Kapitel VIII
Eine Straße inmitten von idyllischen Häusern. Eine kleine Stadt war es oder ein Dorf, man konnte es nicht erkennen. Die Sonne schien angenehm, nicht zu heiß und nicht zu kalt, und ein junger Mann kam langsam die Straßen entlang, sein Gang war federnd, leicht und er beugte sich über ein Bündel, in dem ein Baby lag und redete leise mit ihm, als Antwort erklang ein Lachen, ein wenig heiser, aber aufrichtiger glücklich als man in seinem Alter sein konnte.
Seine Lippen umspielte ein glückliches Lächeln, es war alles gut geworden. Er war hier. Sein Sohn war hier. Er war auf dem Weg nach Hause.
Eine einzelne Wolke zog auf, auf die der kleine Junge mit speckigen, kleinen Fingern zeigte und ein verwundertes Geräusch machte.
Sie war ungewöhnlich dunkel, zu dunkel für einen einzelnen, einsamen Fetzen inmitten vom Sommer. Der Mann richtete sich auf und drückte das Kind unwillkürlich fester an sich. Vielleicht ist das Glück auf unserer Seite, dachte er, während er die verschlungenen Straßen zu seinem Haus entlang hastete, vielleicht ist das nur eine Wolke.
Auch wenn er nicht rannte, überholte er auf seinem Weg einige Fußgänger, die mit Einkaufstüten beladen auf dem Weg in ihr sicheres Haus waren. Nur dass es nicht sicher war, nur dass jeder in es gelangen konnte, hätten er und seine Familie die Umgebung nicht auch mit Schutzzaubern versehen.
Ein Jogger wurde vor ihm sichtbar, ein älterer Mann, der keuchend eine kleine Steigung herauf rannte. Er schien die seltsame Wolke über sich nicht zu bemerken. Der junge Mann überholte ihn, hielt sein Kind fest an sich gepresst, die Augen gen Himmel gerichtet. Es sah aus, als würde im Zeitraffer eine Gewitterwolke entstehen.
Sein Zauberstab rutschte aus seinem Ärmel in seine Hand, noch bevor er sich entschlossen hatte, wie immer waren seine Taten schneller als seine Überlegungen. Nun rannte er auch, bog wieder um eine Ecke, sah kurz nach hinten, nein, keiner war zu sehen. Vor ihm schlug der Blitz tief in den Boden ein.
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Lily wachte mit einem leisen Schrei auf, ihr Atem ging flach, ihre Brust hob und senkte sich rasend. Sie merkte, wie sich ihre Hand um den Zauberstab, vierzehn Zoll, Schwarzdorn, geschlossen hatte, obwohl sie ihn bevor sie ins Bett gegangen war, auf den Nachttisch gelegt hatte.
Ihr Arm brannte. Schnell zog sie die Stulpe etwas höher und umklammerte ihn. Langsam ebbte der Schmerz ab. Die kleine Uhr an ihrem Handgelenk zeigte vier Uhr dreizehn an.
Leise, um die anderen nicht zu wecken, spät am Abend war noch ein fünftes Mädchen erschienen, schwang sie sich aus dem Bett und ging ins Bad. Vor einem der Spiegel blieb sie stehen und musterte sich noch einmal. Die roten Haare waren an der Kopfhaut verklebt und standen vom Kopf ab, ihre Augen blickten ihr gehetzt und, unerklärlicherweise, auch wütend entgegen. Ihr Gesicht glühte.
Sie wusch sich den Schweiß von ihrem Körper und aus den Haaren und kämmte sich, versuchte, ihre Gedanken wieder zu beruhigen, seit Monaten hatte sie nicht mehr so geträumt. Früher hatte sie es getan, oft, aber es war besser geworden, seit bestimmt vier Jahren kamen die Träume nur noch selten, und immer sah sie darin diesen einen Mann, mal noch als Junge, mal Erwachsen.
Sie wusste, dass sie nicht mehr einschlafen würde. Die Augenringe konnte sie nachher mit einem Zauber beseitigen, sie war schon mit weniger Schlaf ausgekommen. Aus ihrem Schrank, der weiterhin leer wirkte, zog sie ihre Jacke und schlüpfte in die nachtschwarzen Ballerinas. Sie wusste, dass es verboten war, nachts in den Korridoren herum zu spazieren, aber das hatte sie auch nicht vor, stattdessen schlich sie zu dem Fenster und öffnete es geräuschlos.
Mit einer geübten Bewegung lehnte sie ihren Oberkörper heraus, umfasste mit ihren Händen den Sims und zog sich auf das schräge Dach. Niemand traute ihren schmalen Armen so viel Kraft zu. Als sie sich auf dem Dach des Turms aufgerichtet hatte, war sie von der Aussicht überwältigt. Bei ihr Zuhause hatte man weit sehen können, aber nichts im Vergleich zu dem hier. Denn auf dem Dach des Gryffindor – Turms waren keine Berge im Weg, nichts. Mit leichten Schritten lief sie zur Spitze des Turms, es war schwieriger, da er steiler war als der in ihrem Zimmer, aber trotzdem verspürte sie wieder die wohl vertraute Freiheit, die Erleichterung und das Gefühl, alles andere wäre unwichtig, so klein wie das Leben eines einzelnen. So hoch, wie es auf den Dächern Hogwarts' möglich war, saß sie, und versuchte sich vorzustellen, wie sie wohl für jemanden dort unten aussehen würde. Ob derjenige Angst haben würde?
Aber auch dieser Gedanke verflüchtigte sich nach wenigen Minuten und die Kälte er Morgendämmerung drang wie tausende von spitzen Nadeln unter ihrer Jacke, aber es war ihr egal. Sie war frei.
Als es erst Viertel nach fünf, dann halb sechs wurde, schlich Lily sich schweren Herzens wieder zurück zu der Kante, von der es bestimmt mehr als hundert Meter in die Tiefe ging. Vorsichtig hockte sich sich hin, rückwärts, und ihre Hände umfassten den Sims. Der gefährlichste Teil ihres Ausflugs begann jetzt. Früher hatte sie es anders gemacht, hatte vorsichtig jeden Fuß einzeln tastend in die Tiefe gestreckt, nicht gewagt, mehr als ein Körperteil gleichzeitig die Klammerung verlassen zu lassen. Es war alles anders. Früher hatte es sie Überwindung gekostet, ihre Füße nach unten zu hängen, in der Luft baumeln zu lassen, nach dem Fensterbrett suchen zu lassen, blind und mit dem Wissen, dass der Wind sie weg reißen konnte, dass ihren Händen auf einmal jede Kraft fehlen konnte. Aber nun war dieses seltsame Gefühl der Angst auch verschwunden. Sie hatte ihren Zauberstab, selbst wenn ihr Körper versagen würde, was er noch nie getan hatte. Es dauerte etwas länger als sonst, bis ihre Füße endlich wieder richtig standen, dieses Fenster war höher als das in den Bergen, trotzdem kam sie sicher auf, schloss die Läden wieder, schlüpfte aus den Schuhe, hängte die Jacke zurück und legte sich ins Bett.
Fünf Minuten später wurde sie von Hermine geweckt. Etwas zu schwungvoll stand sie auf und sah, wie Hermine sie musterte, ihre buschigen Haare wirkten noch aufgeplusterter als sonst, beinahe, als hätte sie sie absichtlich so frisiert, dass es aussehe, als habe sie in eine Steckdose gefasst.
„Du bist wohl gar kein Morgenmuffel", murmelte sie mit belegter Stimme. Man sah ihr an, dass sie am liebsten gleich wieder einschlafen würde.
Lily lachte und griff sich ihre Bürste vom Nachttisch, die sie vor wenigen Stunden dort hingelegt hatte: „Stimmt, eigentlich stehe ich ziemlich früh auf, und bin dann auch wach." Das wärst du auch, wenn du stundenlang auf dem höchsten Turm des Schlosses gesessen und unter Lebensgefahr auf dem Dach spaziert wärst, bei dieser Kälte.
„Ach übrigens", murmelte Hermine, während sie sich die Bürste aus Lilys Hand nahm und grob durch die wirre Mähne fuhr, „Gestern Abend hast du Paravati und Lavender ziemlich gegen dich aufgebracht..."
„Das war auch meine Absicht", fuhr Lily dazwischen, aber Hermine tat den Einwand mit einer Handbewegung beiseite: „Mag sein, aber sie sind die schlimmsten Tratschtanten in der ganzen Schule. Sie werden alles, was sie über dich raus kriegen können, weiter erzählen." Lily zuckte mit den Schultern, als Lavender sich langsam streckte und sprach so laut, dass sie sich sicher war, dass das Mädchen sie ganz sicher hören konnte: „Das sollen sie mal versuchen. Ich kann mit der Silencio – Formel ganz gut umgehen, wenn nötig auch verstärken." Mit einem Lachen auf dem Gesicht zog sie ihre Uniform aus dem Schrank.
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