Kapitel 2.2
»Alle Frauen des Harems tragen unterschiedliche Halsbänder«, begann die Schwarzhaarige, deren Namen Lilitha noch immer nicht kannte. »An ihnen erkennst du, welchen Rang sie innehaben.« Damit zeigte sie auf ihr eigenes Halsband, das Lilitha erst jetzt auffiel. Vorher war es unter dem weißen Kleid nicht zur Geltung gekommen, denn es war ebenfalls weiß, wie Schnee. »Meines steht für die Favoritin. Ich habe hier das Sagen«, erklärte sie freundlich, wenn auch bestimmt.
Lilitha nickte verstehend und hörte genau zu, denn sie wusste, dass sie sich die Dinge besser einprägen sollte, um keine Schwierigkeiten zu bekommen.
»Da du zu jung bist, um im Harem zu dienen, dienst du mir als meine Kammerzofe. Ich werde dir erklären, was du für mich tun wirst.« Mit diesen Worten begann sie, ihre Haarklemmen zu lösen und sich selbst zu waschen. »Früh morgens wirst du mich wecken, noch vor Sonnenaufgang. Da ich die Favoritin bin, muss ich immer perfekt aussehen, sobald der Highlord nach mir ruft, oder er mich besuchen möchte«, fuhr sie fort, ohne Lilitha anzusehen und griff sich einen Lappen, um ihre Haut zu schrubben. »Es wird deine Aufgabe sein, mich herzurichten. Sowohl für den Alltag, als auch für den Augenblick, wenn ich in die Gemächer des Highlords gerufen werde. Es ist mir sehr wichtig, gut auszusehen, wenn ich ihm gegenübertrete. Daher wird auch das deine höchste Priorität sein. Verstanden?« Nun wandte sie den Blick direkt auf Lilitha und sah sie erwartungsvoll an, was diese verunsicherte. Sie fühlte sich hier klein und unbedeutend. Daher senkte sie den Kopf und nickte leicht.
»Wie Ihr wünscht«, erwiderte sie mit zögerlicher, unsicherer Stimme. Sie hatte es auf dem Weg hierher mehrmals gehört und sie war sich sicher, dass es richtig war, so ehrfürchtig zu sein. Sie wollte nichts falsch machen. Auch wenn es ihr nicht ganz gefiel.
»Zudem wirst du dich um meine morgendliche und abendliche Massage kümmern. Ich will, dass alle meine Kräuterkuren bereitstehen«, erklärte sie weiter und begann sich die Haare einzuseifen. Der Geruch von Lavendel verbreitete sich im gesamten Raum, was für Lilithas empfindliche Nase fast schon eine Qual war. Viel zu stark. »Damit du auch nichts falsch machst, wird dich jemand in der Kunst der Massage und Kräutermixtur unterweisen.«
Lilitha erwähnte nicht, dass sie sich mit Kräutern auskannte. Ihre Mutter hatte es ihr jahrelang beigebracht, doch noch war sie zu jung, um alles wirklich zu verstehen. Vampire waren eine sehr eigene Spezies, wenn es um den Alterungsprozess ging. Körperlich schritt er viel langsamer voran, als bei anderen Rassen. Gleichzeitig reiften sie geistig jedoch recht schnell und verstanden die Welt oft besser, als man ihnen ansah.
»Es ist dir nicht gestattet, mit anderen zu sprechen, es sei denn, ich erlaube es dir.« Hier hielt sie kurz inne und kippte sich einen Eimer Wasser vorsichtig über den Kopf. Erst, als das meiste aus ihrem Gesicht gelaufen war, sprach sie weiter. »Nun zu den anderen Frauen im Harem. Die gelben Halsbänder stehen für die Dienstmädchen. Sie putzen und versorgen den Harem. Mit ihnen darfst du dich meinetwegen unterhalten, doch sei gewarnt. Viele von ihnen sind gewieft und scheuen vor nichts, um ihre Ziele zu erreichen. Die grünen Halsbänder dienen zur Unterhaltung unseres Herrschers. Ob Tanz, Musik oder Gesang. Sie sind dafür verantwortlich, ihn bei Laune zu halten, sollte ihm nach Abwechslung sein. Die blauen Halsbänder kennzeichnen die Schreiber und Gelehrten. Über diese musst du nicht viel wissen. Sie verbringen viel Zeit mit Studien und versuchen den Highlord durch Intelligenz von sich zu überzeugen. Die Roten sind meist die Tückischsten. Die wärmen das Bett des Herrschers und begehren oft mehr, als ihnen zusteht. Nimm dich vor ihnen in Acht. Sie werden es auf dich abgesehen haben, ebenso wie auch auf mich. Zum Schluss kommt das weiße Halsband, welches die Favoritin kennzeichnet. Es existiert nur einmal im ganzen Harem und viele Frauen wollen es. Es steht für die potenzielle, spätere Ehefrau, des Highlords. Je nachdem, wer ihn am meisten Vergnügen schenkt und sein Herz für sich gewinnt.« Ihre Stimme wurde immer verträumter und ihr Blick ging langsam ins Leere. Während sie ihre Haare auswrang, umspielten die nassen Strähnen ihre perfekten Rundungen und ließ ihre Hand zu ihrem weißen Halsband gleiten, wobei sich ein Lächeln auf ihren zarten Lippen ausbreitete. Es war unschwer zu erkennen, dass sie stolz auf ihre Position war.
Lilitha wurde ein wenig neidisch auf diese Schönheit, doch gleichzeitig war sie auch beruhigt, denn gegen diese Frau würde sie nicht ankommen. Dazu war sie nicht schön genug und das würde sie hoffentlich vor dem Highlord schützen.
»Warum sollte man versuchen, in sein Bett zu gelangen?«, wollte Lilitha vorsichtig wissen. Für sie war die Vorstellung absurd, was aber vermutlich an ihrem Alter lag. »Wir sind Gefangene und Sklaven. Ich verstehe das nicht«, merkte sie an und blickte die Schwarzhaarige fragend an. Diese schüttelte ein wenig belustigt den Kopf.
»Je näher man dem Highlord steht, desto einflussreicher ist man. Trägt man sein Kind aus, erhält man sogar eine besondere Stellung. Doch Vampire sind nicht sonderlich fruchtbar und in den zwei Jahrzehnten ist noch kein Kind zur Welt gekommen«, erklärte die Frau und wickelte sich sachte ein Handtuch um die Haare. »Aus diesem Grund ist der Titel der Favoritin auch so begehrt. Diese genießt das Privileg, die meiste Aufmerksamkeit des Highlords auf sich zu ziehen«, seufzte sie und ging nun auf Lilitha zu, ohne jede Scheu ihren Körper zur Schau zu stellen, dem sie es vermutlich zu verdanken hatte, als die jetzige Favoritin bekannt zu sein. Lilitha konnte durchaus verstehen, wieso sie diesen Titel trug.
Sie zuckte unschlüssig die Schultern. »Ich wäre viel lieber draußen in Freiheit, als hier. Auch wenn man hier eine Menge zu bekommen scheint, ist man doch ein Vogel in einem goldenen Käfig«, sagte sie leise, doch die Schwarzhaarige schien sie zu ignorieren. Stattdessen nahm sie sich ein Handtuch und begann sich sanft abzutupfen.
»Jetzt bist du an der Reihe und gut aufpassen.« Die Frau drückte Lilitha wieder auf den Hocker und begann ihr einzelne Schritte zu erklären und sie dabei an ihr vorzuführen. Wie sie ihren Körper zu schrubben, ihre Haare zu waschen, ihren Körper abzuspülen und ihre Haare zu kämmen hatte. Jeder Schritt wurde von Erklärungen begleitet und einer detaillierten Beschreibung, wieso es so sein musste und nicht anders.
Lilitha kam es beinahe so vor, als würde die Frau immer wieder bei jedem Thema zu dem Highlord abdriften und nur sagen, dass er es nun mal mochte und es deswegen so gemacht wurde. Wenn Lilitha an den Highlord dachte, hatte sie immer das Bild eines dicken, verwöhnten Mannes vor Augen, der sich von allen bedienen ließ und selbst nicht in der Lage war, ein Schwert zu halten. Wie konnte man nur so für jemanden schwärmen? Schließlich wurde Lilitha erlöst, als die Schwarzhaarige ihr erklärte, wie sie richtig abzutrocknen hatte.
»Oh, Chiana, ist das dein neuer Schützling?«, erklang eine schnurrende Stimme. Der Ton in dieser, gab ein sanftes, doch raubtierhaftes Vibrieren von sich, gleich einem knurrenden Raubtier auf der Jagd, was Lilitha ruckartig den Kopf heben ließ. Eine Frau mit wunderschöner Schokoladenhaut und dunkelblonden Locken betrat das Bad. Ihre Haut war zwar seidig, aber nicht annähernd so schön wie Chianas. Dennoch trug sie ein rotes Halsband.
»Sie wird meine neue Kammerzofe sein. Als Favoritin hat man so manche Vorteile«, erklärte Chiana unnachgiebig und hielt dem Blick der Frau stand. Während die Fremde Angriffslust versprühte, wirkte Chiana eher wie ein Fels in der Brandung. Als wäre es die andere gar nicht wert, auf sie zu reagieren. Lilitha fühlte sich zwischen beiden immer unwohler und hoffte, dass es nicht zum verbalen Kampf kommen würde.
Langsam stand Chiana auf und strich über Lilithas Arm, als Zeichen, dass sie aufstehen konnte. »Die Neuankömmlinge sollten bereits im Harem sein«, fügte sie hinzu, da die Unbekannte vermutlich dachte, dass Lilitha eine von den neuen Frauen war. Das war wohl auch der Grund, weshalb sie mit skeptischem Blick gemustert wurde, während die fremde Frau sich ebenfalls entkleidete.
»Sie ist ein sehr schönes, junges Ding. Nicht so wie deine andere Zofe, die du hast hinrichten lassen, weil sie dich vergiften wollte ... angeblich«, sagte die blonde Schönheit und Lilitha hatte das Gefühl, ihr würde der Magen in die Zehen rutschen. Hinrichten? Was sollte das denn bedeuten?
Vielen lieben Dank fürs lesen. Wir würden uns sehr über Rückmeldungen in Form von Votes und Kommentaren freuen.
Was haltet ihr von dem System der Halsbänder?
Wie findet ihr bisher die Interaktion zwischen den Charakteren? Gefällt sie euch und könnt ihr sie gut nachvollziehen?
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