte Draco nie das Maß an Vertrauen entwickelt, das es brauchte, um eine Bekanntschaft in Freundschaft zu verwandeln. Er hatte sich in Harrys und Ginnys Gegenwart nie so gegeben, wie er war. Oder zumindest, wie er sein konnte.
Denn inzwischen wusste selbst Hermine nicht mehr, wer Draco wirklich war. Er schien ihr jetzt wie damals in Hogwarts zu sein, als sie und ihre Freunde aus gutem Grund nur das Schlechteste von dem weißblonden Zauberer angenommen hatten. Ein junger Zauberer, der stets nur der dunklen Magie und seinem arroganten Elternhaus das Wort geredet hatte und dessen Taten für sich selbst gesprochen hatten. Für so etwas hatte sie absolut keine Toleranz! Selbst wenn es sie zerriss dabei...
„Erde an Hermine!" Ginny hatte ihr eine Hand auf die Schulter gelegt. „Woran denkst... nein, sag nichts. Ich weiß schon."
Ihr besorgter Blick blieb auf Hermine liegen, die hastig zur Seite blickte und die aufkommenden Tränen fortblinzelte.
„Genau deswegen ziehen wir heute los! Damit du endlich mal auf andere Gedanken kommst. Und zwar nicht nur welche an die Arbeit!"
Ginnys Ton hatte den Klang von leicht übertriebenem Enthusiasmus, der einen immer dann befällt, wenn man andere von etwas überzeugen möchte. Zum Glück hatte sie jedoch den Anstand, Hermines Äußeres, das sich nur wenig von ihrer praktischen Alltagskleidung unterschied, nicht zu kommentieren.
„Auf geht's", verkündete Ginny stattdessen euphorisch und mit einem leicht resignierten Blick zu Harry hinüber fügte sich Hermine schließlich in das Schicksal, welches Ginny so entschlossen in ihre Hand genommen hatte.
„Meldet euch, wenn ihr zurückwollt, ich hole euch dann ab", verkündete Harry gut gelaunt, woraufhin Hermine leicht mit den Augen rollte.
Sie würden mit Ginnys Besen hinfliegen und sie selbst würde den Besen dann zurück nach Godrics Hollow steuern, da sie sich mit Alkohol zurückzuhalten wusste. Soviel fliegerisches Können besaß sie immerhin, auch wenn Ginny, die in ihrer Freizeit Jägerin eines regionalen Frauenquidditchteams war, darüber stets nur zu schmunzeln wusste. Draco hatte versucht, sie ein wenig zu unterrichten – er flog einfach zu gerne und hatte sich in eigenem Interesse mehr Freude daran von ihr gewünscht – doch was das anging, war sie einfach ein hoffnungsloser Fall. Verärgert krauste Hermine ihre Nase. Bei Merlin, jetzt dachte sie schon wieder an ihn!
„Du bist ein Goldstück, Harry."
Ginny schenkte ihrem Zukünftigen ein strahlendes Lächeln und verabschiedete sich mit einem liebevollen Kuss, der offenbar Hermine zuliebe kürzer als gewohnt ausfiel. Hermine dachte an die zukünftige Hochzeit ihrer beiden besten Freunde und unterdrückte ein Seufzen. Sie gönnte den beiden ihre grenzenlose Liebe, aber dennoch versetzte ihr deren Glückseligkeit im Moment einen Stich.
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