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Kapitel 7: Schriften - Teil 4

Gleich am nächsten Tag brachte Rin Verran das Buch über die Auslöschung der Mehn-Gilde zurück in die Schriftensammlung und rührte es nie wieder an. Der Gedanke, dass er das Ergebnis einer Vergewaltigung sein könnte und er auch noch bei dem Vergewaltiger selbst aufgewachsen war, war kaum auszuhalten. Noch schlimmer wog aber der Gedanke, dass alles genauso gut auch eine Lüge sein könnte. Ausgedacht von einem Anhänger der Jhe-Gilde. Einem Anhänger der Gilde, aus der auch sein Meister kam.

Macht es dir Spaß, mich jeden Tag zu sehen?, dachte Rin Verran jedes Mal düster, wenn er bei Meister Jhe im Unterricht saß und sich die größte Mühe gab, zuzuhören. Ist das deine Art, sich über mich lustig zu machen? Hast du uns damals die Geschichte absichtlich erzählt?

Es dauerte fast zwei Monate, bis die Wut in ihm allmählich nachließ. Wahrscheinlich war alles nur ein Missverständnis. Ein dummes Missverständnis, wie Rin Raelin schon gesagt hatte. Wenn er genauer darüber nachdachte, gab es eigentlich ziemlich viele Möglichkeiten, wie er auf die Welt gekommen sein könnte, und der Autor des Buches hatte sich einfach die schlimmste ausgesucht.

Rin Verran ging nun häufiger mit seinem Bruder auf die Wiese, um verschiedene Spiele zu spielen. Bao Jenko war immer dabei. Mittlerweile lernte er auch nicht mehr so viel. Hoffte jeden Abend, dass das, was er heute gemacht hatte, für morgen reichen würde. Das Mädchen mit dem grünen Band hatte Rin Verran immer häufiger mit Mahr Xero zusammen gesehen und seine Hoffnung, dass sie sich ihm zuwenden würde, schwand seit dem Vorfall in der Schriftensammlung mit jedem Tag. Unter anderem deshalb ging er auch immer seltener dahin. Natürlich bemerkte Meister Jhe, dass er etwas nachgelassen hatte, doch die Schimpftiraden ließ er klaglos über sich ergehen.

»Die Prüfung«, verkündete Meister Jhe schließlich einen Monat, bevor sie ein Jahr in der Gämsen-Pagode gewesen wären, »ist sehr wichtig. Sie findet in zwei Wochen statt. Dort wird alles abgefragt, was ich euch beigebracht habe. Jedes Buch, jede Schriftrolle, jedes Wort«, er blieb vor Rin Verran stehen und schaute mit zusammengezogenen Augenbrauen auf ihn hinab, »ist wichtig. Habt ihr das verstanden?«

»Ja, Meister«, sagten Rin Verran und Rin Raelin gleichzeitig.

»Ich erwarte, dass ihr alle Fragen richtig beantworten könnt. Enttäuscht mich nicht.« Seine Stimme war kalt wie immer. »Damit ihr genug Zeit habt, um euch vorzubereiten, müsst ihr bis zur Prüfung nicht mehr zum Unterricht kommen.« Statt sie zu entlassen, war er derjenige, der den Raum als Erster verließ. Seine Schritte verklangen irgendwo im Flur der Gämsen-Pagode.

Rin Raelin und Rin Verran sahen sich an und fingen sofort an zu grinsen.

»Er denkt wirklich, wir werden lernen?«, fragte Rin Raelin. »Bis zur Prüfung sind es noch ganze zwei Wochen! Als ob wir so viel Zeit brauchen!«

»Denkst du, die anderen bekommen auch frei?«, überlegte Rin Verran.

»Das lässt sich schnell herausfinden!«

Rin Raelin ergriff die Schriftrollen, die sie heute mitgenommen hatten, und huschte hinaus auf den Flur. Rin Verran folgte ihm mit seinem eigenen Schreibzeug. Meister Jhe hatte sie etwas früher rausgelassen, weswegen sie eine Weile warten mussten, bis die Türen der anderen Unterrichtsräume aufgingen. Die Schüler von Meister Erjan strömten zuerst hinaus, dann die von Meister Val. Rin Verran entdeckte Ghan Idos in der Menge, der wieder von dem Mädchen mit den hellbraunen Locken begleitet wurde. Mittlerweile hatte er herausgefunden, dass sie Wrun Lilath hieß – und außerordentlich viel und gerne fluchte. Wie erwartet ballte Rin Raelin beim Anblick des arroganten Arschlochs die Fäuste.

Als letztes öffnete sich die Tür des Unterrichtsraums von Meisterin Zha. Die beiden Brüder warteten, bis alle gegangen waren und endlich Bao Jenko in Begleitung der Meisterin selbst heraus kam. Wie immer war er bis zum Schluss geblieben, um der elegant gekleideten Frau ein paar Fragen zu stellen. Als sie sah, dass Rin Verran und Rin Raelin scheinbar auf einen ihrer Schüler gewartet hatten, schmunzelte sie belustigt und klappte ihren Fächer auf, um sich Luft zuzuwedeln.

»Jhe Newin hat euch schon entlassen?«, fragte Meisterin Zha und hob fragend ihre Augenbrauen. »Wie ungewöhnlich. Ich erinnere mich, dass normalerweise immer Bao Jenko auf euch warten musste.«

»Er scheint in letzter Zeit erstaunlich gute Laune zu haben«, sagte Rin Verran zähneknirschend.

»Gute Laune? Das bezweifle ich.« Sie musterte ihn aus ihren strahlend blauen Augen. »Ich glaube, er verliert sich eher in alten Erinnerungen.« Sie schien noch etwas hinzufügen zu wollen, doch im selben Moment sah sie, dass Val Erjan auf den Gang getreten war. Schnell hob sie den Fächer vor ihr Gesicht, murmelte ein schnelles »Ich muss gehen« und eilte in die entgegengesetzte Richtung davon.

»Ich sag doch, dass zwischen denen was läuft«, flüsterte Bao Jenko ihnen verschwörerisch zu.

»Pass auf, dass du das nicht zu laut sagst«, warnte Rin Verran ihn. »Denk daran, was das letzte Mal passiert ist. Deine Meisterin wäre fast rausgeschmissen worden.«

»Ja, ja.«

»Wir wollten fragen, ob ihr auch bis zur Prüfung frei bekommen habt«, kehrte Rin Raelin zum eigentlichen Thema zurück. »Um zu lernen.« Beim letzten Wort malte er mit den Fingern Anführungszeichen in die Luft.

»Was? Nein?« Bao Jenko sah von einem Bruder zum anderen und stemmte dann gespielt wütend die Hände in die Seiten. »Als ob der strengste Meister der ganzen Gämsen-Pagode euch freigegeben hat! Wie unfair!«

»Schade«, meinte Rin Raelin. »Die anderen dann wahrscheinlich auch nicht.« Er sah zu seinem Bruder. »Was machen wir denn dann? Alleine können wir überhaupt nichts auf der Wiese spielen. Und die, die ein Jahr über uns sind, von denen kenne ich gar keinen.«

Ich nur eine, dachte Rin Verran, sagte aber nichts, sondern zuckte nur mit den Schultern. »Die perfekte Gelegenheit für mich, um einmal aufs Falkennest zu klettern«, sagte er grinsend.

Rin Raelin hob sofort abwehrend die Hände. »Ohne mich!«

»Ich weiß, ich weiß. Wir überlegen uns schon was.«

»Wie wäre es, wenn ihr euch das auf der Wiese überlegt?«, schlug Bao Jenko vor. »Ewig in der Gämsen-Pagode rumzustehen ist langweilig.«

»Klar!«

Die nächsten Vormittage verbrachten Rin Verran und Rin Raelin größtenteils damit, zu schlafen und dann zum Kampfplatz zu gehen, wo manchmal einige der älteren Schüler übten, bevor ihr Unterricht losging. Da die beiden Brüder aber keine eigenen Waffen besaßen und der Mann in der Werkstatt ihnen auch keine geben wollte, waren sie wohl oder übel doch dazu gezwungen, mit dem Lernen anzufangen. Jedenfalls bis zum Nachmittag, denn dann konnten sie wieder mit den anderen auf die Wiese. Trotzdem trennte Rin Verran sich manchmal von ihnen, um auf einen der Bäume zu klettern. Das Falkennest hatte er bereits drei Mal erklommen und die restlichen Häuser der Schüler ebenfalls mindestens ein Mal. Ihm fehlte nur noch die Gämsen-Pagode selbst – auf die er sich jedoch nicht traute, weil jederzeit ein Meister am Fenster stehen und ihn zufällig sehen könnte – und die Mauer, die den Wohnsitz der Val-Gilde von der Außenwelt trennte. Allerdings war sie viel zu glatt. Er kam nur einige Schritt hoch, bevor er nicht weiter kam und wieder runterspringen musste. Es gab zwar zwei Treppen, die hinauf auf die Mauer führten, aber den Schülern war es verboten, sie zu benutzen, und sie wurden auch immer von mindestens zwei Erzwächtern der Val-Gilde bewacht. Außerdem fehlte auf diesem Weg die Herausforderung, die Rin Verran so sehr brauchte. Sein Stolz ließ es nicht zu, diese Abkürzung zu benutzen, nur, um zu sagen, dass er schon auf der Mauer war.

Der Tag der Prüfung kam immer näher. Mittlerweile hatten auch die anderen Schüler frei bekommen und vergruben ihre Nasen in Büchern und Schriftrollen. Offenbar lastete auf jedem die Verantwortung, so gut wie möglich abzuschneiden, um dem Ruf der eigenen Gilde nicht zu schaden. Besonders Bao Jenko wirkte Tag für Tag panischer, obwohl er mittlerweile fast alle wichtigen Schriften auswendig konnte. Und dann kam der Morgen, an dem sie alle in den Raum gerufen wurden, in dem die Prüfung geschrieben wurde.

»Ihr habt zwei Stunden Zeit«, verkündete Meister Val, der zusammen mit den drei anderen Meistern vorne stand. »Danach legt ihr die Feder beiseite und wartet, bis wir eure Blätter eingesammelt haben. Achtet darauf, sauber zu schreiben. Was wir nicht lesen können, wird nicht bewertet. Noch Fragen?«

Totenstille.

»Dann dürft ihr jetzt anfangen.«

Rin Verran warf Rin Raelin und Bao Jenko einen letzten aufmunternden Blick zu, den jedoch beide ignorierten. Der eine, weil er zu konzentriert war, und der andere, weil er zu viel Panik hatte, um irgendwas anderes als den Prüfungszettel vor sich wahrzunehmen. Mit ruhiger Hand drehte nun auch Rin Verran sein Blatt um und überflog die Fragen.

Sieht machbar aus, dachte er und begann zu schreiben.

Die Zeit verging viel zu schnell. Irgendwann bemerkte er aus den Augenwinkeln, dass die ersten Schüler ihre Zettel bereits so hingelegt hatten, dass sie jederzeit abgeholt werden konnten. Anscheinend waren sie schon fertig. Bao Jenko gehörte zwar nicht zu ihnen, aber bei den Aufsätzen, die er zu jeder Frage schrieb, war das auch kein Wunder.

»Die Zeit ist um«, ertönte die Stimme von Meister Val. »Bitte legt euer Schreibzeug hin und wartet, bis wir alles eingesammelt haben. Dann könnt ihr gehen.«

Rin Verran tat, wie geheißen, obwohl er es nicht geschafft hatte, die letzten zwei Fragen zu beantworten. Das schlechte Gewissen pochte in seinem Hinterkopf. Vielleicht hätte ich doch nicht so spät mit dem Lernen anfangen sollen. Als Meister Jhe seinen Zettel einsammelte und einen Blick darauf warf, zeigte seine Miene keine Regung. Rin Verran konnte beim besten Willen nicht sagen, ob ihm gefiel, was er sah, oder ob er ihn schwer enttäuscht hatte. Ist ja auch egal, dachte er. Ich werde wahrscheinlich sowieso nicht unter den besten Drei landen. Und selbst wenn – das Mädchen mit dem grünen Band kann ich vergessen...

Nachdem die Meister alle Zettel hatten, standen die Schüler sofort auf und verließen eilig den Raum. Vor der Gämsen-Pagode gab es dann erst eine riesige Versammlung, bei der alle ihre Antworten untereinander verglichen. Rin Verran hörte mit halbem Ohr zu, während er sich mit Rin Raelin auf die Suche nach Bao Jenko machte, der die Gämsen-Pagode fast überstürzt verlassen hatte.

»Was hast du bei der dritten Frage?«

»Die mit dem Getreide und ob das für ein halbes Jahr reicht? Keine Ahnung. Ich habe da einfach ›Ja‹ hingeschrieben.«

»Du hast da nichts gerechnet?«

»Man sollte da was rechnen?«

Endlich fanden sie Bao Jenko, der völlig nervös am Rand der Menge stand. Als er sie kommen sah, breitete sich jedoch ein Lächeln auf seinem Gesicht aus. »Wir sind durch! Ist das nicht toll?« Bevor einer von ihnen antworten konnte, hielt er einen Finger in die Luft, um sie davon abzuhalten. »Lasst uns jetzt nicht über die Prüfung sprechen. Bitte!«

»Hatte ich auch nicht vor«, sagte Rin Raelin leicht gereizt.

Offenbar lief es bei ihm nicht so gut, dachte Rin Verran, sagte aber nichts. Er wusste, dass sein Bruder es nicht mochte, getröstet zu werden, weil er sich dann als Schwächling fühlte. Also schlug er mit einem frechen Grinsen vor: »Was ist, wenn wir heute Abend eine kleine Feier veranstalten? Im Falkennest?«

»Darf man das überhaupt?«, fragte Bao Jenko besorgt, aber Rin Verran winkte ab.

»Wen kümmert das schon? Bestimmt hat es die Jahre vorher auch immer Feiern nach den Prüfungen gegeben. Warum sollten wir das nicht dürfen?«

Damit schien Rin Raelins Laune sich wieder zu bessern. Seine Augen leuchteten vor Begeisterung auf. »Ich bin dabei! Und du«, er deutete auf Bao Jenko, »bist für die Gäste verantwortlich! Erzähl einfach allen rum, dass wir das Ende des ersten Jahres in der Gämsen-Pagode feiern!«

»Ich? Warum ich?«

»Du kennst mehr Leute als wir.«

»Ist es wirklich schlau, so viele einzuladen?«, fragte Rin Verran.

Rin Raelin verdrehte die Augen. »Seit wann bist du so übervorsichtig? Das Falkennest ist verdammt groß und wir wohnen da nur zu zweit!«

»Genau, wir wohnen da nur zu zweit und alles außerhalb unseres Zimmers ist mit Spinnweben und Staub bedeckt.«

Rin Raelin stutzte. »Mist.« Er wandte sich ein letztes Mal an Bao Jenko. »Du besorgst die Gäste, wir besorgen ein vorzeigbares Falkennest.« Dann rannte er in Richtung des abgelegenen Hauses und Rin Verran folgte ihm.

Es dauerte wirklich bis in die Dämmerung hinein, bis sie endlich den Großteil der Zimmer und Flure gesäubert hatten. Gerade noch rechtzeitig, denn bald schon kamen die ersten Schüler eingetrudelt. Sie kamen nur alleine oder zu zweit und verhielten sich leise, denn keiner wusste, ob so eine Feier überhaupt erlaubt war. Vorsichtshalber hängten sie auch Vorhänge vor die Fenster, damit man das Licht von draußen nicht sah. Einige brachten etwas zu essen mit, das sie anscheinend aus der Küche oder dem Speisesaal hatten mitgehen lassen. Etwa um elf Uhr öffnete Rin Verran ein weiteres Mal die Tür und war überrascht, dort Ghan Idos und Wrun Lilath stehen zu sehen, die einfach eintraten als wäre es selbstverständlich.

Warum hat Bao Jenko ausgerechnet die beiden auch noch eingeladen?, fragte er sich. Er weiß ganz genau, dass Raelin Ghan Idos nicht abkann! Wenigstens hat er daran gedacht, Mahr Xero außen vor zu lassen... Er machte sich schnell auf die Suche nach seinem Bruder, um ihn zu warnen, und fand ihn im zweiten Stockwerk umgeben von einer Gruppe von Mädchen, die nach gefühlt jedem Satz kicherten. Als Rin Verran eintrat, wandten einige Blicke sich ihm zu und bald auch der von Rin Raelin, der sich offenbar wunderte, warum er nicht mehr die volle Aufmerksamkeit besaß.

»Seid ihr Zwillinge?«, fragte eines der Mädchen neugierig. Rin Verran konnte sich nicht an ihren Namen erinnern.

Rin Raelin lachte. »Nein, aber wir sind trotzdem Brüder.« Er winkte ihn zu sich und klopfte ihm auf die Schulter. »Wir halten immer zusammen!«

»Ghan Idos ist hier«, flüsterte Rin Verran ihm zu, als er sich unauffällig zu ihm rüber beugte.

»Was?«, zischte sein Bruder und spannte sich sofort an.

»Ich habe keine Ahnung, warum Bao Jenko ihn eingeladen hat. Eigentlich weiß er...«

Zu seiner Überraschung lachte Rin Raelin jedoch kurz auf und klopfte ihm wieder auf die Schulter. Dann wandte er sich an die Mädchen. »Wisst ihr, was mein Bruder kann?«, fragte er sie in einem verschwörerischen Tonfall. »Er kann Häuser und Mauern hochklettern! Bis ganz nach oben! Ist das nicht beeindruckend?«

Rin Verran fühlte sich etwas unwohl unter den vielen Blicken, aber Rin Raelin fuhr einfach fort.

»Er ist auch schon das Falkennest hochgeklettert! An der Mauer der Gämsen-Pagode hat er sich ebenfalls versucht! Wie mutig muss man sein!«

»Kann er alle Gebäude hochklettern?«, fragte auf einmal ein Mädchen mit vollen, blonden Haaren, die fast wie eine Löwenmähne aussahen. Sie war häufig bei den Spielen auf der Wiese dabei gewesen und wurde von allen nur Nan Fe, wobei das nur ihr Spitzname war. Ihren richtigen Vornamen kannten nur die wenigsten.

»Natürlich kann er das!«, gab Rin Raelin an.

»Dann kann er bestimmt durch das Fenster im Lagerhaus klettern und uns etwas Wein holen!«, rief Nan Fe begeistert. »Dann ist es hier etwas spaßiger!«

Rin Verran wollte gerade ablehnen, denn er war das Lagerhaus noch nie hochgeklettert, aber Rin Raelin hatte schon an seiner Stelle geantwortet: »Das kann er machen! Oder?« Er warf seinem Bruder einen eindringlichen Blick zu, woraufhin dieser gezwungen war, zu grinsen und einmal zu nicken. Sofort brachen die Mädchen in Jubel und Gekreisch aus. Einige packten ihn an den Armen und zerrten ihn die Treppe hinunter bis vor die Tür des Falkennests.

»Wir warten hier auf dich«, flüsterte Nan Fe ihm zu, bevor sie mit ihren Freundinnen zurück im Haus verschwand.

Rin Verran stand eine Weile unschlüssig herum, bis er sich schließlich doch noch auf den Weg machte. Er musste den Platz vor der Gämsen-Pagode überqueren und sich dann an der Küche vorbei schleichen, in der bestimmt immer noch einige Diener den Abwasch machten. Wenigstens schien in den Zimmern der Meister kein Licht. Was allerdings keine Garantie dafür war, dass sie nichts sahen.

So schnell er konnte, rannte Rin Verran hinüber und dann den gestreuten Pfad zum Lagerhaus entlang. Das Tor war natürlich verschlossen. Das Fenster an der Seite zum Glück nicht. Allerdings war es verdammt weit oben und die Wände waren aus Holzplanken, an denen er nur schwer Halt finden konnte. Er ging einmal um das Gebäude herum, bis er wieder am Ausgangspunkt stand und entdeckte dann, dass an einigen Stellen die Nägel ein Stück aus dem Holz heraus ragten. Nachdenklich betrachtete er seine Schuhe, die bei dieser Kletterpartie bestimmt etwas leiden würden, aber er würde sich einfach irgendeine Erklärung dafür ausdenken, falls jemand ihn danach fragte.

Entschlossen stellte er einen Fuß auf den ersten Nagel, krallte sich mit den Fingern in den Lücken zwischen den Planken fest und zog sich hoch. Rin Verran war das Klettern schon so gewohnt, dass er sich beinahe langweilte, bis er endlich das Fenster erreichte. Behände schwang er sich hindurch und sprang auf einen Dachsparren hinunter. Darauf balancierte er entlang zu einem weiteren Pfahl und ließ sich daran runter gleiten, bis er auf dem Boden stand.

Wein, dachte er und sah sich suchend um. Er hatte nicht daran gedacht, wie er ihn überhaupt mitnehmen würde, aber dann fielen ihm einige Körbe ins Auge, die man sich anscheinend auf den Rücken schnallen konnte. Kurz überprüfte er, dass sich nichts darin befand, und schritt dann weiter durch das Lagerhaus. Bald fand er einige Flaschen, die nebeneinander im Regal standen. Rin Verran hatte bisher noch nie selbst getrunken, aber er hatte seinen Vater und die Mutter von Rin Raelin manchmal dabei beobachtet, wenn sie Gäste empfingen. Vorsichtshalber entkorkte er aber noch eine der Flaschen und roch daran. Eindeutig Wein. Es juckte ihn in den Fingern, jetzt schon einen Schluck zu nehmen, aber er hielt sich davon ab. Erst muss ich wieder zurück kommen.

Zum Glück war das nicht allzu schwer. Im Falkennest begrüßten die anderen Schüler ihn wie einen Helden und teilten die Weinflaschen schnell untereinander auf.

»Jetzt kann es richtig losgehen!«, rief jemand.

»Lasst uns ein Trinkspiel spielen«, schlug ein Mädchen vor. »Wahrheit oder Pflicht und wenn man es nicht sagen oder machen möchte, trinkt man einen Schluck!«

Fast alle stimmten ihr zu und bald hatten sie sich in einem Kreis im größten Zimmer hingesetzt. Einige hockten auf dem Boden, weil es zu wenig Stühle gab, aber die, die welche hatten, gesellten sich aus Solidarität dann doch noch zu den anderen. Das Mädchen, das das Spiel vorgeschlagen hatte, legte eine Weinflasche in die Mitte. Sie war schon zur Hälfte leer und die andere Hälfte befand sich wahrscheinlich in ihrem Magen.

»Ich fange an!«, rief sie und drehte die Flasche, die mit dem Hals in Richtung Wrun Lilath stehen blieb. »Wahrheit oder Pflicht?«, fragte das Mädchen.

»Wenn schon, denn schon«, lachte Wrun Lilath. »Pflicht!«

»Dann...« Das Mädchen in der Mitte kicherte. »Küsse den, auf den die Flasche als nächstes zeigt!« Sie versetzte sie wieder in Drehung und diesmal zeigte sie auf Ghan Idos. Eine Mischung aus Kichern und vieldeutigem Lippenschmatzen ging durch die versammelten Schüler. »Wirst du es machen oder nicht?«

Ohne zu antworten beugte Wrun Lilath sich zu Ghan Idos rüber und drückte ihm einen Kuss auf die Lippen. Dieser Kuss dauerte ungewöhnlich lange und war sehr innig, sodass Rin Verran nach einiger Zeit wegsah. Er bemerkte, dass Rin Raelin das Pärchen von der anderen Seite aus wütend anfunkelte. Als ihre Blicke sich trafen, formte Rin Verran ›arrogantes Arschloch‹ mit den Lippen, woraufhin sein Bruder leicht grinste.

»Nehmt euch ein Zimmer!«, rief jemand und wieder johlten die Schüler, aber als Rin Verran wieder hinsah, hatten Wrun Lilath und Ghan Idos sich bereits voneinander gelöst.

»Diesmal möchte ich drehen! Ich!«, rief Nan Fe von der anderen Seite des Kreises und drängte das Mädchen, das vorher in der Mitte war, weg. Sie drehte die Flasche, die letztendlich auf Rin Raelin zeigte. Er wirkte nicht so begeistert. »Wahrheit oder Pflicht?«

»Wahrheit«, sagte Rin Raelin.

»Na gut.« Nan Fe tippte sich nachdenklich ans Kinn, bis ihr eine Idee zu kommen schien. Sie zeigte herausfordernd mit dem Finger auf ihn. »Bist du verliebt?«

Rin Verran war nicht weniger überrascht von der Frage als sein Bruder. Rin Raelin runzelte unzufrieden die Stirn. »Das beantworte ich nicht.«

»Dann trink!«

Ein Mädchen, das neben ihm saß, reichte ihm eine Flasche rüber, die er mit wütenden, ruckartigen Bewegungen entkorkte und an die Lippen setzte. Rin Verran kam es vor, als würde Rin Raelin absichtlich mehr trinken als wirklich nötig war, aber er konnte sich nicht erklären, warum. Ist er vielleicht wirklich verliebt? Warum habe ich das nicht bemerkt? Und warum hat er es mir nicht gesagt? Wobei... Ich habe ihm auch nichts von dem Mädchen mit dem grünen Band erzählt. Ich kenne nicht mal ihren Namen. Er hoffte einfach, er würde keine solche Frage bekommen, wenn er drankam. Obwohl er den Wein geholt hatte, hatte er auf einmal überhaupt keine Lust, ihn zu trinken.

»Rin Verran!«

Als sein Name gerufen wurde, hob er den Kopf und stellte fest, dass der Flaschenhals auf ihn zeigte. Daneben hockte immer noch Nan Fe, die ihn breit anlächelte. »Selbe Frage wie an deinen Bruder!«

Warum wusste ich das?

Gerade wollte er sagen, dass er sie auch nicht beantworten würde, als es plötzlich so laut an der Tür klopfte, dass alle zusammenzuckten und sofort verstummten. Sie schauten den Flur entlang zum Eingang. Weil sie alle Lampen mit in den großen Raum genommen hatten, konnten sie nicht sehen, wer dort war, aber sie konnten hören, dass jemand eintrat und auf sie zu kam. Eher gesagt zwei Personen. Rin Verran schaute fragend zu Bao Jenko, der hilflos und leicht panisch mit den Schultern zuckte. Offenbar waren bereits alle hier, die er eingeladen hatte.

»Was ist das hier für eine Versammlung?«, erklang eine kalte Stimme aus dem Flur und kurz darauf schälte Meister Jhe sich aus der Dunkelheit. Seine Miene war so finster, dass alle Schüler das Gefühl hatten, in großer Lebensgefahr zu schweben. Dass er auch noch zwei Schwerter umgeschnallt hatte, machte es nicht besser. Mit vor der Brust verschränkten Armen blieb er vor den vordersten Schülern stehen. Ein Blick von ihm reichte, damit sie schleunigst aufstanden und an ihm vorbei nach draußen rannten. Der Rest folgte ihnen, wobei einige sogar so mutig waren, ein paar Weinflaschen mitgehen zu lassen. Am Ende waren nur noch Rin Verran und Rin Raelin da, die sich bereits erhoben hatten.

Wir sind so gut wie tot, ging es Rin Verran durch den Kopf. Dann entdeckte er die Gestalt, die neben Meister Jhe auftauchte und er spürte eine unbändige Wut in sich aufsteigen, die er gerade noch so runterkämpfen konnte. Mahr Xero ist so gut wie tot! Ich schwöre, wenn er uns verraten hat...

»Wer von euch hat den Wein aus dem Lagerhaus gestohlen?«, fragte Meister Jhe.

Verdammt. Hat er mich gesehen? Rin Verran ließ den Kopf sinken. »Ich.«

»Was sagt der Kodex dazu?«

»Stehle nicht«, antwortete Rin Verran zähneknirschend. »Es tut mir leid.«

»Ich erwarte euch beide morgen früh vor der Steinplattform.«

»Vor der Steinplattform?« Rin Verran sah erschrocken auf und bekam bei dem Blick seines Meisters sofort eine Gänsehaut. Er hatte angenommen, er würde ihnen wieder irgendwelche Schriften zum Abschreiben geben, aber warum sollten sie dann zur Steinplattform gehen? Eine düstere Vorahnung beschlich ihn. Bitte nicht...

»Einige Peitschenhiebe werden euch eine Lehre sein«, sagte Meister Jhe streng.

»Aber ich habe doch gar nichts gemacht!«, rief Rin Raelin aufgebracht. Er warf Rin Verran einen verzweifelten Blick zu.

Vater wird ihn umbringen, wenn er erfährt, dass er hier ausgepeitscht wurde. Dabei hat er mich dazu gebracht, den Wein zu holen. Aber davon kann Meister Jhe ja nichts wissen.

»Er hat wirklich nichts gemacht!«, verteidigte Rin Verran seinen Bruder und senkte wieder den Kopf, deutete eine Verbeugung an. »Wenn Ihr jemanden bestrafen müsst, dann nur mich.«

Es dauerte lange, bis Meister Jhe antwortete, aber Rin Verran wagte es auch nicht, aufzusehen. »Dann sehe ich dich morgen früh vor der Steinplattform«, erklang seine scharfe Stimme schließlich. »Du hast mich enttäuscht.«

Erst, als die Schritte verklungen waren und die Tür zuschlug, richtete Rin Verran sich wieder auf und fuhr sich leicht verzweifelt durch die Haare. Worauf habe ich mich da nur eingelassen? Warum habe ich nicht nachgedacht? So dumm...

»Das wird schon«, sagte Rin Raelin, der neben ihn getreten war und klopfte ihm aufmunternd auf die Schulter. Rin Verran wusste, dass er von ihm kein ›Danke‹ hören würde. Aber sein Tonfall sagte alles.

»Das wird schon«, bestätigte Rin Verran und grinste gequält.

»Alles die Schuld von Mahr Xero«, zischte sein Bruder und ballte wütend die Fäuste. »War er beleidigt, dass wir ihn nicht eingeladen haben, oder was?«

»Keine Ahnung«, meinte Rin Verran. »Aber so einfach kommt er mir nicht davon!«

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Ein ziemlich langes Kapitel mit vielen Sachen, die passiert sind XD Und das erste Jahr in der Gämsen-Pagode ist auch schon zu Ende. Wie gut unsere Helden (und Feinde) wohl abgeschnitten haben? Und wie wohl das Mädchen mit dem grünen Band heißt? Irgendwie hat man ja manchmal so ein Gefühl dafür, wie jemand heißen könnte. Was, denkt ihr, ist ihr Name? Wie findet ihr allgemein die (Haupt-)Figuren bisher? Wen mögt ihr und wen eher nicht so? XD

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