Kapitel 56: Ablehnung - Teil 5
Rin Verran hatte gerade mal einmal geklopft, als von innen schon etwas gegen die Tür geschleudert wurde und krachend entzwei brach. Er seufzte, holte tief Luft und sagte mit ruhiger Stimme: »Du kannst mich nicht ewig ignorieren und aussperren. Ich habe auch ein Recht darauf, Kahna zu sehen.«
Überrascht wich er ein Stück zurück, als die Tür tatsächlich geöffnet wurde. Rin Veyvey starrte ihn mit wütend funkelnden Augen an. In ihrer Hand hielt sie die goldene Spange, mit der sie normalerweise ihre Haare hoch steckte. Sie umklammerte sie so fest, dass ein Tropfen Blut zwischen ihren Fingern hervor quoll. Aber sie machte keine Anstalten, auf ihn los zu gehen wie sie es sonst manchmal getan hatte, wenn sie über alle Maßen wütend war.
»Darf ich reinkommen?«
Als Rin Veyvey nicht antwortete, sondern nur beiseite trat, nahm er das als Zustimmung und ging an ihr vorbei. Hinter ihm wurde die Tür mit einem Knall zugeschlagen. Dann spürte er plötzlich etwas Kaltes, Spitzes an seinem Hals. Er erstarrte. Jede noch so kleine Bewegung würde dazu führen, dass dieses Etwas sich in seine Schlagader bohrte und er elendig verblutete. Langsam hob er die Arme, um zu zeigen, dass er Habichtfeder nicht ziehen würde.
»Ich hasse dich«, hörte er Rin Veyvey hinter sich schluchzen. »Ich sollte dich hier und jetzt töten, um meine Eltern zu rächen! Du hast sie umgebracht! Du hast alle meine Freunde umgebracht! Dabei hättest du sie retten sollen!« Ihre Stimme bebte und auch ihre Hand, die die scharfe Waffe hielt, zitterte. Die Spitze schrammte an einer Stelle über seine Haut, ritzte sie ein Stück ein.
»Veyvey, du...«
»Nenn mich nicht so!« Bei ihrem Schrei fing Rin Kahna im Kinderbett an zu weinen, aber es gab niemanden, der sie trösten konnte. »Du bist Schuld! Ich... Ich...«
Rin Verran spürte, dass sie immer mehr zitterte. Es wurde immer gefährlicher für ihn. Als Rin Veyvey rasselnd Luft holte und die Spitze der Waffe sich etwas von seinem Hals entfernte, reagierte er blitzschnell. Er packte ihr Handgelenk, das den scharfen Gegenstand hielt, wirbelte herum und stieß sie gegen die nächste Wand, wo er sie mit den Armen fixierte. Rin Veyvey bäumte sich in seinem Griff auf und schrie wütend, konnte sich aber nicht befreien. Bei einem ihrer Versuche fiel ihr die goldene Haarspange aus der Hand. Aus einer Seite ragte jetzt eine spitze, dünne Nadel hervor, die zuvor anscheinend darin versteckt gewesen war.
»Es tut mir leid. Alles tut mir leid«, sagte Rin Verran, während er sie weiter festhielt. »Ich wollte das nicht, aber ich hatte keine Wahl. Es war Ghan Shedors Befehl und ich konnte mich nicht gegen ihn stellen. Für unsere eigene Sicherheit. Ich...«
»Lüge!« Rin Veyvey kämpfte immer noch gegen ihn an. »Du hast dich freiwillig gemeldet, um den Forellen-Pavillon anzugreifen! Wie konntest du! Wir haben dich aufgenommen! Wir haben dir vertraut! Und das ist dein Dank? Du niederträchtige Schlange! Ich hasse dich!«
Rin Verran verzog gequält das Gesicht und ließ sie endlich los, trat einige Schritte zurück. Er erwartete, dass Rin Veyvey die Haarspange aufheben und sich wieder auf ihn stürzen würde, aber sie glitt einfach nur an der Wand hinunter und weinte, vergrub das Gesicht in den Händen. Was soll ich machen? Ich kann mich so viel entschuldigen wie ich will, aber ich kann Tote nicht wieder zum Leben erwecken. So viele Fehler. So viel Schuld. Er konnte sich das nicht weiter ansehen. Auch er sank zu Boden. Die untere Hälfte von Habichtfeder schrammte über den Stein.
»Ich weiß, du kannst mir nicht verzeihen«, sagte er leise. »Darum werde ich auch nicht um Vergebung bitten. Ich möchte nur, dass du weißt, wie sehr es mich geschmerzt hat, das alles zu tun. Ich verspreche dir, dass wir den Krähen-Palast bald verlassen werden. Ghan Shedor hat mir angeboten, eine eigene Gilde zu gründen. Dann werde ich auch nicht mehr an seine Befehle gebunden sein. Kahna wird ein glückliches Leben haben.«
Rin Veyvey drehte den Kopf in seine Richtung, die Augen verweint. Wortlos stand sie auf, stützte sich an der Wand ab und stolperte zu Rin Kahna hinüber, die immer noch schrie. Beim Anblick ihrer Mutter und als sie sie in die Arme nahm und wiegte, beruhigte sie sich jedoch schnell. Auf ihrem Kopf wuchsen bereits kurze, blonde Haarstummel, die Augen waren strahlend blau. Rin Verran spürte, wie ihm warm ums Herz wurde, aber er wagte nicht, sich ihnen zu nähern.
»Bei unserer ersten Begegnung«, sagte Rin Veyvey auf einmal, »hatte ich solche Angst. Ich hatte solche Angst, du könntest mir etwas antun. Ich war kurz davor gewesen, dir Goldener Fuchs in den Hals zu stoßen, damit du verblutest.«
Rin Verran sah zu der Haarspange mit der Nadel, die immer noch am Boden lag. Er erinnerte sich nur verschwommen an jenen Abend. Hatte sie ihn damals wirklich mit dieser Spange bedroht? Er schwieg benommen. Wie oft war er dem Tod mittlerweile schon entkommen?
»Aber dann bist du plötzlich zurückgewichen«, fuhr Rin Veyvey fort, wiegte Rin Kahna weiterhin in ihren Armen. »Und ich habe gezögert. Ich habe dich gehasst. Dann hatte ich Mitleid mit dir, als mein Vater dich in Arcallas Räumen festgehalten hat. Du erinnerst dich vielleicht nicht mehr daran, aber ich habe dich da einmal besucht. Ich wollte dir vorwerfen, meinen ersten Kuss gestohlen zu haben – denn das war wirklich mein erster Kuss gewesen –, aber du sahst so niedergeschlagen aus. Du hast mir einfach nur leid getan. Und dann habe ich dich wieder gehasst, als ich erfahren habe, dass ich dich heiraten musste.« Sie stieß ein halb-weinendes Lachen aus. »Warum... Warum habe ich dich aber nie bis zum Abgrund gehasst? Ich weiß nicht, ob man das als Liebe bezeichnen kann. Es ist etwas, das mich von innen heraus zerreißt. Es tut so weh! Selbst jetzt, obwohl ich weiß, dass du für den Tod meiner Eltern verantwortlich bist, kann ich dich nicht töten! Warum bin ich nur so feige!«
Rin Verran rührte sich nicht von der Stelle, war wie erstarrt.
»Ich sollte dich hassen, aber ich kann nicht«, schluchzte Rin Veyvey und legte Rin Kahna, die mittlerweile wieder eingeschlafen war, zurück in das Bett. »Ich fühle mich, als wäre ich in einem riesigen Albtraum gefangen, der kein Ende hat. Als wäre ich in einer Höhle ohne Ausgang oder am Grund einer tiefen Schlucht ohne Ausweg. Alles ist dunkel und alle Lichter sind schon lange erloschen.« Sie wischte sich mit den Handrücken über die Wangen, verschmierte ihre Schminke, aber es machte ihr nichts aus. »Manchmal denke ich, alles wäre einfacher, wenn ich einfach nicht mehr da wäre.«
Erschrocken hielt Rin Verran sie am Handgelenk fest, um sie daran zu hindern, eine der Scherben aufzuheben, die zu der zerbrochenen Vase gehörten, die sie zuvor gegen die Tür geschmettert hatte. »Tu das nicht!«, sagte er eindringlich.
»Warum nicht? Warum sollte ich es nicht tun? Ich bin dir nur eine Last. Wenn ich nicht mehr da wäre, könntest du machen, was du willst. Du könntest in deinem Ruhm baden. Jeder bewundert dich. Ich bin nur ein Hindernis auf deinem Weg. Außerdem willst du mich doch gar nicht! Du hast gesagt, dass unsere Nacht ein Fehler war! Dass Kahna ein Fehler war!«
»Zieh sie da nicht mit rein«, entgegnete Rin Verran so ruhig er konnte und zog Rin Veyvey näher zu sich, bis sie so dicht beieinander standen, dass ihre Oberkörper sich fast berührten. Ihre geröteten Augen starrten zu ihm hoch. Voller Verzweiflung. Voller Zerrissenheit. »Du bist die Mutter meiner Tochter. Wenn ich dich auch nicht so lieben kann, wie du es dir wünschst, so werde ich doch immer versuchen, das Beste für uns zu tun. Du bist keine Last. Du bist kein Hindernis. Du bist eine Person an meiner Seite, die ich zu schätzen gelernt habe. Versprich mir, dass du dir nichts antust. Wenn nicht für mich, dann für Kahna. Für unsere Tochter.«
Rin Veyveys Lippen zitterten, sie nickte und fing schließlich wieder an zu weinen. Sie schlang ihre Arme um seinen Oberkörper und vergrub ihr Gesicht an seiner Brust. Ihr ganzer Körper zitterte wie in Krämpfen. Vorsichtig legte Rin Verran auch seine Arme um sie, strich ihr ab und zu beruhigend über den Rücken.
»Ich werde euch beide mit meinem Leben beschützen«, flüsterte er. »Nichts und niemand wird daran etwas ändern.«
Irgendwann beruhigte sich Rin Veyveys Atmung und sie löste sich von ihm. »Wirst du uns aus dem Krähen-Palast wegbringen?«, fragte sie kleinlaut.
»Ja. So bald wie möglich.«
»Morgen?«
»Ich weiß nicht, wie lange es dauern wird, bis Ghan Shedor mir einen Wohnsitz zuweist.« Bei ihren qualvoll verzerrten Gesichtszügen fügte er hinzu: »Das wird das letzte sein, was er für mich bestimmt.«
Rin Veyvey nickte und torkelte in Richtung des großen Bettes. »Lass uns schlafen«, murmelte sie.
Rin Verran nickte und wollte gerade in Richtung des Sofas gehen, als Rin Veyvey ihn am Unterarm ergriff und den Kopf schüttelte.
»Zusammen«, sagte sie und rückte nach links, machte Platz für ihn. Verwundert trat er näher, wandte sich beschämt ab, als sie ihr Kleid abstreifte und das Korsett löste, dann das Nachthemd anzog. Es war das erste Mal, dass sie ihm erlaubte, in einem Bett mit ihr zu schlafen. Er zögerte lange, sehr lange. Als er aus seinen Gedanken hochfuhr, stellte er fest, dass Rin Veyvey bereits eingeschlafen war. Letztendlich entschloss er sich dazu, nicht zu schlafen, sondern über Rin Kahna und Rin Veyvey zu wachen. Seine Tochter schlummerte tief und fest. Sie sah so friedlich aus. Kannte all die Sorgen nicht, die ihre Eltern hatten. Voller Liebe schaute Rin Verran auf sie hinab. Du bist mein kleiner Schatz. Ich werde dich nie verlassen.
.............................................................................................................................................................................
Manchmal frage ich mich wirklich, warum ich dieses Buch geschrieben habe. Es ist teilweise so traurig, meine Güte. Ich könnte heulen. Kennt ihr das, wenn ihr so traurig seid, dass ihr am liebsten weinen wollt, aber selbst dafür keine Kraft mehr habt?
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro