Kapitel 96: Drache - Teil 2
Sechs Monate später im Drachen-Heim der Mehn-Gilde.
Mehn Wudu erwachte, wie immer seit seiner Hochzeit, mit einem Lächeln auf den Lippen. Mehn Zairda lag neben ihm. Die orangenen Locken waren noch ungekämmt und standen ihr wild vom Kopf ab, als sie sich bei seiner Berührung auf ihre Ellenbogen stützte und ein Stück nach oben stemmte.
»Warum so früh?«, murmelte sie verschlafen.
»Die Gilden-Anführer der Mahr-Gilde kommen heute zu Besuch«, antwortete er. »Ich soll dabei sein, hat Vater gesagt.« Er drückte ihr einen Kuss auf die Stirn. »Ruh dich aus so lange du willst. Ich komme so bald, wie ich kann, wieder.«
»Kann ich nicht mitkommen?«
Mehn Wudu zögerte. »Ich weiß nicht, ob die Gilden-Anführer vielleicht mit ihrem Sohn kommen.«
Bei der Erwähnung von Mahr Hefay verzog Mehn Zairda ihr Gesicht. Es war noch nicht so lange her, dass der junge Mann sie unanständig bedrängt hatte, als sie sich zufällig mal auf der Straße begegnet waren. Dabei war Mehn Wudu sogar an ihrer Seite gewesen und es war allgemein bekannt, dass sie verheiratet waren. Wie gerne hätte ich ihn damals niedergeschlagen, dachte Mehn Wudu. Aber er ist immerhin der Sohn der Gilden-Anführer der Mahr-Gilde.
Da der Gesichtsausdruck von Mehn Zairda ihm genug war, machte Mehn Wudu sich schnell fertig und verließ alleine das gemeinsame Schlafzimmer. Draußen auf dem Gang stieß er beinahe mit Se Laf zusammen, die hastig irgendwelche Entschuldigungen rief. Bevor sie weiter eilen konnte, hielt er sie jedoch am Unterarm fest. Wenn die Dienerin seiner Schwester es so eilig hatte, bedeutete das meistens nichts Gutes.
»Wo ist Shia?«, fragte er scheinbar beiläufig.
Se Laf lachte nervös. »Wo sollte sie sein? Im Krankenhaus natürlich. Sie kümmert sich um einen Verletzten aus der Zha-Gilde.«
»Wirklich?« Mehn Wudu hob ungläubig die Augenbrauen. »Der, der gestern schon nach Hause geschickt wurde?«
»Äh...« Das Mädchen runzelte die Stirn auf der Suche nach einer neuen Ausrede.
»Und wo ist dein Bruder?«
»Hm?«
»Ist Se Rafal mit Shia irgendwo hin abgehauen?«
»Nein!« Se Lafs Ausruf endete in einem frustrierten Seufzen. »Ja. Sie sind bei dem kleinen Wäldchen.«
Mehn Wudu nickte zufrieden.
»Wartet! Wo geht Ihr hin? Sie möchte nicht gestört werden!»
»Die Gilden-Anführer der Mahr-Gilde kommen zu Besuch. Sie kann sich nicht davor drücken.«
Er stieg die Treppe des Khamtar-Hauses – wie das Hauptgebäudes genannt wurde – hinunter und verließ es durch die Hintertür. Das kleine Wäldchen, das Se Laf erwähnt hatte, befand sich nahe des Fernen Stroms. Mehn Shia kletterte dort gerne auf einen der Bäume, wenn sie ihre Ruhe haben und nicht gefunden werden wollte. Während er zwischen den Stämmen hindurch ging, folgte Se Laf ihm und redete ununterbrochen auf ihn ein, um ihn zum Umkehren zu bewegen.
»Ist schon gut«, ertönte auf einmal Mehn Shias Stimme von oben.
Mehn Wudu legte den Kopf in den Nacken und sah seine Schwester auf einem Ast in schwindelerregender Höhe sitzen. Sie hatte ein Bein sogar über den Rand hängen und schwang es hin und her. Auf dem Ast unter ihr saß Se Rafal, ihr Leibwächter, dessen wachsamen Augen keine einzige Bewegung entging. Er und Se Laf waren Geschwister, sogar Zwillinge. Beide waren trotz ihres jungen Alters Mehn Shia unterstellt worden. Se Rafal, weil er äußerst talentiert im Kampf war, obwohl er nie die Gämsen-Pagode besucht hatte, und Se Laf, weil sie besonders schnell und eifrig arbeitete. Und vielleicht auch, weil ihr Bruder darauf bestanden hatte, dass sie ebenfalls eingestellt wurde.
»Du weißt, dass heute die Gilden-Anführer der Mahr-Gilde kommen?«, rief Mehn Wudu zu seiner Schwester hoch. »Wenn du nicht anwesend bist, wird Vater mir die Schuld geben.«
»Wird er nicht«, sagte Mehn Shia. »Er weiß selber, dass ich die Gilden-Anführer nicht ab kann.«
»Warum?«
»Das weißt du ganz genau!«
Natürlich wusste Mehn Wudu das, aber er hatte gehofft, dass sie nicht mehr so stark beleidigt war wie direkt nach dem letzten Zatos. Offenbar hatte er sich geirrt. Sie fand es immer noch unanständig und, wie sie es ausdrückte, »unmöglich«, dass die Gilden-Anführer sie wegen des Wassers der Wahrheit so sehr in die Mangel genommen hatten.
»Sie haben es so klingen lassen, als hätte ich eine neue Foltermethode erfunden!«, hatte sie sich aufgeregt.
Eine Woche später hatte sie dann das Rezept verbrannt und das einzige hergestellte Wasser der Wahrheit in einer Kiste unter ihrem Bett eingeschlossen. Den Schlüssel trug sie die ersten Tage noch um den Hals, aber nach einiger Zeit hatte Mehn Wudu bemerkt, dass er verschwunden war. Wahrscheinlich wollte sie nicht, dass jemand jemals wieder auf das Wasser der Wahrheit zu sprechen kam. Dabei hatte sie so viel Arbeit in seine Herstellung gesteckt und jetzt versteckte sie es nur wegen einiger Worte zweier Gilden-Anführer.
»Ich habe aber gehört, dass Vater Bärenschmauser zubereiten lässt«, versuchte Mehn Wudu es mit der einzigen Methode, die immer klappte.
Wie erwartet leuchteten Mehn Shias Augen auf. »Bärenschmauser?«
Die Spezialität der Mahr-Gilde war für die meisten viel zu süß, aber aus irgendeinem Grund war Mehn Shia verrückt danach. Normalerweise bekam sie sie nur an ihrem Geburtstag, weil niemand sonst im Drachen-Heim sie aß.
»Ja«, bestätigte Mehn Wudu und unterdrückte ein belustigtes Schmunzeln. »Wahrscheinlich auch ziemlich viele, weil es immerhin die Anführer der Mahr-Gilde sind, die kommen.«
Mehn Shia wirkte hin und her gerissen.
»Also?«, rief er zu ihr hoch. »Kommst du?«
Seine Schwester lehnte sich wieder zurück gegen den Baumstamm. »Ich überleg's mir«, meinte sie, aber Mehn Wudu wusste, dass es ihr nur zu peinlich war, sofort runter zu kommen.
»Man sieht sich!« Er drehte sich um und verließ das kleine Wäldchen. Auf dem Weg zum Khamtar-Haus kam er an dem Teich vorbei, der auf Wunsch seiner Mutter erst vor einigen Jahren angelegt worden war. Auf der Brücke, die über seine Mitte führte, entdeckte er eine junge Frau in einem weiß-roten Kleid, die ihm irgendwie bekannt vorkam.
Ach ja, fiel ihm wieder ein. Die Tänzerin vom Zatos. Warum ist sie hier? Die Frage wurde ihm beantwortet, als er die zwei Krücken sah, die neben ihr am Brückengeländer lehnten. Anscheinend hatte sie sich irgendwie verletzt.
Drei Stunden später trafen die Anführer der Mahr-Gilde ein, pünktlich zum Mittag. Mehn Wudu saß alleine an einem der Tische, die am nächsten zu dem seiner Eltern war. Auf der anderen Seite des ausgebreiteten Teppichs, der von der Eingangstür zum Treppenabsatz führte, an dessen oberem Ende seine Eltern die Gäste begrüßten, saß Mehn Shia. Sie musste sich offensichtlich stark zusammenreißen, um sich nicht direkt nach den Bärenschmausern zu verlangen, die erst später serviert werden würden. Mahr Hefay war wirklich zusammen mit seinen Eltern gekommen, saß aber – deutlich gelangweilt – etwas abseits.
»Es ist uns eine Ehre, bei Euch zu Gast zu sein, Gilden-Anführer Mehn«, sagte Mahr Chir und nickte Mehn Klepos freundlich zu. Mahr Chir hatte den Ruf, gut mit Worten zu sein und so immer seinen Willen zu bekommen. Das stand ganz im Gegensatz zu seinem Gesicht, das fast schon als hässlich bezeichnet werden konnte. Die Augen schief, die Nase krumm, tiefe Falten auf der Stirn und um den Mund.
»Die Ehre ist ganz meinerseits«, antwortete Mehn Klepos höflich.
Mehn Wudu hörte dem Austausch von Höflichkeiten nur halbherzig zu. Er wusste, dass es einen Grund geben musste, aus dem die Anführer der Mehn-Gilde gekommen waren, aber wahrscheinlich würden sie ihn erst nach dem Essen nennen. Als es endlich so weit war und vor allen Anwesenden Teller und Besteck platziert wurde, sah Mehn Wudu die Augen seiner Schwester begeistert aufleuchten. Nach einer Weile schickte sie sogar Se Laf zu ihm rüber, damit sie ihr die Bärenschmauser brachte, die er beiseite gelegt hatte.
»Die Mahr-Gilde«, hob Mahr Chir auf einmal an und Mehn Wudu horchte auf, denn jetzt würde vermutlich der Grund für ihren Besuch bekannt gegeben werden, »hat zurzeit ein paar Probleme mit Räubern, die sich in unseren Bergen eingenistet haben.«
»Das ist bedauerlich zu hören«, antwortete Mehn Klepos. »Ich hoffe, es gibt keine Verletzten?«
»Zum Glück nur kleinere Verletzungen. Nichts, was unser Gilden-Heiler nicht kurieren könnte.«
»Das Problem sind die Räuber selbst«, kam Mahr Bagata ihrem Ehemann zu Hilfe. »Sie haben ein Bergdorf besetzt, das schon lange verlassen ist und sobald wir sie vertrieben haben, kommen sie nach ein paar Tagen wieder zurück. Wir haben sogar schon versucht, die Häuser dort zu zerstören, aber sie bauen sie einfach wieder auf. Unsere Erzwächter haben keine Lust mehr, sich mit ihnen zu befassen, aber wir können sie auch nicht einfach da leben lassen! Immerhin überfallen sie unschuldige Reisende und nehmen ihnen das Geld ab!«
»Das ist wirklich eine unschöne Situation«, sagte Mehn Klepos, der leicht verwirrt war und offenbar nicht wusste, worauf die Gilden-Anführer hinaus wollten. »Ich verstehe allerdings nicht, wie ich Euch dabei helfen kann, das Problem zu lösen.«
»Ich erinnere mich, dass Ihr beim letzten Zatos einige Eurer... Erfindungen vorgestellt habt«, meinte Mahr Chir. »Darunter gab es ein Pulver, das einem einen Teil der Erinnerungen nehmen kann.« Er sah Mehn Klepos erwartungsvoll an und als dieser nicht antwortete, fuhr er fort. »Wir wären Euch unglaublich dankbar, wenn Ihr es uns zur Verfügung stellt, um dafür zu sorgen, dass die Räuber sich nicht an dieses Bergdorf erinnern und somit auch nicht dorthin zurückkehren können.«
»Am besten, wir nehmen ihnen alle Erinnerung daran, dass sie einst Räuber waren«, fügte Mahr Bagata hinzu. »Das ist wahrscheinlich noch besser. Wir werden sie irgendwo anstellen, wo sie ein vernünftiges, bürgerliches Leben führen können. Und wo wir sie im Auge behalten können, damit sie nicht aus irgendeinem Grund in ihre alten Muster zurückfallen.«
Mehn Wudu traute seinen Ohren nicht. Sie wollen den Schleier des Vergessens nicht als Heilmittel verwenden, sondern um ihre Probleme mit Räubern zu lösen? Vater wird nicht begeistert sein.
»Das kommt nicht in Frage«, erwiderte Mehn Klepos auch ungewöhnlich grob. »Der Schleier des Vergessens darf nur bei traumatisierten Menschen verwendet werden. Es ist unmoralisch, es bei Leuten zu benutzen, die dem nicht zugestimmt haben.«
»Aber es ist besser als weiter mit den Räubern zu kämpfen«, wandte Mahr Bagata ein. »Ihr seid ein Heiler. Ihr müsstet doch Interesse daran haben, dass ein Konflikt unblutig gelöst wird!«
»Ich habe den Schleier des Vergessens nicht hergestellt, um Konflikte unblutig zu lösen. Ich habe ihn hergestellt, um Menschen zu helfen, die sonst kein normales Leben führen könnten.«
Mehn Wudu beobachtete besorgt, wie Mahr Bagatas Gesicht sich vor Wut rot verfärbte.
»Denkt Ihr wirklich, wir wären so blöd!«, fuhr sie Mehn Klepos an und verstummte abrupt, als ihr Ehemann ihr beruhigend die Hand auf den Unterarm legte.
»Was meine Frau sagen möchte«, erklärte Mahr Chir, »ist, dass mehr oder weniger alle wissen, dass Eure drei Schätze, die Ihr beim letzten Zatos vorgestellt habt, nicht ausschließlich Heilmittel sind.«
Mehn Klepos wechselte einen Blick mit Mehn Isa, die genauso ratlos aussah. »Was meint Ihr damit?«
»Eure Schätze können auch als Waffen verwendet werden«, sagte Mahr Chir geradeheraus. »Das ist so offensichtlich wie die Tatsache, dass der Himmel blau ist. Mit dem Schleier des Vergessens kann man anderen die Erinnerung rauben, sodass sie vergessen, wem ihre Treue ursprünglich gehörte. Dieser Atem des Drachen, den Eure Ehefrau hergestellt hat, lässt sich verwenden, um ganze Städte niederzubrennen. Und das, was Eure Tochter vorgestellt hat, das Wasser der Wahrheit, ist nichts Anderes als ein Foltermittel.«
»Was?« Mehn Shia sprang auf die Beine, doch unter dem strengen Blick ihres Vaters setzte sie sich wieder, auch wenn die Wut in ihr deutlich zu sehen war.
»Ich versichere Euch, dass diese Schätze keineswegs als Waffen gedacht sind«, erklärte Mehn Klepos. »Sie dienen nur der Heilung von Menschen und soll ihnen helfen.«
»Soll ihnen helfen«, wiederholte Mahr Chir. »Ist das Vertreiben von Räubern mit Eurem Pulver keine Hilfe? Es wäre verantwortungslos von Euch, unsere Bitte zu ignorieren. Wer weiß, wie viele unserer Erzwächter noch verletzt werden? Und wie viele Reisende die Räuber noch überfallen?«
Hat er nicht vorhin noch behauptet, die Verletzungen wären nicht schlimm? Mehn Wudu spürte die Anspannung, die in der Luft hing. Offenbar würde der Anführer der Mahr-Gilde Mehn Klepos immer weiter bedrängen, bis er endlich bekam, was er wollte. Aber Mehn Wudu kannte seinen Vater gut genug, um zu wissen, dass er nicht nachgeben würde.
»Ihr weigert Euch immer noch«, stellte Mahr Chir nach einer Weile der Stille fest. »Wäre es denn zu viel verlangt, uns wenigstens das Rezept auszuhändigen, damit wir den Schleier des Vergessens selbst herstellen können? So tragt nicht Ihr die Verantwortung für das, was mit den Räubern geschieht, sondern wir. Natürlich wird die Mahr-Gilde Euch entsprechend bezahlen und als Tausch einige Schriftrollen ihres eigenen Wissens geben.«
»Nein«, beharrte Mehn Klepos. »Keiner der Schätze, die wir vorgestellt haben, ist eine Waffe. Sie als solche zu benutzen, verstößt gegen alles, wofür die Mehn-Gilde steht.« Nach kurzem Zögern fügte er hinzu: »Ich möchte Euch darum bitten, nicht weiter darauf zu bestehen und gleich morgen früh wieder abzureisen. Jin Gajin wird Euch zu Euren Zimmern bringen.«
Ein junger Diener mit einem freundlichen Lächeln im Gesicht trat vor und bedeutete den zwei Gilden-Anführern und Mahr Hefay, ihm zu folgen. Mahr Bagata war die erste, die aufstand. So ruckartig, dass ihr Stuhl fast umkippte. Die Fäden, die von ihrem Kopfschmuck hingen, klimperten laut.
»Warum habt Ihr Eure Schätze dann als Erfindung und nicht als Heilmittel vorgestellt, wenn das, was Ihr sagt, wirklich der Wahrheit entspricht?«, fragte sie mit vor Wut rotem Kopf. »Es kommt mir fast so vor als wolltet Ihr diese Waffen aus Sicherheit nur für Euch behalten. Ich frage mich, was Ihr damit vorhabt. Aber offenbar hat die Mehn-Gilde kein Interesse daran, uns zu sagen, wer ihr Feind ist.«
Mehn Wudu sah, wie seiner Mutter vor Fassungslosigkeit der Mund aufklappte und sein Vater verärgert die Augenbrauen zusammenzog. Mehn Shia war kurz davor, der dreisten Gilden-Anführerin etwas entgegen zu schleudern, riss sich aber gerade noch rechtzeitig zusammen.
»Ich entschuldige mich für die scharfen Worte meiner Ehefrau«, sagte Mahr Chir, doch seinem Tonfall war anzuhören, dass er die Entschuldigung nicht ernst meinte. In der Halle herrschte eine frostige Atmosphäre, während Jin Gajin die drei Besucher hinaus führte.
»Vater!« Sobald sie weg waren, sprang Mehn Shia von ihrem Platz auf und sah fassungslos zu ihren Eltern hoch. »Wie kannst du zulassen, dass sie so mit dir reden! Warum hast du ihnen nicht erklärt...«
»Wer von seiner eigenen Wahrheit überzeugt ist, lässt sich nicht mehr belehren«, unterbrach Mehn Klepos seine Tochter. »Gilden-Anführerin Mahr ist offenbar der Meinung, dass wir Waffen und keine Heilmittel hergestellt haben. Und irgendwas sagt mir, dass im Gegensatz zu ihr Gilden-Anführer Mahr genau das relativ egal ist und er einfach nur an unsere Schätze kommen möchte.«
»Und was machen wir?«, fragte Mehn Wudu. »Du wirst sie ihnen doch nicht überlassen, oder?«
»Natürlich nicht. Aber ich fürchte, dass Gilden-Anführer Mahr noch andere Tricks auf Lager hat, um uns davon zu überzeugen, sie ihm zu geben.« Mehn Klepos sah zu seiner Ehefrau. »Was denkst du?«
»Ich denke, dass wir auf der Hut sein sollten«, sagte Mehn Isa. »Sollte Gilden-Anführer Mahr nochmal kommen oder irgendeine andere Gilde nach einem der Schätze verlangen, müssen wir aber auch unser eigenes Wohl ihm Auge behalten.«
»Was meinst du damit?«, fragte Mehn Shia und sah ihre Mutter erschrocken an.
»Das, was Gilden-Anführerin Mahr gesagt hat, hat sich für mich fast schon wie eine Drohung angehört.« Sie wechselte einen Blick mit Mehn Klepos. »Wir sind Heiler, keine Krieger. Wenn uns ein kriegerischer Konflikt droht, sollten wir ihm auf jeden Fall aus dem Weg gehen. Ich wäre bereit, meinen Atem des Drachen zu vernichten und das Rezept zu verbrennen. So wird es nichts mehr geben, worum es sich zu kämpfen lohnt.«
Mehn Wudu riss überrascht die Augen auf, als Mehn Klepos tatsächlich zustimmend nickte.
»Bevor die Situation eskaliert, werden wir unsere Schätze vernichten. Auch wenn es ein großer Verlust sein wird.«
»Ihr gebt euch so einfach geschlagen?« Mehn Shia sah ihre Eltern ungläubig an. Mit einer fließenden Bewegung zog sie ihr Schwert Nekato, das sie einst selbst geschmiedet hatte. Der Name entsprang der Runensprache, die alle Anhänger der Mehn-Gilde lernen mussten, und bedeutete ›kein Feind‹. »Wenn irgendeine Gilde auf die Idee kommt, uns die Schätze mit Gewalt wegzunehmen, wird sie meinen Zorn spüren!«
»Pack dein Schwert weg, Shia«, befahl Mehn Klepos streng. »Ich denke, dass die Gilden-Anführer an erster Stelle nur so reagiert haben, weil sie enttäuscht waren.« Er nickte seinen zwei Kindern zu. »Geht jetzt. Ich muss mit eurer Mutter noch etwas besprechen.«
Mehn Wudu packte seine Schwester am Unterarm, bevor sie sich noch weiter beschweren konnte, und zog sie aus der Halle und aus dem Khamtar-Haus hinaus. Erst in der Nähe des Teiches ließ er sie los, wo sie frustriert einen Stein ins Wasser trat.
»Ich wusste, dass die Anführer der Mahr-Gilde Mistkerle sind«, sagte sie. »Aber dass sie so weit gehen und uns drohen!«
»Bestimmt wird alles gut«, munterte Mehn Wudu sie auf. »Die Mehn-Gilde und ihre Heiler sind viel zu wichtig als dass sie es wagen würden, uns anzugreifen. Der Kodex verbietet es. Wie Vater schon gesagt hat: Sie waren nur enttäuscht. Besondern Gilden-Anführerin Mahr. Du hast doch gesehen, wie wütend sie war. Bestimmt findet sie es peinlich, dass die Mahr-Gilde nicht mit einfachen Räubern klar kommt.«
»Peinlich?« Mehn Shia grinste frech und deutete unauffällig in Richtung der Brücke, die über den Teich führte. Offenbar hatte sie sich wieder ein wenig beruhigt. »Ich würde es eher peinlich finden, so einen Sohn zu haben. Was macht Mahr Hefay da?«
Mehn Wudu folgte ihrem Blick und sah Mahr Hefay mit der Tänzerin auf der Brücke stehen. Die beiden waren in eine innige Umarmung und einen so wilden Kuss vertieft, dass Mehn Wudu den Drang hatte, mit hochrotem Kopf weg zu schauen.
»Soll er machen, was er will«, murmelte er und rieb sich die Schläfen.
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