Kapitel 40: Gefühle - Teil 2
»Was hast du hier gemacht und warum hast du mich rausgeschmissen?«, fragte Rin Veyvey mit blitzenden Augen. Ihr Blick fiel auf die leeren Zettel auf dem Tisch. Sie ging sofort hin und schob sie hin und her, hörte aber auf, als sie keinen beschriebenen fand.
»Sind alle Gilden wieder abgereist?«, fragte Rin Verran in der Hoffnung, sie würde nicht weiter nachhaken.
»Ja«, sagte sie und rümpfte die Nase. »Vater hat alles Mögliche getan, damit die Ghan-Gilde uns nicht die Schuld an dem Vorfall zuschiebt. Ghan Shedor ist sehr wütend.« Sie schob einen der Stühle zurück und setzte sich ihm gegenüber hin. »Wahrscheinlich auch, weil seine Hure tot aufgefunden wurde. Anscheinend ist sie den Drachenklauen über den Weg gelaufen, als diese geflohen sind, und sie haben sie ausgeschaltet. Wenn du mich fragst, hat sie das verdient. Warum wirft sie sich einem verheirateten Mann an den Hals, dessen Ehefrau auch noch ein Kind erwartet?«
»Ghan Minue ist schwanger?« Die Neuigkeit kam für Rin Verran überraschend.
Rin Veyvey brummte nur zustimmend, während sie die ausgebreiteten Zettel leicht verärgert betrachtete.
»Wie geht es Paat Jero?«, fragte er schnell. »Hat Dul Arcalla sich um ihn gekümmert?«
»Der Schnitt ist tiefer als er uns glauben lassen wollte. Arcalla musste ihn nähen. Es kann gut sein, dass er deswegen von Vater nicht mehr auf größere Einsätze geschickt wird. Wahrscheinlich gefällt ihm das aber. Dann hat er mehr Zeit dafür, mit seinen Leuten Karten zu spielen.« Rin Veyvey wandte ihren Blick vom Papier ab und sah stattdessen ihn an. Fast schon abwartend. »Und?«, fragte sie schließlich.
»Was?«
»Wirst du nicht fragen, wie es mir geht? Immerhin bin ich deine Ehefrau!«
Jetzt geht das schon wieder los... »Du warst nie in Gefahr. Warum sollte ich das fragen?«
Rin Veyvey öffnete empört den Mund, doch bevor sie etwas sagen konnte, klopfte es an der Tür. Lai Vatani und eine weitere Dienerin traten herein. Erstere hielt in einer Hand den Regenschirm, während sie mit der anderen etwas trug, was Rin Verran schon vermisst hatte. Habichtfeder. Er hatte es so eilig gehabt, von den Inseln zu verschwinden, dass er sein Herzstück vollkommen vergessen hatte. Lai Vatani blieb in einem respektvollen Abstand zu ihm stehen und reichte ihm das Schwert, wobei ihr ausgestreckter Arm unter dem Gewicht zitterte. Mit einem dankbaren Nicken nahm er es ihr ab.
»Warum bedankst du dich bei ihr?«, fuhr Rin Veyvey auf. »Ich war diejenige, die dein hässliches Zeug zum Forellen-Pavillon geschleppt hat. Weißt du, wie schwer das war! Und es hat auch noch geregnet!«
»Danke«, presste Rin Verran so freundlich er konnte hervor.
»Wenigstens jetzt bedankst du dich.« Sie verschränkte beleidigt die Arme vor der Brust, während die andere Dienerin vortrat und einen Teller auf den Tisch stellte. Als sie die Abdeckung abnahm, strömte Rin Verran ein köstlicher Duft entgegen, bei dem ihm das Wasser im Mund zusammenlief. Aber dann bemerkte er, was es eigentlich war. Sofort sank seine Laune zu einem neuen Tiefpunkt.
»Was ist jetzt schon wieder?«, fragte Rin Veyvey und wedelte mit den Händen, damit die zwei Dienerinnen weggingen. Sie eilten hinaus in den Regen und schlossen die Tür hinter sich.
»Teigtaschen«, sagte Rin Verran nur.
»Arcalla meinte, dass du sie gerne isst. Jetzt auf einmal nicht mehr?«
Ich esse sie gerne, weil Arcalla sie gemacht hat. Warum kommst du jetzt mit ihnen bei mir an?, dachte er schweigend.
»Ich habe sie eigentlich selber gemacht. Nach dem Rezept meiner Schwester. Sie müssen genauso schmecken! Warum bist du jetzt schon wieder unzufrieden! Du hast sie noch nicht mal probiert! Weißt du, wie lange ich an diesem verdammten Herd stand? Die ganzen Köchinnen müssen gedacht haben, ich wäre verrückt geworden! Dabei hat mich ein gewisser Ehemann nur aus meinen eigenen Häuslichkeiten geschmissen!«
»Ist schon gut.« Rin Verran knirschte mit den Zähnen und zwang sich dazu, eine der Teigtaschen zu nehmen. Sie schmeckten überhaupt nicht so wie die von Dul Arcalla. Das Fleisch darin war klumpig und an einigen Stellen viel zu hart. Bei einigen war die Unterseite sogar leicht verbrannt. Nach zwei Teigtaschen wurde es ihm zu viel und er setzte sich aufrecht hin. »Ich bin satt.«
Rin Veyvey kniff die Augen zusammen. »Du hast nicht zu Mittag gegessen und es ist schon fast Abend. Unmöglich, dass du satt bist.«
Rin Verran atmete tief durch. »Ich danke dir wirklich für deine Mühe, aber ich werde das nicht mehr essen. Iss sie selber.«
Sie starrte ihn eine Weile wütend an, bevor sie seinem Blick auswich. Plötzlich vergrub sie das Gesicht in den Händen und fing an, leise zu schluchzen. Ihr Körper zitterte wie unter Krämpfen.
Verdammt, weint sie jetzt etwa? Rin Verran kam sich etwas hilflos vor. Er hatte keine Ahnung, wie reagieren sollte. Er konnte nicht mal erkennen, was genau er dieses Mal falsch gemacht hatte. Soll ich sie trösten? Wahrscheinlich sollte ich das. Aber mache ich es dadurch nicht noch schlimmer?
Da er keine andere Idee hatte, stand er auf, umrundete den Tisch und klopfte ihr aufmunternd auf die Schulter. Passende Worte fand er nicht, also schwieg er. Aber seine Handlung schien es, wie erwartet, nur noch schlimmer zu machen. Rin Veyvey schüttelte seine Hand zwar nicht ab, beugte ihren Oberkörper aber weiter vor. Er sah, wie eine Träne zwischen ihren Fingern hindurch tropfte und einen dunklen Fleck auf ihrem Kleid hinterließ.
»Es tut mir leid, wenn ich wieder irgendwas falsch gemacht habe«, sagte Rin Verran schließlich. Aber bitte hör auf zu weinen, verdammt!
Rin Veyvey nahm ihre Hände vom Gesicht weg und offenbarte dadurch verschmierte Schminke und gerötete Augen. Ihre dunklen Wimpern waren teilweise zusammengeklebt. Blinzelnd schaute sie zu ihm hoch. »Du denkst, du hast irgendwas falsch gemacht?«, fragte sie mit belegter und leicht verwaschener Stimme. Frische Tränen flossen ihre Wangen hinab. »Nein, du hast nichts falsch gemacht. Du machst nie etwas falsch. Ich bin diejenige, die immer alles versaut! Ich bin dir nie eine wirklich gute Ehefrau gewesen. Ich sehe doch, wie unwohl und schlecht du dich in meiner Nähe fühlst!«
Rin Verran war so überrascht, das von ihr zu hören, dass er für einen Moment wie erstarrt war. Was soll ich sagen? Soll ich überhaupt irgendwas sagen? Sie schaut mich an, als würde sie etwas von mir erwarten. Aus einem Impuls heraus hockte er sich vor ihr hin, um ihr ins Gesicht sehen zu können. Die blaugrünen Augen blickten ihn immer noch an.
»Du musst dir keine Vorwürfe machen. Keiner von uns beiden wollte diese Heirat. Ich...«
Plötzlich streckte Rin Veyvey ihre Hände aus, zog ihn zu sich heran und presste ihre Lippen auf die seinen. Rin Verran riss erschrocken die Augen auf, überwältigt von der Handlung, die wie aus dem Nichts zu kommen schien. Er spürte ihre nassen Tränen auf seinen eigenen Wangen und schmeckte gleichzeitig eine milde Süße. Wahrscheinlich von der roten Farbe, mit der sie ihre Lippen bestrichen hatte. So also fühlt sich ein richtiger Kuss an...
Der Moment war genauso schnell vorbei wie er gekommen war. Keuchend ließ Rin Veyvey ihn los und fuhr zurück. In ihren Augen glitzerten immer noch Tränen. Sie sah aus als würde sie mit sich selbst ringen. Nur um was genau, konnte Rin Verran nicht sagen. Perplex starrte er sie an. Der Kuss war vollkommen unerwartet gekommen. Warum hat sie das getan? Ich dachte, sie kann mich nicht ausstehen?
»Tut mir leid«, hörte er auf einmal ihr Flüstern. »Ich hätte das nicht tun dürfen. Es tut mir leid.« Sie stand auf, wobei sie fast über den Saum ihres Kleides stolperte. Mehrere Strähnen ihrer blonden Haare fielen ihr ins Gesicht, während sie sich mit dem Handrücken die Tränen wegwischte, gleichzeitig in Richtung Schlafzimmer stolperte. »Denk dir nichts dabei«, sagte sie ohne sich umzudrehen, die Stimme leicht zitternd. »Es war einfach so, ohne Grund. Vergiss es.«
Rin Verran unterdrückte ein frustriertes Seufzen und lief hinter ihr her, versperrte ihr mit den Armen den Weg ins Schlafzimmer. Er musste ihr klar machen, dass zwischen ihnen nicht sein konnte. Sie würde sich nur immer weiter quälen, wenn ihr Kuss das bedeutete, was er befürchtete.
»Du solltest wissen, dass ich jemand anderen liebe«, sagte er und versuchte, dabei nicht zu hart, aber dennoch ernst zu klingen.
Rin Veyvey schaute zur Seite und rieb sich die Oberarme, als wäre ihr kalt. Dabei schrumpfte sie zusammen, wurde noch kleiner als sie normalerweise war. Jetzt hatte sie nichts mehr mit der stolzen und eingebildeten Rin Veyvey gemeinsam, die sie normalerweise war. Sie murmelte irgendwas, was er nicht verstand.
»Was?«
Zögernd hob sie ihren Blick. »Ich weiß«, wiederholte sie ihre Worte. »Ich bin dir nicht gut genug, nicht wahr? Ich bin nie gut genug. Vater denkt auch, dass ich nur eine Last für die Familie bin. Er sagt es nicht, aber ich weiß es ganz genau. Arcalla ist immer die, die fleißig ist. Die, die hunderte von Verehrern hat. Die, die überall gebraucht wird, weil sie so gut in dem ist, was sie tut. Und ich? Ich bin nur gut darin, mich hübsch anzuziehen, aber was bringt mir das? Ich kann nichts, was von einer Ehefrau erwartet wird.«
»Du... bist gut in anderen Sachen.« Verzweifelt suchte er nach etwas, mit dem er sie beruhigen konnte, aber ihm fiel nichts ein. Dabei sah Rin Veyvey ihn mit traurigen, geröteten Augen an. Als er nichts weiter sagte, presste sie die Lippen zusammen, deren rote Farbe bereits über ihre Mundwinkel hinaus verschmiert war. Ihr Kinn zitterte. Sie war kurz davor, wieder zu weinen.
Nein! Oh nein, nein, nein! Rin Verran fluchte innerlich. Er wollte nicht noch mehr Tränen sehen! Seine Gedanken rasten.
Plötzlich schien Rin Veyvey sich jedoch zu beruhigen. Ein gequältes Lächeln legte sich auf ihre Lippen, die Stimme zitterte. »Dann... gibt es vielleicht doch noch Hoffnung für mich?« Ihr Blick tastete über sein Gesicht, blieb an seinen Lippen hängen. Langsam beugte sich vor, drängte sich immer näher an ihn, bis er zurückweichen musste. Was hat sie vor? Kaum hatte er den Gedanken zu Ende gebracht, als sie ihn mit unglaublich festem Griff zu sich heran zog und ihn küsste.
Was passiert hier? Das ist doch falsch! Einfach nur falsch!
Aber Rin Veyvey klammerte sich viel zu sehr an ihn und öffnete jetzt auch noch ihre Lippen. Ihre Augen waren geschlossen. Eine einzelne Träne hing an ihren Wimpern, tropfte runter und floss ihre Wange hinab. Sie presste sich so eng an ihn, dass er meinte, ihren Herzschlag durch den Stoff des Kleides und das Korsett hindurch spüren zu können. Ihre ganze Haut war heiß, brannte fast schon. Auf einmal fingen ihre Hände an zu wandern. Der grüne Umhang fiel schwer zu Boden, als sie die Schnallen löste. Dann glitt sie tiefer hinunter und unter sein Hemd, fuhr über seine Muskeln, die er sich in der Gämsen-Pagode und danach antrainiert hatte. Warum fühlte es sich so gut an?
Rin Verran entwich ein leises Stöhnen, als ihre Hände noch tiefer wanderten. Das ist nicht richtig. Aber das war auch der letzte vernünftige Gedanke, bevor ihn eine heftige Welle von etwas überkam, das er bisher nur gespürt hatte, nachdem Rin Raelin ihm die Droge verabreicht hatte. Mit einem Mal verlor er das Gleichgewicht und stürzte rückwärts aufs Bett. Im nächsten Moment war Rin Veyvey über ihm, küsste seinen Hals entlang. Er erschauerte unter jeder ihrer Berührungen, hatte sich nicht mehr unter Kontrolle. Seine Hände lösten ganz von alleine ihr Korsett und warfen es zusammen mit dem Kleid fort. Strähnen blonden Haares fielen über ihre Schultern. Ihre Brust hob und senkte sich, während ihre Atmung sich beschleunigte. Seine auch.
»Verran«, flüsterte Rin Veyvey leise, strich ihm mit der Hand über die Wange, die Augen halb geschlossen. In ihrem Blick lag eine gewisse Furcht, die Rin Verran jedoch nicht sehen konnte. Die Furcht, dass er ihre Hoffnungen zunichte machen würde. Dabei wusste sie ganz genau, dass es so kommen würde. Trotzdem kamen ihr die entscheidenden Worte nicht über die Lippen. Du musst es nicht tun, dachte sie und schloss die Augen vollends. Aber ich will, das du es tust. Ich will es so sehr, dass es weh tut. Warum? Ich sollte dich doch hassen...
In der Dunkelheit musste man einander nicht sehen. Keine Kerzen brannten im finsteren Gebäudeteil. Trotzdem war die Luft von einer bedrückenden Hitze erfüllt. Haut strich über Haut. Sanfte Berührungen, teilweise fordernd. Leises Keuchen. Finger, die verzweifelt nach Halt suchten und ihn fanden. Draußen hämmerte der Regen immer noch auf die Dächer des Forellen-Pavillons. Er ließ erst nach, als die ersten Strahlen der aufgehenden Sonne den Horizont in ein dunkles Violett verwandelten.
Es war das erste Mal seit der Hochzeit, dass Rin Verran im Bett und nicht auf dem Sofa aufwachte. Rin Veyvey lag neben ihm, das Gesicht in seine Richtung gedreht. Ihre Schminke war hoffnungslos verwischt, mehrere farbige Flecken prangten auf dem Kissen und dem Laken. Die Decke bedeckte ihren Körper nur teilweise.
Was habe ich nur getan? Er wusste ganz genau, was er getan hatte. Aber er konnte es nicht mehr rückgängig machen. Konnte ihr nur den weiteren Schmerz ersparen und hier und jetzt einen Schlussstrich ziehen. Langsam richtete er sich auf. Seine Muskeln schmerzten etwas. Nachdenklich betrachtete er Rin Veyvey, die immer noch schlief. Sollte er sie wecken?
Im selben Moment flatterten ihre Lider und sie öffnete die Augen. Sie drehte ihren Kopf nur leicht, um zu ihm hoch sehen zu können. Eine gewisse Verzweiflung lag in ihrem Blick, vermischt mit einem Funken Hoffnung, der jedoch erlosch, als Rin Verran die Kiefer zusammenpresste und den Kopf schüttelte.
»Es tut mir leid.«
Rin Veyvey schloss die Augen wieder, schien mit sich zu kämpfen. Trotzdem konnte sie nicht verhindern, dass eine Träne zwischen ihren Wimpern hervor quoll. »Ich verstehe«, flüsterte sie schließlich und drehte sich auf die andere Seite, sodass er ihr Gesicht nicht mehr sehen konnte. Ansonsten sagte sie nichts. Lag einfach nur still da und bewegte sich nicht, während Rin Verran aufstand und die Kleidung anzog, die auf dem Boden verstreut lag. Mit einem letzten Blick auf Rin Veyvey verließ er das Schlafzimmer und schloss die Tür hinter sich. Eine Weile stand er bewegungslos im Eingangsbereich rum und gab sich schließlich selbst eine schallende Ohrfeige.
Warum hast du das gemacht?, fragte er sich selbst. Du hast alles nur noch schlimmer gemacht. Warum hast du nicht aufgehört, als du noch die Möglichkeit dazu hattest! Ein entsetzlicher Gedanke kam in ihm hoch. Was, wenn sie schwanger wird? Er sog scharf die Luft ein und versuchte, sich zu beruhigen. Es gelang ihm nicht. Dummkopf!, schalt er sich.
»Herr Rin!«, ertönte plötzlich die Stimme eines Dieners vor der Tür, begleitet von einem drängenden Klopfen. »Herr Rin! Ghan Shedor, ich meine, Gilden-Anführer Ghan hat einen Brief für Euch hinterlassen, bevor er abgereist ist! Aber Ihr wolltet gestern ja in Ruhe gelassen werden!«
Ich will auch jetzt in Ruhe gelassen werden!, dachte Rin Verran gereizt. Und wer zum Henker hat ihm nicht gesagt, dass er diese Anrede nicht benutzen soll! Aber der Diener war wirklich hartnäckig, klopfte erneut. Wenn das so weiterging, würde er noch verrückt werden.
»Herr Rin! Seid Ihr da? Oder bin ich zu früh?« Eine kurze Pause. »Hört er mich nicht? Soll ich lauter rufen? Verdammt, ich hätte Lai Vatani fragen sollen.«
Bevor der Diener auf die Idee kommen konnte, wirklich lauter zu rufen, stampfte Rin Verran zur Tür und riss sie auf. Dort stand ein Anhänger der Dul-Gilde, den Mund schon geöffnet, doch er schloss ihn schnell wieder. Schluckte. Er verbeugte sich übereifrig und hielt ihm einen Brief entgegen, der mit dem Zeichen der Ghan-Gilde versiegelt war. Eine geschwungene Krähenfeder.
»Gilden-Anführer Ghan hat Euch diesen Brief hinterlassen. Bitte lest ihn, Herr Rin«, plapperte der Diener herunter.
Rin Verran nahm das Schriftstück entgegen und schloss die Tür hinter sich. Der junge Mann machte keine Anstalten, wegzugehen, obwohl er seine Aufgabe erfüllt hatte.
»Hau ab«, fuhr er den Diener schlecht gelaunt an und bereute es gleich darauf, denn dieser machte einen Sprung nach hinten und rannte Hals über Kopf davon. Seufzend schaute Rin Verran auf den Brief in seiner Hand. Er würde ihn nicht hier lesen. Er brauchte einen ruhigen Ort, weit weg von Rin Veyvey und all den Problemen, die wie Berge um ihn herum aufragten. Vielleicht befand sich in diesem Brief ein weiteres solches Problem. Vielleicht beschuldigte Ghan Shedor ihn darin, gemeinsame Sache mit den Drachenklauen betrieben zu haben, so wie Wrun Tarebo.
Nach einem kurzen Blick zum Rundhäuschen am Wasser beschloss er, dorthin zu gehen. Dul Arcalla kümmerte sich wahrscheinlich immer noch um Paat Jero, war also nicht da. Er würde wenigstens für einige Zeit seine Ruhe haben, um den Brief zu lesen. Was auch immer darin stand, niemand würde seine Reaktion sehen.
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Wie angekündigt erkläre ich hier nochmal den Grund für die Trigger-Warnung, denn ich finde es wirklich wichtig, dass ihr das versteht. Es geht (wie einige von euch vielleicht schon erraten haben) um die Szene, in der Rin Verran mit Rin Veyvey schläft. Wenn man genau hinschaut, wird man feststellen, dass Rin Veyvey Rin Verran faktisch vergewaltigt hat. Es gab kein Einverständnis von seiner Seite. Sie wusste, dass er es eigentlich nicht wollte, hat es aber trotzdem getan. Eigentlich fängt das Ganze schon bei dem Kuss an, den sie ihm einfach aufgezwungen hat. Wenn ihr noch immer skeptisch seid: Dreht die Rollen von Rin Verran und Rin Veyvey einfach um.
Es gibt viele, die sagen, dass Frauen nicht zu sexueller Belästigung oder einer Vergewaltigung in der Lage sind. Ähm, eigentlich schon. Wenn wir wirklich eine Gesellschaft sein wollen, in der Gleichberechtigung etwas bedeutet, sollten wir auch den Männern glauben schenken, die mutig genug sind, um von einer solchen Situation zu berichten. Es gibt auch Frauen, die sich unmoralisch verhalten. Zwar sagt die Statistik, dass solche Taten häufiger von Männern ausgeführt werden, aber bedeutet das, dass wir die Taten von Frauen einfach ignorieren können?
Oft realisieren Männer auch gar nicht, was ihnen gerade angetan wurde. In der Situation in diesem Kapitel entschuldigt Rin Verran sich ja sogar bei Rin Veyvey, obwohl er jedes Recht hätte, sie anzuklagen, damit über sie gerichtet wird. Und was macht Rin Veyvey? Sie ist enttäuscht, dass er ihre »Liebe« nach dem, was passiert ist, nicht erwidert. Ich meine, was hat sie erwartet?
Mit dieser ganzen Erklärung versuche ich keineswegs, die Gewalttaten an Frauen runterzuspielen. Sie sind genauso schlimm. Ich versuche nur, die Aufmerksamkeit auf einen weiteren Aspekt zu erweitern, was ich hiermit hoffentlich getan habe.
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