Kapitel 4
Ich schlug meine Augen auf. Helles Licht fiel auf meine Netzhaut und ich blinzelte verschlafen. In meinem Augenwinkel vernahm ich einen flüchtigen, goldenen Schimmer. Mein Kopf war angenehm leergefegt, mein Körper fühlte sich merkwürdig entspannt und leicht an.
Ich blinzelte erneut, langsam begann mein Gehirn wieder zu arbeiten. Im nächsten Moment wurde ich erbarmungslos aus dem angenehmen Zustand zwischen Schlaf und Wachsein zurück in die Realität geschleudert.
Die Ereignisse des gestrigen Abends stürmten auf mich ein. Die Stimme. Der Schrank. Das Licht. Die Halle. Ich schreckte hoch und blickte mich gehetzt um. Wo war ich hier?! Ich schüttelte den Kopf, um mir ein klares Bild von meiner Umgebung zu machen.
Ich befand mich nicht mehr in meinem eigenen Zimmer. Auch nicht in der Halle, in der ich gestern gelandet bin. Sondern in einem prunkvollen Schlafzimmer, das einer Prinzessin gehören könnte.
An der Decke hing ein goldener Kronleuchter, der im Licht sanft funkelte. Ich saß in einem großen Himmelbett, die dicken, roten Vorhänge an der Seite waren zur Hälfte zugezogen. Überhaupt sahen alle Möbel hier aus, als würden sie aus dem vorletzten Jahrhundert stammen. Das gesamte Zimmer schien mehr Geld wert zu sein, als ich mein gesamtes Leben lang hatte und haben werde.
Erschrocken sprang ich auf und schlug die seidenweiche Decke unachtsam zurück. Wie viel Uhr war es? Dem Sonnenlicht nach zu urteilen sollte ich schon seit Stunden in der Schule sein. Der weiche Teppich verschluckte jedes Geräusch, welches ich beim meinem Sprint zu der Tür des Zimmers machte. Zu meinem Entsetzten war diese verschlossen.
Ich blickte mich verzweifelt im Zimmer nach einer weiteren Fluchtmöglichkeit um. Ich hetzte zu einem der hohen Fenster und blickte hinaus. Außen ging es etwa zwanzig Meter steil hinunter.
Scheiße, wo war ich? Träumte ich etwa?
Das würde zwar einiges erklären, doch wenn ja, dann sollte ich vielleicht schleunigst aufwachen! Das hier fühlte sich nämlich fast schon zu real für einen Traum an. Vielleicht, wenn ich mich wieder zurück in das Bett legte...
Ich unterdrückte einen erschrockenen Schrei, als ich ein unbekanntes Mädchen neben einem gigantischen Schminktisch bemerkte. Sie saß im Schneidersitz auf dem Boden und strich sich gerade eine Strähne ihres dunklen Haars aus dem Gesicht. Ihre braunen Augen musterten mich aufmerksam.
Verwirrt und hilflos schüttelte ich den Kopf, in der Hoffnung, so wieder aufzuwachen.
Wahrscheinlich war das alles nur ein Traum, versuchte ich mich erneut zu beruhigen.
„Wenn du mich angreifst, hänge ich dich kopfüber an die Decke", rief das fremde Mädchen warnend.
Die Worte aus ihrem Mund klangen fremd, dennoch regte sich bei ihnen etwas in den Tiefen meines Gehirns und formten langsam die Bedeutung ihres Satzes.
Ich stand wie erstarrt da. Was sollte das? Ich hatte nichts verbrochen! Unwissend was ich machen sollte, blieb ich an Ort und Stelle stehen, ohne mich zu bewegen. Mehrere Minuten verstrichen, ohne dass irgendetwas passierte. Nur mein Herz schlug mit der Lautstärke eines Presslufthammers.
„Du darfst dich trotzdem so frei fühlen, mir zu erzählen wie und warum du hierhergekommen bist", meinte das Mädchen, nun in einem weniger bedrohlichen Tonfall.
Jetzt liefen meine Gedanken wirklich Amok. So unauffällig wie möglich kniff ich mir in den Unterarm. Mit ein wenig Glück löste sich jetzt alles hier in Luft auf...
Nichts passierte. Nur ein stechender Schmerz schoss meinen Arm hoch.
Ganz ruhig, Silvia. Du wurdest gestern Abend in deinen Kleiderschrank gesogen und bist jetzt an einem völlig unbekannten Ort aufgewacht. Keinen Grund zur Panik.
Nur leider war Panik schieben genau das, was ich in diesem Moment machen wollte.
„Wo...bin ich?", fragte ich mit zitternder Stimme. Die Worte aus meinen Mund klangen ungewohnt, als würde ich eine andere Sprache sprechen.
„Im Schloss von Draiocht", kam es wie aus der Pistole geschossen von meinem Gegenüber.
Fassungslos blickte ich das Mädchen an. Entweder, mein Unterbewusstsein drehte jetzt komplett durch oder der Schrank hat mich doch tatsächlich nach irgendwohin im nirgendwo gebracht. Oder ich habe mir eine Gehirnerschütterung eingefangen. Alternativ auch beides.
Eine ganze Weile lang starrte ich wie hypnotisiert vor mich hin. Vielleicht half das ja gegen Halluzinationen. Währenddessen ging mein Gehirn jede logische Erklärung für das hier durch und fand – zu meiner Enttäuschung – keine.
„Du scheinst ja nicht besonders gesprächig zu sein", meinte die Fremde. „Wie heißt du denn?"
„S...Silvia", stotterte ich.
„Und wo kommst du her?"
„Ähm...Erde?", gab ich wenig geistreich zurück.
Die Fremde runzelte misstrauisch die Stirn „Wo soll das denn bitteschön sein?"
Ich schwieg. Wenn sich das hier nicht sofort als Traum entpuppte, hatte ich ein kleines Problem. Oder, wenn ich es mir recht überlegte, das „klein" konnte man auch getrost streichen.
„Wie lange bin ich hier schon?", erkundigte ich mich, nachdem ich meine Gedanken einigermaßen sortiert habe.
Das Mädchen blickte sich um und zuckte mit den Schultern. „Wahrscheinlich schon über zwölf Stunden", schätzte sie.
Ich schnappte leise nach Luft. Ich musste wirklich schon seit Stunden in der Schule sein.
„Und du weißt nicht, ob es zufällig einen Weg zurück durch den Spiegel oder so gibt?", fragte ich vorsichtig weiter.
Teilnahmelos zupfte die Fremde an ihrem Ärmel herum. „Nö, nicht das ich wüsste"
Das durfte doch nicht wahr sein! Jetzt bin ich nicht nur irgendwo im nirgendwo gelandet, sondern hing hier voraussichtlich auch noch fest. Entrüstet starrte ich das fremde Mädchen an und wusste nicht, ob ich lachen oder weinen sollte.
„Du solltest froh sein, dass du gerade nicht im Kerker eingesperrt liegst! Einige Leute dachten, du wärst eine ernsthafte Bedrohung für uns!"
Dramatisch wedelte sie mit ihren Armen. „Aber wenn ich dich so ansehe, hast du wahrscheinlich mehr Angst vor uns", kicherte das Mädchen.
Mit großen Augen blickte ich sie an. Langsam fragte ich mich wirklich, was ich gestern Abend verpasst hatte. Ich kramte verzweifelt in meinem Gedächtnis, aber ich konnte mich nur noch daran erinnern, dass ich auf einem Teppich aufgeschlagen bin. Was, wenn ich danach irgendetwas gemacht habe, woran ich mich nicht erinnern konnte? Bestenfalls irgendetwas Peinliches.
„Da du anscheinend von nichts eine Ahnung hast, würde ich jetzt wirklich gerne wissen, wie du hierhergekommen bist"
Zögerlich fasste ich meine Reise hierher zusammen. Das Mädchen hörte gebannt zu. Als ich geendet habe, gab sie ein erstauntes „Abgefahren" von sich.
Nach einer kurzen Denkpause, in der sie nun am Teppich zu zupfte, fügte sie hinzu: „Interessant. Ich habe einmal gehört, dass es früher die Möglichkeit gab, durch Spiegel zu reisen. Heutzutage macht das aber keiner mehr"
Ach, jetzt noch eine andere Dimension, wo sich Leute durch Spiegel teleportieren konnten. Mein Leben war wirklich klischeehaft. .
Gerade öffnete die Fremde den Mund, wahrscheinlich um eine weitere Bemerkung loszuwerden, als es an der Tür klopfte. Im nächsten Moment wurde die Tür geöffnet und ein blonder Junge schaute herein.
„Der Rat wird sich gleich melden. Ich sollte euch etwas zu essen vorbeibringen"
Mit diesen Worten trug er ein riesiges Tablett mit zwei Tassen und einem Teller mit verschiedenen kleinen Gebäckstücken drauf herein und stellte es auf den Nachttisch neben dem Himmelbett.
Dann drehte er sich wieder um und schloss die Tür hinter sich. Das Mädchen stand auf und zog das Tablett zu sich heran. „Im Schloss wird man echt gut bedient", stellte sie zufrieden fest. Sie reichte mir eine Tasse rüber. „Hier, für dich"
Misstrauisch nahm ich die Tasse entgegen und beäugte ich den Inhalt. Eine lecker duftende, rote Flüssigkeit schwappte gegen den Rand der Tasse.
„Ist nur Früchtetee", lachte die Fremde.
Bevor ich mich aufregen konnte, dass das Mädchen sich offensichtlich über mich lustig machte, nahm ich vorsichtig einen Schluck aus der Tasse. Alle Bedenken verschwanden innerhalb Sekunden. Der süß-fruchtige Geschmack explodierte förmlich auf meiner Zunge. Ich wusste nicht, was das für ein Früchtetee war, nur dass es definitiv der beste war, den ich je getrunken hatte.
Beim Anblick der Gebäckstücke, die mir das Mädchen zugeschoben hatte, lief mir das Wasser im Mund zusammen. Ich warf alle Vorsicht und die Tatsache, dass ich in einer fremden Dimension war über Bord und machte mich über sie her. Sie schmeckten genauso herrlich wie der Tee.
Gerade als ich ein schokoladiges Gebäck anknabberte, klopfte es erneut an der Tür. Ich hob den Blick, als der Junge von vorhin wieder seinen Kopf in das Zimmer steckte.
„Die Königin verlangt den Neuankömmling im Thronsaal zu sehen"
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