𝐻𝑎𝑝𝑝𝑦 𝐻𝑎𝑙𝑙𝑜𝑤𝑒𝑒𝑛
Halloween.
Meine liebste Jahreszeit.
»Ich halte das wirklich für keine gute Idee. Wir könnten heute auch einfach von Haus zu Haus ziehen, so wie wir es immer gemacht haben«, versuchte mich meine beste Freundin Ava umzustimmen, während sie ihre Hände verzweifelt auf meinen Schultern platzierte und mich mit großen Augen ansah.
Sie konnte manchmal wirklich eine richtige Spaßbremse sein.
»Wenn du nicht mitkommen willst, gehe ich halt alleine«, gab ich daher augenrollend zurück. Mit einem gezielten Schritt nach hinten löste ich ihren Griff und betrachtete sie abwartend. Im Endeffekt war uns beiden bewusst, dass sie mich sowieso nicht alleine zu diesem Ort gehen lassen würde.
Konkret ging es um das alte Anwesen der Familie Wellington. Das Haus am Stadtrand stand schon seit über zwanzig Jahren leer, was natürlich Stoff für zahlreiche Legenden lieferte. An unserer Highschool hatte sich daher im Laufe der Jahre eine unausgesprochene Tradition eingebürgert: Die Schüler der Abschlussklasse verabredeten sich am Halloween Abend, um dort die Nacht zu verbringen. Demjenigen, welcher es bis 6:00 Uhr aushielt, winkte in diesem Jahr ein Preisgeld von 10.000 Dollar und ich hatte mir fest vorgenommen, als Sieger aus dieser Challenge hervorzugehen.
„Es sind in der Vergangenheit zwei Schüler dort verschwunden und ich möchte nicht, dass einer von uns beiden die nächste vermisste Person wird, Cassy", erwiderte sie besorgt und hoffte anscheinend immer noch darauf, meinen Entschluss irgendwie beeinflussen zu können.
Allerdings hatte ich gar keine andere Möglichkeit, als bei dieser Mutprobe zu gewinnen. Ich konnte das Geld wirklich gut als Startkapital fürs College gebrauchen, denn im Gegensatz zu meiner Freundin Ava, kam ich nicht aus einer wohlhabenden Familie. Jedes Jahr wurde von den Schülern ein Preisgeld von 1.000 Dollar organisiert. Tatsächlich hatte es aber seit dem Start der Mutprobe noch nie einen Sieger gegeben. Dadurch ging die komplette Summe stets automatisch auf das nächste Jahr über. Da es in den letzten zehn Jahren niemand geschafft hatte, bis zum Morgengrauen durchzuhalten, war der Betrag mittlerweile zu einer stattlichen Summe angewachsen.
»Es ist noch nicht mal bewiesen, dass sie dort verschwunden sind. Das sind doch bloß Märchen, um den Teilnehmern Angst zu machen. Wahrscheinlich sind die beiden einfach zusammen durchgebrannt.« Mit diesen abschließenden Worten erhob ich mich von der kleinen Couch in meinem Zimmer und trat vor den Spiegelschrank, um mein Kostüm herauszuholen. In knappen zwei Stunden würden wir uns bereits mit den anderen vor dem Anwesen treffen. Eine weitere Teilnahmebedingung war, verkleidet dort zu erscheinen und man musste zusichern, im Nachhinein kein Wort über diese Nacht zu verlieren. Niemals. Zu niemandem. Offiziell wurde dies damit begründet, den nachfolgenden Jahrgängen nicht den Spaß verderben zu wollen.
»Also schön«, antwortete Ava resigniert und hob ergeben beide Hände, »aber wenn uns etwas zustoßen sollte, vergiss nicht, wessen bescheuerte Idee das gewesen ist.«
Ich konnte über diese Aussage nur müde schmunzeln. Anscheinend hatte meine beste Freundin in ihrem bisherigen Leben schon zu viele Horrorfilme gesehen.
Ohne weitere Diskussionen schlüpfte ich in das schwarze Cape und zog mir die Kapuze tief ins Gesicht. Meine langen braunen Haare hatte ich zu einem praktischen Zopf gebunden, so dass sie vollkommen von dem dunklen Stoff verdeckt wurden. Dann griff ich mir die dazugehörige Ghost-Maske und drehte mich anschließend zu meiner Freundin, um zu sehen, was für ein Kostüm sie aus ihrer Tasche ziehen würde.
»Ist das dein fucking Ernst?« Entsetzt blieb mein Blick an dem riesigen orangefarbenen Stoffungetüm in ihren Händen hängen. Sie lachte jedoch nur und zog es sich mit einer schnellen Bewegung über den Kopf.
»Was denn? Ich bin ein Halloween-Kürbis«, kicherte sie amüsiert. Ava zupfte an dem Kostüm, bis sie es in die richtige Position gebracht hatte. »Willst du jetzt immer noch mit mir zum Wellington Haus gehen?«
»Netter Versuch«, mein Blick war immer noch ungläubig auf den Ava-Riesen-Kürbis gerichtet, »aber es ist nicht mein Problem, wenn du dich vor den anderen mit diesem Kinderkostüm blamierst.«
Allerdings kannte ich sie schon mein Leben lang und mir war bewusst, wie viel sie auf die Meinung von unseren Mitschülern gab: nämlich nichts! Somit hatte sie wohl all ihre Hoffnung daraufgesetzt, dass es mir zu peinlich sein würde, mit ihr in diesem Outfit dort zu erscheinen.
Da musste ich sie leider enttäuschen, denn es gab absolut nichts, was mich von der Teilnahme abhalten konnte.
Kurze Zeit später fanden wir uns auch schon auf unseren Rädern wieder, um möglichst schnell den Stadtrand erreichen zu können. Bisher war ich tatsächlich noch nie in der Nähe des Anwesens gewesen, aber trotzdem kannte ich die Geschichten, welche über das Haus erzählt wurden.
Angeblich wurde das Anwesen vor über hundert Jahren von dem damaligen Geschäftsmann Richard Wellington gebaut. Er lebte dort gemeinsam mit seiner Frau und ihren vier Kindern. Nach einiger Zeit wurde die Frau sehr krank und starb schließlich, weil kein Arzt aus der Umgebung ihr helfen konnte. Man erzählte sich, Richard habe durch ihren Verlust langsam seinen Verstand verloren. Irgendwann brach er alle sozialen Kontakte ab und verschanzte sich mit seinen Kindern in dem Anwesen. Der Sage nach lebten sie dort in vollkommener Isolation, während die Jahre weiter ins Land strichen. Als einige Zeit später ein anonymer Hinweis einging, welcher besagte, die vier Kinder seien in Gefahr, verschaffte sich ein Sheriff gewaltsam Zugang zu dem Haus. Allerdings konnte er niemanden dort ausfindig machen. Richard Wellington und seine Kinder waren verschwunden und niemand hatte jemals wieder etwas von ihnen gehört. Der Großteil der Gemeinde beruhigte sich mit dem Gedanken, dass sie womöglich still und leise ausgewandert waren, aber es gab auch andere Mutmaßungen zu ihrem Verschwinden.
Es hieß, das Haus habe eine dunkle Kraft.
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