Kapitel Fünfunddreissig: erster Schritt
Der Geruch von Hähnchen, Basilikum und Knoblauch strömt durch meine Nase, sodass ich genussvoll einatme. Der Duft hat sich in der ganzen Wohnung verteilt, weswegen Heath in die Küche kommt und mich aus glänzenden Augen ansieht.
„Ist das Essen schon fertig?“
„Noch fünf Minuten. Du kannst in dieser Zeit schon mal den Tisch decken.“
Ein Glück, dass Hunter das Geschirr verschont hat. Wie es scheint sind das alles Bilderrahmen gewesen, die ihren Weg auf den Boden gefunden haben und somit zerbrochen sind. Ich konnte einige der Fotos retten, die ihn mit seiner Familie zeigen, aber leider nicht alle.
Wir haben stunden dafür gebraucht alles wieder aufzuräumen. Zwei ganze Abfallsäcke stehen vor der Tür, die Heath und ich gefüllt haben. In dieser Zeit starrte Hunter die Wand an und hat keinen Laut von sich gegeben. Er versuchte uns zu ignorieren, da er bemerkt hat, dass wir uns nicht vertreiben lassen und schmollt deswegen vor sich hin.
Uns hat das wenig gekümmert, weil wir wussten, dass das notwendig ist. Ich bin froh, dass er hier bei mir ist und wir zusammen für Hunter da sein können. Aber auch wenn ich Unterstützung bekommen habe, konnte ich nicht anders als jemanden anzurufen, der in Kürze erscheinen wird. Ich hoffe, er wird ihn zumindest anhören, da auch er in der Army war und solche Nachwirkungen kennt. Er könnte ihm sicherlich besser helfen als ich und doch werde ich keine Sekunde von seiner Seite weichen.
Als ich Anstalten mache, die Pfanne in die Hand zu nehmen, werde ich sanft zur Seite geschoben. Ein breiter Rücken kommt zum Vorschein, der nur einer Person gehören kann. Wie es aussieht hat er es sich anders überlegt oder der Duft seines Lieblingsgerichtes hat ihn in die Küche gelockt.
Hunter stellt alles auf den Tisch, setzt sich hin und blickt uns beide an, da wir ihn mit großen Augen ansehen.
„Was ist? Setzt euch hin, damit wir anfangen können. Ich hab einen Bärenhunger.“
Ein kleines Lächeln schleicht sich auf meine Lippen, als ich mich neben ihn setze und seinen Teller in die Hand nehme. Er bekommt eine extra Portion, weil er in den letzten Tagen wenig gegessen hat. Hunter muss wieder zu Kräften kommen. Seine Augen beobachten mein Tun genau, sodass seine Augenbrauen in die Höhe schießen, als er sieht, wie viel ich ihm auf den Teller schaufle.
„Ich dachte, du hast einen Bärenhunger?“, kommt es trocken von mir.
Heath schüttelt nur amüsiert den Kopf, während Hunters Mundwinkel zucken und er mir nur zu nickt. Zufrieden stelle ich ihm den Teller vor die Nase, als ich meine Hand Richtung Heath ausstrecke.
„Oh nein. Ich werde mir selbst was darauf tun. Das sind Monsterportionen, die du hier verteilst.“
„Sobald du davon gekostet hast, wirst du sowieso nochmals nach schöpfen. Es gibt nichts Besseres als Haylees Hühnchen mit Reis“, kommentiert Hunter und schaufelt sich eine Gabel voll Reis in den Mund. Genüsslich schließt er die Augen.
„Das hab ich echt vermisst. Gibt es zum Nachtisch Zimtschnecken?“, hakt er nach und isst weiter. Kurz werfe ich Heath einen Blick zu, bevor ich ihn wieder auf Hunter richte. Ich weiß genau, was er vorhat und wie es scheint, hat das auch sein bester Freund begriffen.
„Nein, aber ich kann jemanden anrufen, der es uns bringen kann. Er ist sowieso auf dem Weg hierher.“
„Er?“, hakt er nach und runzelt dabei die Stirn.
„Ja“, gebe ich nur von mir.
Bevor er mich noch weiter ausfragen kann, nehme ich ein Bissen des Hühnchens und kaue langsam darauf. Hunter schnaubt nur auf, sieht mich nochmals an und wendet sich anschließend dem Essen zu. Er hat sein Ablenkungsmanöver aufgegeben. Ich weiche Heaths Blick ebenfalls aus, der mich aus neugierigen Augen betrachtet. In Kürze werden sie es ohnehin erfahren, aber bis es so weit ist, können sie noch ein wenig zappeln.
„Das schmeckt wirklich gut, Zuckerglöckchen“, versucht Heath die Konversation aufrechtzuerhalten. Hunter wirft ihm nur einen scharfen Blick zu und hebt spöttisch die Augenbraue. „Zuckerglöckchen?“
Seine Stimme ist eine Oktave tiefer geworden, sodass sie einen bedrohlichen Unterton bekommen hat.
„Danke, Heath.“
Gekonnt ignoriere ich die Spannung, die von Hunter ausgeht und esse in Ruhe weiter. Er soll sich mal nicht so anstellen. Sein ganzer Körper ist angespannt und seine Hand ist zu einer Faust geballt. Ich kann ihm deutlich ansehen, wie es ihm nicht in den Kram passt, dass Heath mir einen Kosenamen verpasst hat. Aber da muss er jetzt durch, denn ich nehme an, dass Hunter genau weiß, dass sein Interesse einer kleinen schwarzhaarigen gilt und nicht mir.
„Wieso nennst du Hails Zuckerglöckchen?“
Er will wohl nicht aufgeben und starrt seinen besten Freund herausfordernd an.
„Weil sie Zucker ist“, kommt es gelangweilt von Heath, der entspannt mit den Schultern zuckt. „Und du weißt genau, dass du bei mir dein Revier nicht markieren musst. Ich steh eh auf ihre kleine Freundin. Also lass gut sein.“
Er zeigt deutlich, dass das Thema für ihn beendet ist, auch wenn Hunter ihn noch immer anstarrt. Seit wann ist er denn eifersüchtig? Das ist doch totaler Schwachsinn.
Zum Glück klopft es an der Tür, sodass ich schnell aufspringe, um unseren Gast die Tür zu öffnen. Er hat ein gutes Timing gewählt und die Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Beide Herren schauen erwartungsvoll zur Tür, die ich mit einem Ruck öffne und Rick anlächle, der davor steht.
„Hallo Haylee. Schön dich zu sehen“, begrüßt er mich und zieht mich für eine Umarmung in seine Arme.
Auch wenn ich nicht mehr mit Hunter zusammen bin, haben wir beide den Kontakt aufrechterhalten. Jedes Mal, wenn er das Grab seines Bruders besucht, kommt er in mein Café, um mich zu sehen.
„Hallo Rick, danke, dass du es dir einrichten konntest.“
„Ist doch selbstverständlich. Ich war nur überrascht, dass mein Neffe wieder da ist. Er hat sich nicht bei mir gemeldet.“
Sein Blick wandert umher, bis er auf Hunter trifft. Vorwurfsvoll zieht er seine Augenbraue in die Höhe. Sie haben anscheinend nicht mit ihm gerechnet, da sie ihn mit großen Augen ansehen. Hunter ist der erste, der sich vor dem Schock erholt und steht auf.
„Was tust du denn hier?“, will er wissen.
„Ich bin hier, um mit dir zu reden. Schade das ich erst von Haylee erfahren muss, dass du wieder zurück bist. Ich hab mehr von dir erwartet.“
Alle drei Männer sehen mich an, sodass meine Wangen heiß werden und ich genau weiß, wie rot ich gerade bin. Wieso müssen sie ihre Aufmerksamkeit auf mich lenken? Verlegen streiche ich mir eine Haarsträhne hinters Ohr und räuspere mich.
„Ich dachte, es wäre eine gute Idee Rick zu informieren. Ich würde vorschlagen, dass ihr beide euch setzt und Heath verschwindet mit mir nach unten.“
Bevor ich mich aus der Gefahrenzone begebe, hole ich noch ein Teller für Rick und schöpfe ihm eine große Portion darauf. Zufrieden stelle ich es ihm vor die Nase, nicke den beiden zu und packe Heath an der Hand, um zu verschwinden.
„Sollten wir nicht dabei sein?“, versucht Heath mich zum Bleiben zu überreden. Entschieden schleife ich ihn mit mir und gehe gar nicht auf seine Bemühungen einzugehen. „Wir müssen sowieso noch die Werkstatt aufräumen, bevor morgen die ersten Kunden eintreffen und einen Schock bekommen.“
Widerwillig folgt er mir und zusammen machen wir uns an die Arbeit und räumen auf. Hier unten ist es noch schlimmer als oben in der Wohnung. Er hat keinen Fleck ausgelassen, um seine Wut zu zeigen. Meine Gedanken kreisen die ganze Zeit zu den beiden Herren in die obere Etage.
Ich hoffe so sehr, dass Rick ihm helfen wird, denn ich weiß wie schwer es für ihn selbst war. Er hat mir immer wieder darüber erzählt, nur die ganz schlimmen Szenen hat er ausgelassen, um mich nicht zu verschrecken. Aber ich kann mir denken, was er alles erlebt hat. So etwas einfach wegzustecken ist nicht leicht und Hunter wird begreifen müssen, dass er nicht allein damit ist.
Ganz in unserer Arbeit vertieft, hören wir die Türe und die darauffolgenden Schritte nicht. Erst als mich jemand sanft an den Schultern packt, schrecke ich auf und drehe mich um, meine Hand fest auf meiner Brust gedrückt.
„Ich wollte dich nicht erschrecken, Kleines“, entschuldigt sich Rick bei mir. Schnell winke ich mit der Hand ab und sehe ihn neugierig an.
„Was habt ihr so lange besprochen?“, will ich wissen.
„Das wirst du früh genug erfahren. Aber es war gut, dass du mich gerufen hast. Hunter wird sich Hilfe holen, auch wenn er das im Moment nicht denkt.“
Glücklich über die positive Meldung springe ich ihm in die Arme. „Vielen Dank, Rick.“
„Nichts zu danken. Jetzt kann es nur noch besser werden. Ruf mich an, wenn was ist. Ich werde noch eine Weile in der Stadt bleiben, um für Hunter da zu sein.“
„Das werde ich.“
Endlich sind die ersten Schritte getan. Jetzt muss es Hunter nur noch selbst einsehen.
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