Kapitel 1
Es war dunkel geworden, aber der schwere Duft der Blüten war noch nicht versiegt. Er zog durch das offene Fenster und ließ sich an den seidigen Vorhängen nieder, die sich bei jedem Windhauch sachte bewegten. Er setzte sich auf das im gedimmten Licht schimmernde Weiß des Kissens, dessen edle Stickereien es zu einem Unikat machten, und blieb in dem dunklen Teppich vor dem Bett hängen.
Die Rosensträucher direkt unterhalb des Fensters waren in der Dunkelheit nur mehr zu erahnen, aber auf dem makellos gepflegten Rasen mehrere Meter entfernt leuchten in regelmäßigen Abständen Fackeln, die vor kurzem entzündet worden waren. Ihr goldenes Licht tauchte den über den Rasen verlaufenden Kiesweg in ein Band aus Kupfer, bis es sich in der Ferne verlor.
Von hier aus waren weder der Eingangsbereich ihres Hauses noch der hohe, schmiedeeiserne Zaun, der das Grundstück umfasste, einsehbar. Im heutigen Mondlicht würde das kunstvoll verschnörkelte Metall besonders vornehm schimmern, fuhr es Narcissa durch den Kopf, obwohl sie schon lange keinen Schritt mehr nachts in den Garten unternommen hatte. Diese Erinnerung war einer Zeit der romantischen Gefühle zwischen Lucius und ihr vorbehalten, deren Einzelheiten verblasst und längst schon von den Bestrebungen, dem Dunklen Lord und seinen Zielen zu dienen, in den Hintergrund gedrängt worden waren.
Mit den Fingern strich sie langsam den kühlen Marmor der Fensterbank entlang, während ihre Gedanken in der Vergangenheit verweilten.
Der gemeinsame Wille, sich für eine reinblütige Gesellschaft einzusetzen, in der die aristokratischen Familien über alle minderwertigen Kreaturen herrschen würden, hatte Lucius und sie bereits früh zueinanderfinden lassen. Dass Lucius sich dann bald den Todessern anschloss, hatte Narcissas vollstes Verständnis gefunden, auch wenn sie als Hexe nur einen Platz in der zweiten Reihe hatte einnehmen können. Sie hatte im Hintergrund gewirkt, wie es sich einer Hexe geziemte. Hatte ihrem Mann mit allem, was ihr zur Verfügung stand, den Rücken freigehalten, damit dieser seine ganze Kraft und Energie der Unterstützung des Dunklen Lords widmen konnte.
Ein vorsichtiges Klopfen an der Tür ließ Narcissa hochschrecken, doch als sich dann langsam die Tür öffnete, war es nur Kerida, die alte Hauselfe aus dem Besitz ihrer längst verstorbenen Eltern. Abfällig blickte Narcissa auf das verhutzelte Wesen hinab, das sich mit unsicheren Schritten näherte und eine Tasse Tee auf einem Tablett balancierte. Es klirrte heftig, als die Hauselfe das Tablett auf der dem Bett gegenüberliegenden Kommode abstellte und Narcissa warf ihr einen strafenden Blick zu, der die Elfe sichtbar zusammenzucken ließ. Mit zitternder Hand nahm sie die Teekanne hoch und goss das dampfende Getränk in die Tasse.
Indessen rümpfte Narcissa verächtlich die Nase. Auf dem zerknitterten Kissenbezug, der der Elfe als Kleidung diente, prangte unübersehbar ein unschöner Fleck. Es war einfach schlimm, wenn Hauselfen alt wurden. Zu nichts mehr zu gebrauchen. Nicht einmal Tee zubereiten konnte die Elfe, ohne dass etwas schiefging. Es war ein Wunder, dass sie es geschafft hatte, ihre Tasse zu füllen ohne zu kleckern.
Narcissa seufzte vernehmlich. Doch es ging echt nicht an, eine Hauselfe durchzufüttern, ohne dass sie sich im Geringsten nützlich machte. Warum konnten diese Kreaturen nicht einfach abtreten, wenn es an der Zeit war? Unter der Herrschaft des Dunklen Lords hätte man mit ihnen kurzen Prozess gemacht, dachte Narcissa kalt, sah aber im Moment davon ab, die Elfe ob ihres Mangels an Sauberkeit zu rügen und zu bestrafen.
„Du kannst gehen, Kerida."
Narcissas Stimme war kaum mehr als ein Flüstern, aber die Autorität darin trotzdem unüberhörbar.
„Sehr wohl, Herrin."
Den Kopf demütig gesenkt, mit hängenden Ohren, die jedes Mal faltiger zu werden schienen, verließ die Elfe langsam mit rückwärts gerichteten Schritten das Zimmer.
Ein vages Gefühl von Trauer durchfuhr Narcisa, als sie an die Herrschaft des Dunklen Lords dachte, die beim zweiten Mal leider ein überaus kurzes Ende gefunden hatte. Sie hatte sehr darauf gehofft, dass der Herrscher der dunklen Magie den Sieg über Harry Potter davontragen würde – und damit nicht nur endgültig seine Herrschaft hätte etablieren können, sondern außerdem die Bestrafung von Lucius zurückgenommen und Malfoy Manor wieder verlassen hätte. Doch verdammenswerter Weise war es ganz anders gekommen...
Der Druck, mit dem Narcissa nun ihre Handflächen auf die Fensterbank presste, war fest. Diese Zeit war nun schon einige Jahre her. Dennoch hatte sie nach dem Tod des Dunklen Lords Spuren hinterlassen. Narcissas Angst um ihre Familie war allgegenwärtig gewesen, erst die um Draco und anschließend die um Lucius. Narcissa allein wusste, wie grau ihr Haar, wie tief ihre Falten geworden waren, auch wenn sie dies gekonnt zu verbergen wusste. Lucius hatte keine Ahnung, wie sehr die Strapazen der letzten Jahre ihr zugesetzt hatten und sie würde sich hüten, ihm auch nur ein Wort darüber zu beichten.
Trotz aller Folgen bereute Narcissa ihre Unterstützung für den Dunklen Lord in keinster Weise. All diese Gefahren gehörten dazu, sie waren das Risiko, das man einging, wenn man sich ohne Wenn und Aber für eine Sache einsetzte, die einem wichtig war. Die es wert war, dafür Opfer zu bringen. Denn der Dunkle Lord war der Einzige, der dafür gesorgt hatte, dass die Zauberergesellschaft von unreinen Elementen gesäubert wurde. Der eine viel zu kurze Zeit lang eine Welt wiederhergestellt hatte, auf die sie ein Recht besaßen. Denn Zauberer und Hexen allein, mit ihren magischen Kräften, gebot es, über andere zu herrschen und niemand hatte ihnen zu sagen, was sie zu tun oder zu unterlassen hatten!
Narcissa hatte nie mit Lucius über seine drei Jahre in Azkaban gesprochen, und auch nicht darüber, wie Draco und sie sich in dieser Zeit durchgeschlagen hatten. Drei Jahre des Ausgeschlossenseins von der Gesellschaft, weil kaum noch jemand etwas mit der Familie Malfoy hatte zu tun haben wollen, deren Familienoberhaupt aufgrund der Gefolgschaft des Dunklen Lords zu lebenslanger Haft verurteilt worden war. Es waren einsame Jahre gewesen, die ihre Krönung darin fanden, dass ihre vom Ministerium gesuchte Schwester überraschend tot aufgefunden worden war – tot aus ungeklärter Ursache, wie es hieß.
Narcissa ließ ein humorloses Lachen hören und wandte sich vom Fenster ab. Sie wusste, dass das Ministerium hinter Bellas Tod steckte. Diese verfluchte Zaubereiministerin hatte lediglich den Aufwand vermeiden wollen, den eine Ergreifung der letzten aktiven Anhängerin des Dunklen Lords mitsichgebracht hätte. Es hätte eine dieser Gerichtsverhandlungen gegeben, die eine Farce waren, und deren Ergebnis längst feststand. Lebenslang Azkaban. Wie Lucius. So gesehen war Bellas Leben wenigstens kurz und schmerzlos zu Ende gegangen, dachte Narcissa mit einem Zynismus, der ihre Trauer übertünchte.
Lucius hingegen war schreckhaft aus Azkaban zurückgekehrt, hohlwangig und hohläugig, obwohl es nicht das Essen gewesen war, an dem es gefehlt hatte. Monatelang hatten ihn Albträume mehrmals in der Nacht hochschrecken lassen und das kontinuierliche Zittern seiner Hände war unübersehbar gewesen. Der Schatten eines Mannes, der er zuvor gewesen war. Doch sie hatten es nicht geschafft, ihn zu brechen, dachte Narcissa mit Stolz. Lucius Einstellung zur Reinheit des Blutes und der Wunsch nach einem Herrscher, der mit allem aufräumte, was sich dieser Idee in den Weg stellte, war unverändert geblieben!
Narcissa hatte sich nie einer Illusion hingegeben, was die bedingungslose Gefolgschaft des Dunklen Lords für sie und Lucius bedeuten konnte. Denn sie war nicht naiv und verkannte nicht die Unduldsamkeit ihres Anführers, der keinen Fehler verzieh. Lediglich einen kurzen Moment lang hatte sie an ihm gezweifelt. Genauer gesagt, war sie an der Strafe verzweifelt, die der Dunkle Lord Lucius auferlegt hatte: dass ihr Sohn Draco den Auftrag erhielt, seinen muggelliebenden Schulleiter Albus Dumbledore, den größten Widersacher des Dunklen Lords, zu töten. Und bei einem Scheitern, nie ausgesprochen, aber immer im Raum stehend, sein eigenes Leben zu verlieren. Doch der Dunkle Lord hatte das Recht zur Bestrafung gehabt. Denn Lucius' Aktion zur Sicherstellung der Prophezeiung aus dem Ministerium war objektiv ein Fiasko gewesen.
Doch so sehr Narcissa das Handeln des Dunklen Lords auch nachvollziehen konnte, war sie dennoch Mutter genug gewesen, alles in ihrer Macht Stehende zu tun, um das Leben ihres Sohnes zu schützen! Was ihr gelungen war – sowohl damals als auch nach dem Tode des Dunklen Lords, als Draco beinahe in Azkaban gelandet wäre. Doch wofür nun...?
Sie trat an die Kommode heran und nahm einen Schluck Tee, der inzwischen eine gaumenschmeichelnde Temperatur angenommen hatte. Stirnrunzelnd zog sie eine Schublade auf, aus der sie das ganz obenliegende Foto entnahm. Das spöttische Lächeln ihres Sohnes, das so typisch für ihn war, strahlte ihr entgegen. Das kurze weißblonde Haar war streng nach hinten gekämmt, wie er es seinerzeit gern getragen hatte. Mit dem Zeigefinger fuhr Narcissa kurz die Konturen von Dracos Gesicht entlang und presste dann die Lippen zusammen.
Lucius hatte damals alle Fotos von Draco zerstört, nachdem dieser seine Beziehung zu dem Schlammblut Hermine Granger öffentlich gemacht hatte. Nur dieses eine war übriggeblieben, zusammen mit den Kinderfotos von Draco. Allesamt verwahrt in der Schublade, in die auch ihr Mann ab und an einen Blick warf, wenn er dachte, Narcissa bemerke es nicht.
Ungewollt entfuhr ihr ein Seufzer. Draco hatte die Beweggründe seines Vaters nie verstanden. Er hatte ihn dafür verurteilt, ihre Familie der Schande ausgesetzt und ihnen einen Ruf verpasst zu haben, auf den Draco zu feige war, Stolz zu empfinden. Das Klirren, das sie nun selbst mit dem harten Absetzten ihrer Tasse verursachte, hallte im Zimmer nach. Rasch legte Narcissa das Foto zurück in die Schublade und schob sie mit einem Ruck zu. Was hatten sie bloß falsch gemacht mit ihrer Erziehung? Hatten sie ihre Erwartungen nicht überaus deutlich gemacht? Wie konnte sich ihr Sohn bloß mit einem Schlammblut einlassen?!
Und dann auch noch ausgerechnet mit dieser Granger, die einen beißenden Artikel nach dem anderen über Magier schrieb, die sich offen für die alten Werte einsetzten? Grangers politische Kommentare wurden selbst gelegentlich im Daily Prophet zitiert, obgleich sie nur Politikkorrespondentin der Weitsicht war, einer Wochenzeitung, die lediglich mit einer geringen Auflage aufwarten konnte. Einer dieser Artikel des Daily Prophet über Granger lag ordentlich zusammengefaltet auf der rechten Seite der Kommode, halb über einem angefangen Brief von Lucius.
Narcissa brauchte ihn nicht zu lesen, um zu wissen, an wen er war und was er enthielt. Es war nicht der erste Brief seiner Art, die Lucius anonym an die Weitsicht schickte, in dem Bemühen, seinem Hass ein Ventil zu bieten. Sie wusste nicht, ob Granger diese Briefe erhielt oder ob sie vorher aussortiert wurden. Es hielt sie jedenfalls bislang nicht davon ab, ständig Dreck über alteingesessene reinblütige Familien auszukippen. Aber was war von einem Schlammblut auch anderes zu erwarten, dachte Narcissa verächtlich.
Es war ihr unbegreiflich, wie Draco die Anwesenheit dieser muggelgeborenen Hexe ertragen konnte. Sie erkannte ihren Sohn kaum wieder, so sehr wich sein Verhalten von dem Jungen ab, den sie großgezogen hatte. Man sagte Granger großes Talent nach... Vermutlich wäre sich das Schlammblut nicht zu schade, einen Liebeszauber anzuwenden. Anders war es eigentlich nicht zu erklären... Narcissas Gesicht verzog sich zu einer verkniffenen Grimasse. Nun, Draco würde allein aus dem Schlamassel herauskommen müssen, den er sich eingebrockt hatte.
Grimmig ging sie zum Fenster hinüber und schloss es mit einem Ruck. Sofort nahm der Rosenduft ab. Mit leichter Ungeduld warf Narcissa einen Blick auf die filigrane, silberne Uhr, die deutlich machte, dass es längst die Zeit war, zu der man Lucius hätte zurückerwarten können. Als hätten ihre Gedanken die gleiche magische Wirkung wie ihr Zauberstab, waren just in diesem Augenblick Schritte auf dem Parkett zu hören, die Lucius' baldiges Eintreten ankündigten.
Sie klangen ungewöhnlich beschwingt, keine Spur von der Gemächlichkeit, die Lucius üblicherweise an den Tag legte, und ließen Narcissa aufhorchen. Rasch überprüfte sie noch einmal den Sitz ihrer Haarspangen, die ihr das Haar streng nach hinten schoben, bevor sie sich der Tür zuwandte und ihren Mann mit einem zurückhaltenden Lächeln begrüßte.
„Cissa."
Lucius' Mundwinkel hoben sich, als er sie noch wach vorfand, und eine Sekunde später spiegelte seine Miene den Schein eines leichten Triumphes wider, der schlagartig Narcissas Neugier weckte.
„Luce", war nichtdestotrotz alles, was sie verhalten von sich gab.
In ein paar raschen Schritten war Lucius bei ihr und jetzt konnte Narcissa im Licht der Kerzen deutlich sehen, dass seine Augen ein gewisses Feuer aufwiesen, dass sie nicht mehr in ihnen lodern gesehen hatte, seit ihr Mann aus Azkaban zurückgekehrt war. Es schien, als hätte er einen Plan geschmiedet, der etwas Größeres zu beinhalten schien als lediglich seinem Zorn dadurch Ausdruck zu verleihen, dass er Hassbriefe verfasste.
Denn im ständigen Fokus der Auroren hatte sich Lucius bislang tunlichst zurückgehalten, irgendetwas zu planen, was deren Aufmerksamkeit wecken würde. Denn selbstverständlich legte er keinerlei Wert darauf, seine Zeit erneut in Gesellschaft der widerlichen Dementoren zu verbringen.
Lucius' Finger an Narcissas Wange waren wärmer als gewöhnlich und der nur flüchtige Kuss verhehlte nicht, dass er komplett anderes im Sinne hatte als amouröse Gedanken. Nur einen Augenblick später verkündete er mit einer Stimme, die seine Euphorie nicht verhehlte:
„Die Zeit ist gekommen."
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