Kapitel Dreiundvierzig: die Wahrheit
Sanfte Berührungen auf meinem Bauch reißen mich aus dem traumlosen Schlaf. Ich fühle mich so entspannt wie schon lange nicht mehr, da ich nicht weiß, wann ich das letzte Mal so gut geschlafen habe. Die Sonne kitzelt mein Gesicht, weswegen ich die Bettlaken über den Kopf ziehe, um dieses Gefühl noch mehrere Minuten auskosten zu können.
„Guten Morgen, Zimtschnecke“, höre ich Hunters Stimme.
Seine Hände wandern weiter rauf, berühren leicht meine Rundungen, sodass sich eine Gänsehaut darauf bildet. Wohlig seufze ich auf. Ich bin froh, dass ich letzte Nacht hier geblieben bin. Wir haben jede Sekunde davon genossen und es war schön, wieder in seinen Armen einzuschlafen. Etwas, dass ich schrecklich vermisst habe.
„Mhm …“, kommt es nur von mir.
Erst jetzt rieche ich den Duft von Kaffee, weshalb ich mich kerzengerade aufsetze und mein Blick suchend im Raum gleitet. Die dampfende Tasse springt mir in die Augen, die von seiner Hand gehalten wird. Automatisch strecke ich meine Arme danach aus und versuche sie ihm abzunehmen.
„Na na, Zimtschnecke. Bevor du mir keinen Morgenkuss gegeben hast, gibt es keinen Kaffee für dich.“ Ein schelmisches Grinsen ziert sein hübsches Gesicht.
„Das ist Erpressung“, protestiere ich laut.
„Das nimmst du gerne in Kauf, Hails. Das wissen wir beide“, erwidert er nur und kommt meinem Gesicht näher.
Bevor er sein Vorhaben in die Tat umsetzen kann, nutze ich seine Unaufmerksamkeit und schnappe mir die Tasse aus seiner Hand. Schnell nehme ich einen Schluck von diesem Lebenselixier und schließe genüsslich die Augen. Das tut gut.
„Hey“, schmollt Hunter als er bemerkt, dass ich ihn ausgetrickst habe. „Das bekommst du zurück.“
„Niemand stellt sich zwischen meinem Kaffee und mich, das weißt du doch“, sage ich zwinkernd und setze die Tasse wieder an meine Lippen.
Lachend schüttelt er den Kopf, dabei sieht er so unbeschwert aus, wie lange nicht mehr. Diesen Anblick lässt mich selbst lächeln. Seine Hände legen sich um mein Gesicht und ziehen mich zu sich heran. Seine Lippen legen sich auf meinen Mund und holen sich den Morgenkuss, den er verlangt hat. Der Geschmack seiner Lippen, gemischt mit meinem Lieblingsgetränk, ist himmlisch, weshalb ich in den Kuss hinein seufze. Ich will mehr, so viel mehr.
Sobald er sich von mir löst, steht er vom Bett auf und sieht mich ernst an. Verschwunden ist der charmante Hunter, der jetzt eher angespannt wirkt. Er hat sich bereits angezogen, da er vor mir aufgewacht ist.
„Wir sollten uns beeilen, da wir heute viel vorhaben.“
Zügig trinke ich die Tasse leer, stehe selbst vom Bett auf und schlendere ins Badezimmer. Während ich unter der Dusche bin, bereitet Hunter das Frühstück vor. Meine Kleidung von gestern liegt noch in seinem Zimmer. Ich nehme nur den Rock in die Hand und suche in seinem Kleiderschrank nach einem Hemd. Meins hat die Nacht und Hunters Leidenschaft nicht überlebt.
Fertig angezogen tapse ich barfuß in die Küche, sehe, dass Hunter bereits den Tisch gedeckt hat, als er den Blick hebt und mich aus funkelnden Augen ansieht.
„Mein Hemd steht dir, Hails.“
Seine Worte bringen mich zum Erröten und verlegen streiche ich mir eine Haarsträhne hinters Ohr. „Danke.“
Mit einer Hand deutet er mir Platz zu nehmen. Schweigend sitzen wir am Tisch, essen in Ruhe unser Frühstück, dabei beobachte ich den Mann mir gegenüber. Er ist in seinen Gedanken versunken, währenddessen ist seine Haltung angespannt und ich befürchte, dass das den ganzen Tag so bleiben wird. Meine Hand legt sich auf seine geballte Faust, streichelt sanft seine Haut und versucht ihm einen Teil Anspannung zu nehmen.
„Mach dir keine Gedanken wegen heute. Ich weiß, dass du gute Gründe dafür hattest von hier zu verschwinden. Zweifle nicht an uns, denn unser Band geht tiefer als alles, was wir kennen. Ich könnte dich nie mit anderen Augen sehen, Hunter.“
Schwach lächelt er mich an. „Sag das nochmal, sobald du alles erfahren hast. Dann werde ich dir glauben.“
„Du musst es mir nicht sagen, wenn du nicht bereit dafür bist. Ich will dich zu nichts drängen“, rede ich weiter auf ihn ein.
„Doch das muss sein. Ich hab es lange genug für mich behalten. Du hast es verdient, die Wahrheit zu kennen.“
Streng sieht er mich an, entschlossen diesen letzten Schritt zu gehen, auch wenn es ihm Angst macht. Eine Angst, die ich in seinen Augen sehen kann.
„Dann nichts wie los, damit ich dich vom Gegenteil überzeugen kann.“
Hunter folgt meinem Beispiel, zieht sich die Schuhe an und verlässt nach mir die Wohnung. Unten an der Tür bleibe ich kurz stehen, da ich nicht weiß, wohin wir gehen und sehe Hunter neugierig an. Er nimmt nur meine Hand in seine, sagt dabei kein Wort und zieht mich hinter sich her.
Neugierig sehe ich mich um. Ich kann erkennen, dass wir uns seinem alten Haus nähern. Hunter wollte nach seiner Rückkehr nicht hierhin ziehen, sondern hat die kleine Wohnung oberhalb der Werkstatt bezogen. Seine Hand verkrampft sich in meiner, als das Haus zum Vorschein kommt. Bei jedem Schritt wird es schlimmer und ich versuche mir nichts anmerken zu lassen, da er meine Hand erdrückt.
Das Haus sieht noch immer so aus, wie vor Jahren, als ich Mitch das letzte Mal gesehen habe. Die Erinnerung an dieses Treffen durchflutet mich und dabei kommt mir der Brief in den Sinn, den ich Hunter noch nicht übergeben habe. Sobald wir hier fertig sind, muss ich ihn Hunter überreichen. Ich hab ihn sorgfältig in einer Truhe aufbewahrt, indem noch weitere Erinnerungen drin liegen, die an unsere frühere Zeit gedenken.
Vor dem Haus dreht er sich zu mir um, beugt sich zu mir herunter und küsst mich. Der Kuss drückt seine ganze Verzweiflung aus und doch fühle ich die Liebe, die er gegenüber mir empfindet.
„Ich liebe dich, Hails. Bitte hör mir erst zu, bevor du ein Urteil über mich fällst.“
Verwirrt sehe ich in seine Augen, die mich flehend anblicken. „Ich liebe dich auch, Hunter und keine Sorge, ich werde dir zuhören.“
Er haucht mir noch einen Kuss auf den Mund, bevor er sich entschlossen umdreht und den Schlüssel hervorholt, um die Tür aufzuschließen. Abgestandene Luft kommt uns entgegen, als wir hineintreten und ich mir das innere des Hauses ansehe, indem so vieles passiert ist. Über den Möbeln wurden Leinentücher gelegt, auf denen sich bereits eine dicke Staubschicht gebildet hat.
Hunter läuft direkt ins Wohnzimmer, bleibt vor einem Bild stehen, auf dem er mit seinen Eltern abgelichtet wurde. Ein wehmütiger Ausdruck bildet sich auf seinem Gesicht, während sein Finger über die Wange seiner Mutter streicht. Er muss sie schrecklich vermissen.
Ich kann mich nur schemenhaft an sie erinnern, da ich noch sehr jung war als sie gestorben ist. Das einzige, was ich noch sicher weiß, ist, dass sie eine bildschöne Frau war, mit blonden Haaren und blauen Augen. Es sind dieselben Augen, die Hunter hat. Nur hat er seine Haare von Mitch geerbt.
„Weißt du, dass ich jeden Tag an sie denken muss? Ich verfluche den Tag bis heute, an dem wir erfahren haben, dass sie krank ist.“
Seine Stimme zittert beim Sprechen, doch ich bleibe still und höre ihm zu. Wie er es sich gewünscht hat.
„Es hat alles damals angefangen. Sie wurde schwächer, Mitch hat mit dem trinken angefangen und ich? Ich saß in der Mitte und hab den beiden zugesehen und erkannt, wie sie ihr Leben aufgegeben haben.“
Tief holt er Luft, schaut noch immer das Bild an, mit seiner Familie. Wie es scheint, gibt ihm dieses Foto Kraft weiter zu erzählen, auch wenn es ihn schmerzt.
„Du hast ja mitbekommen, wie wir uns gestritten haben. Wie sich mein Vater mit zwielichtigen Leuten angefreundet hat und ihnen danach eine Menge Geld schuldete, dass ich auftreiben musste. Das war aber nicht alles. Er hat sie weiterhin getroffen, noch mehr Geld genommen und sich ins Koma gesoffen, bis sie eines Tages in unserer Werkstatt aufgekreuzt sind.“
Seine Stimme bricht und ein ungutes Gefühl macht sich in mir breit. Ich versuche ruhig zu bleiben, ihm nicht nahezukommen, da er die Distanz zwischen uns braucht, um weiter erzählen zu können.
„Es eskalierte zwischen ihnen, sodass ich wieder einschreiten musste. Ich war blind vor Wut, da sie auf meinen Vater los sind und ihn mit einem Baseballschläger zusammengeschlagen haben. Als ich das sah, hab ich etwas in die Hand genommen und einem der Männer über den Kopf gezogen.“
Langsam dreht er sich um und sieht mich an. Seine Wangen sind nass und immer weitere Tränen kullern seine Wange herunter.
„Er fiel sofort um. Eine Blutlache hat sich um ihn gebildet und die anderen haben mich mit offenem Mund schockiert angesehen.“
„Hast du ihn getötet?“, schießt es aus mir wie aus einer Pistole, viel zu geschockt über das, was er mir gerade erzählt. Ein solches Geheimnis so lange in sich zu tragen, ohne es jemanden erzählen zu können, ist schrecklich.
„Nein, habe ich nicht. Aber dieser Schlag hat dafür gesorgt, dass ich aus Brices Creek verschwinden musste.“
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