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Kapitel 52: Ablehnung - Teil 1

Der frische Frühlingswind passte überhaupt nicht zu der Szene, die sich am Seerosen-Ufer abspielte. Etwa zwei Tage vor Beginn des Angriffs hatte ein Kundschafter Dul Nehmon gemeldet, dass die Erzwächter der Ghan-Gilde bereits in unmittelbarer Nähe waren. Daraufhin hatte er alle verbündeten Gilden zusammengerufen. Die meisten waren seinem Ruf gefolgt, doch es gab auch einige, die sich vor dem bevorstehenden Kampf fürchteten. Deren Gilden-Anführer meinten, dass es besser wäre, es gut mit der Ghan-Gilde zu halten, da sie sowieso gewinnen würde. Die Val-Gilde hatte nicht geantwortet.

So versammelten die Erzwächter der Dul-Gilde und ihrer Verbündeten sich im Forellen-Pavillon. Es wehten keine Banner, es gab keine geflüsterten Gespräche, nur ein angespanntes Warten. Warten auf den Sturm, der bald kommen würde. Wegen seiner Verletzung war es Paat Jero verboten worden, sich zu den anderen Erzwächtern zu gesellen. Daher blieb er als Leibwächter an Dul Nehmons Seite, die Hand locker auf dem Griff seines neuen Schwertes, aber trotzdem wachsam genug, um es jederzeit ziehen zu können.

»Weißt du«, flüsterte Dul Nehmon ihm auf einmal zu, »was mein Meister mir einst gesagt hat?«

»Dass du besser lernen sollst?«, fragte Paat Jero ohne den südlichen Horizont aus den Augen zu lassen. Dort hatten die feindlichen Truppen ihr Lager aufgeschlagen und bereiteten sich jetzt offenbar auf den Angriff vor.

»Nein.« Dul Nehmons Gesicht wurde ernst. »Er hat gesagt, dass ein Erzwächter nicht kämpft, weil er das hasst, was vor ihm ist, sondern weil er das liebt, was hinter ihm steht. Das ist der entscheidende Unterschied zwischen uns und denen.« Er deutete zu der dunklen Linie aus Erzwächtern, die allmählich immer breiter wurde.

»Sie kommen«, sprach Paat Jero das Offensichtliche aus.

»Ja.« Dul Nehmon seufzte. »Hast du Caitha und Arcalla in Sicherheit gebracht?«

»Arcalla hat sich geweigert, mit ihrer Mutter zu gehen.«

Der Gilden-Anführer presste die Lippen fest zusammen.

»Sie hat gesagt, dass sie erst fliehen wird, wenn alles wirklich verloren ist. Das sei ihre Pflicht als deine Tochter.«

»Denkt sie, sie würde mir damit einen Gefallen tun?« Sein Blick huschte zum Nebengebäude, in dem Dul Arcallas Zimmer lagen und dann wieder zurück zu den nahenden Erzwächtern. Seine Augen weiteten sich und wurden dann hart. »Ist das Rin Verran?«

Bald übertönte das Klirren von Schwertern und das Kampfgeschrei von Männern und Frauen alle Gespräche. Klingen schnitten durch Fleisch, zerteilten Glieder, hinterließen Wunden, die kein Heiler mehr heilen könnte. Rin Verran erfuhr zum ersten Mal, was es bedeutete, ein echtes Schlachtfeld zu betreten. Er wollte das alles nicht hören, nicht sehen. Die leeren Augen, die zum Himmel starrten. Die blassen Gesichter. Den zerstampften Boden, der immer noch von schweren Stiefeln aufgewühlt wurde. Die Grashalme, von deren Spitzen rote Tropfen hingen. Die blutbesprenkelten Blütenblätter der Blumen am Ufer. Die Kerben im Holz der Gebäudebalken, wo ein Schwert entlang geschrammt war.

Der Forellen-Pavillon war sogar nach so einer kurzen Zeit nicht mehr wieder zu erkennen. Um ihn herum herrschte pures Chaos. Es knallte laut, als die Tür des Gebäudeteils aufflog, in dem Dul Arcalla ihre Räumlichkeiten hatte. Eine junge Frau, die er als Lai Zani erkannte, sprintete hinaus, während sie ihre Herrin hinter sich her zerrte. Sie stolperten mehrmals, während sie den Erzwächtern auswichen, die im Innenhof gegeneinander kämpften. Schwerter klirrten, Pfeile schwirrten. Weiter hinten, wo Dul Nehmon die Gruppe seiner treuesten Gilden-Anhänger anführte, schoss die Peitsche Elmsfeuer durch die Luft. Hinterließ rote Striemen, wo sie auf ungeschützte Haut traf. Schmerzensschreie. Dann ein Kreischen.

Rin Verran stieß den Erzwächter, gegen den er gerade kämpfte, mit einem wuchtigen Schlag zur Seite, sprang über die Leiche eines Dieners hinweg und rannte in die Richtung, aus der der Schrei gekommen war. Dul Arcalla. Eindeutig ihre Stimme. Ihr durfte nichts geschehen! Er durfte es nicht zulassen! Er würde es sich nie verzeihen!

Als er um die Ecke bog, stieß er mit einem Erzwächter zusammen, der Lai Zani gerade sein Schwert aus der Brust zog. Die Dienerin verdrehte ihre Augen und sackte tot in sich zusammen, stürzte schlaff zu Boden. Wenige Schritte entfernt stand Dul Arcalla. Die Panik auf ihrem Gesicht war unübersehbar. Und die Panik in Rin Verrans Brust nahm zu. Ohne nachzudenken hob er Habichtfeder und stieß die Klinge in die Seite des Erzwächters. Dieser schrie nur überrascht auf, bevor Rin Verran ihn endgültig zu Boden schlug, sein Schwert herauszog und keuchend zurücktrat. Blut an der Klinge, Blut an seinen Händen. Es war so leicht. Verräter! Verräter!, donnerten seine Gedanken. Rin Verrans Blick begegnete dem von Dul Arcalla. In ihren Augen stand Angst, panische Angst und Unsicherheit. Langsam wich sie einige Schritte von ihm zurück, drehte sich dann um und rannte davon.

Rin Verran biss die Zähne zusammen, wandte sich ebenfalls ab und schlug sich zurück in den Innenhof, während er bei jedem Schritt die Schwerter der feindlichen Erzwächter abwehren musste. Sie kannten keine Gnade. Sie sahen ihn als Verräter, als Verräter an der Gilde, die ihn aufgenommen hatte. Nur wussten sie nicht, dass er eben einen seiner eigenen Leute getötet hatte, um Dul Arcalla entkommen zu lassen. Oder dass er viele Diener fliehen gelassen hatte. Doch genauso viele waren durch seine Hand gefallen. Es waren zu viele Augen um ihn herum, die ihn beobachteten. Die abschätzten, ob seine Treue Ghan Shedor gegenüber echt oder nur vorgetäuscht war. Er fühlte sich allein, konnte niemandem vertrauen. Die Leiche, dachte er. Sie werden nicht darauf kommen, dass ich es war. Niemand hat mich gesehen.

Und plötzlich fand er sich Dul Nehmon gegenüber. Der Gilden-Anführer kniete halb neben Paat Jero im Gras, ein Knie auf dem Boden, auf dem anderen stützte er sich mit der Hand ab. Sein Atem ging keuchend. Um ihn herum gab es niemanden mehr, der an seiner Seite kämpfen konnte. Niemanden mehr, der noch lebte. Die Erzwächter der Ghan-Gilde hatten ganze Arbeit geleistet und es wäre eine Leichtigkeit für einen von ihnen, Dul Nehmon ebenfalls zu töten, doch alle zögerten. Die Wut, die in seinen Augen brannte, hatte etwas Unmenschliches. Als er den Kopf hob und Rin Verran erblickte, wurde aus dieser Wut blinder Zorn. Die Zähne wie ein Tier gebleckt, hievte er sich auf die Beine. Elmsfeuer in seiner Hand hinterließ rote Streifen auf dem Gras.

»Rin Verran!«, brüllte Dul Nehmon mit einer so wilden Stimme, dass allen Anwesenden ein eiskalter Schauer über den Rücken lief. »Du bist verantwortlich für dieses Massaker?«

Er antwortete nicht, umfasste Habichtfeder fester. So viel Blut an meinen Händen. Aber ich kann es nicht tun. Ich kann nicht.

»Ich hätte dich damals schon töten sollen«, sagte Dul Nehmon. »Ich könnte es jetzt auch noch tun.« Gerade hatte er das gesprochen, als sein Gesicht sich kurz verzerrte und er die freie Hand auf den Bauch presste. Dort breitete sich langsam ein roter Fleck aus. Anscheinend war der Gilden-Anführer bereits verletzt worden.

Rin Verran härtete sein Herz und hob Habichtfeder. »Die Dul-Gilde macht mit den Drachenklauen gemeinsame Sache. Wenn Ihr mir sagt, wer zu ihnen gehört, lasse ich Euch gehen.«

»Was?«, fragte einer seiner Erzwächter irritiert. »Ghan Shedors Befehl lautete anders! Die beiden Gilden-Anführer und ihre jüngere Tochter sollen getötet werden!«

»Ich kann ihn auch einfach erschießen«, bemerkte eine Bogenschützin. »Ihr müsst nicht gegen ihn kämpfen, Rin Verran. Er wird sowieso verlieren. Schaut, er blutet sogar aus einer Wunde!«

»Er hat mir mit seiner Scheiß-Peitsche fast den Arm abgerissen! Tötet ihn einfach!«

Rin Verran hörte sie jedoch nicht. Starrte Dul Nehmon nur direkt in die Augen, versuchte ihm zu übermitteln, dass es ihm nicht gleichgültig war. Er wollte das alles nicht. Aber er hatte auch nicht den Mut, sich gegen seine eigenen Leute zu stellen. Einfach nicht den Mut. Die Leiche des Erzwächters war genug.

»Du weißt genau, dass wir nichts damit zu tun haben«, sagte Dul Nehmon. »Unschuldiges Blut klebt an deinen Händen, Verran.« Es war das erste Mal, dass der Gilden-Anführer ihn nur beim Vornamen ansprach. Wie einen eigenen Sohn. Wie eine Person, der er vertraute. Rin Verrans steinernes Herz bekam Risse, bröckelte. Nein, nein, nein!

Und plötzlich schoss die Peitsche vor. Rin Verran konnte nicht mehr ausweichen. Warmes Blut tropfte von seiner Wange, während Dul Nehmon mit seiner Waffe erneut ausholte. Elmsfeuer. Sein Herzstück. Rin Verran hatte gehört, dass Elmsfeuer von Seeleuten als Glücksbringer gesehen wurden. Helle Lichterscheinungen, ähnlich Blitzen, die an den Masten großer Schiffe auftauchen konnten. Doch dieses Elmsfeuer brachte nur Pech mit sich.

Rin Verran wollte die Peitsche mit Habichtfeder in der Luft durchtrennen, aber Dul Nehmon bewegte sie so, dass sie sich stattdessen um seine Klinge wickelte. Sie zogen. Elmsfeuer spannte sich, doch es würde nicht reißen. Auf einmal lockerte sich Dul Nehmons Griff und er presste sich die Hand erneut auf die Wunde. Mit einem Ruck riss Rin Verran ihm seine Waffe aus der Hand. Die Peitsche glitt schlaff an Habichtfeder herab und fiel zu Boden, während der Gilden-Anführer ihn mit blitzenden Augen anstarrte.

»Sagt mir, wer von Euren Leuten zu den Drachenklauen gehört!«, forderte Rin Verran mit fester Stimme und richtete Habichtfeder auf ihn. Gleichzeitig versuchte er zu verhindern, dass seine Hand zitterte.

»Niemand«, presste Dul Nehmon hervor.

»Das dauert alles zu lange!«, rief auf einmal die Bogenschützin aus der Menge. Es sirrte. Der Pfeil löste sich von der Sehne und es gab einen dumpfen Laut, als die Spitze sich zielgenau ins Herz des Gilden-Anführers bohrte. Dul Nehmon war sofort tot, sackte leblos zu Boden. Neben Paat Jero, in dessen rechter Hand immer noch das Schwert ruhte, mit dem er seinen Gilden-Anführer verteidigt hatte. Kupferne Flammen zogen sich den Griff hoch.

Plötzlich ertönte ein ohrenbetäubender Schrei aus dem Hauptgebäude des Forellen-Pavillons. Im Rahmen der bereits niedergerissenen Tür erschien Dul Caitha, krümmte sich, als würde sie schreckliche Qualen erleiden. Tränen liefen ihre Wangen hinab, das Gesicht vor Schmerz und Entsetzen verzerrt. Sie schien gar nicht zu bemerken, dass es im ganzen Innenhof nur so vor feindlichen Erzwächtern wimmelte, als sie die Treppenstufen hinab stolperte. Kraftlos sank sie neben Dul Nehmon zu Boden, strich mit zitternden Händen über seine Brust und versuchte, die Wunde abzudrücken, aber es war nutzlos. Ihre dunklen Augen fixierten Rin Verran, die Lippen zitterten, aber ihre Stimme war fest, als sie sagte:

»Rote Tropfen besprenkeln weiße Blüten. Der Frühlingswind trägt Klageschreie auf den See. Ein dunkler Schatten füllt das Wasser. Der grüne Habicht erbeutet einen Fisch.«

Dann blitzte plötzlich ein Dolch in ihrer Hand auf. Mit einem Schrei schleuderte sie ihn in Richtung Rin Verran, der gerade noch rechtzeitig Habichtfeder heben und ihn ablenken konnte. Die Klinge bohrte sich keine Handbreit vom Stiefel eines Erzwächters entfernt in die Erde. Etwa gleichzeitig hatte die Bogenschützin einen weiteren Pfeil auf die Sehne gelegt und geschossen. Dul Caitha schnappte nach Luft, als das Geschoss in ihre Brust eindrang. Sie spuckte Blut, bevor ihr Körper zur Seite sackte. Eine ihrer Hände umklammerte die von Dul Nehmon.

Eine bedrückende Stille legte sich über die versammelten Erzwächter der Ghan-Gilde. Doch dann begannen die ersten, einander auf die Schultern zu klopfen und sich zu gratulieren. Auch Rin Verran streckten sich mehrere Hände entgegen und die Männer und Frauen lachten erleichtert auf. Als wäre ihnen eine schwere Last von den Schultern genommen worden. Als würden sie die Leichen um sich herum und das Blut auf ihrer Kleidung und ihrer Haut gar nicht bemerken.

»Rin Verran! Wir haben es geschafft! Ein voller Erfolg!«

»Alle Anhänger der Dul-Gilde sind entweder tot oder geflohen! Und die, die geflohen sind, werden sich nie wieder unter das Licht der Sonne trauen! Die Drachenklauen sind besiegt! Gilden-Anführer Ghan ist gerächt!«

»Grüner Habicht! Wahrlich ein grüner Habicht! Ist wie ein Raubvogel durch den Innenhof geschossen und hat Schläge nach allen Seiten ausgeteilt!«

»Danke! Danke!«

»Die Gilden-Anführer sind tot, aber wo ist deren Tochter?«

»Sucht nach ihr! Wir müssen sie auch töten!«

»Wir müssen die Leichen öffentlich aushängen! Alle anderen verbündeten Gilden der Dul-Gilde sollen wissen, dass es niemanden mehr gibt, der sie beschützt! Dann werden sie sich schnell ergeben!«

»Nein!«, grollte Rin Verran, der seinen Blick von Paat Jero, Dul Nehmon und Dul Caitha los riss und ihn stattdessen auf den Erzwächter richtete, der eben gesprochen hatte.

»Hä? Warum nicht?«, fragte dieser. »Das ist doch das einzig Vernünftige!«

»Nein«, wiederholte Rin Verran streng. »Ihre Leichen werden nicht öffentlich ausgestellt!« Er presste die Kiefer zusammen, um den Mann nicht anzuschreien. »Alle Toten werden hier im Innenhof verbrannt.«

»Alle?« Mehrere Erzwächter starrten ihn fassungslos an. »Auch unsere eigenen Leute? Mit diesen falschen Schlangen? Das könnt Ihr doch nicht ernst meinen!«

»Die Toten sind tot«, entgegnete er fest. »Sie unterscheiden sich in nichts voneinander als in der Farbe ihrer Kleidung. Alle haben tapfer gekämpft. Es ist ein Zeichen des Respekts, sie nach dem Tod so zu behandeln wie wir es mit unseren eigenen Leuten tun würden. Oder sieht jemand das anders?«

Die Erzwächter schüttelten heftig den Kopf, einige schauten sogar beschämt zu Boden. Auf einmal teilte die Menge sich und ein junger Mann in der Kleidung der Ghan-Gilde stolperte auf ihn zu. Rote Blutspritzer zogen sich quer über sein Gesicht. In der Hand hielt er ein Schwert, das er anscheinend erst vor Kurzem benutzt hatte. Er blieb keuchend stehen und zeigte immer wieder mit dem Finger weiter nach hinten, zu sehr außer Atem, um irgendwas zu sagen.

»Die jüngere Tochter der Gilden-Anführer wurden gefunden!«, stieß der Mann schließlich hervor. »Sie...«

»Bring mich hin«, befahl Rin Verran ohne zu zögern. Der Mann klappte den Mund zu und stolperte eilig voran, auf die andere Seite des Hauptgebäudes. Arcalla, bist du doch nicht geflohen? Warum nicht? Ich habe dir doch die Gelegenheit gegeben! Warum hast du sie nicht genutzt? Mehrere Erzwächter folgten ihm bis zu einer Frau, die Dul Arcalla mit festem Griff an den Haaren und am Oberarm festhielt. Sie hatte sie auf die Knie gezwungen und riss ihren Kopf gewaltsam nach hinten, als sie sah, dass eine Gruppe sich näherte.

»Wir haben sie gefunden!«, berichtete die Erzwächterin stolz. »Sie wollte wohl fliehen, war aber zu langsam!«

»Ich habe sie am Bein verletzt, damit sie nicht wegrennen kann«, fügte der Mann hinzu, der Rin Verran her geführt hatte. »Ich bin aber zu unbedeutend, um sie zu töten. Die Ehre gebührt Euch.«

Rin Verran unterdrückte den Impuls, dem Mann eine Faust ins Gesicht zu schlagen. Der rote Fleck am unteren Teil von Dul Arcallas Kleid wurde immer größer. Aber die Wunde schien nicht lebensgefährlich zu sein. Er presste die Kiefer zusammen, atmete tief durch.

»Ich werde sie nicht töten«, sagte er. »Niemand wird das.«

»Was?« Die Erzwächterin, die Dul Arcalla festhielt, schaute an fassungslos an. »Warum nicht? Wir sollten sie auch töten! Gilden-Anführer Ghan hat es befo...«

»Er ist aber nicht hier!«, fuhr Rin Verran sie an. »Außerdem hat sie keine Waffen bei sich. Es ist ehrlos, einen Unbewaffneten zu töten.«

Die Frau grummelte unwillig, nickte dann aber.

»Bringt sie nachher in mein Zelt«, fügte Rin Verran mit Blick auf Dul Arcallas Wunde hinzu. Es waren zu viele gestorben, viel zu viele. Er konnte nicht zulassen, dass sie bald zu den Leichen gehörte, die im Innenhof verbrannt wurden. Sie hatte die ganze Zeit schweigend am Boden gekniet, die Tortur der Frau ertragen, die sie festhielt. Und auch jetzt stand in ihren Augen nur ein stummer Vorwurf. Ein leises Verzweifeln. Angst.

»Soll sie ruhig Angst haben«, sagte jemand in die Stille hinein, der der Meinung war, er würde flüstern. Mehrere Männer grinsten hämisch. »Wenn er damit fertig ist, sie zu verhören, wird sie nicht mehr auf den Beinen stehen können«, tuschelten sie. »Ich frage mich, wie viele Knochen er ihr brechen wird, haha.«

Rin Verran konnte es sich nicht weiter anhören. Nicht weiter ansehen. Er ging an der versammelten Menge vorbei, die es nicht wagte, ihn aufzuhalten, und dann immer weiter. Immer weiter weg vom Forellen-Pavillon, bis das Hauptgebäude nur noch ein kleiner Punkt war. Dort fiel er auf die Knie, rammte Habichtfeder vor sich in den Boden und schrie. Schrie sich alle Geister aus dem Leib. Er merkte erst, dass ihm Tränen über die Wangen liefen, als eine davon hinunter tropfte. Auf seinen Handrücken, der voller Blut war. Wie viele hatte er heute getötet? Sein ganzer Körper verkrampfte sich vor Schmerzen.

»Es tut mir leid!«, schrie er. Sein Gesicht spiegelte sich in Habichtfeders Klinge. Es sah schrecklich aus. Es kam ihm so vor, als wäre das nicht er. Als wäre es eine vollkommen andere Person, die ihn durch die Spiegelung anstarrte. Die dunkelbraunen Haare vollkommen durcheinander. Die aufgerissene Haut auf der linken Wange von Dul Nehmons Peitschenhieb. Die Augen voller Schmerz. »Es tut mir leid«, flüsterte er diesmal. Die Lippen in der Spiegelung bewegten sich. Aber was brachte eine Entschuldigung jetzt schon? Eine Entschuldigung konnte die Toten nicht wieder zum Leben erwecken. Sie konnten ihn ja nicht mal hören!

Rin Verran wusste nicht, wie lange er dort gekniet, geschrien und geweint hatte. Irgendwann war seine Kehle heiser und seine Augen brannten, als hätte jemand sie über glühende Kohlen gehalten. Die Spiegelung in Habichtfeders Klinge war immer noch dieselbe. Derselbe Mann. Derselbe Mensch. Und doch anders. Er fühlte sich wie eine leere Hülle, als er aufstand und zum Forellen-Pavillon zurückkehrte. Das Lager mit den Zelten lag ein Stück flussaufwärts. Als er sich ihm näherte, betrachteten die Erzwächter ihn mit großen Augen und ehrfürchtigen Blicken.

»Trinkt eine Runde mit uns, Grüner Habicht!«, sprach ihn auf einmal ein junger Erzwächter an.

Rin Verran warf ihm einen finsteren Blick zu, bevor er den Weg zu seinem Zelt fortsetzte.

»Komm zurück, Ro Mekko!«, zischte ein anderer Mann seinem Freund leise zu. »Du hast vielleicht Nerven! Ihn einfach so anzusprechen! Als ob er sich zu uns setzen würde! Er hat bessere Sachen zu tun!«

»Hast du ihn wirklich Grüner Habicht genannt?«, flüsterte eine junge Frau. »Du mutiger Bastard! Was, wenn ihm dieser Name gar nicht gefällt?«

»Aber alle nennen ihn doch jetzt so!«

»Sprich leiser, verdammt! Weißt du nicht, dass er mit Rin Raelin, dem Roten Phönix, verwandt ist? Am Ende verprügelt er dich noch, wenn ihm nicht gefällt, was du sagst!«

»Aber es ist doch ein guter Name!«

»Ach, halt einfach den Mund!«

»Ich meine, er passt voll!«

»Sei bloß still!«

Vor Rin Verrans Zelt stand bereits eine Wache. Der Erzwächter nickte ihm höflich zu. »Dul Arcalla ist bereits drinnen.«

Rin Verran presste die Kiefer zusammen und trat ein. Sie war tatsächlich da, kniete ganz hinten auf dem Boden, den Kopf gesenkt. Ihre blonden Haare fielen ihr offen über die Schultern. Das grüne Stoffband, das sie normalerweise zusammenhielt, war verschwunden. Wahrscheinlich abgerissen von der Frau, die sie zuvor festgehalten hatte. Der rote Fleck auf ihrem Kleid war zum Glück nicht größer geworden, aber ihr war anzusehen, dass die Wunde ihr Schmerzen bereitete.

Rin Verrans Brust zog sich so stark zusammen, dass es weh tat. Kurzerhand zog er Habichtfeder aus der Scheide. Bei dem Geräusch verkrampfte Dul Arcalla sich, doch als das Reißen von Stoff ertönte und er ihr ein abgeschnittenes Stück seines Umhangs hinhielt, hob sie langsam den Kopf. Ein gequälter Ausdruck stand auf ihrem Gesicht. Die Augen waren gerötet, an der Unterlippe klebte Blut. Offenbar hatte sie sie sich irgendwann aufgebissen.

»Warum tust du das?« Ihre Stimme war immer noch hell und klar. Wie ein gleißender Sonnenstrahl, der sich direkt in Rin Verrans Herz brannte.

»Es tut mir leid«, flüsterte er.

»Es tut dir leid?« Ein ungläubiges Lachen klang mit diesen Worten mit. »Es tut dir leid, meine Freunde und alle, die im Forellen-Pavillon leben, niedergemetzelt zu haben?«

Rin Verran konnte ihrem Blick nicht länger standhalten, schaute weg. Das grüne Stoffband entglitt seinen Fingern und trudelte zu Boden. »Ich habe alles zerstört«, sagte er. »Alles, was mir etwas bedeutet. Ich dachte, ich könnte es verhindern, aber es hat nicht geklappt.«

»Du bist ein Verräter. Du hast nicht nur einen deiner eigenen Leute verraten. Du hast die Leute verraten, die dir eine Familie gewesen sind. Wegen dir sind sie tot. Nur wegen dir. Warum bist du nicht einfach zum Forellen-Pavillon zurückgekehrt? Warum bist du im Krähen-Palast geblieben?«

»Ich...« Rin Verran konnte es nicht erklären. All seine Erklärungen würden nichts bringen. Er wusste, dass es keine Rechtfertigung für seine Handlungen, seine Taten gab. Und genau das war es, das ihn von innen heraus zerstörte. Ich habe einfach nicht den Mut. Ich dachte, ich wäre mutig, aber das bin ich nicht.

»Ich hasse dich.«

Nur drei Worte.

Rin Verran sank vor Dul Arcalla auf die Knie. Der Schmerz war unerträglich. Natürlich hasst sie mich. Was könnte ich anderes erwarten? Er wollte die Hand nach ihr ausstrecken, sie tröstend in den Armen halten, aber er wusste, dass das nicht richtig war. Er war verantwortlich für den Tod ihrer Eltern. Dafür, dass ihr Zuhause von der Ghan-Gilde besetzt wurde.

Er öffnete den Mund, um etwas zu sagen, als von draußen auf einmal aufgeregte Stimmen ertönten. Der wachhabende Erzwächter vor dem Zelt schien mit einem Jungen zu diskutieren, der offenbar unbedingt rein wollte.

»Der Grüne Habicht will jetzt nicht gestört werden! Er ist beschäftigt!«

»Aber es ist wirklich wichtig!«

»Komm morgen wieder, du Knirps!«

Rin Verran hätte am liebsten frustriert aufgeschrien. Irgendwie schaffte er es zurück auf die Beine, stolperte zum Ausgang und riss die Zeltplane zur Seite. Draußen stand ein Junge, der etwa vierzehn Jahre alt sein musste, und war gerade dabei, dem Wachmann eine freche Erwiderung zu geben, als er Rin Verran sah.

»Herr Rin!«, rief er und hielt einen Brief hoch. »Ich habe eine Nachricht für Euch!«

Kein Siegel, dachte Rin Verran und ignorierte die unangenehme Anrede. Er musste sofort an den Brief denken, den Zha Elto ihm einst im Krähen-Palast gebracht hatte. Kurz bevor der Krieg losgebrochen und dem jungen Mann den Tod gebracht hatte. Noch mehr Blut an seinen Händen. Ist es derselbe Absender? »Komm rein«, befahl er mit einem Seufzen, woraufhin der Junge strahlend am Wachmann vorbei ins Zelt spazierte. Sein Lächeln erlosch, als er die fast unversehrte Dul Arcalla sah. Er war jedoch schlau genug, um nicht nachzufragen.

»Arcalla«, wandte Rin Verran sich an sie, wusste aber nicht, was er noch hinzufügen sollte.

»Ich bringe sie weg«, ereiferte sich der Erzwächter vor dem Zelt, woraufhin Dul Arcalla gehorsam aufstand und nach draußen ging. Sie warf Rin Verran nicht mal einen letzten Blick zu.

»Sie...«, hielt Rin Verran den Mann noch kurz zurück. »Behandelt ihre Wunde.«

»Natürlich.« Der Erzwächter wagte es nicht, zu widersprechen, obwohl er sich bestimmt wunderte, warum das Verhör so unblutig verlaufen war. Sobald er sich abgewandt hatte, huschte jedoch ein gemeines Lächeln über seine Lippen.

Als sie verschwunden waren, drehte Rin Verran sich zu dem Jungen um, der sichtlich aufgeregt war. Ohne eine Aufforderung hielt er ihm den Brief hin. Jedes Mal, wenn ich eine solche Nachricht bekomme, wird alles nur noch schlimmer, dachte er verbittert. Ist es überhaupt noch vernünftig, zu hoffen, dass diese eine Ausnahme sein wird?

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Jetzt wisst ihr also, warum Rin Verran auch den Namen ›Grüner Habicht‹ trägt. Und ihr habt einen Teil der Geschichte hinter dem Prolog erfahren. Allgemein habt ihr ziemlich viel erfahren und ich muss mich gerade wirklich davon abhalten, hier ein paar Flüche einzufügen.

Fortsetzung von Dul Caithas Gedichte-Sammlung:

Gedicht 6: Rote Tropfen besprenkeln weiße Blüten. Der Frühlingswind trägt Klageschreie auf den See. Ein dunkler Schatten füllt das Wasser. Der grüne Habicht erbeutet einen Fisch.

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