Kapitel 4: Caelieria
Vor tausenden von Jahren erschuf Gott der Schöpfer die Erde mit all seinen Bewohnern. Zu jener Zeit erschuf er auch die Menschen, die höchsten und gebildetsten Lebewesen dieser Erde, auf, dass sie in Frieden und Harmonie miteinander Leben würden.
Aber das taten sie nicht. Die Menschen waren seit jeher besessen von Hass, Neid und Gier. Durch all ihre Sünden erwachten die Dämonen aus den Tiefen der Hölle zum Leben und kamen auf die Erde, um Angst und Schrecken zu verbreiten. Der Racheengel Raziel beschloss, den Menschen in dieser schweren Stunde beizustehen und mit der Hilfe der vier Erzengel vermachte er einem Teil der Menschheit sein Blut, damit sie die Dämonen bekämpfen könnten. Diese neuen Menschen wurden Lichte genannt, da ein kleiner Teil ihres Blutes von den himmlischen Engeln stammte. Die Lichten haben besondere Gaben, die im Mittelalter als Magie geprägt wurden.
Die Menschen jedoch hassten die Lichten, obwohl sie sie vor den Dämonen beschützten. Sie beneideten sie um ihre Gaben, ihre Kraft und ihre Schönheit. Und so erschuf Gott den Lichten eine eigene Welt.
Der Name dieser Welt ist Caelieria.
Mit der Zeit gerieten sie in Vergessenheit und sie tauchten nur noch getarnt in der Welt der Menschen auf. Die mächtigsten Lichten bauten einen Schutzzauber um Caelieria, um die Dämonen gänzlich davon abzuhalten auf die Erde zurück zu kehren. Seitdem kämpfen Lichte und Dämonen erbittert um die Macht Caelierias. Es gibt nur noch eine Möglichkeit, um von Caelieria auf die Erde zu gelangen: Ein Tor am Rande des Landes Arcadia, genannt das Tor der Engel. Es ist die Verbindung zwischen den beiden Welten.
Caelieria hat nicht die Größe von Ardea, da noch heute weniger Lichte als Menschen existieren. Im Norden liegen die Eislande, ein großes Gebiet, das hauptsächlich aus Gebirgen und Schnee besteht. Bisher war es nicht möglich das Gebiet zu bevölkern. An die Eislande schließen weiter südlich, im Westen Arcadia, zentral Dealis und im Osten Pertrania an. Südlich unter Pertrania liegt Lumadria.
Das wichtigste Land in Caelirieria ist Krystalyum. Es ist eingeschlossen von Arcadia und Dealis und liegt im Zentrum Caelierias. Noch weiter südlich grenzen an Arcadia und Dealis, im Zentrum Lucindale und östlich, ebenfalls angrenzend an Lumadria, Ghaseria. Unter der Zivilisation die Waldlande, die nur zum Jagen genutzt werden und ganz im Süden die Schattenlande. Von dort kommen die Dämonen aus der Hölle und dort leben Verräter. Lichte, die sich der schwarzen Magie bedienen und deren Blut durch dämonisches verunreinigt wurde...
An diesem Punkt hörte sie auf zu lesen. Sie hatte dem christlichen Glauben nie irgendeine besondere Beachtung geschenkt, sondern war von der wissenschaftlichen Variante ausgegangen, die ihr immer um einiges wahrscheinlicher erschienen war. Um alles was mit „Magie" zu tun hatte, hatte sie absichtlich einen großen Bogen gemacht, obwohl, oder vielleicht Gerase weil es sie faszinierte. Sie verbrachte einen Großteil des Tages mit ihren Tagträumen und die magische Welt stand auf ihrer Liste ziemlich weit oben. Durch ihre viel zu blühende Fantasie konnte sie sich sogar ziemlich gut vorstellen wie das alles aussah und ablief. Und das tat Kyaras Bezug zur Realität nicht gut.
Sie wandte sich Alik zu, der gerade mit einem Mädchen in ihrem Alter sprach. Sie war vielleicht etwas älter als Kyara, dunkelblond, großgewachsen, hatte die selben eisblauen Augen wie Alik und war schlichtweg bildschön. Sie strahlte auf eine selbstbewusste Art, die sicher vielen Jungs gefiel.
Das Mädchen winkte Kyara zu ihnen ran. „Hi. Du bist Kyara, nicht wahr? Ich bin Sienna."
„Hi."
„Du trägst übrigens gerade meine Sachen...die dir nicht passen und deshalb irgendwie lächerlich aussehen", bemerkte sie stirnrunzelnd. „Herzlichsten Dank."
„Man hilft wo man kann." Alik verfolgte ihr Gespräch, unterbrach sie aber als er bemerkte in welche Richtung es sich entwickelte. „Okay, okay. Es reicht. Kommt mit, beide. Kyara, entschuldige meine Schwester." Er warf Sienna einen ernsten Blick zu, doch sie grinste nur. Kyara seufzte mal wieder und folgte den Beiden. Das ging ihr alles viel zu schnell. Sie hatte noch nicht einmal gestern Abend verarbeitet, da kam auch schon die nächste Bombe, die in ihr Leben einschlug wie ein Felsbrocken in ein Ameisennest. Inzwischen war sie zwar etwas weniger verwirrt als vorhin, aber andererseits auch wieder nicht. Denn wo die ersten Fragen geklärt wurden, kamen neue auf.
Alik leitete sie in eine große Küche. Aber die Größe wunderte sie schon gar nicht mehr, immerhin schien hier alles riesig zu sein. „Hast du noch Hunger?", fragte er. Es war mehr eine rhetorische Frage, um die Stimmung etwas aufzulockern. Alik stellte fest, dass seine Schwester offenbar genauso gut darin war, ein Kennenlernen so richtig zu vermasseln, wie er selbst. Kyara schüttelte den Kopf. „Dann können wir dir sicher noch ein paar Fragen beantworten. Irgendetwas sagt mir, dass du davon noch einige hast," meinte Sienna grinsend. Das konnte man so sagen. „Okay, also ihr meint das hier wirklich ernst, oder? Das war ein Dämon, der mich angegriffen hat. Und ihr seid diejenigen, die von Gott dazu auserwählt wurden gegen sie zu kämpfen."
„Du hast es erfasst", sagte Alik gedehnt und lehnte sich gegen die Küchentheke. Er hatte wohl mit spannenderen Fragen gerechnet. „Und Gott gibt es wirklich?", fragte sie baff. „Das wird erzählt. Wir gehen davon aus, weil es Engel und Dämonen auch gibt", antwortete Sienna. „Also geht ihr jeden Sonntag in die Kirche und betet?" Alik lachte nur kalt. „Wir wurden von Gott und Raziel erschaffen, um die Menschen zu beschützen. Es gibt keinen Grund ihm zu danken, oder ihn um irgendetwas zu bitten. Wir sind nur seine Dienstmädchen."
„Und was könnt ihr so alles?", fragte sie weiter. Alik holte den glänzenden Stab aus der Tasche. „Das, meine liebe Kyara, ist ein Nymphenglasstab, meistens Kristallstab genannt, und damit kann man zaubern. Hokuspokus und so. Alles Andere ist erst mal nicht wichtig. Solltest du tatsächlich eine Lichte sein, wird dir das noch früh genug erklärt."
„In dem Buch steht, dass Dämonen nicht durch das Tor der Engel kommen können. Also warum hat mich dann ausgerechnet auf der Erde einer angegriffen?" Alik und Sienna tauschten kurz Blicke aus. Für einen Moment fühlte sich Kyara total Fehl am Platz. Irgendetwas an diesem Blick wirkte dermaßen intim, dass sie das Gefühl hatte die Beiden zu stören. „Wenn wir das wüssten, hätten wir ein Problem weniger", erklärte Alik. „Ich habe versucht das Tor wieder einigermaßen zu versiegeln, aber das wird nicht reichen. Es gibt nicht viele Wege, einen Dämon durch das Tor zu bekommen. Und keiner davon ist wirklich nett. Da hat sich jemand wirklich Mühe gegeben. Wir werden das melden müssen, damit sich jemand darum kümmert, der mehr Ahnung von Schutzzaubern hat." Kyara sah zwischen den beiden hin und her. „Also war das wohl wirklich das Tor, das ich im Wald gesehen habe. Und welche Wege gibt es?" Sienna schüttelte den Kopf. „Okay, Kleine. Wir wollen dir keine Angst einjagen. Außerdem wäre es viel zu kompliziert zu erklären. Versuch, den Teil einfach zu vergessen." Die Art und Weise wie Sienna von oben herab mit ihr sprach ließ Kyara sich fühlen wie ein kleines Kind.
„Und wo geht ihr zur Schule? Hier in Arcadia?"
„Wir gehen gar nicht zur Schule. Wir haben zwei Mentoren hier, die uns alles beibringen. Aber vor circa einem Jahr sind wir auch noch wie alle Anderen auf das Internat gegangen", sagte Sienna.
„Wenn ich das richtig verstanden hab ist Alik dein Bruder, oder?" Sienna nickte. „Zwillingsbruder und falls es dich interessiert, wir sind siebzehn.
Also, Kinder. Ich muss mich jetzt fertig machen. Heute steigt im Zentrum eine Party und die kann und will ich nicht verpassen", trällerte sie.
„Und du brauchst den halben Tag, um dich dafür fertig zu machen?", fragte Kyara.
Sienna warf ihr nur einen giftigen Blick zu, dann verschwand sie.
„Du kannst sie nicht ausstehen", stellte Alik fest. Kyara starrte ihn einen Moment lang voller Resignation an, dann platzte Helena in den Raum. „Ach hier seid ihr, ich hab euch schon gesucht. Kyara, hast du noch irgendwelche Fragen oder kann ich dir sonst noch irgendwie helfen?", fragte sie lächelnd. Kyara war etwas irritiert von ihrem plötzlichen Gefühlsumschwung. Offensichtlich war sie zu Gleichgesinnten weniger grob. Das war mal eine ganz neue Form von Rassismus.
Am Abend wurde sie von Alik Zuhause abgesetzt, nachdem sie stundenlang im Wald nach Mailo gesucht hatten. Als sie ihn endlich gefunden hatten, schmutzig, hungrig und verängstigt, brachte Alik sie zurück.
Schließlich verschwand er wieder. Sie hoffte, dass er auch weg blieb, weil er ihr inzwischen unglaublich auf die Nerven ging. Leider musste sie am nächsten Morgen feststellen, dass das nicht der Fall war.
Alik lief schräg hinter ihr über den Hof. Er schwang ein langes Messer durch die Gegend und pfiff dabei fröhlich vor sich hin. Helena hatte ihr unbedingt einen Beschützer mitgeben wollen und sich natürlich für das „pflichtbewusstere" ihrer Kinder entschieden. Kyara gab sich alle Mühe ihn nicht zu beachten, aber das war ziemlich schwierig, da er nicht gerade unauffällig war. Zumindest für sie. Der Rest der Menschheit konnte ihn nämlich nicht sehen, da er unsichtbar für sie war. Nur wenn er sich bewusst dafür entschied und das tat er nicht, weil er dazu keine Lust hatte. Er hatte gesagt Menschenkunde habe ihn nie interessiert. Und dennoch staunte er jetzt ständig über die banalsten Dinge. So wie Autos oder Flugzeuge. In Caelieria bewegte man sich nämlich noch zu Pferd fort, auch wenn die Gesellschaft im Grunde genau so modern war wie die der Menschen.
Die Lichten kümmerten sich einfach mehr um ihre Umwelt als die Menschen. Es gab wahnsinnig strenge Regelungen für absolut alles, was der Natur schaden konnte. Sie sagten, dass es ihnen nichts bringen würde ihre Welt zu zerstören, weil sie die Dämonen dadurch trotzdem nicht loswerden würden. Sie nährten sich von Tod und Verfall. Irgendwie drehte sich dort ja immer alles nur um die Dämonen.
„Wir haben heute eine Doppelstunde Englisch, Doppelstunde Deutsch, Physik, und Doppelstunde Sport", murmelte sie in seine Richtung. „Versuch dich zu benehmen."
„Ich und mich benehmen?", grinste er. „Ich denk gar nicht dran."
„Idiot" murmelte sie. „Hey, Kitz. Bist du eigentlich gut in der Schule?" Kyara schnaubte nur genervt. Alik hatte ganz offensichtlich mitbekommen, wie sie sich darüber aufgeregt hatte als Gene sie „Kitz" genannt hatte. Seitdem hatte er den Spitznamen übernommen und ihren richtigen Namen offenbar vergessen. Dabei kannte er erst einen von vielen Spitznamen. „Kleidest du dich eigentlich immer so...neutral? Na ja, wenigstens sehen die Sachen besser an dir aus als die von Sienna. Damit sahst du wirklich lächerlich aus", bemerkte er. Sie wusste, dass er es darauf anlegte sie auf die Palme zu bringen, deshalb versuchte sie sich nicht zu ärgern. „Herzlichen Dank auch", meinte sie sarkastisch. „Endlich mal ein Mädchen, das Komplimente annimmt."
„Gott verdammt, sei doch nicht immer so unverschämt!" Er lachte, weil er gar nicht anders konnte. Er wusste wie sehr er ihr auf die Nerven ging, aber das störte ihn nicht im Geringsten. Sie war schon eine eigenartige Person. Sie war nicht frech und eigentlich sogar ziemlich schüchtern, aber sie hatte immer einen passenden, höchstwahrscheinlich sarkastischen Spruch auf den Lippen.
Kyara war an sich recht unauffällig. Sie hatte glattes hellbraunes Haar, das ihr bis zur Hüfte reichte und tiefbraune Augen, die von weitem so dunkel waren, dass man denken könnte sie wären komplett schwarz. Sie war nicht perfekt oder wunderschön, aber sie war auf eine sture, eigenartige Weise schön. Es war schwer zu definieren. Ihre Züge waren eigentlich sehr weich. Das wurde dadurch bestärkt, dass sie nicht unbedingt dünn war. Sie war weder gertenschlank, noch füllig oder gar dick. Man könnte sie schlichtweg als normal bezeichnen.
Im krassen Gegensatz zu ihren weichen Gesichtszügen stand dieser ständige leere, ausdruckslose Blick. Es war fast schon beängstigend wie gefühllos und hart sie wirkte, wenn sie sich gerade nicht über ihn aufregte. Er konnte sich denken, dass mehr dahinter steckte als man im ersten Moment annahm, aber er hatte nie jemanden getroffen der seine Gefühle auch nur annähernd so geschickt verbergen konnte. Es war einfach unmöglich in das Mädchen hineinzusehen. Meistens war sie ernst oder genervt. Er hatte sie noch nie lächeln oder lachen gesehen. Sie sprach auch nicht viel.
Sie wirkte im Großen und Ganzen irgendwie kränklich. Die blasse Haut, die unzähligen blauen Flecken und die tiefen Augenringe erzählten ihm mehr über ihren Zustand als ihre Körperhaltung oder ihre Augen.
Sie wollte auch absolut nicht, dass Alik zu ihr nach Hause kam. Heute Nachmittag würde er es sowieso müssen, da er eine Art Leibwache für sie war und sie deshalb rund um die Uhr beschützen sollte. Aber sie war absolut dagegen gewesen und hatte bis zum Ende versucht sich zu wehren. Mehr hatte man dann aber auch nicht gemerkt. So etwas wie nervöse Angewohnheiten, an denen man erkennen konnte auf welches Thema sie mehr oder weniger gut zu sprechen war, hatte sie ganz einfach nicht.
Ihm war klar, dass sie in den drei Tagen, die sie sich nun kannten nicht ihre gesamte Lebensgeschichte auspacken würde, aber irgendwie wollte er trotzdem mehr wissen. Auf irgendeine Art und Weise faszinierte ihn Kyara. Er wartete nur auf den Moment in dem ihre Maske begann Löcher zu bekommen. Egal wie lange er sie dafür nerven musste.
Er hatte nicht wissen können, dass das gar nicht mehr so lange dauern würde.
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