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Kapitel 120: Vergebung - Teil 2

Wenige Wochen nach dem Brand des Krähen-Palastes, nachdem die Toten begraben und die meisten Verletzten sich erholt hatten, wurde ein Treffen in der Gämsen-Pagode eingerufen. Es sollte bestimmt werden, wie es jetzt weitergehen sollte. Alle fünf mächtigsten Gilden waren entweder fast vollständig ausgelöscht oder hatten ihren Wohnsitz und einen Teil ihrer Anhänger verloren. Hinzu kam, dass Se Laf weiterhin unauffindbar blieb. Fah Zaromo hatte zwar den gesamten Silbermistel-Wald und auch die Umgebung durchsucht, sie jedoch nicht gefunden. Und auch in dem Tunnelsystem, in dem die Drachenklauen ihren Unterschlupf gehabt hatten, war sie nicht gewesen.

Schweigend beobachtete Rin Verran, wie die Gilden-Anführer, ihre wichtigsten Anhänger und etwas mehr als fünfzig Krieger der Sonne sich in der Versammlungshalle der Gämsen-Pagode zusammenfanden. Am hintersten Tisch saßen bereits Val Zirro und Meister Jhe. Ersterer hatte sich mehr oder weniger von seiner Gefangenschaft erholt, aber sein Gesicht wirkte noch immer eingefallen und an seinem Stuhl lehnte der Gehstock, der ihn nun auf jedem Weg begleitete. Meister Jhe neben ihm starrte mit finster zusammengezogenen Augenbrauen auf die Tür, die jetzt von einem Diener geschlossen wurde. Anscheinend waren alle, die erwartet wurden, bereits eingetroffen.

»Zuerst einmal möchte ich alle Anwesenden begrüßen«, erhob Val Zirro die Stimme. Er musste nicht laut sprechen, denn in der Versammlungshalle war es trotz der vielen Menschen totenstill. Was sich im Krähen-Palast offenbart hatte und was danach passiert war, geisterte immer noch im Hinterkopf eines jeden herum. »Auf diesem Treffen wird die Zukunft unserer Gilden und unserer Territorien entschieden werden. Es sollen alle Schulden beglichen, alle Entschuldigungen ausgesprochen und alle Strafen erhalten werden, die nötig sind, um einen Frieden zu schaffen, den die Drachenklauen schon mehr als ein Mal zerstört haben.«

»Wer sich dem auf irgendeine Weise entgegenstellt, hat in dieser Halle nichts zu suchen«, fügte Meister Jhe kalt hinzu. Sein einschüchternder Blick schweifte über alle Anwesenden, blieb an einigen länger hängen als an anderen, und kehrte schließlich zu dem Stück Pergament zurück, das vor ihm auf dem Tisch lag. »Ich glaube, uns allen ist bewusst, dass es in dieser Angelegenheit mehr als einen Schuldigen gibt. Jeder hat mit seinen Taten zu dem einen oder anderen beigetragen. Und über jeden wird nach dem Kodex und der Gerechtigkeit gerichtet werden.«

»Ghan Shedor«, rief Val Zirro den ersten auf, der sich würde verantworten müssen. Niemandem entging, dass der Meister seinen Titel als Gilden-Anführer wegließ.

Ghan Shedor erhob sich von seinem Platz und marschierte in die Mitte des Ganges, wo er stehen blieb und zu den zwei Meistern hoch sah. Er trug zwar die dunkelgraue Kleidung seiner Gilde, doch sein Herzstück hatte er abgelegt. Steif verbeugte er sich und wartete auf die Fragen, die kommen würden.

»Euer rachesüchtiges Handeln hat den Krieg ausgelöst, der alle Territorien ins Chaos gestürzt hat«, las Val Zirro von einer Schriftrolle vor sich ab. Rin Verran wusste, dass dort die Aussagen von mehreren hundert Erzwächtern, Anhängern verschiedener Gilden und einfachen Leuten vom Land festgehalten waren. Er selbst hatte ebenfalls erzählen müssen, was er wusste. Die Liste von Ghan Shedors Vergehen war wohl eine der längsten, aber Rin Verran war sich nicht sicher, ob seine eigene vielleicht sogar noch länger war. Ihm war klar, dass insgeheim fast alle nur darauf warteten, dass der Grüne Habicht aufgerufen wurde. Mit halbem Ohr hörte er zu, wie Val Zirro alles vorlas. Wirklich alles. Ghan Shedors Taten und Befehle, aber auch die Gründe dafür, warum er das alles getan hatte. Ein Krieg, angestachelt von den Drachenklauen. Dass in Wirklichkeit ein rotes Band an einem schwarzen Falken der Auslöser gewesen war, hatte Rin Verran jedoch für sich behalten. Offiziell hieß es, Mahr Yuzhu hätte nur behauptet, dass Mahr Hefay ihn geschickt hätte, damit der ganze Konflikt entbrannte.

»Was habt Ihr dazu zu sagen?«, fragte Val Zirro abschließend.

»Ich wurde schon genug bestraft, Meister«, sagte Ghan Shedor, senkte den Kopf aber nicht, sondern schaute ihm genau in die Augen. »Meine Familie ist bis auf meinen jüngsten Bruder tot. Der Wohnsitz meiner Gilde ist zerstört. Genauso wie mein Ruf. Ich habe nichts mehr.«

Val Zirro runzelte nachdenklich die Stirn und strich sich über seinen Bart, der jetzt wieder ordentlich gestutzt war. »Ihr legt Euren Titel als Gilden-Anführer ab?«

»Ich sehe keinen Sinn mehr darin«, erwiderte Ghan Shedor fest und atmete tief ein. »Stattdessen möchte ich darum bitten, dass Edhor meinen Platz einnimmt.«

Das erste Mal ging ein Raunen durch die Menge. Mehrere Blicke richteten sich auf Ghan Edhor, der genauso überrascht zu sein schien. Man hatte ihm eine Heilerin von den Kriegern der Sonne zur Seite gestellt – Vi Raya, die sich auch mal um Ghan Reva gekümmert hatte –, die nun neben ihm stand und ihren Mund nicht mehr zubekam.

»Shedor«, hob Ghan Edhor an, »das ist keine...«

»Er hat nur getan, was ich ihm befohlen habe«, unterbrach Ghan Shedor seinen Bruder. »Die Pläne der Katapulte sind ohnehin im Krähen-Palast verbrannt und die, die schon gebaut worden sind, werden zurzeit in ihre Einzelteile zerlegt, um sie ebenfalls zu vernichten. Edhor ist ein guter Mann. Er hat sich ganz und gar dem Wissen und dem Erforschen neuer Dinge verschrieben. Wenn er die Ghan-Gilde anführt, wird er nicht nur sie, sondern auch alle anderen Gilden, in ein neues Zeitalter des Fortschritts führen.«

Rin Verran sah, wie über Ghan Edhors sonst so fröhliches Gesicht ein Schatten fiel. Er hat seinem Bruder nicht gesagt, dass er es war, der die Broschüren in Umlauf gebracht hat.

»Junger Herr Ghan«, wandte Val Zirro sich an ihn, während er eine neue Schriftrolle aus der Truhe neben dem Tisch herausholte und sie aufrollte. »Ihr habt versucht herauszufinden, wer die Drachenklauen sind. Leider ist Eure Suchkarte zusammen mit allen Büchern, die Ihr zu Rate gezogen habt, verbrannt. Dennoch lässt sich sagen, dass Ihr mit Eurer Suche offenbar erfolglos geblieben seid, was teilweise den Täuschungen Eures Onkels zu verdanken ist.«

Ghan Edhor nickte stumm.

»Statt weiter nach ihnen zu suchen, habt Ihr jedoch den Worten Eures Onkels und Eures Bruders geglaubt und Euch der Erforschung und dem Bau von Kriegsmaschinen zugewandt. Aussagen zufolge habt Ihr Euch sogar noch vor Beginn des Krieges damit beschäftigt.« Val Zirro hielt inne. »Angeblich hat sogar schon Euer Vater, Ghan Kedron, der Schwarze Pfau, sich am Bau dieser Katapulte versucht, ist jedoch gescheitert. Dies sei auch der Grund für den Angriff der Drachenklauen auf das Waldlager im Rotkiefer-Hain gewesen. Das Holz dort wurde für das Befeuern der Öfen und den Bau erster Modelle verwendet. Demnach haben die Drachenklauen teilweise auch verhindert, dass die Katapulte früher hergestellt werden konnten.«

Rin Verran fühlte sich wie von einem Blitz getroffen. Ungläubig sah er hinüber zu Ghan Edhor, der mit gefalteten Händen vollkommen ruhig in seinem Rollstuhl saß. Deswegen wurde das Waldlager angegriffen? Die Ghan-Gilde wollte schon vor dem Krieg Katapulte haben? Um was zu tun? Er kämpfte den Drang, auf die Füße zu springen, nieder und starrte den jungen Mann im Rollstuhl einfach nur ungläubig an.

»Wenn einem diese Tatsache bekannt ist«, fuhr Val Zirro fort, »stellt sich die Frage, ob die Ghan-Gilde nicht schon früher und von alleine einen Krieg gegen die anderen Gilden geführt hätte. Und hättet Ihr ihn dann auch unterstützt, Junger Herr Ghan? Die Ausrede, Ihr hättet Euch ebenfalls von den Drachenklauen täuschen lassen, hätte es nicht gegeben.«

»Ich wusste nichts von den Plänen meines Vaters«, sagte Ghan Edhor. »Ich weiß nicht, ob er wirklich einen Krieg geführt hätte oder nicht. Mir wurden Baupläne seiner Berater vorgelegt, die behaupteten, irgendwann mal die echten Pläne in Ubria gesehen zu haben. Ich sollte sie verbessern. Dann wurden sie mir wieder weggenommen. Erst nach seinem Tod und der Eroberung der Gämsen-Pagode machte ich mich daran, die Katapulte auf Befehl meines Bruders und mit den neuen Plänen aus der Gämsen-Pagode zu bauen.«

»Jetzt könnten wir das Wasser der Wahrheit wirklich gut gebrauchen«, hörte Rin Verran einen Mann hinter sich flüstern. Er wandte sich um und warf ihm einen finsteren Blick zu, woraufhin dieser sofort den Mund hielt.

»Schwört Ihr beim Kodex, dass es so war?«, fragte Val Zirro.

»Ich schwöre«, antwortete Ghan Edhor.

Der alte Meister nickte. »Gut. Ghan Shedor, Ihr seid vom Amt des Gilden-Anführers der Ghan-Gilde entbunden. Euer Bruder Ghan Edhor wird nun diesen Platz einnehmen. Kommt bitte nach vorne und unterschreibt den Friedensvertrag.«

Angespannt beobachtete Rin Verran, wie Vi Raya Ghan Edhor nach vorne schob. Zwischen Val Zirro und Meister Jhe lag ein großes Stück Pergament bereit, auf dem der Kodex und weitere Regeln geschrieben waren, die den Frieden sichern sollten. Ghan Edhor nahm die Feder daneben auf, tauchte sie in die Tinte und schrieb seinen Namen als erster auf das Pergament. Dann kehrte er mit Vi Raya zu seinem Platz zurück, wo Ghan Shedor bereits auf ihn wartete.

»Rin Raelin«, rief Val Zirro nach einem kurzen Blick auf die neue Schriftrolle in seiner Hand.

Der Mann in der schwarzen Kleidung der Rin-Gilde löste sich ohne zu zögern aus den Schatten und trat vor die zwei Meister. Sein Gesicht war eine undurchdringliche Maske, aber Rin Verran konnte sehen, dass sein Bruder angespannt war. Es war erst wenige Stunden her, dass er zum ersten Mal Ghan Reva gesehen hatte. Wahrscheinlich wusste er es nicht, aber Rin Verran hatte die Tränen in seinen Augen ganz genau gesehen und das Schluchzen gehört, als er die Tür des Krankenzimmers hinter sich geschlossen hatte.

Wie erwartet zählte Val Zirro erst die Vergehen auf, die er unter Ghan Shedors Befehl begangen hatte, bevor er zu dem Angriff auf die Rin-Gilde kam, wegen dem Rin Raelin überhaupt in Gefangenschaft geraten war. Während dieser Rede stand Rin Raelin regungslos in der Mitte der Versammlungshalle. Nur bei der Erwähnung von Rin Balerons Tod zuckten seine Finger kurz. Rin Verran wusste nicht, ob er es sich einbildete, aber kurz meinte er, dass die Augen seines Bruders zu ihm hinüber wanderten. Auf einmal fiel ihm etwas ein, was er beinahe vergessen hatte. Überrascht blinzelte er und lehnte sich auf seinem Stuhl ein Stück zurück. Du warst das!

»Angesichts der Schmerzen, die Ihr im Kerker erfahren habt, ist von einer Strafe abzusehen«, schloss Val Zirro seinen Vortrag. »Es ist mehr als eindeutig, dass Ihr unter Zwang und aus Schmerz gehandelt habt, was von mehreren Aussagen bestätigt wurde.«

Rin Raelins Augen brannten kurz unzufrieden auf, aber er schwieg.

»Habt Ihr noch etwas dazu zu sagen?«, fragte Val Zirro abschließend.

»Ich habe nur zwei Bitten.«

Der alte Meister nickte ihm zu.

»Gestattet mir, den Phönix-Hof neu aufzubauen und die Rin-Gilde wieder zum Leben zu erwecken.«

Rin Verran horchte auf. Er hatte zwar damit gerechnet, dass sein Bruder das verlangen würde, aber er sagte es in einem ungewöhnlich sanften, fast schon flehenden Ton. Auch Val Zirro schien überrascht, denn er nickte nur.

»Und die zweite?«

»Ich möchte Ghan Reva zum Phönix-Hof mitnehmen und sie zu meiner Nachfolgerin ernennen.«

Ein ungläubiges Raunen ging durch die Menge und auch Rin Verran wäre beinahe aufgesprungen. Er möchte sie mitnehmen? Er möchte was? Er hat sie heute verdammt nochmal zum ersten Mal gesehen! Denkt er, er kann das so einfach entscheiden?

Der Großteil der Anwesenden schien jedoch über einen anderen Punkt aufgebracht zu sein.

»Nachfolgerin?«, fragte jemand, wobei er die letzte Silbe überdeutlich betonte. »Eine der mächtigsten Gilden soll irgendwann von einer Frau angeführt werden?«

»Nehmt Euch wenigstens zuerst eine Frau und schaut dann weiter!«, rief ein etwas diplomatischerer Erzwächter.

Mit einem Ruck fuhr Rin Raelin zu ihm herum. »Ich habe keine Absicht, eine Frau zu nehmen!«, zischte er wütend und deutete mit ausgestrecktem Finger auf As Lesara – wie sie jetzt hieß –, die erschrocken zusammenzuckte und die Augen aufriss. Mittlerweile hatte sich schon herumgesprochen, dass sie noch während der Krähen-Palast brannte ihren eigenen Ehemann umgebracht hatte. Seine geköpfte Leiche war später im Wald gefunden worden, aber niemand trauerte um ihn. »Seht, was passiert, wenn jemand dazu gezwungen wird, ohne Liebe zu heiraten!« As Lesara presste sich die Hand auf den gewölbten Bauch und hätte sich wohl am liebsten unter dem Tisch verkrochen.

»Aber sicher werdet Ihr doch eine finden, die Euer Herz entflammt und Eure Liebe auch erwidert«, drängte der Erzwächter, der vorhin auch schon gesprochen hatte.

»Das wird nicht passieren«, zischte Rin Raelin.

»Er muss Rin Veyvey wirklich geliebt haben«, flüsterte eine Frau irgendwo rechts von Rin Verran. »Eine Schande, dass sein Bruder sie ihm ausgespannt hat.«

Währenddessen hatte Rin Raelin sich umgedreht, sodass er mit dem Rücken zu den Meistern stand und zu allen Anwesenden sprechen konnte. »Tut nicht so, als hätte es nie Gilden-Anführerinnen gegeben, die genauso stark waren wie ihre Ehemänner. Wenn nicht sogar stärker. Einige von Euch müssen mit eigenen Augen gesehen haben, mit welcher Entschlossenheit Gilden-Anführerin Han gegen den Phönix-Hof marschiert ist.«

Er ballte die Fäuste, fuhr dann aber einfach fort: »Vor meinem Vater war seine Mutter, Rin Fjoona, die Anführerin der Rin-Gilde. Sie hat nach dem Tod ihres Ehemannes nicht wieder geheiratet und die Rin-Gilde ganz alleine angeführt. Ich habe gehört, dass sie trotzdem von allen respektiert wurde.« Sein Blick wanderte zu einer weiteren Person, die ihre blonden Haare jetzt wieder mit einem grünen Stoffband nach hinten gebunden hatte. »Ich bin mir sicher, dass Fräulein Dul darum bitten wird, zum Forellen-Pavillon zurückzukehren. Sie ist die letzte Überlebende ihrer Gilde. Werdet ihr es ihr verbieten, die Dul-Gilde als Gilden-Anführerin wieder aufzubauen, nur, weil sie eine Frau ist?« Fast schon drohend drehte er sich wieder zu Val Zirro und Meister Jhe um. »Verbietet mir, meine Nichte zu meiner Nachfolgerin zu ernennen, und Ihr könnt meine Unterschrift auf dem Friedensvertrag vergessen.«

Während die Menge an den Tischen noch leise miteinander tuschelte, wechselte Val Zirro einen langen Blick mit Meister Jhe. Rin Verran unterdrückte ein Grinsen, als Val Zirro endlich die Hand hob und für Ruhe sorgte.

»Gut, Ihr dürft Ghan Reva zu Eurer Nachfolgerin ernennen.«

Natürlich, dachte Rin Verran. Gegen seinen Dickkopf muss noch ein Brecheisen erfunden werden.

»Allerdings seid Ihr nicht der einzige Verwandte des Mädchens«, fügte er hinzu. »Die Ghan-Gilde könnte sie ebenfalls aufnehmen und Euer Bruder...« Er verstummte, als Rin Raelin abrupt zu Rin Verran herumfuhr. Ghan Shedor und Ghan Edhor auf der anderen Seite sprachen kurz miteinander, hielten jetzt jedoch auch inne.

Sie warten auf meine Antwort, dachte Rin Verran. Er erinnerte sich noch genau daran, wie Ghan Reva hinter dem schneebedeckten Busch hervorgekommen war. Hasi dicht an sich gedrückt und nicht ganz bei sich. Er liebte sie aus ganzem Herzen, aber er hatte auch Rin Kahna. Wäre es selbstsüchtig von ihm, auch Ghan Reva bei sich zu behalten? Andererseits wusste er nicht mal, ob sie ihm seine eigene Tochter überlassen würden. Und Rin Raelin war... Wie gut würde er mit ihr umgehen? Sie ist die Tochter der beiden Menschen, die er am meisten geliebt hat, flüsterte seine innere Stimme ihm zu. Er wird ihr nichts tun. Wahrscheinlich braucht er sie, um sich selbst zu heilen.

Langsam, viel zu langsam, aber dennoch nickte Rin Verran und sah seinem Bruder in die Augen. »Kümmere dich gut um sie.«

Rin Raelin nickte ebenfalls und kurz meinte Rin Verran, ein flüchtiges Lächeln auf seinen Lippen zu sehen.

»Bitte unterschreibt den Friedensvertrag«, sagte Val Zirro, was Rin Raelin auch tat. Als er zurück zu seinem ursprünglichen Platz gehen wollte, winkte Rin Verran ihn jedoch zu sich. Etwas widerwillig setzte Rin Raelin sich zu ihm an den Tisch. Sein ganzer Körper war angespannt und er wich seinem Blick aus.

»Danke«, sagte er dann trotzdem. In diesem Wort lag so viel Schmerz, dass Rin Verran erstaunt war, wie sein Bruder noch leben konnte.

»Danke«, erwiderte er nur.

Rin Raelin sah ihn von der Seite her misstrauisch an. »Wofür?«

»Dafür, dass du versucht hast, sie zu retten.«

Rin Raelin zog nur die Augenbrauen zusammen.

»Du hast es auch teilweise geschafft«, sagte Rin Verran und schaute zu dem nächsten Erzwächter, der vortrat. Er kannte ihn nicht, aber vermutlich war es ebenfalls einer, der unter Ghan Shedors Befehl gestanden hatte. »Rin Narema ist mit Bao Jenko entkommen. Nur hat sie... eigene Fehler begangen.« Er hielt kurz inne. »Ich werde dir zeigen, wo ihr Grab liegt.«

»Und Bao Jenko?«, fragte Rin Raelin nach einer längeren Pause.

»Er lebt. Wahrscheinlich ist er mit Tar Fe irgendwo in der Feuerkorn-Steppe unterwegs. Vielleicht haben sie auch schon ein Haus.«

Dann saßen sie schweigend nebeneinander und hörten zu, wie über jeden der Anwesenden ein Urteil gefällt wurde. Die meisten hatten anscheinend schon genug erlebt, weswegen ihnen keine Strafe gegeben wurde. Nur einigen, die keine Reue zeigten, wurde ihr Stand als Erzwächter anerkannt oder sie wurden aus ihren ursprünglichen Gilden verstoßen. Diejenigen, die die Anführer einer Gilde waren, wurden nacheinander dazu aufgefordert, nach vorne zu kommen und den Friedensvertrag zu unterschreiben. Rin Verran freute sich, als Dul Arcalla tatsächlich erlaubt wurde, den Forellen-Pavillon wieder in Stand zu setzen. Wieder fragte er sich, wie es mit ihnen weitergehen sollte. Sie trauerte immer noch um Rin Veyvey, aber er wusste nicht, ob sie ihm die Schuld für ihren Tod gab oder nicht. Ohne Zweifel fühlte es sich auch für sie falsch an, sich ausgerechnet jetzt in Gefühlen zu verlieren.

Nachdem Wrun Lilath zur Überraschung aller nicht darum gebeten hatte, ihre Gilde wieder aufzubauen, sondern als Meisterin in der Gämsen-Pagode zu bleiben, holte Val Zirro eine Schriftrolle raus, bei der er verwirrt die Stirn runzelte.

»Wez Yumaton«, rief er, doch keiner trat vor. Nach dem Brand des Krähen-Palastes war der ehemalige Leibwächter von Ghan Shedor wie vom Erdboden verschluckt. Niemand wusste, wo er sich aufhielt oder wo er sich überhaupt aufhalten konnte. So plötzlich, wie er damals im Krähen-Palast aufgetaucht war, war er auch wieder verschwunden. Zwar flüsterten böse Zungen, dass sie gesehen hätten, wie Meister Jhe ihn während des Kampfes mit seinen Schwertern durchbohrt hatte, aber wiederum andere gaben an, ihn noch schwer verwundet in Richtung des zerbrochenen Fensters stolpern gesehen zu haben.

»Er ist nicht da«, sprach ein Anhänger der Ghan-Gilde das Offensichtliche aus.

Val Zirro warf Meister Jhe einen Blick zu, der ihn zwar erwiderte, aber nichts dazu sagte. Also legte Val Zirro die Schriftrolle wieder zur Seite und holte die nächste raus. Rin Verran wusste, welcher Name darauf stand, noch bevor er ausgesprochen wurde.

»Rin Verran.«

Mit brennenden Blicken in seinem Rücken und auf seiner Brust stand er auf und ging nach vorne, bis er in einigem Abstand vor dem Tisch stand.

»Ihr habt während des Krieges auf mindestens zwei, wenn nicht sogar drei verschiedenen Seiten gekämpft – möchte man die Drachenklauen dazuzählen«, hob Val Zirro an.

Natürlich. Die Krieger der Sonne werden in allen Farben berichtet haben, wie ich die Motte und dann die restlichen Drachenklaue zu ihnen geführt habe.

»Die Aussagen widersprechen sich jedoch teilweise. Es ist herauszulesen, dass Ihr Euch nur zum Schein mit den Drachenklauen verbündet habt, um ihnen später in den Rücken zu fallen. Auf die Tatsache, dass ihr Anführer, Mehn Wudu, Euer Onkel war, wird an dieser Stelle nicht weiter angegangen. Es liegen Aussagen vor, laut denen die Drachenklauen bereits sehr früh versucht haben, Euch mit dem Versprechen von Wahrheit und Rache auf ihre Seite zu locken. Allerdings habt Ihr diesen Versprechen widerstanden.«

Danke, Ghan Edhor, dachte Rin Verran bei sich.

»Dennoch habt Ihr auf der Seite der Ghan-Gilde gekämpft und die größte Beteiligung an der Eroberung des Forellen-Pavillons wird Euch zugeschrieben«, fuhr Val Zirro fort. »Euch wird auch der Tod zahlreicher Erzwächter und Anhänger verschiedener Gilden sowie Kriegern der Sonne zugeschrieben.«

Als der alte Meister anfing, auch noch die Namen vorzulesen, wünschte Rin Verran sich, für wenige Minuten taub zu sein. Er sah unauffällig hinüber zu Dul Arcalla, die jedoch nicht in seine Richtung schaute. Ein großer Teil der Namen gehörte Anhängern der Dul-Gilde. Ihren Freunden und auch ihrer Familie. Dul Nehmon und Dul Caitha. Schließlich kam Val Zirro zu den Toten auf Seiten der Krieger der Sonne. Und dann fiel auch noch Sun Shimeis Name, den er praktisch in den Tod geschickt hatte. Rin Verran hatte das Gefühl, in eine endlose Schlucht zu fallen. Einige Namen fehlten. Die von Ghan Idos und Ghan Jadna, die von dem alten Ehepaar He, das ihn auf ihrem Hof aufgenommen hatte. Aber das machte es nur noch schlimmer. Nachdem Val Zirro seinen Vortrag beendet hatte, legte er die Schriftrolle zur Seite, als hätte er nicht soeben tiefe Wunden, neu und alt, wieder aufgerissen.

»Was Eure Strafe angeht, ist man sich uneinig«, verkündete er. »Einige verlangen, dass Euch der Stand als Erzwächter aberkannt wird. Andere wollen, dass Ihr als Verräter Eurer Gilde, Eurer Familie und Eures Herrn sowie wegen der Flucht vor dem Kampf – das heißt des Desertierens – und des anschließenden Hinzuziehens der Drachenklauen hingerichtet werdet.«

Die Worte waren wie ein eiskalter Regen der Ernüchterung für ihn. Rin Verran sah zu Val Zirro hoch und dann zu Meister Jhe, der seinem Blick jedoch auswich. Er wich ihm verdammt nochmal aus.

»Habt Ihr etwas dazu zu sagen?«, fragte Val Zirro in die Stille hinein, die sich über die Versammlungshalle gelegt hatte.

»Ich gestehe alle meine Fehler ein«, brachte Rin Verran irgendwie hervor. Sein Herz pochte wie verrückt. Was soll ich tun?, war der einzige Gedanke, der in seinem Kopf umher schwirrte. Er wünschte sich, dass das alles ein dunkler, abscheulicher Albtraum war, aber er war eindeutig wach. Wieder wanderte sein Blick zu Dul Arcalla und dieses Mal sah sie ihn tatsächlich an. Angst lag in ihren Augen. Angst um ihn.

»Dann möchte ich die Anwesenden darum bitten, ihre Stimmen hinsichtlich der Strafe abzugeben«, sagte Val Zirro. »Hebt jetzt Eure Hand, wenn Ihr der Meinung seid, dass Rin Verran kein Erzwächter mehr sein darf.«

Rin Verran wollte eigentlich nicht wissen, wer sich alles für das geringere Übel entschied, aber die Bewegungen in seinen Augenwinkeln konnte er nicht übersehen. Nur wenige hoben ihre Hände. Zögerlich. Zu seiner Überraschung war nicht Dul Arcalla, sondern As Lesara eine der ersten. Gefolgt von etwa zwanzig weiteren. Dabei hatten sich etwas mehr als hundert Personen hier versammelt. Eine Eiseskälte machte sich in ihm breit.

»Hebt Eure Hand, wenn Ihr der Meinung seid, dass Rin Verran hingerichtet werden soll.«

Die Schnelligkeit, mit der die Arme hochschossen, war beachtlich. Rin Verran presste die Kiefer zusammen, um sich seine stetig anwachsende Panik nicht anmerken zu lassen. Es ist vorbei, dachte er. Jetzt ist es wirklich vorbei...

»Wer enthält sich?«, stellte Val Zirro die letzte Frage, obwohl das Ergebnis klarer nicht sein konnte, doch bevor er noch etwas sagen konnte, kratzte auf einmal ein Stuhl über den Boden und Meister Jhe stand auf. Alle Augen richteten sich auf ihn. Teilweise voller Ehrfurcht, teilweise voller Verärgerung, aber keiner wagte es, ihn zu unterbrechen, als er zu sprechen anfing.

»Was wird es euch bringen, wenn Rin Verran stirbt?«, fragte Meister Jhe mit kalter Stimme und schaute jeden einzeln nacheinander an, bis sie ihre Köpfe wegdrehten. »Wollt ihr Rache? Rache ist kein Weg. Wir alle haben gesehen, welche Katastrophen und was für ein Chaos Rache verursachen kann. Die Drachenklauen waren so sehr von Rache besessen, dass sie bereit waren, unschuldige Menschen zu töten und sogar selbst dafür zu sterben.

Oder wollt ihr Gerechtigkeit? Ich sage euch, dass es auf den Territorien zurzeit keinen einzigen Richter gibt, der gerecht über Rin Verran urteilen könnte. Er hat jedem von euch an einem Zeitpunkt geholfen und jeden von euch an einem Zeitpunkt verraten. Jeder von euch hegt einen Groll gegen ihn. ›Warum ist er nicht auf meiner Seite geblieben? Warum hat er uns verlassen? Warum hat er uns verraten?‹ Wärt ihr zufrieden, wenn er sich für eine Seite entschieden und bis zum Schluss für sie gekämpft hätte? Dann gäbe es in diesem Raum genau zweiundsechzig Personen, die ihn hassen, und zweiundsechzig Personen, die ihn lieben würden, und ihre Stimmen hätten sich gegenseitig aufgehoben. Aber durch seine Taten hat er sich Feinde auf beiden Seiten gemacht. Hundertvierundzwanzig Personen, die ihn hassen und ihn am liebsten tot sehen würden. Und warum? Weil er getan hat, was er für richtig hielt, ohne zu wissen, was ihn das kosten würde.«

Meister Jhe verstummte nur kurz, um seine Worte wirken zu lassen. »Es gab schon genug Blutvergießen. Und es gibt andere Probleme, um die wir uns kümmern müssen als um die Strafe eines Raubvogels. Die Motte, Se Laf, ist immer noch auf freiem Fuß. Wer könnte sie eher finden als Rin Verran? Seine Strafe sollte es sein, sie aufzuspüren und vor einen Richter zu bringen.«

Rin Verran wagte es nicht, auch nur einen Finger zu rühren oder seinem Meister sogar zu danken. Meister Jhe hinterließ eine tief in Gedanken versunkene und beschämt zu Boden blickende Versammlungshalle, als er sich wieder setzte. Selbst Val Zirro schwieg.

»Hebt die Hand, wenn Ihr für die von mir vorgeschlagene Strafe seid«, sagte Meister Jhe in die Stille hinein. Es hörte sich eher wie eine Aufforderung mit versteckter Drohung an und nach und nach streckten tatsächlich immer mehr Leute ihre Arme hoch. »Dann ist es also beschlossen«, meinte Meister Jhe und nickte Rin Verran zu. »Habt Ihr noch etwas zu sagen?«

Er hatte noch so viel zu sagen. Ursprünglich hatte er darum bitten wollen, Rin Kahna bei sich aufziehen zu können – wo auch immer das sein würde –, aber der Schock saß noch tief in seinen Knochen. Er war dem Tod viel zu knapp entkommen. Unmöglich konnte er jetzt noch um etwas bitten. Steif schüttelte er den Kopf.

Mit einem Nicken wurde Rin Verran entlassen und kehrte zu seinem Tisch zurück, wo er die Luft ausatmete, die er zuvor unabsichtlich angehalten hatte. Er war wohl der letzte unter den Anhängern der Gilden gewesen, denn nach ihm trat ein Krieger der Sonne vor, aber er hatte kein Ohr mehr für die Sachen, die Val Zirro aus seinen Schriftrollen vorlas.

»Das war verflucht knapp«, zischte Rin Raelin ihm von der Seite zu.

Rin Verran nickte nur, halb betäubt.

»Was ist mit deiner Tochter?«

»Ich weiß es nicht«, gab er zu und spürte einen heftigen Stich in seiner Brust. »Sie werden sie mir nicht freiwillig geben.«

»Aber vielleicht jemand anderem?«

Rin Verran sah seinen Bruder fragend an, der mit einem Finger auf den grünen Smaragd an Habichtfeders Knauf deutete. Schnell legte er die Hand darüber, aber Rin Raelin gab nur ein leises Schnauben von sich, in dem ein Hauch von Belustigung mitschwang.

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