Preparation-Kapitel: Ein weiteres Geheimnis
Nach einer Weile stand Solace auf. Die Welt war endlich zum Stillstand gekommen. "Okay... weiter geht's..."
Tori klopfte ihm auf den Arm und lief dann los. Er folgte ihr wieder. "Auf den Rückweg fliege ich."
Tori verzog besorgt das Gesicht. "Armer Sol.",
"Ich hoffe, du hast damit kein Problem... Noch eine Bootsfahrt überlebe ich nicht...",
"Du hättest nicht mitgehen müssen.";
"Ugh... Ich wollte nie, dass irgendjemand das rauskriegt... Das ist so peinlich...",
"Kopf hoch, sonst kommt alles raus. Ich mag gar nicht mit meinen Problemen anfangen." Sie winkte gelassen ab.
"Mir geht's wieder besser." Er schüttelte den Kopf.
"Kay. Wir können uns aufteilen, wenn du willst. Du gehst zu deinem Dad und ich zu meiner Mom.",
"Okay. Ich werde vermutlich etwas länger brauchen als du... Wenn du fertig bist, findest du mich in der Anthozoa Road 34. Bis später." Damit verschwand er.
Taen betrat inzwischen mit Makoto den Untergrund. Das Mädchen vom letzten Mal winkte ihm zu und machte auch die anderen Kinder auf Taen aufmerksam. "Hallo, Mister! Wo ist die Lady?",
"Heute nicht hier. Ich bringe jedes Mal jemanden anders mit, damit sie sich mit der Gegend vertraut machen, weißt du?", antwortete er.
"Ah. Wie cool! Du siehst hübsch aus." Das Mädchen grinste Makoto an. "Dann bist du heute die Lady. Deine Haare sind schön."
Makoto fasste sich fragend an seine Strähnen. "Ich... bin kein Mädchen.",
"Nicht?" Die Untergrundbewohnerin machte große Augen.
"Haha... Nein."
Taen musste lächeln. Makoto lachte und kniete sich zu den Kindern. "Was spielt ihr?",
"Fangen mit Tohaido."
Der Gildenleiter beobachtete sie und bemerkte dabei trotzdem Ren. Der Gezeichnete saß an der Wand gekauert und schien schwer erschöpft zu schlafen. "Schon wieder ein Schwächeanfall, huh..."
Makoto bemerkte Taens Blick zu Ren und nickte ihm knapp zu, bevor er die Kinder langsam wegführte. Bald war es vollkommen still um sie herum. Taen vermied es, sich an die Wand zu lehnen, damit seine Klamotten nicht dreckig wurden und blieb stattdessen mitten im Raum stehen, so weit wie möglich weg von jeder Wand. Die alte Frau vom Vortag bemerkte ihn und winkte ihm mit ihrer blassen, knochigen Hand zu. "Hallo, junger Mann. Ich hoffe, es geht euch da oben gut...",
"Uns geht es bestens. Wir müssen nur vorsichtig sein.",
"Der blonde Junge ist ein Freund von dir, nicht wahr? Er sieht aus wie ein Engel in der Dunkelheit... Ihr beide seid das. Elma auch... Ich kann... euch nicht genug danken." Sie keuchte nach einem schweren Hustenanfall auf.
"Engel in der... Dunkelheit...? Was... Nein. Ich hab viel falsch gemacht... Von daher ist es mir wichtig, zu helfen, wo ich kann.",
"Hier unten ist es egal, was man falsch gemacht hat... Jeder ist hier gleich... Jeder hat Hoffnungen auf ein besseres Leben... Kinder, die ihre Eltern an die Mafia verloren haben... und Eltern, die zusehen mussten, wie ihre Liebsten verschleppt wurden... Alte, verlorene Seelen wie ich...",
"Wenn wir mit der Mafia fertig sind, habt ihr das vielleicht auch... Ein besseres Leben, wenn man das so nennen kann... Jeder von meinen Freunden ist sauer auf sie. Sie haben ihre Pokémon an die Oberfläche gelassen... Und dafür gesorgt, dass einer von ihnen fast gestorben ist. Wir sind bereit dazu, es mit ihnen aufzunehmen, wenn wir stark genug sind.",
"Gut, gut..." Die Frau nickte mit zittrigem Körper und senkte wieder den Kopf. "Ren vertraut euch.",
"Er kennt mich von... früher. Deshalb, wahrscheinlich.",
"Armer Junge...",
"Ja, das stimmt. Er hat viel durchgemacht.",
"Manchmal ist er plötzlich schwach, als würde etwas an ihm zehren... Aber er rafft sich jedes Mal wieder auf, um uns in Sicherheit zu bringen...",
"...Nngh..." Ein Ächzen kam von der Wand. Taen drehte sich in Rens Richtung, der langsam die Augen aufschlug. Seine Hände formten sich zu schwachen Fäusten. Taen legte den Kopf schief. "Du siehst grauenerregend aus. Guten Morgen.",
"Taen...", knurrte er müde und nickte benommen. "Morgen.",
"Makoto war so nett und beschäftigt sich weiter hinten mit den Kindern, damit du deine Ruhe hast."
Ren richtete sich langsam auf und stützte sich an der Wand ab. Seine magere Gestalt zeichnet sich dunkel von dem Nebel der Kanalisation ab. "Danke.",
"Geht's?"
Er nickte und nahm einen tiefen Atemzug.
"Ich habe was von unserem Frühstück mitgehen lassen. Jairo war viel zu enthusiastisch mit den Brötchen. Wir hatten viel zu viel übrig."
Ren nickte leicht. "Gib sie mir. Ich verteile sie."
Taen griff in seine Tasche und übergab ihm mehrere Plastikdosen samt Inhalt. Ren lief los und gab sie an die Älteren und Kinder zuerst aus. Das Mädchen unter den Kindern lächelte breit zu Taen und knabberte dann mit beiden Händen an dem Brötchen. Taen winkte nur ab. "Wir haben momentan Problem vor uns...", sagte er, als Ren wieder zurück kam. "Wir haben unsere Uniformen noch nicht... und die Firma, der wir sie in Auftrag gegeben haben, ist ins Augenlicht der Amuros gerückt. Wir müssen hoffen, dass wir die Uniformen schnell genug bekommen, bevor sie ihre Klauen ausstrecken und wir dadurch Risiko gehen, aufzufliegen.",
"Das war nur eine Frage der Zeit." Ren nickte ihm zu. "Habt ihr genug Geld?",
"Haben wir. Wir haben Geld von Sponsoren noch dazu bekommen und die anderen schwärmen immer noch fleißig aus, um Jobs zu erledigen.",
"Ihr macht jetzt schon viel für uns.",
"Naja. So gehört sich das, denke ich mal. Es bereitet uns Freude, anderen Gefallen tun zu können." Es war das erste Mal, dass Taen eine Emotion ohne zu Zögern benannte, während er sprach.",
"Dein Cousin hat dich gut trainiert." Trotz seiner Worte nickte er ihm anerkennend zu. "Du hast viel erreicht. Mal sehen, wie viel dir das hier unten bringt.",
"Entschuldigung?" Taens Augenlid zuckte. "Lucian hat mich nicht 'trainiert'. Hört auf damit, es so klingen zu lassen, als könnte man mich wie ein Pokémon dressieren. Lucian hat mir Dinge beigebracht, das ist was anderes. Das mit den Emotionen hab ich von Yukine.",
"Eure Gilde scheint ein bunter Haufen zu sein.",
"Ist sie, das stimmt. Aber... ich denke, dass sie recht gut aufgestellt ist. Ich habe die Kämpfe im PWT beobachtet und mir eine Meinung über ihre Kampfstile gemacht. Sie haben alle Potenzial und andere Stärken."
Ren verschränkte neugierig die Arme. "Ergibt Sinn, bei so vielen Leuten. Ich wünsche dir Glück mit deiner Gilde. Auch nach unserer Aktion hier. Du hast dir eine zweite Chance verdient. Die Welt war nicht fair zu dir.",
"Ugoya war eine Phase der Dummheit, nichts weiter... Nur mal so aus Interesse... was hat Shirato so verbrochen, während ich weg war?",
"'Weg war'?",
"Mhm.",
"Tse... Shirato hat sich wie das neue hohe Tier aufgespielt", schnaubte er abwertend und winkte ab. Seine goldglühenden Augen verengten sich. "Alles ging mehr den Bach runter als sonst. Er hatte nichts im Griff.",
"Er hatte auch sonst nichts im Griff. Nicht mal sein eigenes Hirn.",
"Er hatte keins, also war das nicht das Problem.",
"So kann man's auch sehen.",
"Bitte. Mach dir nichts vor, Taen. Du bist auch nicht unverwundbar. Der Moment, in dem du begreifst, wie schwach du wirklich bist, wird dich für immer verändern. Und dieser Moment schert sich nicht um den Ort und die Zeit.",
"Ich halte mich nicht für unverwundbar, falls du das denkst. Ich weiß, dass ich verwundbar bin und dass ich nichts mehr als das an mir hasse.",
"Wirklich im Griff hattest du dich damals auch nicht.",
"Das hatte ich auch nicht. Ich war dumm und blind und das bestreite ich auch nicht.",
"Blinde Menschen sind im Nebel des Untergrunds verloren. Mach dir und deinen Freunden das klar. Sobald einer während des Schwarms verloren geht, wird keiner umdrehen und nach ihm oder ihr suchen. Ob du es sein wirst der verloren geht, oder ich, oder deine Gilde... Weitergehen und nicht zurückschauen. Das ist unser Leitspruch im Untergrund.",
"Verstanden.",
"Gut.",
"Sag mal... Die Leute, die sich mit dir auseinander gesetzt haben, als ich dir begegnet bin... Die waren von der Mafia, korrekt? Von welcher Gruppe?",
"Mancuso. Für die hab ich... eine Weile gearbeitet.",
"Mhm... Hast du? Wie kam's dazu?",
"Geht dich nichts an."
Taen verengte misstrauisch die Augen. "Ah ja." Er betrachtete ihn still, bevor er sich abwandte und Makoto zuwinkte. "Hey. Es ist Zeit. Wir sollten gehen."
Makoto blickte auf und nickte ihm zu. Das kleine Mädchen tappte wieder zu Taen und hielt ihm ein neues Gänseblümchen hin. Er schenkte ihr ein Lächeln. "Danke. Womit verdiene ich diese Großzügigkeit?",
"Ihr seid nett." Das Mädchen grinste breit. "Ihr riecht nach der Oberfläche. Sauber... Und ihr schaut nach, dass es uns gut geht. Ihr seid lieb. Kommt die Lady bald wieder vorbei und bringt uns Essen mit?",
"Ich weiß es nicht. Bestimmt. Ich habe dein letztes Blümchen noch.",
"Dann hast du jetzt noch eins! Zwei Blümchen. Und morgen drei und dann vier und dann fünf.",
"Dann kann man ja bald einen Kranz draus flechten, meinst du nicht?",
"Ja." Sie kicherte und rieb sich über die verschmutzte Stirn. Ihre Haare hingen schlammdurchtränkt und in Knoten hinab.
"Willst du mal an die Oberfläche?",
"Ja. Wenn meine Freunde mitgehen. Und sie auch." Sie deutete auf die alte Frau. "Ich will dann mit allen draußen sein.",
"Mh..." Er lächelte leicht. "Das kannst du bestimmt. Irgendwann.",
"Dann besuche ich euch.",
"Sicher, dass du das möchtest?",
"Mhm! Dann bringe ich Blumen mit.",
"Wir würden uns freuen." Er streckte die Hand aus und wuschelte ihr durchs Haar.
"Ah! Hahaha! Neeiin, du wirst dreckig!" Sie duckte sich lachend weg.
"Ich kriege das wieder sauber, das ist kein Problem. Solange meine Klamotten nicht schmutzig werden...",
"Danke fürs Hierherkommen, Mister.",
"Ich komme morgen wieder. Du kannst mich Taen nennen. Aber pssst, das ist ein Geheimnis... sage das nicht laut, wenn andere es hören können, okay?",
"Okay! Du kannst mich Marlene nennen... Psst!" Sie presste den Zeigefinger vor ihren Mund. "Nicht weitersagen!",
"In Ordnung. Nur wir beide wissen davon, okay? Das ist unser Geheimnis.",
"Okay. Psst!",
"Na dann. Wir sehen uns Morgen." Er zwinkerte ihr sogar zu.
"Bis morgen, Mister! Tschüss, Lady!"
Makoto lachte und winkt ihr zu, als er zu Taen aufschloss.
"... Lady?" Er sah Makoto an, als sie wieder draußen waren. "Das sollte dir zu Denken geben.",
"Lange Haare machen einen anscheinend sofort zum Mädchen." Makoto schüttelte lachend den Kopf.
"Die Kinder sind noch klein.",
"Sie mögen uns.",
"Anscheinend.",
"Lächeln steht dir, Taen. Du bist weit gekommen."
Er drehte den Kopf weg und sah zu Boden. "... naja... ich muss mich nicht mehr verstecken."
Makoto schüttelte neben ihm den Kopf und atmete dann tief die frische Luft ein. "Ein paar Momente im Untergrund lässt einen das ganze Leben auf der Oberfläche neu genießen.",
"Täte dir in mancherlei Hinsicht sicher gut", meinte Taen trocken. Makoto warf ihm einen Blick zu. "...",
"Was ist dein Eindruck von da unten?",
"Der Untergrund ist schön, auf seine Weise. Aber auch grotesk und voller Leid. Es bringt die Menschen schneller zusammen als auf der Oberfläche, reißt sie aber auch schneller und gewaltvoller auseinander.",
"Was auch immer passiert... Die Mafia wird verschwinden.",
"Wird sie. Und der Tag, an dem die Menschen aus dem Untergrund wieder einen Platz auf der Oberfläche finden, wird umso schöner.",
"Sei dir einer Sache bewusst." Taen blieb stehen und sah ihn fest an. "Dass wir das tun, wird deine Familie in den Ruin treiben. Kannst du damit leben?",
"Alles wird auffliegen. Meine Eltern werden im Gefängnis landen. Ich bin zu lange vor meinem Leben weggelaufen. Ich kann das...",
"Sicher? Nachdem du dich erst wieder mit ihnen vertragen hast?",
"..." Makoto schloss die Augen. "Ich habe keine Probleme mit ihnen. Aber deswegen werde ich nicht verleumden, was sie tun. Sie werden dafür geradestehen.",
"Du bist vor ihnen weg gelaufen.",
"...Ich weiß.",
"Nun, aber das mal bei Seite gelassen...", er setzte seinen Weg fort, "...wenn du jemanden beschützen willst, der dir am Herzen liegt... Zähle auf mich.",
"Danke, Taen.",
"Ich habe verheerende Fehler gemacht, nichts kann das entschuldigen. Das heißt nur, dass ich anfangen muss, denen zu helfen, dir mir die zweite Chance gegeben haben. Das schließt dich ein.",
"Selbst jemand wie du hat eine zweite Chance verdient. Ob zu Recht oder nicht." Makoto folgte ihm wieder. "Wir beide haben große Fehler gemacht, aber die Gilde ist jetzt unsere Chance. Ich will mir selbst verzeihen können.",
"Ich sollte mir selber nicht verzeihen.",
"Das musst du selbst entscheiden. Dabei kann dir keiner helfen.",
"Sollte auch niemand. Aber ich weiß, dass ich das nicht kann. Die Schwachen können niemals verzeihen. Vergebung ist ein Attribut der Starken. Sie entlastet nicht den Täter, sondern befreit das Opfer. Viele sagen, dass Vergebung der einzige Weg ist, um neu anzufangen, und dass man die zerbrochenen Erinnerungen und die Schatten hinter sich loslassen muss. Es bedeutet, zu akzeptieren, dass man nur ein Mensch ist und dass man sich manchmal irgendwo verirrt. Dass man manchmal schreckliche Entscheidungen trifft und es einem an Verständnis mangelt, ist einfach Teil dessen, was man als Mensch ist. Ich werde mir diese Dinge verzeihen, ich weiß, dass ich meine Fehler loslassen muss, um wirklich nach einem neuen Horizont greifen zu können. Ich werde mir jedoch nie verzeihen, dass ich die Schuld für das, was mir passiert ist, auf jemand anderen projiziert habe, außer nur auf die Person, die zu Recht die Schuld trägt, und sie weggestoßen habe. Man darf niemals Menschen, die einem wichtig sind, auf diese Weise verletzen. Wenn man es wagt, sich selbst dafür zu verzeihen, dann fängt man an, damit zu leben... Und das wird einem den Weg ebnen, es wieder zu tun." Er schüttelte den Kopf. "Übrigens, ich hatte schon einmal mit der Mafia zu tun. Aus Versehen.",
"Was meinst du bitte mit aus Versehen...?" fragte Makoto.
"Als ich das Buch versteckt habe, bin ich Ren über den Weg gelaufen. Ein paar Typen von der Mafia waren dabei, ihm die Hölle heiß zu machen. Ich hab sie in den Kanal geschickt. Mir war das vorher nicht bewusst, aber jetzt... laut ihm waren das Leute von Mancuso.",
"Was sagt uns das?",
"Er hat mal für die gearbeitet. Sie waren nicht wirklich stark, als ich sie in den Dreck getreten habe... Aber Ren wollte mir nicht sagen, was er bei denen gemacht hat.",
"Also verschweigt er uns immer noch etwas...",
"Allerdings. Er vertraut uns wohl immer noch nicht ganz... Den Gefallen sollten wir ihm erwidern. Bleibt ja auf der Hut." Makoto nickte ihm entschlossen zu. "Ich halte dir den Rücken frei.",
"Danke." Sie betraten das Gilden-Gebäude wieder.
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