Kapitel 4
Amber wechselte bedächtig die Haltung ihrer Beine, die sie nachlässig auf dem Schreibtisch abgelegt hatte, und bedachte sie mit einem zufriedenen Blick. Sie besaß eine körperliche Attraktivität, die ihr sofort das Vertrauen ihrer Patienten sicherte, noch bevor sie anfing, sich ihrer Probleme anzunehmen. Gutes Aussehen hat immer und jederzeit einen unschätzbaren Vorteil, fuhr es ihr durch den Kopf. Mit einer galanten Handbewegung strich sie sich durch die offenen, dunklen Haare und lächelte mit einem Selbstbewusstsein, das seinesgleichen suchte.
In der Tat hatte sie allen Grund dazu, denn Misserfolg war ein Begriff, der in ihrem Wortschatz nicht vorkam. Sie hatte sowohl die Mayrona-Privatschule als auch die amerikanische Hochschule für Zauberei mit Bestnoten abgeschlossen, ohne sich das kleinste bisschen anstrengen zu müssen. Nachlässig spielten ihre manikürten Fingernägel mit dem kräftigen, dunklen Erlenholzstab in ihren Händen.
Schon früh hatte Amber bemerkt, dass sie in der Lage war zu erkennen, was die Hexen und Zauberer um sie herum dachten, auch ohne dass diese ihre Gedanken in Worte fassten. Von da an war es ein Leichtes gewesen, das zu sagen, was andere hören wollten und sich so deren Wohlgefallen zu sichern. Befriedigt dachte sie an die nie versiegenden Komplimente, die man ihren Adoptiveltern über sie gemacht hatte: So ein entzückendes kleines Mädchen. Welch wohlerzogene junge Hexe. Sie können stolz auf ihre erfolgreiche Tochter sein.
Amber erinnerte sich derlei Bemerkungen mit einer Spur von Verachtung, denn diese ganzen Magier um sie herum hatten keine Ahnung gehabt, worauf ihr Erfolg tatsächlich zurückzuführen war. Einer weisen Voraussicht folgend hatte sie niemandem, weder Eltern noch Lehrern, von ihrer Fähigkeit erzählt. Als Kind hatte es sie mit Stolz erfüllt, mehr zu wissen als alle anderen um sie herum und ein befriedigtes Lächeln umspielte jetzt ihre Lippen, als sie an die Manipulationen dachte, mit Hilfe derer sie ihre Lehrer dazu gebracht hatte, die Klausuren und Aufgaben so zu verfassen, dass sie sich an dem orientierten, was sie selbst wusste oder wofür sie sich interessierte.
Langsam veränderte Amber ihre Haltung, zog ihre Füße vom Schreibtisch und schloss für einen Moment die Augen, um sich in ihre Internatszeit zurückzuversetzen, was ihr unwillkürlich ein höhnisches Grinsen ins Gesicht zauberte. Dieses Gefühl, das sich eingestellt hatte, wenn sie erfolgreich einen Konflikt zwischen ihren Mitschülern angezettelt hatte, der nicht selten zu deren Bestrafungen geführt hatte, war unbeschreiblich gewesen. Keiner dieser ach so fähigen Lehrer hatte nur im Geringsten geahnt, wem sie die ständigen Unruhen zwischen den Schülern zu verdanken hatten. Sie hingegen war die problemlose, schlaue Schülerin gewesen, von der die ganze Lehrerschaft geschwärmt hatte. Die Jahrgangsbeste, die allen als Vorbild präsentierte worden war. Diese Dummköpfe!
Das hatte ihr einen Vorgeschmack auf Macht gegeben. Zu wissen, dass sie mit allem durchkommen würde und dass andere Magier Wachs in ihren Händen waren, wenn sie in ihre Gedanken eindrang. Wo andere dunkle Magier den verbotenen Imperius-Fluch benötigten, war sie fähig, allein mit der Kraft ihrer Gedanken das Handeln anderer zu bestimmen.
Das plötzliche Lachen, das ihr entwich, hatte etwas Boshaftes und passte so gar nicht zu Ambers makellosem, ansprechendem Erscheinungsbild, das sie stets ihrer Umgebung präsentierte. Sie lehnte sich in ihrem Stuhl zurück und bedachte das Foto des Weißen Hauses an ihrer Wand mit verächtlichem Blick. Wenn sich auch die Ministeriumsangestellten bislang immun gegenüber ihren Fähigkeiten gezeigt hatten – offenbar war die abwehrende Fähigkeit der Okklumentik etwas, das alle im Weißen Haus arbeitenden Magier verpflichtend hatten lernen müssen – so würde sie sicherlich schon bald eine Lücke in ihrem Sicherheitssystem ausfindig machen. Vermutlich erledigten auch ein paar Muggel niedere Dienste für das Weiße Haus, die bestimmt nicht gegen Legilimentik geschult worden waren.
Wieder konnte sich Amber eines leisen Lachens nicht erwehren. Diese Idioten hatten keine Ahnung, dass die Regierung ihres Landes in Wirklichkeit aus lauter Hexen und Zauberern bestand, denn anders als in vielen anderen Ländern kleideten sich in den USA die Magier unauffällig und mischten sich regelmäßig unter das Muggelvolk. Das war nur eines der Dinge, die ihr zuwider waren, diese ständige Toleranz gegenüber Schwächeren und Andersdenkenden, die unvermeidlich dafür sorgen würde, dass die USA ihre beherrschende Stellung im globalen Spiel um Macht verlieren würde.
Denn das war es, worauf Amber aus war – Macht. Die Macht, etwas Grundlegendes zu verändern, nicht nur im Alltag, nicht nur im Denken und Fühlen der einzelnen Magier um sie herum, sondern die Macht, die Geschicke des Landes zu bestimmen, hinderliche Prinzipien über Bord zu schmeißen und alles so zu verändern, wie es ihr vorschwebte. Ohne diese nerventötenden, langatmigen demokratischen Prozesse, die Amerika innewohnten und die das Land gegenüber globalen, undemokratischen Rivalen ins Hintertreffen geraten ließen.
Die letzten Strahlen der untergehenden Sonne schienen durch das Fenster hinein und ließen Ambers dunkle Haare glänzen. Mit dem unwillkürlichen Gefühl einer Vorahnung erhob sie sich in einer geschmeidigen Bewegung, öffnete die Fensterflügel und sah hinaus auf den langsam in der Dämmerung versinkenden Garten. Obwohl sie unvermindert eine kommende Veränderung spürte, deutete jedoch nichts darauf hin, dass sich jemand in der Nähe befand. Das leise Rascheln von Blättern, verursacht durch eine sanfte Brise, die Amber auf der Haut spürte, war alles, was sie vernahm.
Der Blick, der aufmerksam über den Garten und den Zugang zu ihrem Häuschen glitt, war nicht ohne Stolz, denn für ihre jungen Jahre hatte sie es zweifellos bereits weit gebracht. Ihr eilte der Ruf einer erfolgreichen Seelenheilerin voraus, die ihre Patienten so schnell behandelte wie kaum jemand sonst. Vor kurzem war sie nach Washington gezogen, um der Verwirklichung ihres Ziels näher zu kommen, denn eine weitere Möglichkeit, Zugang zum Kreis der Ministeriumsangestellten zu bekommen, bestand darin, einen von ihnen in ihrer Praxis zu behandeln. Bislang hatte sich ihr Ruf allerdings noch nicht in den politischen Kreisen, die sie interessierten, herumgesprochen.
Eine Zornesfalte erschien auf Ambers Stirn, die die leichte Ungeduld kennzeichnete, die sie dann und wann überfiel, obwohl sie sich diese in der Öffentlichkeit niemals anmerken ließ. Sie galt als freundlich, aufmerksam und geduldig, wenngleich ein wenig reserviert, denn sie mied Partys, deren Menge an Anwesenden es ihr für gewöhnlich schwer machte, sich auf die Gedanken bestimmter Personen zu konzentrieren.
Amber war intelligent genug, die Empfindung, die sie noch immer spürte, obschon nichts auf eine tatsächliche Bedrohung hindeutete, nicht zu ignorieren. Mit angespannten Sinnen schloss sie die Fensterflügel und trat in den nun fast in Dunkelheit gehüllten Raum zurück. Mit einer kaum wahrnehmbaren Drehung ihres Handgelenkes brachte sie nur eine ihrer Lampen zum Leuchten. Sie mochte das Gefühl, mit der Dunkelheit verschmelzen zu können, zu der ihre Gedanken ohnehin beständig drifteten; eine Dunkelheit so ähnlich der Magie, die in ihr wallte und nur darauf wartete, endlich losgelassen zu werden und die Welt, wie man sie kannte, zu verändern.
Doch gerade als Amber ihren Wohnraum betrat und im Begriff war, sich auf das Sofa fallen zu lassen, spürte sie ein Kribbeln in ihrem Nacken, spürte, dass sich die Schwingungen um sie herum verändert hatten...etwas näherte sich und es war nichts, was sie kannte, es war etwas Neues, dem eine Bedrohung und eine Herausforderung zugleich innewohnte. Den Zauberstab verteidigungsbereit erhoben verharrte Amber in der Mitte des Raumes, bis nur wenige Sekunden später das Scheppern des Türringes ertönte.
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Ihr Lieben, meine Absicht war es, Amber als eine Hexe darzustellen, die zwar harmlos nach außen wirkt, aber tatsächlich eine große Gefahr für andere darstellen kann. Kommt das rüber?
Liebe Grüße, Sunflower
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