I
Mittlerweile verliere ich wirklich die Nerven. Warum mussten mir meine Eltern als „Willkommen im Gefängnis"-Geschenk vor fünf Jahren eine Bluetooth Box schenken, in die sich zwei Personen gleichzeitig einwählen können?
Mit Gefängnis haben sie übrigens das Internat gemeint, in welches sie mich gesteckt haben. Damit ich im echten Leben klarkomme.
Entgegen ihrer Erwartungen wurde ich nicht von der Schule geschmissen, sondern sammelte zu ihrem Bedauern nur zwei Tadel. Die Enttäuschung haben sie nicht verbergen können. Denn ein Schulverweis gehört zu einer richtigen Addams und ich habe es während der ganzen Zeit im Internat nicht geschafft.
Meine Cousine Lilith, die mit fünf Jahren Kellerasseln in ihrem Zimmer gezüchtet hat, um sie ihrer Spinne zu verfüttern, haben sie immer als Vorzeige-Addams aufgebracht. Pah, nur weil ich nicht dreimal die Schule gewechselt habe, heißt das noch lange nicht, dass ich keine bin.
Doch was hatte mich nun an dem Internat gehalten? Nun, zum einen der Folterkeller, in dem ich so wunderbar gut nachdenken konnte und der andere Grund sitzt vor mir. Tom das Phantom.
Beethovens Fünfte schallt durch meine kleine, warmgeheizte Wohnküche. In dem Takt der energischen Musik steche ich mit meinem Klappmesser in das weiche Fleisch, um meine Aggression, die von Toms kindischen Verhalten ausgelöst werden, wieder abzubauen. Warum muss sich dieses Blödphantom denn immer in die Box einwählen?!
Kurz, kurz, kurz, lang ... kurz, kurz, kurz, lang ...
»Der Arme. Er hat dir nichts getan«, beschwert sich Tom. Ich blicke auf das ramponierte Gesicht.
»Ich hab mir einfach vorgestellt, dass er du ist«, antworte ich und stecke das Messer demonstrativ ein letztes Mal in die Seite des Kürbiskopfes. »Wenn du dich nicht immer in die Musik einmischen würdest, hätte unser Kürbiskumpel ein richtiges Gesicht haben können.«
Tom kichert und ich starre wütend in den dunklen Schatten unter der Kapuze. Mein nerviger, bester Freund hat wortwörtlich kein Gesicht. Stattdessen nur Dunkelheit, da wo es sein müsste. Manchmal frage ich mich, ob das Abziehen von der Kapuze einem Köpfen gleicht, aber ich habe es noch nicht ausprobiert.
»Nur noch die Sinfonie, okay? Danach können wir wieder deinen Metal Rage against the machine Kram anmachen.«
Ich stöhne genervt auf. »Nur noch die Sinfonie?! Weißt du, wie lang das dauert? In der Zeit habe ich bestimmt zehn weitere Kürbisse massakriert.«
Es klingelt laut, der Ton schneidet durch die der Streicher. Aufgeregt springt Tom auf und seine schwarzen Schatten flattern wie eine aufgescheuchte Vogelschar um ihn herum. »Kinder zum Erschrecken!«, ruft er.
Ich verdrehe die Augen. Tom liebt Halloween viel zu sehr. Ich dagegen hasse besonders den Teil, der mit K anfängt und mit -inder aufhört. Das Problem bei Tom: Seine zweihundert Jahre sollten einen nicht täuschen. Für ein Phantom ist das kein Alter, er ist eigentlich selbst noch ein Kind. Und genau deswegen versuche ich, in seiner Gegenwart nicht den Satz »Ich muss noch Tom babysitten« zu verwenden. Dann wird er nämlich ganz empfindlich.
Als Tom mit hängenden Schultern von der Tür zurück kommt, schaue ich ihn fragend an.
»War niemand da«, murmelt er. Ich ziehe verwirrt die Augenbrauen zusammen. Seltsam. Für einen Halloweenabend ist erstaunlich wenig los. Normalerweise stehen die Kinder an und greifen gierig in die Süßigkeitenschüsseln. Aber heute ist noch niemand vorbeigekommen. Dabei haben wir extra den Vorgarten schön hergerichtet.
»Das liegt alles an diesen blöden Nachbarn!« Tom stapft durch den Raum und bleibt bei den Fenstern stehen. Dann deutet er quer über die Straße zu dem dunklen Haus, dessen Fenster mit Spinnennetze übersponnen und das Holz der Wand mit schwarzen Pech angemalt wurde. Da kann mein kleines Gartenhäuschen nicht mithalten. Es ist ja auch nur zur Hälfte rot angemalt, weil ich keine Lust mehr gehabt habe.
»Ich hab mir meine Nachbarn nicht ausgesucht«, erwidere ich. »Sorry.«
»Pah, du freust dich doch, dass hier noch keine Kinder waren. Ich sage dir, irgendwas ist mit diesem Haus faul da drüben. Schau dir das an, schon wieder gehen Kinder da rein.«
Nachdenklich forme ich mit dem zermatschten Kürbis eine Schnecke. Das Phantom hat schon Recht. Da ist etwas faul. Meine Nachbarn wohnen noch nicht lang hier, aber dennoch habe ich sie nie zu Gesicht bekommen. Dabei hätte ich nur zu gerne gewusst, wer mir mein Traum-Spukhaus weggekauft und das doppelte geboten hat. Alles, was ich von diesen Fieslingen mitbekommen habe, besteht aus einem pinken Käfer, mit dem sie in die Garage gefahren sind, Sägen und Hämmern und seltsames Gerümpel. Keine Ahnung, was die da drin gemacht haben. Vielleicht haben sie ja meinen Wunsch erhört und sich schon mal ihre Särge gebaut.
Warum sie allerdings noch nie draußen waren, bleibt mir dennoch ein Rätsel. Dabei ist das Wetter so schön gewesen! Klirrend kalte Luft, eisnasser Regenschauer und Gewitter, welches auf die blutroten Herbstblätter niedergedonnert ist. Ein herrliches Herbstwetter.
»Elvira? Hörst du mir überhaupt zu?«, fragt Tom mich.
»Was?« Ich hebe meinen Blick von dem mittlerweile vollkommen zerstörten Kürbis.
»Ich habe gesagt, dass ich weiß, warum niemand bei uns vorbeigekommen ist.« Tom winkt mich zu sich ans Fenster. Ich stelle mich neben ihn. Ein paar Kinder laufen lachend auf das schwarze Spukhaus zu. Bei dem Dracula-Kostüm kann ich nur die Augen verdrehen. Wenn man Dracula kennen würde, wüsste man, dass er eine Schwäche für orange-pinke Blusen hat und schwarz-rote Umhänge verabscheut.
Die Tür öffnet sich, aber ich kann nicht erkennen, wer dort steht. Immerhin sieht die Person vom Umriss her menschlich aus. Jetzt winkt sie die Kinder ins Haus.
»Und weg sind potenzielle Opfer.« Tom neben mir hält sich ein Taschentuch vor die Kapuze, und schnäuzt sich die Nase.
»Wie meinst du das, weg?«, frage ich verwirrt.
»Bis jetzt ist kein Kind da wieder rausgekommen. Und deswegen hat auch noch keines bei uns geklingelt.«
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