Sein wahres Gesicht
Ich zählte zu der schlimmsten Art von Pessimisten. Ich ging nicht nur immer vom Schlimmsten aus, ich war tatsächlich angepisst, wenn es am Ende doch positiv ausging.
Ich hasste es so sehr falsch zu liegen, dass nicht mal die Tatsache, dass etwas Gutes passiert war, dass aufwiegen konnte.
Ich wusste, dass mich das mich das zu einem ziemlich beschissenen Menschen machte.
Aber es gab ja noch Politiker. Und Mörder. Und Tierquäler. Und Rassisten. Und nicht zu vergessen diese Arschlöcher die in Flugzeugen ihre Rückenlehne ganz nach hinten stellten. Und plötzlich war ich nicht mal mehr Top fünf.
Aber einen Freifahrtsschein ins Paradies würde ich wohl dennoch nicht bekommen.
Jedoch versuchte ich es. Ich gab mein bestes ein guter Mensch zu sein und gegen meine Dunklen Abgründe anzukämpfen. Immerhin hatte ich ein wirklich gutes Vorbild.
Linus war einer von diesen Menschen denen man einfach anmerkte, dass sie ein guter Mensch waren. Er einfach freundlich und fröhlich und es war kein Stück aufgesetzt.
Ich konnte nicht richtig beschreiben was es war, doch ich wusste, dass es mir nicht alleine so ging. Ich hatte schon dutzende Male erlebt wie Leute in Linus Gegenwart immer mehr aufgetaut waren und ihre Schutzhaltung komplett fallen gelassen hatten, weil sie einfach bemerkt hatten, das sie nichts zu befürchten hatten.
Linus ehrliche, positive Art war zugleich inspirierend und frustrierend für mich. Denn egal wie sehr ich mich anstrengen würde, ich wusste genau, dass ich nie so sein könnte wie er. Jedes Mal wenn ich freundlich oder nett sein wollte, fühlte es sich aufgesetzt an, obwohl ich es ehrlich meinte schaffte ich es nicht diese Begeisterung zu entwickeln die bei Linus so natürlich wirkte.
Das war wohl etwas, womit ich leben lernen müsste.
Seit dem Augenblick in dem Linus mir erzählt hatte, dass er auf Magnus stand, hatte ich mir gewünscht, dass dieser Lackaffe irgendetwas tat um zu beweisen, dass er tatsächlich ein schlechter Mensch war. Am besten natürlich vor Linus, damit dieser seine Schwärmerei schnell wieder vergaß.
Nun war es aber so, dass die zwei ein Paar waren. Und bisher war Magnus immer nett gewesen, was mich ziemlich gewurmt hatte. Ich wollte einen Grund haben ihn scheiße zu finden. Ich hatte die ganze Zeit die Ahnung, oder vielleicht eher Hoffnung, dass hinter dieser perfekten Schwiegersohn-Fassade ein arrogantes Arschloch steckte, ich wollte so sehr, dass er mir einen Grund gab ihn zu hassen.
Doch bisher hatte er dies nicht getan. Bis jetzt.
Es war Samstagnachmittag, der morgendliche Ansturm auf den Supermarkt war abgeebbt, sodass ich in Ruhe der monotonen Routine des Konservendosen einräumen nachgehen konnte. Es war nicht mehr lange bis zu meinem Schichtende und heute fieberte ich meinem Feierabend noch mehr herbei als sonst, denn nachher würde ich zur Boxhalle gehen und meinen ersten Kampf bestreiten.
Ich war so in Gedanken vertiert, dass ich seine überhebliche Stimme erst wahrnahm, als er mich ansprach.
„Oh, hi Moglie." Erklang er zu meiner linken. Innerlich fluchend drehte ich mich zu ihm um. Ein seltsames Lächeln bildete sich auf seinen Lippen. Er war in Begleitung von zwei seiner kleinen Äffchen.
„Magnus." Begrüßte ich ihn schlicht. Ich hatte nun wirklich keine Lust mich mit ihm zu unterhalten.
„Ich wusste gar nicht, dass du in einem Supermarkt arbeitest." Vielleicht bildete ich es mir ein, doch seine Stimme klang herablassend. Nicht, dass es mich überraschen würde, ich hatte immer vermutet, er wäre ein überheblicher Schnösel, doch bisher hatte er dies noch nie wirklich gezeigt, daher hatte ich angenommen, ich wäre vielleicht einfach nur mit Vorurteilen belastet.
Ich antwortete auf seine Feststellung des Offensichtlichen nicht.
„Wir wissen ja beide, wie wichtig es Linus ist, dass wir uns gut verstehen. Und damit wir auch weiterhin gut miteinander auskommen wäre es für mich sehr wichtig, dass du weißt, wo dein Platz ist."
Verwirrt runzelte ich die Stirn. Wovon zum Teufel redete die Pferdegesicht-ähnliche-Gestalt bitte?
Anscheinend merkte er, dass ich nicht wusste was er meinte, daher hatte er die Güte seine Aussage klarer zu formulieren.
„Ich bin mit Linus zusammen. Du bist lediglich ein Freund. Ich mag es nicht, wie du ihn ansiehst und ich mag es auch nicht, wenn du dich zwischen uns drängst."
Irritiert zog ich meine Augenbrauen zusammen.
„Wenn es hier um Donnerstag geht, es war Linus Entscheidung das Treffen mit dir abzusagen um mich zu besuchen. Ich wusste nicht mal, dass er vorbei kommen will. Also klär das gefälligst mit Linus und nicht mit mir."
„Komm mir einfach nicht in die Quere..." zischte er, warf mir noch einen letzten Blick zu, der wohl einschüchtern sein sollte, dann stiefelte er an mir vorbei.
Dieser Auftritt war wirklich lächerlich gewesen und wenn dieser Vogel wirklich dachte, dass er mich davon abhalten konnte Zeit mit meinen besten zu verbringen dann hatte er definitiv zu viele Fußbälle an den Kopf bekommen.
Zu gerne würde ich Linus von dieser ganzen Drohungsnummer berichten, doch ich wüsste, das würde nichts bringen. Linus würde mir mit Sicherheit glauben, doch er würde es vielleicht für ein Missverständnis halten und auf jeden Fall würde er Magnus dazu befragen und dann hatte dieser Pisser die Möglichkeit sich mit Geschnulze und Geschleime herauszuwinden. Außerdem hatte er ja wirklich nicht viel gemacht, außer zu sagen, dass er es nicht mochte, dass ich Zeit mit Linus verbrachte, von seinem lächerlichen Drohversuch mal abgesehen. Aber den konnte ja wohl niemand wirklich ernst nehmen.
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Begeisterte Anfeuerungsrufe verschwammen mit dem Rauschen in meinen Ohren zu einer wabernden Masse aus Hintergrundgeräuschen. Das Adrenalin pulsierte in meinen Adern, Schweiß floss aus jeder Pore meines Körpers. Mein Kiefer pochte noch immer an der Stelle, an der mich seine Faust getroffen hatte.
Dex war ein guter Kämpfer, keine Frage, doch bisher war der Kampf recht ausgeglichen gewesen, er hatte einige harte Treffer erzielt, doch meine Faust hatte ihn mindesten genauso oft getroffen. Ich wusste nicht, wie lange wir bereits im Ring standen, doch ich hatte es irgendwie im Gefühl, dass wir uns dem Ende näherten.
Dex holte mit seiner rechten aus, mit einer schnellen Handbewegung blockte ich seinen Schlag ab und versetzte ihm stattdessen einen Hacken direkt ins Gesicht. Dies schien ihn kurz aus dem Konzept zu bringen, also setzte ich schnell noch einen gut platzierten Schlag hinterher. Dex taumelt und fiel nach hinten. Ein stumpfer Schlag war zu hören, als sein Kopf auf dem Boden aufkam. Das musste wehgetan haben
Ehe ich mich zu ihm runter beugen konnte schlug er mit der flachen Hand drei Mal neben sich auf den Boden. Ein eindeutiges Zeichen, dass er aufgab. Ich war nicht böse darum. Ich wollte den Armen nicht unbedingt bewusstlos schlagen.
Schwer atmend reichte ich Dex meine Hand um ihn auf die Füße zu helfen.
Die meisten würden mich wohl für verrückt halten, wenn sie mich nun sehen könnten. Völlig am Ende meiner Kräfte, blutige Nase, vermutlich blauer Kiefer, Schweiß am ganzen Körper und ein breites auf den Lippen. Vielleicht war ich tatsächlich ein Adrenalin Junkie. Oder einfach nur komplett gestört. Doch ehrlich gesagt war mir das egal. In diesem Moment war mir alles egal. Ich hatte das erste Mal seit langer Zeit das Gefühl lebendig zu sein. Endlich diese graue Wand des passiv vor mich hin lebens durchbrochen zu haben, endlich nicht mehr nur noch den anderen dabei zusehend wie sie ihr Leben lebten und glücklich waren, nein, in diesem Moment war ich selber Teil des Lebens.
„Gut gekämpfte, Großer! Du hast eine mörderische Rechte, mit der wirst du noch weit kommen." Rob klopfte mir anerkennend auf die Schulter, nachdem ich den Ring verlassen hatte, ein breites Lächeln in seinem Gesicht. Ich konnte den Anflug von kindlichen Stolz der mich überkam nicht unterdrücken. Ich war wirklich verkorkst.
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Frisch geduscht stieg ich in meine Jogginghose und schlüpfte in ein weites Shirt, bevor ich mich erschöpft auf mein Bett warf. Ich wusste, dass ich Linus anrufen musste. Er hatte mir eine Nachricht geschrieben in der er mich darum bat ihn zurück zu rufen, wenn ich Zeit hatte. Ich hatte die Nachricht bereits auf dem Rückweg gelesen, doch ich hatte es noch etwas hinauszögern wollen. Ich wusste nicht, worüber Linus mit mir reden wollte, doch ich war mir ziemlich sicher, dass es den prickelnden Rausch der Freunde ziemlich schnell abklingen lassen würde. Ich wollte es nur noch etwas länger genießen, diese Unbeschwertheit, bevor mich wieder die beschissenen Alltagsprobleme einholten. Jetzt überkam mich jedoch das schlechte Gewissen, ich hätte nicht so egoistisch sein sollen. Immerhin war Linus mein bester Freund.
Ich schnappte mir also mein Handy und wählte seine Nummer.
„Hey, Moglie." Begrüßte er mich nach dem zweiten Klingeln.
„Hey Linus. Was ist los?" fragte ich sanft.
Er zögerte erst einen Moment, bevor er begann zu reden.
„Ich glaube Magnus ist sauer auf mich. Aber ich weiß nicht genau warum." Die Traurigkeit in seiner Stimme versetzte mir einen Stich. Ich hasste es, wenn Linus traurig war.
„Wie kommst du darauf?"
„Ich weiß nicht. Ich war ja vorhin bei ihm und er war die ganze Zeit so komisch. Er war nicht direkt abweisend, aber irgendetwas stimmte nicht mit ihm. Und dann hat er gemeint, dass er morgens früh aufstehen muss und ob es mir etwas ausmachen würde, wenn ich doch nicht bei ihm übernachte."
Moglie, du beschissener Dreckskerl, hör auf dich zu freuen. So sehr ich es auch probierte es ging nicht. Die Vorstellung dass Linus bei diesem Penner übernachten würde, hatte mir schon die ganze Woche Magenschmerzen bereitet.
„Vielleicht solltest du ihn einfach mal darauf ansprechen. Offenheit und Ehrlichkeit sind das wichtigste in einer Beziehung." Gesprochen wie eich richtiger Heuchler.
„Ja, wahrscheinlich. Ich hatte ihn gefragt ob alles in Ordnung sei, aber er meinte nur er wäre müde. Also bin ich dann gegangen." Er klang ziemlich bedrückt. Linus war ziel ich sensibel, daher merkte er schnell, wenn es jemanden nicht gut ging, oder irgendetwas nicht stimmte.
„Wenn er nicht darüber reden will, dann hat es vielleicht nichts mit dir zu tun." Ja genug, als wüsste ich nicht, dass das komplett gelogen war. Magnus, der Penner, war einfach noch genervt davon dass Linus ihn versetzt hatte, die kleine Szene im Supermarkt hatte wohl nicht viel geholfen, daher ließ er es jetzt an Linus aus.
„Hm. Denkst du, ich habe etwas getan, das ihn verletzt hat?" Es waren Momente wie diese, in denen ich meinen besten Freund einfach schnappe, in eine flauschige Decke wickeln und irgendwo sicher verstecken wollte. Er war so gutmütig und unschuldig, er suchte die Fehler immer zuerst bei sich, anstatt zu denken, dass die andere Person auch Schuld tragen könnte. Wir waren so unterschiedlich, dass es schon wehtat.
„Nein, das denke ich nicht. Du bist die rücksichtsvollste Person die ich kenne." Antwortete ich ihm und meinte es auch so. Sich aufzuregen, weil der Partner einmal eine Verabredung absagte, war meiner Meinung wirklich übertrieben. Zumal Linus dies nicht getan hatte um Magnus eins auszuwischen oder ähnliches und dass wusste er auch nur zu gut. Magnus wollte sich einfach nur aufspielen, aber das war sein Problem und definitiv nicht Linus Schuld.
„Danke, dass du mir zuhört hast."
„Immer gerne. Das weißt du auch."
„Mal etwas anderes. Hast du im Supermarkt nachgefragt ob sie noch eine Stelle frei haben?"
„Theoretisch ja. Aber ich habe ein besseres Angebot. Herr Schropp sucht noch eine Aushilfe für seinen Buchladen. Die Arbeitszeit wäre zwei Mal unter der Woche nachmittags und einen Tag am Wochenende, welche Tage genau ist aber flexibel. Ich kann dir gleich seine Nummer schicken, dann kannst du einfach morgen bei ihm anrufen und einen Termin für ein Probearbeiten ausmachen."
Herr Schropp war ein äußerst netter Mann, bestimmt schon Mitte sechzig. Zusammen mit seiner Frau leitete er eine alte Buchhandlung, die aber auch einige Schreibartikel und Bürobedarf verkauften.
Ich kannte das Ehepaar, weil wir einmal im Supermarkt ins Gespräch gekommen waren, nachdem sie mich gebeten hatten ihnen etwas aus dem obersten Regal zu reichen. Seit dem hatten wir uns öfter unterhalten, die zwei schienen mich aus irgendeinem Grund zu mögen.
Als Herr Schropp mir heute diesen Aushilfsjob angeboten hatte, hätte ich am liebsten direkt zugesagt, doch mir war gerade noch rechtzeitig Linus eingefallen. Mein bester Freund brauchte den Job dringender als ich und in der Buchhandlung würde er für weniger Arbeit besser bezahlt werden.
Ich tat dies nicht nur für Linus, ich wusste, wie dringend Anna und Beth die finanzielle Unterstützung gebrauchen konnten und zu einem Job mit flexiblen Arbeitszeiten, in einem gemütlichen Buchladen würden sie eher ja sagen als zur Schichtarbeit im Supermarkt.
„Wow, wirklich? Das klingt toll! Woher weißt du von dem Job?" Seine ehrliche Begeisterung ließ mein Herz höher schlagen.
„Herr Schropp hat mir heute davon erzählt."
„Aber wolltest du ihn denn nicht haben?"
„Ach nein. Ich hab doch schon meinen Job im Supermarkt, da weiß ich wie alles funktioniert und muss mich nicht noch einmal komplett neu einlernen lassen." Ich versuchte es klingen zu lassen, als wäre es keine große Sache, ich wollte nicht, dass Linus ein schlechtes Gewissen bekam.
„Also wenn das für dich wirklich okay wäre, dann würde ich mich gerne auf den Job bewerben."
„Natürlich wäre das okay, sonst hätte ich dir doch nicht davon erzählt. Ich denke, dass ist der perfekte Job für dich."
„Das wäre echt toll, wen das klappen würde." Die Freunde in seiner Stimme ließ mich lächeln. Alles was ich je wollte, war es Linus glücklich zu machen. Egal, was es kosten würde.
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