Kapitel 10.1
Jeder Schritt, den sie hinter dem Highlord tat, fühlte sich an, als würde sie einen Schritt näher an ihr Grab treten. Als würde sie in ihr eigenes Todesurteil laufen, auch wenn sie nicht ganz wusste, wieso. Sie folgte ihrem Gebieter durch mehrere Gänge, bis sie sogar den Harem verließen und in einen anderen Teil des Palastes gelangten, den Lilitha noch nie gesehen hatte. Dort bog der Highlord in einen Gang, der komplett leer war. Er öffnete eine Tür und trat ein.
»Zieh das an«, befahl er und reichte Lilitha einen dunklen Umhang und ein Tuch, welches sie außerhalb vor dem Gesicht tragen sollte. Auch er nahm einen Umhang und ein Tuch, das sein Gesicht bedeckte. Es würde kein offizieller Besuch werden. Daher musste er unauffällig bleiben.
Lilitha hüllte sich in den gewöhnlichen Umhang, der in der Menge wohl untergehen würde, ebenso wie der des Herrschers. Auch das Tuch zog sie sich vors Gesicht, wie es ihr aufgetragen wurde.
»Bleib neben mir und verhalt dich ganz normal. Wir werden nur auf einen Markt gehen und uns ein wenig umsehen«, erklärte er beim Anziehen und ging schließlich auf eine geschlossene Tür zu, ehe er davor innehielt und sich nochmal zu ihr umdrehte. »Dieser kleine Ausflug bleibt unter uns, ist das klar?«
»Ja, Herr«, antwortete sie, auch wenn es mehr einer Frage glich.
Der Blonde lächelte und nickte. Wenn er unentdeckt bleiben wollte, dann war Herr die bessere Anrede. Highlord fiel zu sehr auf. Sie schien es verstanden zu haben, wenn sie Mylord gegen Herr eintauschte. Ein schlaues Mädchen. Was Chiana nur gegen sie hatte? Wortlos drehte er sich um und stieß eine Tür auf, die in einen Hinterhof führte.
Anscheinend waren diese Gänge nur für Bedienstete da, die ein und aus gingen. Denn mehr als andere Personen mit denselben Gewändern, die auf ein großes Tor zusteuerten oder daraus kamen, konnte Lilitha nicht ausmachen. Außerdem wurden sie weitgehend ignoriert.
Wie es der Herrscher verlangt hatte, hielt sie sich dicht bei ihm und gemeinsam folgten sie einem gewundenen Weg hinunter zur Stadt. Es war kein Hauptweg, wie dieser, der vom Haupteingang des Palasts direkt zur Stadt führte. Dieser hier war schlicht und von vielen Pferdekutschen ausgetreten. Wahrscheinlich nur für Lieferanten.
»Warum tut ihr das, Herr?«, traute sich Lilitha zu fragen, weil sie allein auf der Straße waren. Außerdem überlegte sie, ob sie diese Möglichkeit nutzen und fliehen sollte. Nur wusste sie nicht, wohin. Und sie war sich sicher, dass er sie gehen lassen würde, wenn sie das wünschte. Auch wenn sie nicht wusste, warum.
Überrascht wandte er seinen Blick zu ihr, da sie so lange geschwiegen hatte.
»Was meinst du?«, fragte er ein wenig irritiert und runzelte die Stirn. Er lief jedoch den unebenen Weg einfach weiter, ohne hinzusehen, als würde er inzwischen jedes Hindernis mit verbundenen Augen überwinden können.
»Warum diese Heimlichtuerei?«, fragte sie leise, ermahnte sich aber fast gleichzeitig in Gedanken, dass es sie nichts anging. Und dass sie gar nicht das Recht besaß, so mit ihm zu sprechen. Dennoch hatte sie es nun einmal getan und er hatte sie gefragt. Ihr Herr seufzte und wandte sich wieder geradeaus, um in die Stadt zu blicken, die man bereits in der Entfernung sehen konnte.
»Es ist zu gefährlich für mich, mich draußen rumzutreiben. Sergej macht sich zu viele Gedanken über potenzielle Gefahren«, erklärte er augenrollend und blieb an einem Baum stehen, der die Straße blockierte, um diesen für spätere Kutschen aus dem Weg zu räumen. »Außerdem gibt es in der Stadt, im Gegensatz zu außerhalb, mehrere, die mein Gesicht kennen. Jedenfalls diejenigen, die während einer öffentlichen Audienz kommen, um sich über alles Mögliche zu beschweren«, fügte er hinzu und klang dabei genervt über diese Vorstellungen.
»Ich verstehe«, sagte Lilitha langsam. »Also seid auch Ihr in einem goldenen Käfig gefangen«, murmelte sie leise und zog ihr Gesichtstuch zurecht. Sie wollte nicht, dass es ihr von dem leichten, aufkommenden Wind weggeweht wurde. Es reichte schon, dass dieser ihr unter den Umhang fuhr und eine Gänsehaut hinterließ. Immerhin war es Mitte Herbst.
Sie hörte ein leises Lachen zu ihrer Rechten und schielte automatisch zu ihrem Herrscher, doch sein Gesicht war noch immer von dem Tuch verhüllt.
»Ich würde es nicht all so dramatisch darstellen, aber ja, ich habe nun mal gewisse Verpflichtungen«, korrigierte er sie und lief weiter, nachdem das Hindernis aus dem Weg geräumt war.
»Ein Käfig kann nicht nur einsperren, er kann auch schützen«, meinte sie langsam und lief weiter ein Stück hinter ihm. Allerdings nicht so weit, wie es die Regeln wollten. Das wäre zu offensichtlich gewesen. Und ihr Gebieter versuchte unentdeckt zu bleiben, also musste sie ihm seinen Wunsch erfüllen. Zusätzlich versuchte sie sich ein wenig von der Tatsache abzulenken, dass Chiana ihr wohl die Haut abziehen würde, nachdem sie von ihr getrunken hatte.
»Das stimmt. Nur braucht selbst ein Vogel mal Ausflüge. Ich habe es satt, immer dieselben Wände zu sehen. Früher bin ich auch durch Straßen gerannt und keinen hat es interessiert. Doch sobald man auf dem Thron sitzt, ist man eine laufende Zielscheibe«, erklärte er und wurde immer leiser, als der Weg schmaler wurde, da mehrere Häuserwände die Wege säumten und von einer Gasse zu einer Straße führten. Es war ein ruhiger Tag in der Stadt. Kein Markttag. Nur manche der Stände, die sowieso immer ihre Waren verkauften, waren geöffnet.
Lilitha hielt sich dicht an ihrem Herrn, während sie die Atmosphäre der Stadt aufnahm. Es gab zwar recht viele Vampire, doch die meisten Bewohner gehörten anderen Rassen an. Was schade war, denn früher hatte es hier fast nur Artgenossen gegeben.
»Haben wir ein bestimmtes Ziel?«, wollte Lilitha leise wissen, da sie sich nicht vorstellen konnte, dass der Highlord einfach nur so durch die Stadt schlendern wollte.
»Ein Stand«, war die kurze Antwort, die er gab und tauchte in die lückenhafte Menge ein.
Als einige Stadtwachen an ihnen vorbeikamen, schielte sie ein wenig unsicher zu ihrem Begleiter, der sie an ihrem Arm zu sich zog. Ansonsten lief er jedoch ganz normal weiter. Senkte weder den Blick, noch zog er seine Kapuze tiefer ins Gesicht.
Obwohl Lilitha den Blick die ganze Zeit gesenkt hatte, beobachtete sie den Highlord doch aus dem Augenwinkel. Ein Stand also. Die Rothaarige war wirklich neugierig, um welche Art Stand es sich handelte, doch sie traute sich nicht zu fragen. Sie würde es wohl oder übel erfahren, denn wenn er mehr preisgeben wollte, hätte er es sagen können. Jedoch schien er es nicht eilig zu haben, sondern spazierte langsam über die Wege und hielt ab und an auch an einem Stand an. Wieder blieb er an einem Obststand stehen und begutachtete einige frische Äpfel.
»Möchtest du was?«, bot er ihr an und blickte zu ihr, als er ihr einen Apfel entgegenhielt. Lilithas Augen wurden groß. Als hätten sie nicht im Palast genug Äpfel. Aber dieser hier war nicht geschält und sah wunderbar saftig aus.
»Sehr gern«, erwiderte sie mit leiser Stimme.
Vorsichtig nahm sie das Obst entgegen und musterte es, als hätte sie noch nie einen Apfel gesehen. Der Highlord bezahlte den Verkäufer und bedankte sich höflich. Sorglos zog er sich den Schal unter sein Kinn und biss hinein.
»Hier ist das ärmere Stadtteil, hier wird mich keiner erkennen«, erklärte er leise und mit vollem Mund, als die Straßen und auch die Leute immer düsterer wurden. Als Lilitha nach oben blickte, sah sie auch den Grund für das gedimmte Tageslicht. Zwischen den Bauten der Hauswände waren bunte Leinentücher aufgehängt worden. Vermutlich, um sie zu trocknen.
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