Kapitel 49.2
Lilitha hätte ihn am liebsten gefragt, was wohl gerade in seinem Kopf vorging. Wieso hatte er das Thema vorhin beendet, um es jetzt wieder anzuschneiden? Es musste ihn ja offensichtlich beschäftigen. »Wie sonst würdest du es beschreiben, wenn du einschläfst und an einem fremden Ort gefesselt wieder aufwachst, während dein Freund über den Preis für dich verhandelt, als wärst du die Ware?«, fragte sie, wobei die Erinnerungen sie in eine Zeit zurückrissen, in der sie gerade angefangen hatte, über den Verlust ihrer Eltern hinwegzukommen.
Ruckartig kam Kaden zum Stehen und blickte sie schockiert an. »Er hat dich verkauft?«, fragte er überrascht und ließ Lilithas Hand für keine Sekunde los. Ganz im Gegenteil, er klammerte sich förmlich an sie und Lilitha hatte sogar das Gefühl, dass er sie umarmt hätte, hätte sie nicht das heiße Getränk in der Hand.
»Was glaubt Ihr, wie die Sklavenhändler sonst an ihre Sklaven kommen?«, fragte sie murmelnd. Irgendwie konnte sie nicht glauben, dass der Highlord nichts von dem wusste, was auf den Straßen vor sich ging. Er musste doch wissen, woher die Händler ihre Sklaven hatten.
»Ich dachte, sie werden entführt ... aber nicht, dass sie sich mit ihnen anfreunden. Ist dein Freund noch immer ein Händler?«, fragte er und schien angestrengt nachzudenken.
»Ich weiß nicht, ob er jemals einer war, oder was ihn dazu bewogen hat. Ich weiß nur, dass regelmäßig junge Frauen aus unserer Gruppe entführt wurden«, erklärte Lilitha leise und leerte das Getränk. Andere Frauen hatten wohl nicht so ein Glück gehabt wie sie. Ihr Leben hatte sich gebessert. Bis auf die Tatsache, dass sie ein Vogel in einem goldenen Käfig war. Sie wurde oft genug weitergereicht, um sich nicht mehr genau erinnern zu können, wer genau sie denn nun damals von ihm gekauft hatte. Es war ein endloser Teufelskreis gewesen, in dem sie sich längst verloren hatte.
»Und er ist hier in der Stadt?«, fragte er nun wieder und kam langsam zum Stehen, als er an einem Stand mit warmen Speisen vorbeikam.
»Mein ehemaliger Freund, ja«, murmelte Lilitha, die sich nicht einmal so sicher war, ob ihr Freund noch lebte. Immerhin war er kein Vampir und lebte nicht so lange wie sie. Für Lilitha hatten einige Jahre eine andere Bedeutung als für ihn.
Um sich abzulenken, betrachtete sie das Essen hungrig. Es sah so gut aus und obwohl sie im Palast immer wundervolle Speisen vorgesetzt bekam, hatte sie doch nie das Bedürfnis, viel zu essen, wenn sie allein war.
Dankend nahm Kaden zwei der Fleischspieße entgegen, die verkauft wurden und gab dem Mann sein Geld, ehe er einen an Lilitha weiterreichte. »Wie heißt er?«, fragte Kaden beiläufig, als er sich in eine dunkle, leere Gasse verzog, um dort seinen Schal runterzuziehen und etwas zu essen. Die Augen dabei auf Lilithas goldenen, leuchtenden Blick gerichtet. In der undurchdringlichen Dunkelheit, die hier herrschte, schienen sie auch die einzige Lichtquelle zu sein. Vampiraugen begannen oft erst ab einem bestimmten Alter so zu leuchten. Es war ein weiteres Zeichen für Lilithas Entwicklung. Sie war mächtiger, als sie wahrscheinlich dachte. Kaden fragte sich wirklich, welcher Blutlinie ihrer Familie entsprungen war.
Lilitha schwieg und widmete sich ihrem Essen. Sie wollte seinen Namen nicht nennen.
»Dir ist klar, dass ich seinen Namen früher oder später erfahren werde?«, fügte er nach einer Weile hinzu, als er merkte, dass Lilitha weder antwortete noch seinen Blick erwiderte.
Stattdessen, kaute sie auf einem Stück Fleisch herum. »Aber nicht von mir«, murmelte Lilitha kauend.
Noch immer den braunen Blick geradezu bohrend auf sie gerichtet, kaute Kaden ebenfalls weiter. »Wieso willst du es mir nicht sagen?«, fragte er stattdessen und senkte den Blick etwas, um einen weiteren Bissen zu nehmen.
»Nur weil er mich verraten hat, werde ich ihn nicht auch verraten«, war die leise Antwort.
»Nur weil du seinen Namen aussprichst, verrätst du ihn doch nicht«, versuchte er sie zu besänftigen.
»Das sehe ich anders«, gab sie zu bedenken, während sie ihr Fleisch genüsslich verspeiste und nun endlich wieder zu ihm aufblickte und ihn musterte, als suche sie etwas.
Er erwiderte noch eine Weile ihren Blick, bis er das letzte Stück Fleisch von seinem Spieß abzog, es sich in den Mund steckte und sich die Finger ableckte. »Na schön«, meinte er dann und zog den Schal wieder vor sein Gesicht.
Lilitha verengte ihre Augen. Das klang, als würde er ihr nur Zeit geben und es wieder versuchen, wenn sie es nicht erwartete. »Warum willst du seinen Namen wissen? Eifersüchtig?«, fragte sie neugierig, aber auch mit einem neckenden Unterton. Es war ihr Versuch, die Stimmung etwas zu lockern.
Kaden senkte die Lider, doch Lilitha konnte trotz der Verhüllung sein Schmunzeln an seiner Gestik erkennen. Es war erschreckend, wie sehr sie ihn doch schon berechnen konnte, aber auch angenehm. »Möglich«, antwortete er leise und schielte mit gesenktem Kopf zu ihr nach vorn. Schlendernd trat er einen Schritt auf sie zu und nahm ihr Gesicht in seine Hände. Hätte er nicht den Schal vor seinem Gesicht, hätte Lilitha gedacht, er würde sie küssen. Womöglich wollte er das auch, wenn sie seinen Blick richtig deutete. »Habe ich denn einen Grund, eifersüchtig zu sein?«
»Ich war ein Kind und er ein guter Freund. Wenn da etwas gewesen wäre, hätte er mich nicht verkauft«, meinte sie schulterzuckend, als hätte es keine Bedeutung. Doch, dass Kaden womöglich eifersüchtig war, wärmte ihr Herz. Das hieß nämlich, dass er sie gern mochte. Doch Lilitha wollte sich nur ungern einer Illusion hingeben.
»Nur, weil er dich verkauft hat, heißt das nicht, dass du ihn nicht geliebt haben kannst«, flüsterte er und senkte die Lider ein Stück weiter. »Liebe wird nicht immer erwidert«
»Ich habe ihn nicht geliebt«, versicherte Lilitha, die seine Reaktion nicht ganz verstand. »Ich habe noch nie jemanden geliebt«, fügte sie hinzu und runzelte die Stirn. Das glaubte sie zumindest. »Also nicht in diesem Sinne. Meine Eltern schon.«
Vorsichtig strich er ihr mit den Daumen über die Wangen, über die weiche, zarte Haut und hob den Blick wieder. »Und jetzt?«, fragte er leise.
Lilitha senkte nun ihrerseits die Lider. Interpretierte sie diese Frage richtig? Wollte er wissen, ob sie ihn liebte? »Ich weiß nicht. Gibt es denn in Eurem Leben jemanden?«, stellte sie die Gegenfrage, wobei sie sich damit vor der Antwort drücken wollte. Gab es darauf eine richtige Antwort oder würde sie ihm damit nur wehtun?
»Möglich«, sagte er und verwendete erneut ihren Wortlaut vom Vorabend und lachte leise, ehe er ihren Schal ebenfalls über ihren Mund zog.
»Das ist unfair«, beschwerte sie sich empört.
»Du spielst auch nicht gerade fair«, entgegnete er mit gehobenen Augenbrauen und einem selbstgefälligen Gesichtsausdruck. Auffordernd hielt er ihr seine Hand entgegen und sah sie erwartungsvoll an.
Lilitha verdrehte die Augen, ehe sie seine Hand ergriff und sie zusammen weitergingen. »Na gut. Dann schauen wir mal, wer zuerst gewinnt«, murmelte sie und an ihrer Stimme war zu erkennen, dass sie sich schon darauf freute.
»Als würden wir beide nicht wissen, dass ich das sein werde«, lachte Kaden leise und neigte ihr den Kopf zu, um sie zu mustern. Wie so viele Male zuvor schon, schien er sie zu beobachten. Weshalb auch immer er sie selbst beim Laufen unterhaltsam fand ... dieser Mann war ihr wirklich ein Rätsel.
»Das werden wir ja sehen«, entgegnete Lilitha. Sie war nicht gewillt, es ihm so einfach zu machen. Denn solange er sie unterhaltsam fand, konnte sie mit ihm zusammen bleiben. Also würde sie dafür sorgen, dass er sie auch weiterhin unterhaltsam finden würde. Sie musste nur aufpassen, dass sie es nicht übertrieb. Aber er schien genauso gern zu spielen, wie sie.
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