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Kapitel 57: Meister - Teil 1

»Was ist das?«, fragte Rin Verran und deutete auf eine Broschüre mit dem Titel ›Gesuchte Verdächtige‹. Die Zeit, die er nicht bei Rin Kahna war, weil Rin Veyvey sie zusammen mit Ghan Minue und ihrem Sohn Ghan Irvan im Garten des Krähen-Palastes spazieren ging, verbrachte er in Ghan Edhors Studierzimmer. Es war nicht das erste Mal, das ihm diese Broschüre ins Auge gefallen war, aber jetzt konnte er sich nicht davon zurückhalten, nachzufragen.

»Die hier?«, hakte Ghan Edhor nach und hob sie hoch. »Das ist ein Büchlein, das ich Ende letzten Jahres zusammengestellt habe. Bevor du den Forellen-Pavillon erobert hast. Ich habe ganz viele Briefe in alle Dörfer und Städte geschickt, in denen die Drachenklauen einst gewütet haben, und um eine Beschreibung verdächtiger Gestalten gebeten. Einige waren sogar so nett und haben sie gezeichnet. Deine Notizen waren übrigens sehr hilfreich«, fügte er hinzu, bevor er niedergeschlagen seufzte. »Nur bringt die Broschüre wahrscheinlich nichts mehr. Immerhin sind die Drachenklauen jetzt mit der Dul-Gilde untergegangen. Dabei wollte ich sie vervielfältigen und an alle Feuerwächter schicken, damit sie die verdächtigen Personen nicht in das Dorf oder die Stadt lassen.«

»Darf ich?« Als Ghan Edhor nickte, nahm Rin Verran ihm die Broschüre aus der Hand und blätterte durch die Seiten. Nacheinander schaute er sie sich an.

Ghan Edhor hatte tatsächlich Teile seiner Notizen in diesem Büchlein verarbeitet. Die erste Überschrift lautete ›Grinsegeist‹ und darunter war geschrieben, dass er seinen Opfern ein Grinsen ins Gesicht ritzte. Neu war eine ungefähre Körpergröße von ungefähr fünf Fuß und sechs bis sieben Zoll und die Tatsache, dass er anscheinend blaue Augen hatte. Mehr war hinter den schwarzen Stoffbahnen auch wirklich nicht zu sehen gewesen. Ein Bild gab es nicht.

Auf der zweiten Seite ging es um jemanden namens ›Steinherz‹. Offenbar war es eine Frau, die mit einem Breitschwert kämpfte. Diejenige, die Rin Raelin im Waldlager verletzt hatte. Im selben Moment erinnerte Rin Verran sich daran, dass Yodha behauptet hatte, ›eine gute Freundin‹ von ihm hätte in Muwam den Pfeil mit der Nachricht abgeschossen. Und auch, dass sie bei Ghan Kedrons Ermordung dabei gewesen war. Kurz ging er in Kopf die Gestalten durch, die er damals gesehen hatte. War Steinherz diese Frau?

Er tippte nachdenklich mit dem Finger auf die Seite. »Sie war vielleicht diejenige, die mir in Muwam den Pfeil mit der Nachricht zugeschossen hat. Yodha hat eine gewisse ›gute Freundin‹ von ihm erwähnt.« Den Tod von Ghan Kedron vor dessen Sohn zu erwähnen, wagte er nicht, weswegen er diese Information wegließ.

Ghan Edhor hob überrascht die Augenbrauen. »Du bist ihm nochmal begegnet?«

»Ja«, gab er zu. »Direkt nach dem Attentat auf Ghan Minue. Ich bin ihm gefolgt, aber dann hat er mich selbst gefunden.«

»Und was wollte er?«

»Dass ich mich den Drachenklauen anschließe, um mich mit ihnen für die Mehn-Gilde zu rächen. Ich hatte recht mit meiner Vermutung.«

»Und du hast so lange geschwiegen, weil...?«

»Tut mir leid«, sagte er zerknirscht. »Es sind so viele Sachen auf einmal passiert. Ich habe es einfach vergessen.«

Ghan Edhor nickte, bevor er ihm die Broschüre aus den Händen nahm, weiter nach hinten blätterte und ruckartig eine Seite herausriss. Dann zerknüllte er sie und warf sie ins Kaminfeuer. »Damit ist also geklärt, dass der Bogenschütze kein Mann, sondern eine Frau ist und zwar vermutlich Steinherz.«

Er reichte Rin Verran das Büchlein zurück.

›Feuerfuchs‹ stand auf der nächsten Seite. Daneben war das erste Bild gezeichnet. Beim Anblick des jungen Mannes mit den hellen Sommersprossen auf den Wangen zog sich Rin Verrans Herz zusammen. Dies war der erste Mensch, den er getötet hatte. »Er ist der Brandstifter gewesen?«, fragte er, nachdem er die Beschreibung durchgelesen hatte.

»Ja. Jedenfalls wurden danach keine Dörfer mehr niedergebrannt. Kann aber natürlich sein, dass die Drachenklauen auch einfach wieder untergetaucht sind. Deswegen habe ich ihn vorsichtshalber noch drin gelassen. Vielleicht sollte ich dann aber das Bild raus nehmen.«

»Nein. Lass das Bild drin.«

Rin Verran blätterte weiter und stieß auf den verhassten Namen ›Yodha‹. Hier hatte Ghan Edhor praktisch alles, was Rin Verran ihm erzählt hatte, übernommen. Ein Bild gab es nur von der Maske, die er dem jungen Mann mehrmals beschrieben hatte. Sie sah wirklich genauso aus wie er sie in Erinnerung hatte. Nur war das Grau der Linien vielleicht etwas zu hell.

»Ich habe befürchtet, die Seite auch rausreißen zu müssen, aber du hast ja gerade erzählt, dass er wirklich zu den Drachenklauen gehört«, sagte Ghan Edhor, der bemerkt hatte, wo Rin Verran gerade war.

Rin Verran nickte, blätterte auf die nächste Seite und war erstaunt, noch ein Bild zu finden. Mit der dazugehörigen Beschreibung. ›Die Motte‹ stand dort. ›Trägt schwarze Trauerkleidung und einen breitkrempigen Hut, von dem ein Schleier hängt. Sie ist im Besitz des Schleiers des Vergessens, der bewirkt, dass man einen Teil seiner Erinnerungen verliert. Das Pulver keinesfalls einatmen! Größe fünf Fuß und drei bis fünf Zoll.‹

»Sie hat ein Mädchen übersehen, das sich unter einem Bett versteckt hat«, erklärte Ghan Edhor. »Die Eltern haben den Schleier des Vergessens allerdings eingeatmet und haben vergessen, dass die Motte überhaupt bei ihnen im Haus war. Dafür hatte das Mädchen ein ausgezeichnetes Gedächtnis und konnte mir eine gute Beschreibung liefern. Gleichzeitig«, ein Grinsen schlich sich auf sein Gesicht, »haben wir jetzt den Beweis, dass die Drachenklauen zwei der drei Schätze der Mehn-Gilde benutzt haben! Den Atem des Drachens, um alles anzuzünden, und den Schleier des Vergessens, damit niemand sich an sie erinnert.«

Rin Verran nickte und gab ihm die Broschüre zurück, als es auf einmal mehrmals an der Tür klopfte.

»Herein!«, rief Ghan Edhor, der offenbar jemanden zu erwarten schien.

Herein kam ein älterer Mann mit faltigem Gesicht und einer etwas dunkleren Haut, was auf Vorfahren aus Ubria schließen ließ. Um seinen Kopf hatte er ein buntes Tuch gewickelt, in dem an einer Stelle ein Stock herausschaute. Erst auf den zweiten Blick erkannte Rin Verran, dass es sich um einen Bleistift handeln musste. Der Mann schloss die Tür hinter sich mit einigen Verrenkungen, da er sich mehrere Mappen zwischen die Arme und seinen Oberkörper geklemmt hatte. Als er sich umdrehte und Rin Verran erblickte, leuchteten seine Augen begeistert auf.

»Ihr seid der Grüne Habicht!«, rief er und verbeugte sich mehrmals in seine Richtung. »Es ist mir eine Ehre! Eine große Ehre!«

»Das ist Lew Amon«, stellte Ghan Edhor ihm den Mann vor. »Er ist ein Künstler aus Tahma. Ich habe ihn auf Shedors Wunsch hin angeheuert, damit er die wichtigsten Ereignisse und größten Helden des Feldzugs zeichnet.«

Lew Amon verbeugte sich ein letztes Mal vor Rin Verran. »Bestimmt habt Ihr auch das Gemälde mit dem grünen Habicht gesehen. Ich muss sagen, ich bin wirklich stolz darauf. Gefällt es Euch? Ein Lob von dem großen Helden, der den Forellen-Pavillon erobert hat, würde mir sehr viel bedeuten!«

Dul Caitha hätte es besser hinbekommen, dachte er, erwiderte aber höflich: »Es ist Euch wirklich gut gelungen.«

Lew Amon schien einen Ausbruch der Gefühle zurückhalten zu wollen, weswegen er ihm nur dankend zunickte und sich dann an Ghan Edhor wandte. »Ich habe weitere Skizzen und Entwürfe mitgebracht«, sagte er und übergab dem jungen Mann die Mappen, die er mitgebracht hatte. »Dieses Mal geht es vor allem um einzelne Personen, die Großes vollbracht haben. Euer Bruder, Ghan Idos, ist auch dabei. Schaut!«

Der Künstler breitete aufgeregt einige Blätter auf dem Tisch in der Mitte des Studierzimmers aus. Während Ghan Edhor mit Lew Amon über die Skizzen diskutierte und letzterer sich mit dem Bleistift eifrig Notizen an den Rand schrieb, konnte Rin Verran den Blick nicht von einem Porträt abwenden, das noch in der obersten Mappe lag. Es zeigte eine Frau, deren schwarze Haare teilweise hochgesteckt waren und mit teuer aussehenden Spangen, Nadeln und Klammern an Ort und Stelle gehalten wurden. Die restlichen Strähnen flossen ihr über den Rücken und die entblößten Schultern. Man konnte sie wirklich als seltene Schönheit bezeichnen. Ihre Züge waren elegant, scharf und weich zugleich, die Wangenknochen nicht zu hoch oder zu tief, sondern genau richtig. Der einzige Makel befand sich direkt unter ihrem rechten Auge. Ein Muttermal in der Form eines Schmetterlings. Und genau dieses Muttermals hatte er schonmal gesehen.

Rin Verran runzelte die Stirn und deutete mit dem Finger auf das Porträt. »Wer ist das?«

Lew Amon setzte den Bleistift kurz ab und schaute zu ihm herüber. »Ah, das war eine Studie, die ich über Gesichtszüge gemacht habe.«

»Und wer ist diese Frau?«

Lew Amon druckste etwas herum. »Eigentlich darf ich nicht sagen, wer mir Modell gesessen hat. Einige Kunden wollen anonym bleiben. Entschuldigt mich.«

»Warum möchtest du das denn wissen?«, fragte Ghan Edhor, der zu spüren schien, dass etwas nicht stimmte.

»Die Frau hat das gleiche Muttermal wie der Attentäter«, meinte Rin Verran und zeigte auf die besagte Stelle.

»Der Attentäter? Welcher Attentäter?«, fragte Lew Amon erschrocken und winkte abwehrend mit den Händen. »Ich porträtiere keine Attentäter! Außerdem ist das eine Frau! Das seht Ihr doch!«

»Bist du dir sicher?«, fragte Ghan Edhor Rin Verran. Er selbst hatte Mahr Yuzhu nie gesehen, wusste also nicht, ob das stimmte. Aber er vertraute darauf, dass Rin Verran ihn nicht anlügen würde. Nicht, wenn es um so eine ernste Sache ging.

»Ziemlich sicher«, entgegnete Rin Verran und wandte sich erneut an Lew Amon. »Wer ist diese Frau?«

Der Künstler zögerte weiter, spielte nervös mit dem Stift in seiner Hand herum und schaute hilfesuchend zu Ghan Edhor. Doch der sah ihn mittlerweile auch auffordernd an. »Der Attentäter, den Verran meint, hat Ghan Minue während des Getreidekornfestes schwer verletzt. Sein Name war Mahr Yuzhu und er wurde von Gilden-Anführer Mahr geschickt, um seine eigene Halbschwester zu töten. Wisst Ihr denn nicht, wie es überhaupt zu dem Krieg zwischen den Gilden gekommen ist?«

Auf Lew Amons Stirn sammelten sich glitzernde Schweißtropfen. »Ich bin nur ein Künstler. Ich interessiere mich nicht sonderlich für Politik. In ihr gibt es keinerlei Schönheit. Ich habe von dem Anschlag während des Getreidekornfestes gehört, aber es ist ja niemand gestorben, also habe ich mich nicht weiter damit auseinander gesetzt.« Er schaute von einem zum anderen. »Bin ich jetzt gefeuert?«

Rin Verran umrundete den Tisch, holte einen Stuhl und stellte ihn neben den Künstler. »Setzt Euch.«

Lew Amon tat das. »Ich verstehe nicht... Was wollt Ihr von mir? Ich habe sie nur gezeichnet, weil sie so hübsch aussah! Ihr wisst nicht, wie lange es gedauert hat, die Erlaubnis dafür zu bekommen!«

»Die Erlaubnis?« Ghan Edhor hob fragend eine Augenbraue. »Wer ist sie?«

Der Künstler blinzelte. In seinen Augen stand schon eine leichte Panik. Er wusste nicht, was er falsch gemacht hatte, aber plötzlich hatte die ganze Situation sich verändert. Nur wegen eines einzigen Porträts! Hinter ihm stand der Grüne Habicht persönlich und schien unglaublich wütend zu sein. Aber er hatte auch Prioritäten! Er versprach seinen Kunden, ihre Identität geheim zu halten, wenn sie das wollten. Und diese Frau hatte das ausdrücklich gewünscht! Sie hatte das Porträt sogar ganz für sich behalten wollen! Wie gut, dass er daran gedacht hatte, ihr nichts von der Skizze zu erzählen.

»Ihr braucht keine Angst zu haben«, versprach Ghan Edhor, der bemerkt hatte, dass Lew Amon sich unwohl fühlte. Er nickte Rin Verran zu, damit er fortfuhr.

»Diese Form von Muttermal ist sehr auffällig«, erklärte er. »Wenn der Attentäter es hatte und diese Frau ebenfalls, ist es gut möglich, dass sie seine Mutter ist und es ihm weiter vererbt hat. In diesem Fall könnte sie etwas wissen.«

»Was wissen?«, fragte Lew Amon vorsichtig.

»Über die Drachenklauen.«

Der Künstler schwieg einige Sekunden und fing dann an, schallend zu lachen. »Die Drachenklauen wurden doch alle mitsamt der Dul-Gilde ausgelöscht!«

»Unwahrscheinlich«, widersprach Rin Verran und fing sich damit auch Ghan Edhors überraschten Blick ein. Er deutete auf die Broschüre, die er vorhin durchgeblättert hatte. »Keine dieser Beschreibungen trifft auf einen Anhänger der Dul-Gilde zu. Außerdem hätten meine Erzwächter doch Yodhas Maske und die Trauerkleidung der Motte im Forellen-Pavillon finden müssen. Das ist aber nicht geschehen. Demnach existieren die Drachenklauen immer noch und der Angriff auf den Forellen-Pavillon war nutzlos.«

Lew Amons Mund klappte auf und zu, doch er bekam kein Wort heraus, während Ghan Edhor nur nachdenklich und gleichzeitig bedauernd nickte. Er vertraute seinem Onkel zwar, aber es hätten auch leicht Menschen sein können, die zuvor von den Drachenklauen bedroht worden waren, die Ghan Leddan den Hinweis mit der Dul-Gilde gegeben hatten. Alles war so verworren. Er war ein Mann der Fakten und auch wenn es ihm nicht gefiel, so ergab das, was Rin Verran sagte, dennoch Sinn.

»Der ganze Krieg wurde von diesem Attentäter ausgelöst«, fuhr Rin Verran fort. »Ich habe ihm schon damals seine Geschichte nicht geglaubt und war überzeugt, dass er zu den Drachenklauen gehört, aber jetzt bin ich mir vollkommen sicher. Das Ziel der Drachenklauen ist es offensichtlich, allen Gilden zu schaden, die damals an der Auslöschung der Mehn-Gilde beteiligt waren. Dazu gehörten alle fünf großen Gilden. Vier davon wurden mittlerweile von der Ghan-Gilde zerstört. Und ausgelöst hat das alles der Attentäter.«

Er zog das Porträt der Frau aus der Mappe und hämmerte es vor Lew Amon auf den Tisch. »Diese Frau muss etwas über die Drachenklauen wissen. Immerhin war ihr Sohn in ihre Machenschaften verwickelt. Wer ist sie und wo ist sie jetzt?«

Der Künstler starrte eine Weile auf die Zeichnung, bevor er schwer seufzte und seine Schultern sinken ließ. »Ich... wusste nicht, dass es so... schrecklich ist. Ich entschuldige mich vielmals. Wenn Eure Vermutungen stimmen und die Drachenklauen wirklich noch auf freiem Fuß sind, werde ich mein Bestes tun, um Euch zu helfen.«

Er nahm das Porträt in die Hand und betrachtete es mit einem fast schon verträumten Ausdruck, während er anfing zu erzählen: »Wie sie mit vollem Namen heißt, weiß ich leider nicht und wahrscheinlich weiß das niemand. Sie wurde von allen nur Dalja genannt. Dalja, die Tänzerin. Ihr Markenzeichen waren ihre langen, schwarzen Haare, ihr außergewöhnlich hübsches Gesicht und ihre Kleidung, die immer nur rot-weiß war. Vor etwa zwei Jahren kam sie nach Tahma und erregte sofort die Aufmerksamkeit des Bürgermeisters. Sie... Sie war eine Frau leichten Benehmens.

Aber ihr dürft das nicht missverstehen! Ich habe solche Dienste nie in Anspruch genommen! Nur die Schönheit interessiert mich und Dalja war wirklich sehr hübsch. Ich habe mehrmals versucht, mit ihr in Kontakt zu treten, aber der Bürgermeister war sehr eifersüchtig und hat mich nicht gelassen. Dabei war sie eigentlich viel zu alt für eine Kurtisane! Nur hat man es ihr nicht angesehen.

Jedenfalls hat es wirklich sehr lange gedauert, bis ich die Erlaubnis des Bürgermeisters bekommen habe, mich ihr zu nähern und sie zu porträtieren. So ist diese Zeichnung entstanden. Daljas einzige Voraussetzung war, dass sie das Porträt behalten darf und ich niemandem erzähle wer sie ist, sollte jemand fragen. Ich habe mir nichts dabei gedacht. Es ist nicht ungewöhnlich, dass eine Kurtisane ihre Identität geheim halten möchte. Wie viele Freier würden sonst auf einmal vor dem Wagen stehen, mit dem sie von einer Stadt zur anderen reist.«

»Und wo ist diese Dalja jetzt?«, hakte Rin Verran nach.

Lew Amon senkte den Kopf. »Sie ist tot.«

»Tot?«

»Ja. Sie hat Tahma nach einem Jahr wieder verlassen, doch sie wurde auf ihrem Weg zur nächsten Stadt überfallen. Später fand man ihren Wagen leer und umgekippt am Rand einer Straße. Es gab viele Blutspuren und irgendwo am Rand des Rotkiefer-Hains ein Stück umgegrabener Erde. Wenigstens besitzen einige Verbrecher noch so viel Ehre, ihre Opfer vernünftig zu begraben.«

Rin Verran fluchte innerlich. Für einen Moment hatte er geglaubt, den Drachenklauen einen Schritt näher zu sein und jetzt war wieder alles umsonst! Die – vermutlich – Mutter von Mahr Yuzhu war tot. Und das war gerade mal ein Jahr her! Wie viel Pech konnte man haben! Wenigstens bestätigte die Tatsache, dass Dalja eine Prostituierte gewesen war, mehr oder weniger Mahr Yuzhus Behauptung, er wäre Mahr Hefays Sohn. Immerhin war der Gilden-Anführer bekannt dafür gewesen, sich mit allerlei Frauen vergnügt zu haben. Um Prostituierte wird er keinen Bogen gemacht haben.

»Danke«, sagte Ghan Edhor, der merkte, dass Rin Verran keine Fragen mehr hatte. Er schob die Skizzenblätter auf dem Tisch zusammen und steckte sie zurück in die erstbeste Mappe. Das Porträt von Dalja legte er oben drauf. »Ich hoffe, Ihr versteht, dass Ihr darüber Stillschweigen bewahren müsst?«, wandte er sich an Lew Amon. »Es würde Aufstände geben, wenn die Leute erfahren, dass mein Bruder sich von den Drachenklauen auf den Feldzug hat provozieren lassen.«

Der Künstler nickte heftig. »Natürlich! Natürlich!« Er kramte seine Mappen zusammen und floh dann fast schon aus dem Studierzimmer. Als die Tür zu schlug, drehte Ghan Edhor sich zu Rin Verran um.

»Was du gerade erklärt hast, ergibt durchaus Sinn«, sagte er. »So ein Pech aber auch, dass alle Fäden reißen, sobald wir sie gefunden haben!«

»Du musst die Broschüre kopieren lassen und dann an alle Feuerwächter schicken, so wie du es geplant hast«, meinte Rin Verran.

»Shedor wird das nicht...«

»Dann mach ich es eben«, unterbrach er den jungen Mann.

Ghan Edhor schüttelte leicht den Kopf. »Zu gefährlich. Es wird zu Aufständen kommen.«

Rin Verran presste die Kiefer zusammen. Er hat recht. Die Situation hat sich gerade erst entspannt und der Krieg beruhigt. Wenn jetzt bekannt wird, dass alles umsonst war, wird es zu Auseinandersetzungen innerhalb der Ghan-Gilde und ihrer verbündeten Gilden kommen. Noch mehr Blut wird vergossen. Noch mehr Menschen sterben. Das ist genau das, was die Drachenklauen wollen. Sollten wir also besser still halten und abwarten?

»Dein Bruder hat mir angeboten, eine eigene Gilde zu gründen«, gab Rin Verran sich geschlagen. »Wahrscheinlich werde ich schon bald den Krähen-Palast verlassen und zu meinem neuen Wohnsitz ziehen.«

Ghan Edhors Augen leuchteten auf. »Das sind doch gute Nachrichten! Ich sehe, wie verbitterter du wirst, je länger du hier bleibst. Weißt du schon, wie du sie nennen wirst?«

Rin Verran stockte. Normalerweise benannte man die Gilde nach dem eigenen Nachnamen, aber er zögerte, das zu tun. Raelin lebt noch. Damit würde ich ihm öffentlich sein Erbe nehmen und ihn demütigen.

»Was hälst du von dem Vorschlag, statt der Gilde deines Vaters die Gilde deiner Mutter zu ehren?«, schlug Ghan Edhor vor, der bemerkte, dass Rin Verran zögerte.

»Nein.«

»Du verstehst mich falsch. Ich meine nicht, dass du sie Mehn-Gilde nennst, sondern irgendwas mit einer ähnlichen Bedeutung.«

»Mit einer ähnlichen Bedeutung? Seit wann haben die Namen der Gilden eine größere Bedeutung als die Nachnamen der Familie, die sie anführt?«

Ghan Edhor wirkte überrascht. »Ich dachte, du weißt es?«

»Was weiß ich?«

»Die Mehn-Gilde wurde zwar von der Mehn-Familie angeführt, aber ursprünglich lautete ihr Nachname anders. Nur, weil die Menschen irgendwann anfingen, sie mit ›Mehn irgendwas‹ zu rufen, änderten sie ihren Nachnamen. ›Mehn‹ bedeutet nämlich aus der Runensprache übersetzt ›Heilung‹ oder ›Heiler‹.«

»Runensprache? Heiler? Warum Heiler? Ich dachte, sie hätten diese drei Schätze, diese drei Waffen erfunden? Heiler würden sowas doch niemals tun!« Rin Verran war vollkommen verwirrt. Er wusste so wenig über seine Mutter und ihre Gilde. Andererseits... Jetzt, wo er genauer darüber nachdachte, hätte er schon früh darauf kommen können. Alles passte zusammen.

»Du weißt es wirklich nicht.« Ghan Edhor schaute ihn leicht mitleidig an. »Die Mehn-Gilde ist eine Gilde der Heiler. Ihr Wissen ist uralt und stammt ursprünglich aus Ubria, dem Land nördlich aller Gilden-Territorien. Dort wird eine andere Sprache benutzt, die Runensprache. Da alle Schriften darin geschrieben sind und die Mehn-Gilde die einzige war, die sie lesen und verstehen konnte, begann sie, genau diese Runensprache zu benutzen, um ihre Geheimnisse und ihr Wissen niederzuschreiben.« Er zögerte kurz. »Ich dachte, du wüsstest das oder du kennst diese Sprache. Hast du dich nie gewundert, warum ich dich Schatztruhe nenne?«

»Ich dachte, das wäre eine Art Witz.«

Ghan Edhor lachte. »Tut mir leid. Dann war es ein sehr einseitiger Witz. Dein Name, Verran, bedeutet auf der Runensprache ›Kiste‹ oder ›Truhe‹. Deine Mutter muss wirklich einen seltsamen Sinn für Humor gehabt haben, wenn sie sich so einen Scherz erlaubt hat.«

Rin Verrans Mundwinkel zuckten.

»Dann hast du also auch nicht gemerkt, dass der Name Yodha ebenfalls eine Bedeutung hat?«

»Nein.«

»Yodha bedeutet auf der Runensprache ›Helfer‹. Das passt auf ziemlich groteske Weise zu dem, was du über ihn erzählt hast.«

Rin Verran verzog gequält das Gesicht. »Ich kenne die Runensprache nicht. Ich werde sie nicht benutzen, um meine Gilde zu benennen. Ich möchte einfach nur noch so weit weg vom Krähen-Palast wie möglich und wenn mir Yodha auch nur ein weiteres Mal über den Weg läuft, werde ich keine Gnade mehr walten lassen.«

Ghan Edhor wirkte für einen Augenblick geschockt. Mit ruhiger Stimme sagte er: »Denk daran, was der Kodex sagt: Töte niemanden.«

»Für mich ist Yodha ein Niemand«, entgegnete Rin Verran nur kalt und verließ das Studierzimmer. Der grüne Umhang wehte geräuschlos hinter ihm her.

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1 Fuß = 30,48 cm = 12 Zoll. Damit könnt ihr euch ein paar Größen ausrechnen. Ich wollte keine Meter oder Zentimeter nehmen, weil solche SI-Einheiten mir zu modern vorkommen XD

Ein paar Rätsel sind gelöst, ein paar mehr sind dazu gekommen. Von der Anzahl der Seiten her sind wir jetzt fast exakt in der Mitte der Geschichte angekommen :)

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