Kapitel Drei: Flucht
Noch immer stehe ich da, vor dem Mann, der mich vor fünf Jahren verlassen hat und kann meinen Körper nicht bewegen. Alles in mir sträubt sich dagegen, will den aufkommenden Schmerz verdrängen und von diesem Ort flüchten. Aber nichts funktioniert. Es ist, als wäre mein Körper zu Eis erstarrt und kann keine Befehle annehmen. Das Brüllen in meinem Kopf und die Alarmglocken werden nach jeder Sekunde leiser, bis sie ganz verstummen.
Seine Augen blicken mich an, ohne die Absicht, den Blickkontakt zu unterbrechen. Es fühlt sich an, als will er keine Regung verpassen und etwas in mir suchen, dass schon längst nicht mehr da ist. Tränen schießen mir in die Augen, die ich verkrampft versuche, zu unterdrücken.
Ich darf ihm nicht zeigen, wie schwach er mich noch immer macht. Welche Reaktionen er in mir auslöst, dass mein Herz schneller gegen meine Brust schlägt. Er darf nicht sehen, dass sich durch seine Stimme, eine Gänsehaut auf meinem Körper ausbreitet und meine Hände schwitzig werden. Dass ich ihn, am liebsten an dem Hemd festkrallen will und meinen Mund auf seine Lippen drücken möchte, damit ich wieder in den Genuss seiner Berührungen komme.
All das darf er nicht sehen.
Denn ich glaube nicht, dass ich ihm wichtig war, weil er seine Koffer gepackt und mich verlassen hat. Aber es ist schön zu sehen, dass es ihm gut geht. Dass er noch am Leben und nicht im Krieg gefallen ist. Denn diese Gedanken haben mich jahrelang verfolgt. Oft bin ich in der Nacht aufgewacht, schweißgebadet und habe mir die Frage gestellt, ob er noch lebt. Oft habe ich für ihn eine Kerze angezündet und gebetet, auch wenn ich kein religiöser Mensch bin. Aber für ihn hätte ich alles getan. Würde ich alles tun.
Obwohl er sich gegen mich entschieden hat. Und diese Erkenntnis tut mehr weh, als es sollte. Auch nach all den Jahren.
Faith kommt auf uns zugeeilt und schaut verwundert und wütend zugleich aus. Er ist auch ihr Freund und wir haben vieles zusammen erlebt. Etwas anderes wäre auch verwunderlich, da wir uns alle kennen. Diese Stadt ist zu klein, um sich nicht über den Weg zu laufen. Und trotzdem sehe ich ihr an, dass sie ihn am liebsten anschreien will.
Für alles, was er mir angetan hatte. Denn sie hat all meine Tränen und schlaflose Nächte miterlebt und versucht, mich aus dem Loch zu ziehen, in dem ich mich befunden habe. Sie war auch diejenige, die es tatsächlich geschafft hatte, mir ein Lächeln zu entlocken und mich aufzuheitern. Alle anderen habe ich von mir gestoßen. Nur sie hat es geschafft, zu mir durchzudringen, um mir einen Tritt in den Arsch zu verpassen.
"Hunter James. Sieh mal einer an, die Gerüchte stimmen tatsächlich."
Sie schiebt mich leicht hinter sich und versucht Hunter davon abzubringen, mich weiterhin anzustarren. Ohne Erfolg. Seine Augen bleiben auf mich gerichtet und sein Mundwinkel zuckt leicht, weil er genau weiß, was sie damit bezwecken wollte.
"Faith. Schön dich zu sehen. Ich sehe, dass ihr euren Traum verwirklicht habt. Gratulation, es sieht richtig gut aus und der Name passt perfekt."
Ein sanftes Lächeln umspielt seine sinnlichen Lippen, die meine ganze Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Sein Grinsen wird verruchter, da er meinen Blick bemerkt und dabei langsam über seine Lippen leckt. Ein Ziehen in meinem Unterleib strömt durch mich hindurch, sodass ich meine Beine zusammen drücke. Diese Bewegung bleibt ihm nicht verborgen, denn dieser Blick ist zu intensiv, dass er es nicht gesehen hat.
"Danke. Ich glaube, uns ist das Ambiente zum Namen sehr gelungen. Denn Zuhause ist es am gemütlichsten", plappert Faith weiter, weil sie nichts von unserem Moment bemerkt hatte. Auch sein Freund, der sich als Heath vorgestellt hat, blickt meiner Freundin tief in die Augen und lauscht ihrer Stimme. Es sieht ganz danach aus, als ob sie ihn mit ihrem Charme verzaubert hat.
"Da hast du recht. Was kannst du mir denn Leckeres empfehlen?", erkundigt sich Heath bei Faith und schenkt ihr ein strahlendes Lächeln.
"Zimtschnecken", schießt es aus Hunter schnell.
Zu schnell.
Faith blickt ihn warnend an und zeigt mit dem Finger auf ihn. "Nur zur Information", beginnt Faith mit ihrer Predigt, die ich mit einem Rippenstoß unterbreche, weil ich mir bereits denken kann, was sie ihm sagen möchte. Zischend holt sie Luft und funkelt mich wütend an. Entschuldigend zucke ich mit meinen Schultern und schaue sie an, damit sie versteht, wieso sie es lassen soll. Sie kann jeden meiner Blicke deuten, ohne dass wir miteinander reden müssen.
"Sie sind besser als früher", beendet sie ihren Satz und reibt sich die Seite, da ich fester zugeschlagen habe, als angenommen.
"Ich hab bereits gehört, dass Haylee die beste Bäckerin weit und breit ist. So viel wie Hunter von ihren Leckereien geschwärmt hat, muss ich mich wohl selbst überzeugen." Dieses Mal ist es Heath, der einen warnenden Stoß bekommt, den er aber nur mit einem Zwinkern an mich gerichtet, wahrnimmt.
"Ich kann diesen Kokostraum empfehlen", ruft Mrs. Brown zu uns hinüber.
Peinlich berührt schließe ich meine Augen und wende mich ab, damit ich Hunter seinen Kaffee zubereiten kann. Obwohl ich nicht weiß, ob er ihn immer noch so mag, bin ich froh eine Ablenkung gefunden zu haben.
"Was willst du trinken, Heath?", kommt es über meine Lippen, als ich Hunter den Kaffee überreiche. Dankbar lächelt er mich an und nimmt einen Schluck seines Getränkes.
"Milchkaffee", bestellt Heath und wendet sich wieder Faith zu, damit sie ihm weitere Empfehlungen aussprechen kann.
Schweigend mache ich mich wieder an die Arbeit und packe zwei Zimtschnecken in eine Tüte, während ich auf den Kaffee warte. Mit einer ausdruckslosen Miene lege ich ihm die Tüte vor die Nase und überreiche Heath seinen Kaffee.
"Geht aufs Haus, Jungs. Kommst du einige Stunden ohne mich klar, Faith?" Verständnisvoll schaut sie mich an, und streichelt mir über die Schulter. "Natürlich."
Dankbar lächle ich sie an, während ich meine Schürze ablege und mich bereits auf den Weg nach draußen begebe. Ich muss hier unbedingt raus. Lange kann ich mein Gefühlschaos nicht mehr unterdrücken und es ist peinlich genug, dass uns alle Gäste beobachtet haben.
Draußen hole ich tief Luft und versuche, nicht auf das Zittern zu achten. Diese Empfindungen waren genug für eine ganze Woche. Sanft werde ich umgedreht, sodass meine Augen eine definierte Brust sehen. Mein Arm brennt und durch den Duft, der mir in die Nase steigt, weiß ich ganz genau, wer vor mir steht. Trotzdem will ich nicht aufschauen, da ich Angst vor meiner Reaktion habe und verschränke trotzig meine Arme vor der Brust.
Ein leises Lachen dringt in mein Ohr, sodass ich meine Augen schließe, um den Klang intensiver zu hören, weil ich ihn so sehr vermisst habe. Seine Finger berühren mich leicht am Kinn und heben meinen Kopf an. Auch wenn er mir direkt ins Gesicht sehen kann, entfernt er seine Finger nicht von meiner Haut.
"Sieh mich an, Zimtschnecke", fordert er mich mit rauer Stimme auf.
Ein Gefühl der Angst kommt in mir auf und verhemmt schüttle ich meinen Kopf, sodass seine Finger meine Haut verlassen. Die Stelle fühlt sich kalt an, als würde ich nur durch seine Berührungen warmgehalten.
"Bitte, sieh mich an", fleht er.
Seine Stimme hat einen sanften Ton angenommen und ich kann seine Unsicherheit durch das leichte Zittern erkennen. Zögerlich öffne ich meine Augen und blicke direkt in sein wunderschönes, markantes Gesicht. Vorher hatte ich das Gefühl, dass seine Augen den Glanz verloren haben, aber wenn ich ihn jetzt ansehe, funkeln sie wieder wie früher. Als wir noch glücklich waren.
"Wie geht es dir, Hails?"
Oh mein Gott.
Wie lange ich diesen Namen nicht mehr gehört habe. Ich habe es allen verboten, mich so zu nennen, da mich die Erinnerungen aufgewühlt haben.
"Gut und dir?"
Seine Hände ballen sich zu Fäusten und ich kann sehen, dass es auch für ihn schwer ist.
"Keine Standardantwort. Ich will wissen, wie es dir wirklich geht."
Kurz huscht ein undefinierbarer Ausdruck über sein Gesicht, den ich nicht kenne. Meine Augenbrauen ziehe ich skeptisch zusammen und blicke ihn an. Wieso will er das wissen? Es ist ja nicht so, als hatten wir in den vergangenen Jahren Kontakt zueinander.
"Darauf werde ich dir nicht antworten. Lass mich gehen, ich brauche Zeit für mich."
Ohne ihn weiter zu beachten, drehe ich mich um und laufe zügig die Straße herrunter, die in den Park führt und mein Ziel ist. Als ich über meine Schulter blicke, steht er noch immer an derselben Stelle und schaut mir nach. Meine Lippen öffnet sich und ohne nachzudenken, kommen die nächsten Worte aus meinem Mund.
"Willkommen Zuhause, Hunter James."
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