Kapitel 62.1
Die Tage vergingen und der Winter war inzwischen von Dannen gezogen, sodass der Frühling langsam Einzug hielt. Obwohl die ersten Sonnenstrahlen die Erde erwärmten und das Land dazu brachten, wieder zu erblühen, schafften sie es doch nicht, Lilitha herauszulocken.
Schluchzend vergrub sie das Gesicht in Kadens Kissen und nahm seinen Geruch in sich auf, während sie versuchte, ihren zitternden Atem zu beruhigen. Die letzten Tage glichen einer peinigenden Hölle. Sie wurde von allen ausgegrenzt, Chiana spielte noch immer ihre Psychospielchen und als würde das nicht reichen, war Kaden noch immer nicht zurückgekehrt. Ganze vier Wochen waren seit seiner Abreise vergangen und mit jedem Tag fühlte es sich so an, als würde er ihr immer wieder aufs Neue entrissen werden.
Wie sollte sie es nur noch länger ohne ihn aushalten? Es ging ihr nicht einmal so sehr darum, dass er sie vor diesem Schlangennest schützte. Nein, sie wollte einfach nur seine Wärme und Nähe spüren. Mehr wollte sie doch gar nicht!
Warum konnte er nicht endlich zurückkehren, damit sie sich wieder in seine Arme werfen konnte?
Warum konnte ...
Ein Klopfen an der Tür ließ sie aufschrecken und sie blickte alarmiert vom Bett zur Tür, während sämtliche Farbe aus ihrem Gesicht wich. Kaden würde nicht klopfen, er war es also definitiv nicht. Aber wer dann?
»Ja bitte?«, rief Lilitha mit überraschend rauer Stimme und räusperte sich schnell. Beinahe wäre sie enttäuscht wieder auf die Matratze gesunken, als sie merkte, dass die Mutter des Highlords eintrat und nicht er selbst. Doch sie konnte sich zum Glück noch rechtzeitig dazu ermahnen, sich zu erheben.
Kadens Mutter kam auf sie zu und musterte sie mit einem nachdenklichen und mitleidigen Blick. »Armes, Kleines«, sagte sie und Lilitha fragte sich wieder, wann sie dazu übergegangen war, sie Kleines zu nennen. »War es heute wieder so schlimm?«, fragte sie und ließ sich neben Lilitha aufs Bett nieder. Sie kannte die Spielchen des Harems, immerhin war sie selbst einmal eine von ihnen gewesen.
»Ich vermisse ihn«, war alles, was Lilitha hervorbrachte und erneut kamen ihr die Tränen.
Bekümmert zog die Dame die Augenbrauen zusammen und legte ihr einen Arm um die Schultern, um Lilitha in den Arm zu nehmen. Sie wirkte einfach nur so zerbrechlich, wie ein kleines Kind, was sie irgendwo auch noch war und schien die Welt nicht mehr zu verstehen. Sie war so unschuldig, dass Kadens Mutter Angst hatte, diese Zeit allein in diesem Schlangennest würde sie zerstören. Das wollte sie nicht, denn sie verstand, warum ihr Sohn ausgerechnet diese Frau erwählt hatte. Sie besaß eine entwaffnende Ehrlichkeit und das selbst den höchsten Rängen gegenüber, dass es nicht nur erfrischend, sondern auch reinigend war, mit ihr zusammen zu sein. »Ich weiß, Kleines. Ich auch, aber er wird bald wiederkommen«, flüsterte sie mit sanfter Stimme und legte ihre Wange auf Lilithas rotes Haar.
»Ich habe Angst, dass er wiederkommt und mich nicht mehr sehen will«, gestand sie ihre Ängste, die ihr schon die letzten Tage keine Ruhe mehr ließen. Es waren nicht unbedingt die Dinge, welche die anderen Haremsfrauen sagten, sondern auch die Tatsache, dass Lilitha die Angst an sich heranließ, dass es vielleicht doch wahr sein könnte.
Beruhigend strich ihr Kadens Mutter über das Haar und ließ sie ihrem gleichmäßigen Herzschlag lauschen. »Wieso sollte er das denn tun? Das kann ich mir nicht vorstellen«, beschwichtigte sie und hob nun Lilithas Gesicht ein wenig an, um es zu mustern. Genau wie an jenem Tag der Auslese, als sie zu Chianas Kammerzofe erwählt worden war.
Schon damals hatte die ältere Dame den Blick gesehen, mit dem Kaden sie bedacht hatte. Vielleicht hatte ihr Sohn es noch nicht bemerkt, doch es war klar gewesen, dass das hier irgendwann passieren würde.
Damals hatte sie Angst gehabt, denn Chiana war eine berechenbare Partnerin gewesen, die Kaden nichts Böses wollte. Doch dieses Mädchen brachte das mit, was sie für ihren Sohn wollte. Unschuldige Liebe. Auf eine Art und Weise, die ihr sagte, dass Lilitha für ihren Sohn sterben würde, wenn es sein musste.
Außerdem hatte sie etwas recherchiert. Über ihre Eltern. Sie wusste, wer sie waren und sie wusste auch, warum Lilitha niemandem verriet, wer sie waren. Für das Volk waren sie in Schande gestorben, denn niemand von ihnen kannte die Wahrheit. Noch nicht.
Doch auch, wenn sie es Kaden am liebsten sagen würde, so war sie sich dennoch sicher, dass dieser wohl nichts davon hören wollen würde. Er hasste es, wenn seine Mutter wieder mit ihrer endlosen Paranoia ankam. Er wollte Lilitha selbst kennenlernen und hätte er es wirklich wissen wollen, so hätte er auch seine eigenen Spione darauf ansetzen können.
»Er empfindet sehr viel für dich, Lilitha. Auch wenn er das vermutlich nicht unbedingt immer zeigen mag. Doch du bist ihm sehr wichtig. Das würde er nicht einfach so aus einer Laune heraus wegwerfen«, erklärte sie zaghaft und streichelte über Lilithas Wange.
Diese sah das ein wenig anders. Er hatte es ihr schon oft gezeigt. Immerhin hatte er ihr ein ganzes verdammtes Gartenhaus bauen lassen! Doch die Worte von Chiana spukten ihr noch immer im Kopf herum. Und die der anderen Frauen ebenfalls. Viele sahen keine Zukunft für sie. Sahen sie nur als Zeitvertreib, weil sie eine Vampirin war. Sie hatte ihm nicht viel zu bieten. Da hatten sie recht. Lilitha war nicht schön, nicht so stark, oder so elegant, wie viele andere der Frauen. Es mochte sein, dass sie ihn fasziniert hatte, aber sie wusste nicht wie und diese Angst nagte an ihr.
Wenn nun genau das passierte, was damals auch bei Chiana passiert war? Dass sie das änderte, was ihn am meisten an ihr interessierte? Ohne es zu wissen?
»Lass uns einen Spaziergang machen, ich denke, ein wenig frische Luft wird uns beiden guttun«, sagte Kadens Mutter und holte sie somit wieder zurück in die Realität. Sie lächelte flüchtig, ehe sie sich erhob und nach Lilithas leichten Mantel griff, um ihr diesen entgegenzuhalten. »Es ist noch immer recht frisch draußen«, fügte sie hinzu, als würde sie keinerlei Widerspruch zulassen.
Lilitha lächelte auf diese liebevolle Geste schwach und nahm den Mantel entgegen, ehe sie ihn anzog und schließlich mit Kadens Mutter hinaus in den Garten trat.
Obwohl sich die ersten grünen Triebe an den Bäumen zeigten und die Natur langsam dem Frühling entgegenfieberte, war es noch immer recht frisch. Dennoch wurden wohl viele Haremsfrauen hinausgelockt, was Lilitha ein wenig nervös machte. Sie wollte ihnen nicht begegnen, denn sie hatte Angst, dass diese es auf sie abgesehen hatten. Doch solange Kadens Mutter bei ihr war, würden sie wohl nichts tun. Vermutlich würden sie ihr schönstes, falsches Lächeln auspacken und ihren Knicks vollziehen, während sie versuchten, mit ihr ein Gespräch aufzubauen, wie beispielsweise der Krieg lief. Dinge, von denen Lilitha bereits wusste, wie diese Frau dazu stand. Sie war generell nicht wirklich jemand, der gern etwas über sich preisgab. Erst recht nicht vor Fremden. Und genau das waren diese ganzen Frauen für sie. Fremde.
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