I
Remember those walls I built?
Well, baby, they're tumblin' down
And they didn't even put up a fight
They didn't even make a sound
I found a way to let you in
But I never really had a doubt
Standin' in the light of your halo
I got my angel now
~Halo, Beyonce
I
Peking 2022
Trotz der Menge an Leuten und seinen Teamkollegen um sich herum, fühlte er sich allein. Allein wie noch nie in einer solchen Situation. Er hatte gerade Bronze gewonnen und vorhin hatte er sich auch wirklich gefreut, aber jetzt fühlte er sich nur noch leer. Er hatte schon vorher gewusst, dass er Andi extrem vermissen würde, weil er Olympia einfach mit ihm verband, und zwar nur mit ihm. Nach Pyeongchang war das kein Wunder, aber dass er ihn so vermissen würde, hätte er nicht gedacht.
Gestern Abend, für Andi war es gerade mal Nachmittag gewesen, hatten sie noch telefoniert und sich darüber gefreut, dass er fürs Team nominiert worden war. Andi hatte ihm über sein so langsam besserlaufendes Training erzählt und ganz am Ende, als er schon fast eingeschlafen war, oder gerade, weil er fast schon eingeschlafen war, hatte er Andi durch das Handy flüstern hören: „Ich vermiss dich...". Verblüfft hatte er die Augen wieder aufgerissen. „Du auch? Ich dachte nur ich würde dich so vermissen...". Gegen Ende hin war er immer leiser geworden und hatte scheu den Blick abgewandt, obwohl Andi ihn gar nicht sehen konnte, er hörte diesen nur leicht lachen. „Ich hab dir schon vor vier Jahren in Pyeongchang vor dem Team-Wettkampf gesagt, dass ich dich genauso sehr mag wie du mich, wenn nicht mehr. Und ich hab dir auch gesagt, dass ich dich wegen deiner Ruhe, deinem Drang dazu alles zu organisieren und deiner Willensstärke absolut bewundere, also hör auf dein Licht immer unter den Scheffel zu stellen und glaub mehr an dich. Heute wie damals bist du eine unglaublich liebenswerte Person." Tränen hatten sich vor lauter Rührung in seinen Augen gesammelt. Obwohl Andi es immer wieder betont hatte, hatte er wirklich nicht gewusst, dass er ihm so viel bedeutete.
Bedrückt rieb er sich über die Augen, als er aus seinen Gedanken wieder auftauchte. Jetzt vermisste er Andi noch mehr und sein Versprechen hat er auch gebrochen, denn ganz am Ende hatte er ihm noch versprochen sich dadurch nicht die Laune verderben zu lassen und er machte gerade genau das Gegenteil. „Alles gut bei dir?" Verdammt! Und jetzt hatten die anderen es auch noch gemerkt, oder Karl zumindest, denn der blickte ihn leicht besorgt an. „Alles gut", murmelte er ihm zu und nickte anschließend nochmals bekräftigend, weil selbst er merkte, dass er so gar nicht überzeugend klang. „Es ist wegen Andi oder? Du vermisst ihn." Erschrocken blickte er Karl an. „Woher?" – „Ihr hattet schon immer eine besondere Verbindung" Das hatten sie tatsächlich, von dem Tag an, wo sie sich kennengelernt hatten brauchten sie einander um ausgeglichen zu sein. Er war der Einzige, der Andi beruhigen konnte, wenn er ganz selten mal auf hundertachtzig war, und Andi der Einzige, der es zumindest zeitweise schaffte seine Selbstzweifel auszureden. Sie ergänzten sich einfach. Sie waren zu zweit besser, als jeder von ihnen allein. „Ruf ihn doch an, Zuhause ist es noch nicht so spät." Ein Lächeln bildete sich auf seinen Lippen, als er das hörte. „Also ist das eine Erlaubnis diese Mini-Siegesfeier zu verlassen?" Mit diesen Worten pikste er Karl in die Seite und machte sich aus dem Staub, ohne auf eine Antwort zu warten.
In seinem Zimmer schaltete er zum ersten Mal, nachdem er vorhin kurz mit seinen Eltern telefoniert hatte, sein Handy wieder ein und wurde von Glückwünschen fast schon überrollt. Jeder, der irgendwie seine Nummer hatte schien ihm wohl zu gratulieren wollen. Sein Blick blieb aber relativ schnell an seinem Chat mit Andi hängen.
Glückwunsch! Ich hab dir doch gesagt, dass du verdammt gut bist. Das ist jetzt wohl die offizielle Bestätigung dafür, dass du mir glauben musst. ;) Außerdem hast du jetzt was, was ich noch nicht hab...eine Bronze Medaille. Wenn du zurück kommst muss ich sie mir unbedingt anschauen.
Grinsend tippte er oben rechts auf den grünen Hörer, dieser Besserwisser und natürlich würde er bei Andi vorbeischauen, oder sich eher für ein paar Tage Kurzurlaub bei ihm einnisten. „Hi", tönte es aus dem Lautsprecher, „Noch wach? Bei euch ist es doch bestimmt schon nach Mitternacht..." Er musste lachen und nach nur einem Satz von Andi fühlte er sich schon so viel besser, dass es schon nicht mehr normal war. Aber was war schon normal, wenn man sich in seinen Teamkollegen und besten Freund verliebte? „Warum sollte ich nicht mehr wach sein? Die anderen sind sogar noch bei ihrer Mini-Siegesfeier. Keiner von uns schläft bis jetzt. Wir müssen ja unsere Medaille gebührend feiern." Er hörte, wie Andi nach irgendwas suchte und dabei zustimmende Geräusche von sich gab. Er machte das öfter mal, er war einfach zu hibbelig, um nur eine Sache zu machen. „Hab ich dich" Andis triumphierenden Ausruf hätte man auch ohne Telefon bis nach China hören können. Drei Sekunden später vibrierte sein Handy. Das Foto von Pyeongchang wo sie sich Arm in Arm im Deutschen Haus ihre Sprünge ansahen flimmerte ihm entgegen. „Ich würde das so gerne nochmal mit dir zusammen erleben. Einfach nur um dich nochmal so umarmen zu können." In seinem Bauch begann es zu kribbeln. Er freute sich wirklich, dass Andi dieser Moment so wichtig war, denn dies war ein Augenblick, an den er sich wirklich gern erinnerte. „Und ich würde das so gerne nochmal mit dir zusammen erleben. Einfach nur um gemeinsam bei der Medaillenvergabe aufs Podest zu hüpfen."
Es waren nicht viele Menschen bei der Medaillenvergabe anwesend, eigentlich waren es nur Betreuer und Teammitglieder der verschiedenen Nationen, an die jetzt gleich Medaillen vergeben werden sollen. So eine richtige Feierstimmung wie in Pyeongchang kam nicht auf, aber ein überglücklicher Markus reichte auch. Er hatte diese, Zitat, „Scheiß-" Medaille wirklich haben wollen. Sie hatte ihm wohl einfach noch gefehlt. Langsam breitete sich auch auf seinem Gesicht ein Lächeln aus. Er würde jetzt gleich seine zweite Olympiamedaille überreicht bekommen und verdammt, das war ein Grund sich zu freuen. Es war so viel mehr, als er sich jemals erträumt hatte. Karl stupste ihn an und riss ihn damit mal wieder aus seinen Gedanken, zumindest waren es dieses Mal gute. Zusammen mit den anderen lief er los Richtung Bühne. Ein vorfreudiges Gefühl breitete sich in ihm aus. Er wollte endlich seine Bronzemedaille in den Händen halten, nachdem er gestern „nur" das Maskottchen der Spiele bekommen hatte. Insgesamt war er heute viel fröhlicher als gestern, warum wusste er nicht wirklich, vielleicht, weil sie jetzt bald nach Hause fliegen würden, dass Essen war wirklich nicht sonderlich lecker und einen Andi gab es hier auch nicht. Sie kamen hinter dem Podest zu stehen. Lächelnd blicke er in die Gesichter, der wenigen Zuschauer. Er würde jetzt gleich auf dieses Podest hüpfen dürfen und er wusste, dass Andi zusehen würde und im gleichen Moment auch hüpfen würde. Dieser urkomische, aber auch tröstliche Gedanke gab ihm die Kraft mit viel Elan und voller Freude auf das Podest zu springen. Consti schaffte es heute auch sicher zu landen und nicht fast wieder einen Abgang zu machen.
Mit strahlenden Augen nahm er die Medaille und die Blumen entgegen. Es war wie in einem Traum. Gemeinsam mit den anderen streckte er jubelnd seine Hände in die Luft. Nach seiner Verletzung war diese Bronzemedaille Gold wert und sie zeigte ihm, dass er doch noch fähig war, in seinem Sport was zu reißen. Er hatte nämlich schon hin und wieder an seinen Leistungen gezweifelt und Andi würde über ihn nur den Kopf schütteln und ihn belehren, dass er sich gar keine Sorgen machen brauchte. Aber er hoffte jetzt wirklich, dass er seine Selbstzweifel für die nächste Zeit in den Griff bekommen würde. Strahlend legte er seine Arme um seine Teamkollegen, als sie für ein Bild zusammen rückten. Irgendwie hatte er da so eine Gefühl, dass alles besser werden würde in Zukunft, dass jetzt endlich mal das Schicksal auf seiner Seite war.
Sein letztes Abendessen in Peking gestaltete sich genauso unlecker und ungemütlich, wie die Tage zuvor. Die Plastikwände zwischen ihm und seinen Teamkollegen lösten irgendwie Beklemmungen bei ihm aus. Er fühlte sich wie in eine Plastikbox gequetscht. Er wusste auch jetzt schon, was er in den nächsten Monaten nicht essen würde und das war Reis. Er hatte so viel davon gegessen, dass er inzwischen sogar begann sich davor zu ekeln. Zwei gute Punkte warum er sich schon auf Zuhause freute, neben Andi natürlich. Ein Lächeln schlich sich auf sein Gesicht. Nur noch einmal schlafen, dann würde er Andi wieder sehen. Er ließ seinen Blick über den Tisch schweifen. Seinen Teamkollegen sahen alle genauso aus, wie er sich fühlte. Abgekämpft. Jeder wollte wieder nach Hause zurück, zu ihren Familien, in ihre eigenen Betten, wieder Energie nachtanken für die restliche Saison.
Er wand sich Karl zu. „Auch mal wieder Reis?" Leicht überrasch wurde er angeblickt. War er wirklich so still gewesen die letzten Tage? „Ich kann das Zeug so langsam nicht mehr sehen. Meine Frau hat vorhin gefragt was ich morgen, wenn wir ankommen zum Abendessen will und ... warte", er zog seine Handy aus der Hosentasche und öffnete den Chat mit seiner Frau und zeigte auf die letzten Nachrichten. Nach etwas Schwierigkeiten wegen der Plexiglasscheibe zwischen ihnen konnte er die Nachrichten entziffern.
Alles nur nicht Reis.
Die Antwort war ein lachender Emoji und der Vorschlag:
Wie wärs mit Sushi?
Einen lachenden und Augenrollendem Emoji später folgte ein:
Spaß bei Seite wie wärs mit Lasagne?
~ Lasagne ist immer gut und wie gesagt, alles nur kein Reis...
Grinsend blickte er vom Handy wieder zu Karl. „Deine Frau hat Humor" Karl begann ebenfalls zu grinsen. „Und jetzt lass uns unsere letzte Portion Reis für die nächsten Monate, wenn nicht Jahre essen. Ich glaub ich hab eine Reistrauma..." und er musste Karl da wirklich zustimmen. „Ich auch"
Nach dem Essen verschwanden sie wieder alle auf ihr Zimmer, Coronaregeln und so, aber er fand es eigentlich nicht schlecht, denn er war wirklich müde, weil er in diesem Zimmer nicht gut schlafen konnte und deshalb seit zwei Wochen ein Schlafdefizit hat. Langsam machte er sich im Bad fertig und setzte sich auf sein Bett und betrachtete seine Bronzemedaille. Sie war wirklich hübsch, aber die von Pyeongchang gefiel ihm besser. Er holte seine Handy raus und fotografierte die Medaille ab und schickte das Bild Andi mit der ziemlich unpassenden Nachricht:
Holst du mich vom Flughafen ab?
Wenige Minuten später, als er sich schon ins Bett gelegt hatte kam die Antwort.
Klar, Sevi kommt auch und noch paar Betreuer. Wir müssen euch doch in Empfang nehmen, die Bronzemedaillisten :) und ich freu mich schon so dich zusehen, dass ich mir das nicht nehmen lassen werde...
Er war gerührt von Andis Nachricht. Er freute sich auf ihn und es kamen noch andere aus dem Team um sie zu begrüßen. Seine Antwort war ganz einfach.
Danke, ich freu mich auch.
Damit schaltete er sein Handy aus und löschte das Licht und fühlte sich sofort unwohl. Er hätte wirklich gerne Andi neben sich liegen, denn dann würde das unangenehme Gefühl verschwinden, was ihn immer heimsuchte, wenn er nichts mehr im Dunklen erkennen konnte und wenn das Licht aus war konnte man nichts mehr in seinem Zimmer erkennen. Er mochte es nicht sonderlich, um genau zu sein hasste er es, wenn er nichts mehr erkennen konnte, aber wer nahm schon mit 30 noch ein Nachtlicht mit. Die Matratze seines Bettes war ziemlich unbequem und er traute dem Lattenrost nicht ganz. Vielleicht war er ja gar nicht aus Holz, sondern wie bei den Sommerspielen in Japan aus Pappe. Insgesamt mochte er sein Zimmer nicht wirklich, er fand es irgendwie gruselig, vor allem weil immer wieder Wasserleitungen gurgelten. Sie waren einfach nicht auf Europäische Verhältnisse eingestellt. Wenigstens hatte er noch nicht ausersehen sein Bad unter Wasser gesetzt wie die eine Langläuferin. Allerdings sollte er sich glücklich schätzen, dass bei ihm zumindest alles hygienisch war. All diese Gedanken halfen nicht wirklich einzuschlafen, also versuchte er sich an etwas Schönes zu erinnern. Pyeongchang 2018...
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Zu Ehren Andis 4. Platz heute das erste von vier Kapiteln :) Ich hoffe es hat euch gefallen.
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