3 ミ Piña Colada
Die Party wurde von Emma und Josh geschmissen. Ich kannte sie seit der Mittelstufe.
Die beiden waren schon seit der Krabbelgruppe unzertrennlich, fast wie Dan und ich. Jeder wusste, dass Emma in Josh verliebt war und Josh in Emma. Jeder wusste es, bis auf Josh und Emma.
Im letzten Schuljahr machte Josh den ersten Schritt und küsste Emma auf dem Abschlussball vor den Augen von hunderten Mitschülern. Seitdem verbrachten sie jeden Tag miteinander. Und irgendwie wusste ich, dass es bis zu ihrem letzten Atemzug so sein würde.
Josh besaß ein Strandhaus am Stadtrand von Sydney – eine Villa traf es wohl besser. Denn als unser Taxi hielt und wir ausstiegen, war ich überwältigt und beinahe schon eingeschüchtert von der Größe des Hauses.
Es strahlte einen gewissen Charme, aber auch ein wenig Arroganz aus und erinnerte mich an die architektonischen Meisterwerke, die sich die Stars und Sternchen oben in den Hollywood Hills errichten ließen.
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Während die Stadt schlief, spazierten Dan und ich nachts oft durch die noblen Wohnviertel von Sydney und dachten uns Geschichten über die Personen aus, die in den pompösen Häusern lebten.
»Ich heiße Michael Banks, bin erfolgreicher Makler und betrüge meine Frau, wenn sie mal wieder auf einem ihrer Shoppingtrips ist«, sagte Dan, während er den zweistöckigen, schneeweißen Palast anstarrte, der von Marmorsäulen getragen und hellen Scheinwerfern bestrahlt wurde, »Ich höre gerne klassische Musik und trinke teuren Wein.
Meine Hemden kaufe ich absichtlich zwei Nummern zu klein, weil sie sich dann so schön über meinen Waschbrettbauch spannen und ich den einsamen Ladies so schneller ein Objekt verkaufen kann.« Nur in Dans Nähe konnte ich hemmungslos lachen – und ich musste über seine Geschichten meistens so heftig lachen, dass ich mich vor Atemnot auf den Boden setzen musste. Er war ein hervorragender Schauspieler, konnte seine Stimme verstellen und Schnuten ziehen wie niemand anderes. Manchmal war mein Lachen sogar so laut, dass sich im Inneren der Häuser Licht einschaltete und die Besitzer auf uns aufmerksam wurden.
Michael Banks ging tatsächlich so weit, dass er seinen Palast verließ und Dan und mich beschimpfend verfolgte. Wir fassten uns an der Hand und rannten so schnell über den Asphalt, dass wir sicher den ein oder anderen Rekord brachen.
Genau wie Dan es sich mit all seiner Fantasie ausgedacht hatte, war Mister Banks tatsächlich ziemlich gut in Form, weswegen er uns fast einholte. Doch im Schwarz der Nacht konnten Dan und ich in eine Seitenstraße flüchten und uns im dichten Gebüsch verstecken. Wir lagen bestimmt zwei Stunden auf dem dreckigen Boden, waren mucksmäuschenstill und fürchteten, dass Michael Banks jeden Strauch unter die Lupe nehmen könnte.
Doch irgendwann bemerkten wir die unendliche Stille der Nacht, die nur das Lachen durchbrechen konnte, das aus unseren Kehlen drang.
»Immer bereit, Komplizen zu jeder Zeit!«, sprach Dan reimend und hakte seinen kleinen Finger in meinen ein, so als gäben wir uns ein Versprechen.
Das Versprechen, zusammen falsch zu sein und zusammen Fehler zu machen.
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»Was eine Bude«, Reeva pfiff staunend und legte den Kopf schief, wobei ihre dunkelbraune Lockenpracht zur Seite wankte. »Ich hatte schon fast wieder vergessen, dass Josh mittlerweile einer der besten Surfer Australiens ist.«
»Und das mit 23«, murmelte ich gedankenverloren.
»Wenn es jemand verdient hat, dann er«, sagte sie ehrlich, »Er steht auf dem Brett wie ein Gott. Ich wünschte, ich wäre so gut wie er.«
Die laute Musik dröhnte durch die geschlossenen Türen und Fenster bis nach draußen und die Innenbeleuchtung erhellte das Schwarz der Nacht. Durch die Scheiben erkannte ich unfassbar viele Menschen und mir wurde flau im Magen. Noch war es nicht zu spät, um sich mit Snacks im Bett zu verkriechen. Noch war es nicht zu spät, um umzukehren. Noch konnte ich davonlaufen – vor dieser Party, vor Dan und auch vor mir selbst.
»Komm, Marny«, Reeva zog mich aufgekratzt hinter sich die Stufen zur Haustüre hinauf und ehe ich mich versah, stand ich auch schon im Flur des Anwesens – zwischen leicht bekleideten Frauen und grölenden Männern. Jetzt war es zu spät. Ich fühlte mich wie auf dem Präsentierteller serviert. Meine Hände wurden schwitzig, meine Atmung schwerer. Die Luft war zu dünn, um sie atmen zu können. Ich geriet in Panik, als Gelächter ertönte.
Ich blickte hilflos umher, bevor ich an mir heruntersah. Mein Kleid war im wahrsten Sinne des Wortes lächerlich. War der Stoff durchsichtig? War es zu kurz, zu eng? Lachten sie deswegen? Das Blut stieg in meinen Kopf und ich senkte ihn, damit meine hellbraunen Haare mein rotes Gesicht verdeckten. Ich wollte weg. Ich wollte nicht, dass mich jemand sah und umgekehrt wollte auch ich niemanden sehen. Niemanden bis auf ihn – Dan. Ich wollte zu Dan und ich wollte nicht zu ihm. Was war das bloß für ein Gefühl? Diese Ungewissheit nagte an meinem Verstand wie eine tollwütige Ratte. Ich hielt das nicht mehr aus.
»Hey Marny«, Reeva, die ich für einen Moment vollkommen ausgeblendet hatte, stupste mich an, »Geht es dir gut?« Nein, mir geht es nicht gut. Ich vermisse meine zweite Hälfte Dan. Der Dan, der mich gerade anscheinend aus seinem Leben streicht.
»Jaja, alles gut«, nuschelte ich stattdessen und hob meinen Blick, wobei ich bemerkte, dass sich niemand um mich und mein Kleid kümmerte. Sie lachten nicht über mich, sie nahmen mich überhaupt nicht wahr. Ich war der Mittelpunkt des Trubels, doch ich war unsichtbar. Erleichtert nahm ich einen tiefen Atemzug. Du verhältst dich idiotisch, Marny. Kinn nach oben, Rücken gerade und bloß nicht in Tränen ausbrechen! Diese drei Dinge wollte ich um jeden Preis in die Tat umsetzen.
Ich wollte mir nicht mehr nichtig vorkommen, wollte endlich wieder aus meinem Schneckenhaus herauskommen – einen ganz kurzen, verstohlenen Blick könnte ich doch riskieren, oder? Also deutete ich Reeva mit einem Nicken, dass ich bereit war. Bereit für diese Party, einen Drink und vielleicht sogar für ein wenig Spaß, auch wenn dieser in weiter Ferne zu liegen schien. Ich würde das schon schaffen – auch ohne Dan. Das musste ich mir einreden, um nicht unter all den Ungewissheiten zusammenzubrechen. »Was möchtest du?«, fragte Reeva mich, als wir vor der Getränkebar standen.
Hinter dem Tresen befand sich ein muskulöser Typ mit weißem Hemd und schwarzer Fliege, der uns freundlich anlächelte und anscheinend der Barkeeper war, den Josh extra für diese Party angeheuert hatte. Ich entdeckte unzählige Flaschen hinter ihm und mir wurde schon beim Anblick der bunt gemischten Flüssigkeiten ganz schwummrig.
»Ein Wasser?« Mein Wunsch klang wie eine Frage an Reeva, denn ich war mir nicht sicher, ob sie mich so leicht davonkommen ließ.
»Wasser?«, sie belächelte mich nur kopfschüttelnd und wandte sich an den Kerl mit dem dunklen Bart und dem kantigen Kiefer. »Kannst du uns zwei Piña Coladas mixen?«, fragte sie ihn und lehnte sich halb über den Tresen, auf den er sich mit seinem Ellbogen stützte. Sie grinste ihn an und zwirbelte eine ihrer Locken mit ihrem Zeigefinger. Der Barkeeper wurde schwach, beobachtete jede ihrer Bewegungen mit großen Augen, fing sich aber recht schnell und zwinkerte ihr zu.
»Klar doch, Süße.« Ich hatte fast vergessen, wie es auf den meisten Partys zuging. Ich hatte vergessen, dass auf Partys geflirtet, geknutscht und gefummelt wurde – drei Dinge, mit denen ich heute keinesfalls in Berührung geraten wollte.
Was machte ich mir vor? Ohne Dan hielt ich es hier nicht aus. Mit ihm war das alles immer ganz anders gewesen.
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Die letzte Party, sechs Monate zuvor
»Du bist doch bescheuert«, ich schüttelte schmunzelnd den Kopf und sah Dan dabei zu, wie er versuchte, die Bierflasche auf seiner Stirn zu balancieren. Er ging dazu leicht in die Knie, legte den Kopf in den Nacken und schielte den Boden der braunen Flasche an.
»Ich bin ein Künstler«, presste er konzentriert hervor und wankte gefährlich stark hin und her. Das passierte, wenn Dan Alkohol trank: er mischte sich sofort unter sein Blut und Dan kam auf noch verrücktere Ideen als sonst. Da reichte schon ein Bier aus.
»Ein Künstler, ja aber klar doch«, entgegnete ich amüsiert und das Grinsen auf meinem Gesicht wurde größer, als er das Gleichgewicht verlor und auf seinen Po plumpste.
Die Flasche fiel neben ihn auf den Boden und zersplitterte. Dan dagegen sah aus wie ein begossener Pudel. Er grummelte etwas Unverständliches vor sich her, kniete sich vor mir auf die Fliesen und machte sich daran, die Scherben aufzusammeln.
Plötzlich hielt er jedoch inne, hob seinen Kopf und blickte direkt in meine Augen.
»Das … das fühlt sich gerade an, als würde ich dir einen Antrag machen. Einen Heiratsantrag«, seine braunen Augen blitzten auf wie ein Wetterleuchten, »Wenn man den besten Freund heiratet, ist das Risiko einer Scheidung 70 Prozent geringer. Wusstest du das?« Ich schüttelte den Kopf und belächelte seine merkwürdige Aussage nur. Er auf Knien vor mir, mit dem Plan, mir einen Antrag zu machen?
Eine unwirkliche Vorstellung, die mir aber irgendwie gefiel. Dan war manchmal wirklich seltsam. Aber ich liebte seine Seltsamkeit. Jede seiner merkwürdigen Eigenarten. Seine verrückten Träume, wegen denen er mich manchmal mitten in der Nacht anrief. Seine skurrilen Todesvisionen – er fürchtete sich davor, in die Öffnung einer Tuba zu fallen und darin zu verenden. Seine Liebe für Schrottfilme, in denen Hai-Tornados die Welt verwüsteten und riesige Killer-Tomaten die Menschheit abschlachteten.
Ich liebte es, dass seine Seltsamkeit auf mich abfärbte. Mit Dan wurde es nie langweilig.
Er tastete hastig seine Hosentaschen ab und wurde zunehmend panischer. »Verdammt, ich bin ein Idiot!«, fluchte er und ich schaute ihm belustigt dabei zu, wie er sich die abstehenden Haare raufte. »Was ist los, Dan?«, fragte ich einfühlsam und ließ mich ebenfalls auf meine Knie sinken – genauso wie man es tat, wenn man mit einem kleinen Kind sprach. Wenn Dan betrunken war, fühlte ich mich manchmal tatsächlich so, als müsste ich ihn bemuttern; für ihn sorgen.
»Ich habe keinen Ring«, erklärte er mir verärgert und krabbelte dann grübelnd über den Fußboden, »Er liegt hier bestimmt irgendwo … «
Nun schwand mein Grinsen und ich wurde aufmerksam. »Dan, lass das sein – hier liegen überall Scherben!«
»Ist mir egal«, trotzte er mürrisch und schleppte sich weiterhin über den Boden.
»Mir aber nicht!«, ich packte ihm kurzerhand unter die Schultern und obwohl er recht schlank war, war er zu schwer für meine dünnen Ärmchen, die ihn auf die Beine ziehen wollten. Dan half da als Betrunkener leider auch kein bisschen mit, sondern machte das Ganze mit seiner Ungeschicktheit nur noch schlimmer, weswegen wir beide im nächsten Moment unsanft auf die Nase fielen. Dan stürzte natürlich mit seinem ganzen Gewicht auf mich und ich fühlte mich wie ein Blatt Papier, das von einem Briefbeschwerer zerdrückt wurde. Mein Körper wurde gegen den kalten Untergrund gepresst. Dan war vielleicht schlank, aber in diesem Moment tonnenschwer.
»Du zerquetschst mich«, röchelte ich und schnappte nach Luft. Zum Glück stemmte sich Dan sofort mit seinen Unterarmen auf, rollte sich von mir und schaffte es tatsächlich aufzustehen – mit Beinen so wankend wie Wackelpudding, aber immerhin.
»Tut mir leid«, hickste er und reichte mir seine Hand, die ich entkräftet ergriff, was ich jedoch besser nicht getan hätte – denn bei seinem Versuch, mir aufzuhelfen, klappten Dans Beine in sich zusammen und er landete abermals auf mir.
»Du bist wirklich ein verdammter Idiot«, schimpfte ich und stieß ihn mit all meiner Kraft von mir, um unter ihm weg zu robben. In dem Moment war ich wirklich froh, dass niemand sonst sich in diese Speisekammer verirrt hatte, in die Dan und ich geflohen waren, als das Knutschgelage der Party begonnen hatte. Seufzend stand ich auf und entfernte mich prompt ein paar Schritte von Dan, der zwar noch immer auf dem Boden lag, mich aber sicherlich auch noch ein drittes Mal plattgemacht hätte.
»Ich habe ihn bestimmt verloren«, Dan schlug sich frustriert die Hände über dem Kopf zusammen.
»Wen?«
Wovon sprach er denn jetzt schon wieder? Er war wirklich anstrengend. Nächstes Mal müsste ich dafür sorgen, dass er keinen Alkohol in die Finger bekam. »Den Ring. Ich habe deinen Ring, den Verlobungsring, verloren«, entgegnete er verdrossen, »Ich verliere doch immer alles. Ich verliere den Ring, meine Kontrolle und irgendwann … irgendwann verliere ich auch dich.«
Mein angespannter Gesichtsausdruck verflog, als ich seinen traurigen Tonfall hörte. Meine Augen wurden groß und egal für wie betrunken-bescheuert ich Dan in diesem Moment hielt und wie genervt ich davon war, dass er mich zweimal mit seinem Gewicht plattgewalzt hatte – ich legte mich ohne zu zögern neben ihn auf den Boden, weil ich wusste, dass er mich brauchte.
»Du wirst mich nicht verlieren«, ich strich ihm nachdenklich durchs braune, verstrubbelte Haar und erinnerte mich daran, wie Dan immer für mich sorgte, wenn ich betrunken war. Einmal hatte er mich in mein Auto getragen und nach Hause gefahren – dabei besaß er gar keinen Führerschein. Er hatte mich wie einen Sack Mehl über seine Schulter geworfen und bis in meine Dachgeschosswohnung gebracht. Er war mit mir auf die Matratze gesunken, hatte uns zugedeckt und keinen Gedanken an Schlaf verschwendet, weil er auf mich aufpassen wollte, während ich sofort weggedöst war – in seinen Armen. Am nächsten Morgen hatte er mir Wasser und eine Aspirin-Tablette gebracht und dann den ganzen Tag zusammen mit mir im Bett gelegen.
»Natürlich werde ich dich verlieren«, sagte Dan, nahm die Hände von seinem Gesicht, faltete sie stattdessen auf seinem Bauch ineinander und starrte ausdruckslos an die Decke, »Irgendwann wirst du merken, dass du deine Zeit mit mir vergeudest. Du wirst merken, dass die Welt mehr als einen Versager wie mich zu bieten hat. Und du wirst merken, dass ich nicht gut genug bin. Du wirst es merken und du wirst gehen.«
»Was redest du denn da?«, ich schlug ihm entgeistert gegen den Oberarm, »Du bist alles, was ich brauche, Dan! Wie könntest du jemals nicht genug für mich sein? Du bist doch verrückt. Ich würde unsere Freundschaft niemals aufgeben.«
»Ja, unsere Freundschaft«, murmelte er benommen, »Für jemanden, der so schlau ist, bist du wirklich schwer von Begriff.« Was sollte das denn heißen? Ich legte den Kopf schief und Fragezeichen leuchteten vor meinem geistigen Auge auf – wie blinkende Werbeanzeigen am Times Square. »Was meinst du?«, hakte ich verwirrt nach, doch ich sollte keine Antwort bekommen, denn Dan war einfach eingenickt.
Und wenn ich jetzt über das nachdachte, was er an diesem Abend zu mir gesagt hatte, fühlte ich mich hintergangen: denn letztendlich war ich diejenige, die nicht gut genug war. Dan hatte nicht mich verloren, sondern ich hatte ihn verloren.
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