S.E.H.R. langes Nachwort
Normalerweise soll man sich in Nachworten ja kurz halten, aber ich habe immer furchtbar viele Sachen, die ich am Ende eines Buches noch loswerden möchte. Deswegen kommt jetzt ein S.E.H.R. (super extrem heftig richtig) langes Nachwort. Lesen ist natürlich freiwillig :)
Ob ihr es glaubt oder nicht, aber am Anfang hatte ich nicht mehr geplant als die Familien der fünf mächtigsten Gilden. Die einzigen Figuren, die nicht dazu gehörten, aber trotzdem schon im Erstentwurf dabei waren, sind Sun Shimei, Viah (Ghan Shedors Prostituierte) und Kar Moora, letztere aber ohne Namen, sondern nur mit der Bezeichnung »Rebellin«. Im Erstentwurf gab es auch keine Drachenklauen, was vielleicht die größte Überraschung ist, und das Buch endete mit der Szene aus dem Prolog sowie dem Tod von Rin Verran.
Aber fangen wir mal ganz von vorne an.
Die Schlüsselszene, von der aus sich das ganze Buch entwickelt hat, ist die aus dem Prolog. Ich weiß wirklich nicht, woher ich diese Idee bekommen habe, aber ich habe die Szene (in leichter Abwandlung wie sie jetzt ist) immer noch vor Augen:
Ein junger Krieger ist vor seinem ersten Kampf furchtbar aufgeregt, aber auch stolz darauf, an der Seite des größten Helden in diesen Kampf zu ziehen. Er schaut zu ihm rüber, der da mit gezogenem Schwert und wehendem, grünen Umhang auf der weißen Brücke steht, die über eine tiefe Schlucht führt, und erinnert sich an all die Geschichten, die über ihn erzählt werden. Doch dann springt der Held plötzlich ohne Vorwarnung über den Rand der Brücke und alle anderen sind zu entmutigt, um weiterzukämpfen.
Ursprünglich hatte ich diese Szene sogar aufgeschrieben (ohne einen Plan für die restliche Geschichte zu haben). Und sie aus eigener Dummheit gelöscht. Aber zum Glück gehen Ideen ja nicht verloren :)
Eine ganze Weile (damit meine ich mehrere Jahre) geisterte diese Idee also in meinem Kopf herum, bis ich mir gedacht habe: Wäre es nicht eigentlich interessant zu wissen, wie es zu dieser Szene gekommen ist? Welche Heldentaten dieser Held vollbracht hat und warum er sich dann trotzdem in den Tod gestürzt hat? Leider fiel mir damals auf die Schnelle nichts Gutes ein und ich habe mich erstmal mit ein paar anderen Projekten beschäftigt.
Und dann kam Corona. Meine Mutter sagt immer, dass Menschen, die in ihrer Freiheit eingeschränkt sind, die besten Ideen entwickeln (sie kommt ursprünglich aus der Sowjetunion bzw. dem heutigen Weißrussland). Das stimmt wohl angesichts der ganzen Buchideen und Schreibschübe, die ich in dieser Zeit bekommen habe.
Jedenfalls war eine der Online-Übungsgruppen meiner Uni (es müsste die von Mathe 2 gewesen sein) so langweilig, dass ich mir Zettel und Stift genommen und angefangen habe, ein paar Stammbäume zu malen. So entstanden die Familien der fünf mächtigsten Gilden, wobei bei Rin Verrans Mutter nur ein Name stand und es keinen Bezug zur Mehn-Gilde gab, die damals noch gar nicht existierte. Die Mütter von Mahr Hefays Bastardkindern standen ebenfalls noch nicht fest. Und Yodha stand einfach nur als cooler Name mit der Notiz »Wünscheerfüller, geheimnisvoll, eventuell Magier« daneben (am Anfang wollte ich noch Magie in die Welt mit reinbringen, aber das habe ich dann doch gelassen).
Immer noch während der Übungsgruppe habe ich mir die Namen für die Territorien (z.B. die Feuerkorn-Steppe), die Namen der Wohnsitze (z.B. der Phönix-Hof) und die Farben der Gilden (z.B. schwarz mit gelben Flammen) ausgedacht.
Danach habe ich mich daran gesetzt, die Charaktere der verschiedenen Figuren und ihr Verhältnis zueinander rauszuarbeiten. Ich werde jetzt nicht genau verraten, was ursprünglich bei welcher Figur stand, aber ich kann euch sagen, dass nur ungefähr die Hälfte bei ihrem anfänglichen Charakter geblieben ist XD
Noch ein paar lustige Sachen:
Die Rin-Gilde sollte ursprünglich Korin-Gilde heißen. Bis ich mich entschieden habe, den Nachnamen vor den Vornamen zu ziehen. Da der Rest der Gildennamen einsilbig war, habe ich das »Ko« weggenommen. Aber bestimmt habt ihr schon erraten, dass ich es nicht ganz verloren habe ;)
Dass die Val-Gilde praktisch die »Schule« sein sollte, hatte ich schon von Anfang an festgelegt. Allerdings sollten die Meister ursprünglich Mönche bzw. Nonnen sein, was ich aber auch irgendwann verworfen habe. Stattdessen war es den Meistern einfach nur verboten, eine Liebesbeziehung anzufangen.
Dann saß ich da also vor meinem vollgeschriebenen Zettel und dachte mir »Konflikt«. Ich wollte keinen eindeutigen Bösewicht haben. In der realen Welt gibt es ja auch keine durch und durch schlechten Personen oder Länder. Ich wollte ein Buch schreiben, in der jede Figur gute UND schlechte Entscheidungen trifft, sodass alle mehr oder weniger moralisch grau sind. Demnach musste ich mir eine Gilde aussuchen, die aus gewissen Gründen einen Krieg beginnt. Das wurde dann die Ghan-Gilde und das Problem war dann, diese besagten Gründe zu finden.
Wenn ich ehrlich bin, kann ich mich nicht mehr daran erinnern, wie genau ich den Erstentwurf (also die allererste Planung der Kapitel) geschrieben habe, weil ich es noch am selben Tag, aber um irgendwie zwei, drei oder vier Uhr nachts im Schein meiner Schreibtischlampe zwischen Bergen von Mathe- und Physik-Büchern getan habe.
Am nächsten Morgen hatte ich dann vier doppelseitig beschriebene Zettel, die viel zu chaotisch waren, um irgendwas damit anzufangen. Und ich war auch nicht wirklich zufrieden mit dem Ergebnis. Wie gesagt sollte Rin Verran im Erstentwurf sterben und viele andere Figuren auch. Wenn ich so auf meine ersten Stammbäume schaue, sollten eigentlich alle sterben außer Rin Raelin, Ghan Shedor, Ghan Edhor, Val Zirro und Jhe Newin O.o Yodha hatte ich in meinem Erstentwurf nur als geheimnisvollen, maskierten Mann, dessen Identität aber nie aufgedeckt wird, und ich hatte auch keine Ahnung, was überhaupt seine Motive waren.
Ich grübelte also eine Zeit lang darüber nach, wie ich die Geschichte verbessern konnte. Dann plante ich meinen Zweitentwurf. Ich erfand die Drachenklauen, die aus zehn Klauen und einem Kopf bestehen sollten. Wenn ihr genau darüber nachdenkt, werdet ihr alle elf auch zusammenkratzen können. Einige hatten leider keine so großen Rollen.
Ich stellte die Verbindung zwischen Mehn Wudu und Mehn Shia her und brachte die Mehn-Gilde mit ins Spiel. Und ich dachte mir, dass das Buch sich dann gut in zwei Teile teilen könnte, die durch den Prolog getrennt sind. Im ersten Teil wird der Konflikt um die Ghan-Gilde gelöst und im zweiten dann der um die Drachenklauen. Natürlich mussten sie aber auch schon im ersten Teil vorkommen. Deswegen teilte ich die Rolle von Yodha Ghan Leddan zu, der im Erstentwurf mehr oder weniger eine unnötige Figur war. Das war, wie ich finde, eine gute Entscheidung. Ein paar von euch habe ich bestimmt ziemlich gut an der Nase herumgeführt ;)
Dann ging's los mit dem Schreiben. Vieles hat sich auf dem Weg geändert und viele, sehr viele neue Figuren kamen spontan dazu. Bao Jenko und Nan Fe tauchten plötzlich auf. Genauso wie Wrun Lilath, die im Zweitentwurf nur »Idos' Freundin, später Meisterin« war. Wrun Tarebo, Zen Ramka, Lew Amon, Jhe Seyla und Jhe Zaushi, Feng Rahni und Feng Garadi: Alles Figuren, die jetzt eigentlich kaum wegzudenken sind.
Zu einigen Figuren kann ich vielleicht noch ein paar Worte sagen.
Erstmal unsere Hauptfigur, Rin Verran, der Grüne Habicht. Ich hatte viel Spaß dabei, mir seine Geschichte auszudenken, wobei Spaß vielleicht nicht der ganz richtige Begriff ist. Ich habe eine Schwäche für tragische Figuren und gefallene Helden. Deswegen war mein Motto bei ihm durchgängig »Alles, was schief gehen kann, geht schief und alles, was nicht passieren sollte, passiert«. Er sollte so viel leiden wie es nur ging. Wie eigentlich alle Figuren O.o
Rin Raelin war für mich die Personifikation von Wut und Zorn. Seine Repräsentation war der Phönix, der am Ende zu Asche verbrennt und wieder neu geboren wird. Er sollte leiden, aber keinen haben, mit dem er sein Leid teilen kann. Wie ich schon ganz am Anfang eingeführt habe: Er war gut darin, sich Feinde zu machen.
Rin Jadna bzw. Ghan Jadna sollte wie eine frische Brise sein, wie eine Friedenstaube. Am meisten schmerzt es, wenn unschuldige Figuren sterben. Im Erstentwurf sieht Rin Verran sie sogar noch vor seinen eigenen Augen sterben, weil sie sich vor ihn wirft, als Ghan Shedor ihn töten will. Was nicht so ganz passt, ist ihr Name selbst und ich habe überlegt, ob ich ihn ändere, habe ihn aber letztendlich gelassen, weil er hübsch aussieht. »Jadna« (das J ausgesprochen wie das G in Orange) bedeutet auf Russisch nämlich »geizig«. Deswegen habe ich die Aussprache geändert, sodass das J jetzt wie ein normales J ausgesprochen wird.
Zu meinen Lieblingsfiguren gehört Ghan Edhor. Ich finde, es gibt viel zu wenige Figuren in Büchern, die in Rollstühlen sitzen und gleichzeitig etwas Sinnvolles machen. Ich verpasste ihm eine überdurchschnittliche Intelligenz und logisches Denken. Der Rest ist Geschichte.
Kommen wir du Dul Veyvey bzw. Rin Veyvey. Wer gute Bücher schreibt, hält sich normalerweise von Klischees fern. Außer, wenn es passt und man das Klischee etwas anpassen kann. Also wurde sie zu der typischen, hübschen, zickigen, selbstsüchtigen, von Schminke und Kleidern besessenen, schnell eifersüchtigen Frau. Bestimmt habt ihr aber bemerkt, dass sie viel mehr als das ist. Wie gesagt, jeder hat seine guten UND seine schlechten Seiten.
Dul Arcalla sollte im Erstentwurf sterben. Ich bin ehrlich gesagt froh, dass sie jetzt noch lebt. Ursprünglich hatte sie übrigens auch drei Verehrer und nicht nur zwei (ihr könnt ja versuchen zu erraten, wer der dritte sein sollte XD). Und das, obwohl meine Notiz im Erstentwurf neben ihrem Namen lautete »hat schlechte Augen, nicht besonders hübsch, aber klug, kann gut heilen«. Übrigens sollten die beiden Schwestern anfänglich eine dunkle Haut haben, aber auch das habe ich verworfen. Dunkle Haut ist in den Territorien so selten. Jeder geistig gesunde Mensch wäre darauf gekommen, dass sie verwandt sind und aus der Dul-Gilde kommen, sobald er Dul Caitha gesehen hätte. Nebenbei gesagt war Dul Arcalla die Figur, mit der ich die meisten Schwierigkeiten hatte und bei der sich am meisten geändert hat.
Meine zweite Lieblingsfigur ist, vielleicht zum Erstaunen einiger, Mahr Xero. Er ist auf gewisse Weise Rin Verrans Spiegel, nur dass er ein paar andere Wege eingeschlagen hat. Auch bei ihm war mein Motto »Leide so viel wie du kannst.« Ich habe teilweise geweint, als ich die Kapitel nach der Eroberung des Rothirsch-Turms geschrieben habe, wo er aufgetaucht ist. Besonders die Szene auf dem Weg zum Krähen-Palast, in der er sein Schwert schleift.
Die letzte Figur, auf die ich eingehen möchte, ist Sun Shimei. Er war der große Sonnenschein in der hinteren Hälfte der Geschichte. Es hat mir immer viel Spaß gemacht, Szenen mit ihm zu schreiben, weil er so gutgläubig, aber teilweise auch naiv ist. Er hat versucht, immer das Gute im Menschen zu sehen und das zu tun, was richtig ist.
Vielleicht (oder vielleicht auch nicht) ist euch aufgefallen, dass einige Namen eine gewisse Bedeutung haben. Zum Beispiel meinten einige von euch, dass Shimei sich eher nach einem Mädchennamen anhört, was auch mehr oder weniger stimmt. Da habe ich mich etwas am Chinesischen bedient. Dort ist Shimei (师昧) nämlich der Begriff für sowas wie eine jüngere/kleine Schwester.
Bei dem Namen Kar Moora habe ich mir ebenfalls was gedacht. Sie hat rabenschwarzes Haar und auf Russisch wird das Geräusch, das ein Rabe oder eine Krähe macht, nicht als »Kra«, sondern als »Kar« bezeichnet. Daher der Nachname :)
Bei den Drachenklauen habe ich mir besonders viel Spaß mit den Namen erlaubt. »Wudu« (无渡) stammt auch aus dem Chinesischen und bedeutet »keine Kreuzung« oder »nicht überqueren«.
Dia Nemesis hat sogar in beiden Namen eine Bedeutung: Vielleicht kennen einige von euch noch Dias. An sie ist der Nachname angelehnt. Nemesis wiederum sollte jedem bekannt sein: Das ist die griechische Göttin der gerechten Rache. Und man sagt ja auch oft, dass man jemandes Nemesis ist.
Bei zwei Namenspärchen habe ich Anagramme eingebaut. Eines davon sind die Zwillinge Se Rafal und Se Laf. Nimmt man ihre Vornamen und stellt die Buchstaben um, ergibt sich das Wort Farfalla, was auf Italienisch »Schmetterling« bedeutet. Ursprünglich hat Se Rafal den Beinamen »Schmetterling« gehabt, aber ich konnte ihn irgendwie nirgendwo einbauen, deswegen habe ich ihn weggelassen. Der Beiname von Se Laf, die Motte, ist aber geblieben :)
Das zweite Namenspärchen sind die Eltern von Mehn Shia und Mehn Wudu: Mehn Klepos und Mehn Isa. Nimmt man ihre Vornamen und stellt die Buchstaben um, kommt man auf Asklepios. Das ist der griechische Gott der Medizin und Heilung. Auf Apothekenschildern seht ihr häufig so einen Stab, um dem sich eine Schlange windet. Das ist der Asklepios- oder Äskulapstab und die Schlange ist die Äskulapnatter. Und ein Drache unterscheidet sich ja auch nicht so sehr von einer Schlange :)
Meister Nan Mudro kam viel zu wenig vor, aber auch bei seinem Vornamen habe ich mir was gedacht. »Mudro« (мудро), ausgesprochen »mudra«, bedeutet auf Russisch »weise«.
Es gibt noch viele weitere Namen von Figuren, Orten usw., die eine verborgene Bedeutung haben, aber da könnt ihr euch gerne selber auf die Suche begeben ;)
Es gab ein paar Sachen, die mir dabei geholfen haben, die richtige Stimmung und Atmosphäre für einige Szenen und Gefühle der Figuren zu finden. Darunter ist ein Gedicht, das ich irgendwann mal geschrieben habe und das quasi zum Vorläufer zum Verhältnis zwischen Rin Verran und Rin Raelin geworden ist. Es trägt den Titel »Lass mich nicht allein« und ihr findet es im »Gedichte-Büchlein« auf meinem Profil.
Der Rest sind vor allem Lieder, von denen ich mal ein paar nenne. (Es geht nicht nur um den Text, sondern auch um das Gefühl und die Stimmung, die sie vermitteln.)
- Soldier von Fleurie
- Enemy von Tommee Profitt feat. Sam Tinnesz & Beacon Light
- Heroes Fall von Hidden Citizens
- Courtesy Call von Thousand Foot Krutch
- In The End von Linkin Park
- Saints von Echos
- Burn von Nathan Wagner
- Mothman von Sickick
Aus ein paar Worten wurden letztendlich viel zu viele. Ich könnte noch so viele Sachen zur Entstehungsgeschichte schreiben, aber ich lasse es an dieser Stelle mal bleiben. Bestimmt habt ihr genug Fragen, die euch noch im Kopf herumschwirren XD Einige lassen sich ganz einfach beantworten, wenn ihr das Buch nochmal lest. Ihr werdet sehen, dass es unglaublich viele Hinweise und Andeutungen zu späteren Ereignissen gibt und dass einige Sachen erklärt werden, bevor sie überhaupt richtig vorkommen. Einige andere Fragen lassen sich beantworten, wenn ihr einmal ganz hart darüber nachdenkt. Die restlichen Fragen könnt ihr mir gerne stellen, aber es kann gut sein, dass ich euch nur unzufriedenstellende Antworten gebe O.o Auch ein Autor muss seine Geheimnisse haben ;)
Jedenfalls hoffe ich, dass die Geschichte von Rin Verran, dem Grünen Habicht, euch gefallen hat. Ein großes Dankeschön an alle Leser!
Eure Jugendbuch
(am 10.09.22 in einem Zug sitzend und auf dem Weg von meiner Oma nach Hause)
Edit: Das ganze Buch ist meiner Oma gewidmet, die am 20.11.23 leider von uns gegangen ist. Rest in Peace, Oma. Ich werde dich sehr vermissen.
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