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Kapitel 108: Wut - Teil 2

Die Bresche war fertig. Nur drei Tage nach Rin Verrans Ankunft kam diese Nachricht von den Rebellen, die auf der Mauer Wache hielten. Als Wen Irdan, der wieder zu seiner Art Leibwächter geworden war, ihn mit nach oben nahm, war er geschockt über das Ausmaß an Zerstörung, das er sah. Es waren so viele Bäume gefällt worden, dass einige der Stämme sogar noch nicht weggebracht worden waren. Mehrere, aus dieser Entfernung fast schon winzige Gestalten waren dabei, sie zu zerlegen und auf Pferdekarren zu heben.

»Es wird nicht mehr lange dauern«, meinte Wen Irdan ernst und wandte sich an Kar Moora, die etwa drei Schritte weiter stand und so tat, als würde sie die zwei Männer nicht beobachten. »Was denkst du?«

»Wenn wir die Rauchsäulen der Lagerfeuer sehen, werden wir wissen, dass wir nur noch ein paar Tage haben«, meinte sie ohne ihn anzusehen. »Ich hoffe, die Drachenklaue in der Küche stellt dieses brennende Zeug auch wirklich her und tut nicht nur so.«

»Sie tut ihr Bestes«, versicherte Rin Verran in Erwartung einer erleichterten Reaktion, doch stattdessen fuhr Kar Moora so ruckartig zu ihm herum, dass er beinahe einen Schritt zurückgewichen wäre.

»Wir wären auch ganz gut ohne deine Hilfe und die Hilfe dieser Mörderin ausgekommen!«, blaffte sie. »Hältst du uns für unfähig? Wir haben schon so vielen Angriffen standgehalten! Einer mehr macht da nichts aus! Und überhaupt! Warum kommst du immer wieder zurück als würdest du genau wissen, dass Meister Jhe dich verteidigen würde! Du hast ihn verraten! Alles, was er dir beigebracht hat, hast du vergessen, aber du hältst dich immer noch für den Besten der Besten, für den großen Retter dieser Welt! Dabei bist du Schuld daran, dass die Welt so geworden ist und jetzt verbündest du dich auch noch mit den Drachenklauen! Was für ein Mensch bist du bloß?«

Bevor Rin Verran auch nur den Mund öffnen konnte, um etwas zu erwidern, wütete Kar Moora weiter, während sie direkt auf ihn zu ging.

»Ich will dich nicht hier haben! Keiner will das! Frag jeden Beliebigen hier und er wird dir sagen, dass du am besten wieder in den Knochenbrecher springen sollst!«

»Niemand wird hier irgendwo reinspringen!« Wen Irdan stellte sich vor Rin Verran und hielt die junge Frau so in ihrem Sturmangriff auf. Er warf ihr einen warnenden Blick zu. »Und es wird auch niemand irgendwo rein gestoßen.«

»Er soll beweisen, dass er es verdient hat, hier zu sein!« Sie zeigte anklagend mit dem Finger an Wen Irdan vorbei auf Rin Verran. »Ich fordere dich zum Zweikampf bis zum ersten Blut heraus! Heute Abend! Wenn ich gewinne, wirst du die Gämsen-Pagode auf der Stelle verlassen!«

»Du denkst, du kannst mich besiegen?« Allmählich wurde Rin Verran wütend.

»So, wie du gegen Meister Jhe gekämpft hast, kann das jeder hier!«

Rin Verran presste die Kiefer zusammen. Ich bin nicht wie Raelin. Ich lasse mich nicht zu etwas provozieren. Und dennoch nagte diese Behauptung an seinem Stolz. Er wusste, dass er nicht der beste Schwertkämpfer war. Meister Jhe und viele andere hatten viel mehr Erfahrung als er, aber Kar Moora doch nicht! Sie war keine Erzwächterin und sie war noch jung. Es gab keinen Zweifel daran, dass sie sich überschätzte. Oder war es andersrum und er unterschätzte sie? So oder so, mittlerweile waren einige Krieger der Sonne, die ihre Auseinandersetzung mitbekommen hatten, näher gekommen und warteten angespannt auf seine Antwort.

»Abgemacht«, sagte er schließlich und schlug in die Hand ein, die Kar Moora ihm hinhielt. Die junge Frau nickte nur grimmig und ging in Richtung der Treppe davon, die nach unten führte, während die anderen Krieger der Sonne sich leise tuschelnd wieder entfernten.

»Ich weiß nicht, ob das eine gute Idee war«, flüstert Wen Irdan ihm von der Seite her zu.

»Warum?«

»Ihre Eltern waren beide Söldner. Sie wurden dafür bezahlt, Leute aufzuspüren und ihnen Angst einzujagen oder sie sogar zu töten. Entsprechend viele Menschen gab es, die Rache gesucht haben. Kar Moora musste sich schon als kleines Kind verteidigen können und hat mit sieben das erste Mal ein Schwert in der Hand gehalten. Einige sagen auch mit fünf oder sechs. Die Meinungen spalten sich da. Aber Meister Jhe hätte sie nicht als Schülerin angenommen, wenn sie kein besonderes Talent hätte. In gewisser Weise hasst sie dich auch dafür, dass Meister Jhe dich immer wieder mit ihr vergleicht. Sie wird nicht zulassen, dass du heute Abend siegst. Es geht um ihre Ehre.«

Rin Verran quälte sich zu einem Lächeln. »Das wird schon.«

Wen Irdan antwortete nicht, sondern folgte ihm einfach die Mauer hinunter.

Den Rest des Tages versuchte Rin Verran, sich von dem bevorstehenden Zweikampf abzulenken, aber letztendlich endete er doch damit, einige Techniken aufzufrischen. Er zog sich in den Teil des Gartens zurück, wo er einst die Pfirsichblüten für Dul Arcalla gepflückt hatte. Jetzt blühte der Baum wieder und die Zweige mit den rosanen Blüten wogten sanft im Wind. Bei seinen Übungen wurde Rin Verran von Wen Irdan beobachtet, der etwas abseits stand und einfach nur zusah. Doch als die Sonne allmählich hinter den Mauern der Gämsen-Pagode verschwand, kam der junge Mann zu ihm.

»Ihr seid wirklich ein guter Schwertkämpfer«, sagte er langsam und fast schon nachdenklich. Etwas anderes schien ihn zu beschäftigen und nach einigen Sekunden hob er erneut an: »Ich habe gehört, dass Mahr Xero auch ein guter Schwertkämpfer war und dass Ihr zusammen mit ihm in der Gämsen-Pagode wart.«

Rin Verran nickte.

»Wie war er?«

»Wir... kamen nicht wirklich gut miteinander aus«, gab Rin Verran zu und verkniff sich ein trauriges Lächeln. Er hatte schon vorher die Vermutung gehabt, dass Wen Irdan der Sohn von Mahr Ledjas Dienerin war. Dass er jetzt nach Mahr Xero fragte, der mit großer Wahrscheinlichkeit sein Halbbruder war, bestätigte das nur. »Aber er war in der Tat ein sehr guter Schwertkämpfer und auch Erzwächter. In der Kampfprüfung hat er den zweiten Platz erreicht, gleich nach Meisterin Wrun. In seinem dritten Jahr war er dann in der Falken-Festung. Ich bin mir sicher, dass er...« Er musste innehalten, um die Traurigkeit zu unterdrücken, die auf einmal in ihm hoch wallte. »Wenn einige Sachen anders gekommen wären, wäre er sicher als der beste Schwertkämpfer der Gilden bekannt geworden.«

Wen Irdan schwieg eine Weile.

»Danke«, war das einzige Wort, das er schließlich in die Stille hinein sagte.

Als die zwei Männer den Garten hinter sich ließen und zu dem Kampfplatz hinter der Gämsen-Pagode kamen, hatten sich bereits so viele Krieger der Sonne versammelt, dass Rin Verran gar nicht erst den Versuch wagte, sie zu zählen. Offensichtlich hatte sich die Nachricht über das Duell in Windeseile verbreitet. Die meisten standen deutlich auf Kar Mooras Seite und jubelten jedem ihrer Worte zu, während sie Rin Verran völlig ignorierten. Einige wenige warfen ihm jedoch besorgte Blicke zu. Darunter auch die Heilerin Vi Raya, die kurz darauf zurück ins Krankenhaus verschwand. Vermutlich, um dafür zu sorgen, dass Ghan Reva nichts von diesem Kampf mitbekam. Rin Verran fragte sich, ob Meister Jhe davon erfahren hatte, denn er konnte ihn nirgendwo sehen.

»Wenigstens bist du nicht wie ein Feigling davongerannt!«, begrüßte Kar Moora ihn voller Spott, löste sich aus den Armen ihrer Freunde, die ihr zuvor die Schultern und die Arme massiert hatten, und betrat die freie Fläche in der Mitte. Sie trug die Lederrüstung, in die sie sich schon so fast immer kleidete. Zusätzlich hatte sie Arm- und Beinschienen angelegt und den Teil ihrer schwarzen Haare, der lang genug war, nach hinten zu einem Knoten zusammengebunden. In ihrer rechten Hand ruhte ein klobiges und bestimmt sehr schweres Schwert, doch sie hielt es, als wäre es eine leichte Feder.

Rin Verran entgegnete nichts auf Kar Mooras Provokation, sondern trat stumm auf sie zu und zog dabei Habichtfeder aus der Scheide. Sofort wurde es totenstill. Die versammelte Menge beobachtete gebannt, wie die zwei Gegner anfingen, sich zu umkreisen.

Kar Moora war die erste, die einen Angriff wagte. Ihr Vorteil lag nicht in der Schnelligkeit oder Geschicklichkeit, sondern in ihrer Kraft. Ihr Schwert traf so heftig auf Habichtfeder, dass sie Rin Verran beinahe aus der Hand gerissen wurde. Er taumelte einen Schritt zurück, womit er sich das amüsierte Lachen der Anwesenden einfing.

Grimmig fing er sich wieder. Dem nächsten Angriff entging er mit einer Drehung zur Seite. Er war schneller als Kar Moora, die sich eher träge bewegte, doch sie schien genau zu wissen, was er als nächstes vor hatte, noch bevor er selbst daran dachte. Ein Schlag von der Seite wurde von ihr abgewehrt. Dem nächsten entging sie mit einem Ausfallschritt. Ihre Konzentration ließ nie nach und in ihren Augen glühte eine wilde Entschlossenheit. Angefeuert vom Jubel ihrer Freunde hatte sie nicht vor, ihn gewinnen zu lassen.

Rin Verran wusste nicht, wie lange er schon gegen sie kämpfte. Die letzten Strahlen der Sonne verschwanden gerade hinter den Mauern und ließen den Kampfplatz in ein dämmriges Licht versinken, das nur aus den Fenstern der umliegenden Gebäude kam. Schweiß stand ihm auf der Stirn und er spürte, dass große Teile seiner Kleidung ebenfalls verschwitzt waren. Kar Moora sah mindestens genauso schlimm aus. Unter der Kraft ihrer wuchtigen Angriffe hatte der Knoten, der ihre Haare zusammengehalten hatte, sich gelöst. Nun funkelte sie ihn zwischen einigen schwarzen Strähnen hindurch wütend an.

»Gib einfach auf«, hörte er sie zischen, wusste aber nicht, ob sie wirklich beabsichtigte, dass er es mitbekam.

Diesen Moment der Ablenkung nutzte Rin Verran. Er täuschte einen Schlag von links an, woraufhin Kar Moora ihr Schwert reflexartig nach unten bewegte, um ihn abzuwehren. Doch dann schwenkte er Habichtfeder herum. Die Klinge fuhr nieder und schnitt knapp oberhalb der schützenden Schiene in den Oberarm seiner Gegnerin. Kar Moora stieß einen frustrierten Schrei aus und wich zurück. Ihr Blick huschte zu dem Schnitt, der sich an den Rändern bereits leicht rot färbte.

»Du hast verloren«, sagte Rin Verran und trat einen Schritt zurück. »Das bedeutet, dass ich hier bleibe.«

Stille. Die versammelten Krieger der Sonne sahen zwischen ihm und Kar Moora hin und her, während die junge Frau sichtbar mit sich selbst rang. Rin Verran wollte sich noch nicht umdrehen und weggehen. Er fürchtete, dass sie ihn aus Frust einfach von hinten angreifen würde, auch wenn das gegen den Kodex verstieß und ihr nicht viel Ehre einbringen würde. Wobei das mit dem Kodex ihr vielleicht egal war. Wie erwartet schnaubte Kar Moora, verzog das Gesicht und machte keine Anstalten, ihr Schwert einzustecken. Stattdessen richtete sie die Klinge wieder herausfordernd auf ihn.

»Der Kampf ist noch nicht vorbei!«, rief sie.

Rin Verran runzelte verärgert die Stirn. »Er ist vorbei. Bis zum ersten Blut haben wir gesagt. Was denkst du, was das an deinem Arm ist? Wein? Ich habe gewonnen.«

Kar Moora pustete sich eine schwarze Strähne aus dem Gesicht und öffnete den Mund, um etwas zu sagen, als plötzlich ein Raunen durch die Menge ging und sie sich teilte. Aus dem so entstandenen Durchgang trat Meister Jhe mit streng zusammengezogenen Augenbrauen. Rin Verran musste sich ein Grinsen verkneifen, angesichts des erschrockenen Blickes, den Kar Moora ihrem Meister zuwarf. Sofort versuchte sie, das Schwert hinter ihrem Rücken zu verstecken, aber natürlich war es schon zu spät. Vermutlich hatte Meister Jhe den Kampf schon die ganze Zeit beobachtet.

»Von dir als meine Schülerin erwarte ich, dass du eine Niederlage wenigstens eingestehst«, sagte er mit scharfer Stimme. »Du solltest dich bei Rin Verran dafür bedanken, dass er dir eine wertvolle Lektion erteilt hat. Nämlich sich im Kampf niemals ablenken zu lassen und einen Moment der Ablenkung beim Gegner als Chance zu nutzen. Hast du den Kodex vergessen? Ehre die, die älter und erfahrener sind.«

Kar Moora stand stocksteif da, während ihre Brust sich hob und senkte. Wenn es nicht Meister Jhe wäre, der vor ihr stand, hätte sie wahrscheinlich schon lange ihre Fassung verloren. So starrte sie ihren Meister einfach nur mit unterdrückter Wut an und verbeugte sich steif.

»Du sollst dich nicht bei mir bedanken, sondern bei Rin Verran.«

Rin Verran konnte förmlich spüren, wie die gesamte Gämsen-Pagode den Atem anhielt. Quälend langsam drehte Kar Moora sich zu ihm um. Wenn Blicke töten könnte, wäre er in dem Moment gestorben, in dem sie ihm in die Augen sah, da war er sich sicher. Trotzdem deutete Kar Moora eine Verbeugung an und presste etwas hervor, was sich wie ein »Danke« anhörte. Dann richtete sie sich wieder auf und stampfte vom Kampfplatz. Die versammelten Krieger der Sonne wichen vor ihr zurück und es dauerte nicht lange, bis auch alle anderen zu ihren Zelten gingen. Rin Verran war zusammen mit Wen Irdan der letzte, der den Platz verließ.

»Die einzige Person, vor der Kar Moora Angst hat, ist Meister Jhe«, flüsterte der Mann ihm zu. »Du hast Glück, dass ihm etwas an dir zu liegen scheint.«

»Eigentlich ist unser Verhältnis nicht das beste«, antwortete Rin Verran grimmig, woraufhin Wen Irdan ihn überrascht ansah, aber nichts weiter sagte.

Am nächsten Morgen wurde Rin Verran von einem heftigen Tumult außerhalb des Zeltes geweckt, in dem er schlief. Er hatte sich schon gewundert, dass Kar Moora ihm nicht wieder nachts einen Besuch abgestattet hatte, um sich zu rächen. Hatte sie die Zeit ihrer Rache auf später verschoben?

Als er jedoch nach draußen trat, stellte er fest, dass der Lärm aus Richtung des Gartens kam, wo eine ganze Gruppe von Kriegern der Sonne anscheinend um den Teich herum stand. Die Stimme von Meister Jhes Neffen, Jhe Zaushi, erhob sich über alle anderen, aber Rin Verran konnte trotzdem nicht richtig verstehen, worum es ging. War jemand von außerhalb der Gämsen-Pagode zurückgekehrt und hatte Neuigkeiten mitgebracht? Er wollte sich gerade wieder abwenden, als er eine Stimme hörte, die ihm einen Schauer über den Rücken laufen ließ.

Unmöglich!

Fast schon gewaltsam bahnte er sich einen Weg durch die Menge nach vorne und blieb wie angewurzelt stehen. Er konnte seinen Augen nicht trauen, blinzelte mehrmals. Vor ihm standen zwei Personen, von denen er schon aufgegeben hatte, sie jemals wieder zu sehen.

»Bao Jenko!«

Sein alter Freund erstarrte, suchte mit den Augen nach demjenigen, der ihn gerufen hatte. Als ihre Blicke sich begegneten, stürzte Rin Verran ohne nachzudenken auf ihn zu und schloss ihn in eine Umarmung. Und es war ihm egal, dass er dabei selbst mit dem Wasser vom Teich durchnässt wurde.

»Bist du echt?«, hörte er Bao Jenko leicht stottern. »Bist du echt?«

»Ich bin echt, keine Sorge.«

»Ich verstehe nicht...«

»Ich auch nicht.« Rin Verran ließ ihn los und klopfte ihm auf die Schulter. »Ich erzähle dir alles später. Was ist mit dir?«

»Fe und ich...« Bevor Bao Jenko seinen Satz beenden konnte, schob Jhe Zaushi sich dreist zwischen sie.

»Ihr kennt euch?«, fragte er offen feindselig.

»Wir sind Freunde«, bestätigte Rin Verran. »Das sind Bao Jenko und Tar Fe.« Er deutete auf seinen alten Freund und auf die junge Frau, die mit schlotternden Gliedern und nass an der Haut klebenden Haaren neben Bao Jenko stand.

»Woher wissen sie von dem Geheimtunnel?«, wollte Jhe Zaushi wissen. »Sie gehören nicht zu uns, sonst würden sie unser Zeichen kennen. Habt Ihr es ihnen verraten?« Er sah Rin Verran finster an. »Wie vielen habt Ihr noch davon erzählt? Wisst Ihr nicht, wie wichtig es ist, dass der Tunnel geheim bleibt! Nur mit seiner Hilfe konnten wir die Gämsen-Pagode damals überhaupt erobern! Er ist einer unserer ohnehin schon wenigen Trümpfe und unser einziger Fluchtweg, wenn etwas schief geht!«

»Er hat uns nichts erzählt!«, mischte sich Tar Fe das erste Mal in das Gespräch ein. Sie klang leicht gereizt. »Siehst du nicht, dass wir uns gerade zum ersten Mal seit einer sehr langen Zeit wiedersehen? Oder bist du blind? Zeig etwas Respekt, junger Mann!«

Jhe Zaushi fehlten die Worte und Tar Fe fuhr einfach fort:

»Wir haben es dir jetzt schon mindestens zehn Mal erklärt! Jeder, der schlau genug ist, wird irgendwann darauf kommen, dass es diesen Tunnel gibt! Wie sonst sollen die Kiefernadeln aus dem Rotkiefer-Hain in den Teich der Gämsen-Pagode kommen? Es muss offensichtlich eine Verbindung zwischen diesem Teich und dem Knochenbrecher geben! Meine Güte! Und jetzt holt Meister Jhe her!«

Sie hat sich verändert, dachte Rin Verran. Er erinnerte sich nur zu gut an die junge Frau von damals, die es nie gewagt hätte, so unhöflich mit jemandem zu reden. Sie beide haben sich verändert. Das Leben muss sie hart getroffen haben. Die leicht gekrümmten Rücken, die abgetragene und geflickte Kleidung und die Hornhaut an den Händen verrieten es. Tar Fes Haare hatten an Glanz verloren, was trotz der Nässe immer noch zu sehen war, und Bao Jenko hatte erste Falten bekommen. Auch trug er jetzt einen Bart, der ihn älter wirken ließ, als er eigentlich war. Er fragte sich, wie die zwei wieder zueinander gefunden hatten. Was war passiert?

»Warum seid ihr gekommen?«

Rin Verran hatte gar nicht gemerkt, dass tatsächlich jemand losgegangen war, um Meister Jhe zu holen. Jetzt stand der ältere Mann neben seinem Neffen. Auf der anderen Seite stand Kar Moora, die offenbar schlecht gelaunt, aber zu neugierig war, um sich dieses Spektakel entgehen zu lassen.

Bao Jenko wechselte einen Blick mit Tar Fe. »Eigentlich wollten wir nicht kommen...«

»Ich musste ihn dazu überreden«, erklärte die Erzwächterin. »Wir haben mitbekommen, dass die Ghan-Gilde bald angreifen wird. Wir wollen helfen.«

»Wir brauchen eure Hilfe nicht«, blaffte Kar Moora und wurde von Meister Jhe sofort zum Schweigen gebracht.

»Sie könnten Spione sein«, sagte ein Mann aus der versammelten Menge. »Wir können sie sowieso nicht zurückschicken. Jetzt, wo sie von dem Tunnel wissen.«

»Wir haben jetzt schon viel zu viele Feinde unter uns«, beschwerte ein anderer sich.

Damit meint er Se Laf und mich, vermutete Rin Verran und unterdrückte ein Seufzen.

»Wir wollen wirklich helfen!«, beteuerte Tar Fe und sah in die Runde. »Die Ghan-Gilde hat einen Krieg gegen die Mahr-Gilde angefangen, mit der meine Familie verbündet war! Mein Vater ist bei dem Angriff auf den Rothirsch-Turm gestorben! Und...« Sie biss sich auf die Lippen als hätte sie fast etwas gesagt, was sie nicht hätte sagen sollen. »Dasselbe gilt für Jenko! Wir beide haben unsere Heimat wegen der Ghan-Gilde verloren. Warum sollten wir für sie spionieren? Behaltet uns gerne hier. Wir werden sowieso nicht zu fliehen versuchen, sondern nach Möglichkeit so viele Erzwächter der Ghan-Gilde wie möglich in den Tod schicken.«

Daraufhin legte sich ein betretenes Schweigen über die kleine Versammlung. Nur Meister Jhe nickte ihr anerkennend zu und formte die blutende Sonne über seinem Herzen. »Willkommen bei den Kriegern der Sonne.«

Ein Lächeln huschte über Tar Fes Lippen und sie wiederholte das Zeichen, bevor sie sich bei Bao Jenko unterhakte. »Bekommen wir trockene Kleidung? Und Waffen wären auch gut.«

»Wisst ihr, wann der Angriff beginnen wird?«, fragte Jhe Zaushi auf einmal, der seine Sprache offenbar wiedergefunden hatte.

»Als wir nach dem Tunneleingang gesucht haben, haben wir ein paar Gespräche gehört«, gab Bao Jenko zögernd zu.

Alle Blicke richteten sich erwartungsvoll auf ihn, was ihn leicht verlegen machte.

»In zwei Tagen«, sagte Tar Fe an seiner Stelle.

»Zwei Tage!« Die Worte wurden überall wiederholt. Irgendwo weiter hinten erbrach sich jemand in die Büsche, während eine junge Frau weinend zusammenbrach. Auf den meisten Gesichtern stand jedoch eine grimmige Entschlossenheit. Hände umfassten die Griffe von Schwertern und Dolchen. Andere wurden einfach nur zu Fäusten.

So bald schon. Rin Verran wusste nicht, wie weit Se Laf bereits mit dem Atem des Drachen gekommen war. Er hoffte einfach nur, dass alles fertig sein würde, wenn es so weit war.

Nach der schockierenden Nachricht bat Meister Jhe Bao Jenko und Tar Fe darum, ihm in sein Zelt zu folgen, und die anderen Krieger der Sonne zerstreuten sich. Rin Verran selbst wartete ungeduldig darauf, dass sein alter Freund endlich wieder rauskommen würde. Sie hatten sich so viel zu erzählen...

Erst als die Sonne am höchsten stand, öffnete die Zeltplane sich und sie kamen heraus. Bao Jenko entdeckte Rin Verran sofort. Es brauchte keiner Worte, um zu sagen, dass sie einander vermisst hatten. Trotz allem, was zwischen ihnen passiert war. Und wenn Rin Verran ehrlich war, wunderte er sich, dass Bao Jenko ihm überhaupt keine Vorwürfe machte. Eine ganze Weile saßen sie schweigend an einem der Tische im Speisesaal, während Tar Fe sich irgendwo hin zurückgezogen hatte.

»Danke, dass du versucht hast, meine Familie zu retten«, brach Rin Verran das Schweigen.

Bao Jenko verzog das Gesicht. »Ich war ein Feigling. Am liebsten wäre ich alleine geflohen. Und später habe ich Gilden-Anführerin Rin zurückgelassen, obwohl sie meine Hilfe gebraucht hätte. Ich weiß nicht, was mit ihr passiert ist. Es tut mir leid.« Er vergrub das Gesicht in den Händen. »Mir tut so vieles leid, Rin Verran. Ich kann es gerade nicht in Worte fassen...«

»Du hast dein Bestes getan. Es war sehr mutig von dir, überhaupt den Brief an mich zu schicken.«

Bao Jenko sah auf. »Welchen Brief?«

»Den, in dem du gesagt hast, dass du versuchen wirst, sie zu retten, aber nichts versprechen kannst. Der kam doch von dir?«

»Nein.«

Rin Verran war verwirrt. Er war sich ziemlich sicher gewesen, dass der Brief, den Zha Elto ihm damals gebracht hatte, von Bao Jenko gekommen war. Von wem sollte er sonst sein?

»Ich habe keinen Brief geschickt. Ich weiß nicht, von wem der kam.« Bao Jenko lächelte gequält. »So ein Feigling wie ich hätte nicht den Mut dazu gehabt.«

»Du bist kein Feigling! Wie kannst du sowas nur denken!«

Bao Jenko antwortete nicht.

»Denkst du, dass Mut das einzige ist, was einen Erzwächter ausmacht?« Rin Verran versuchte, seinem alten Freund in die Augen zu schauen, aber er wich seinem Blick aus. »Oder die Fähigkeit, mit verschiedenen Waffen zu kämpfen? Jeder hat seine eigenen Stärken und Schwächen. Viele können gut mit einem Schwert umgehen, aber sie alle würden in einer Schlacht sofort sterben, wenn es niemanden gibt, der sie lenkt, der die Pläne macht. Ein Erzwächter muss auch schlau sein. Und der schlauste ist sowieso derjenige, der Kriege gewinnt ohne eine Waffe gezogen zu haben.« Auf einmal erinnerte er sich an etwas, das Meister Jhe in seiner allerersten Unterrichtsstunde erzählt hatte.

»Jemand«, hob er an, »hat mir einst Folgendes gesagt: Die wahre Kunst des Kampfes liegt im Erzwächter. Ein normaler Erzwächter hält eine Waffe in der Hand und ist damit unübertroffen. Ein wahrer Erzwächter hingegen hält die Waffe im Herzen. Denn wie groß wäre ihre Macht, wenn er sie in der Hand halten würde? Der wahrhaftigste Erzwächter hingegen hält seine Waffe weder in der Hand noch im Herzen. Er hat verstanden, dass nur die Abwesenheit einer Waffe Frieden bringen kann. Dies ist die wahre Kunst des Kampfes.«

Endlich hob Bao Jenko wieder den Kopf. »Aber ich bin hergekommen, um zu kämpfen.«

»Niemand wird dich als Feigling bezeichnen, wenn du es nicht tust.«

»Ich kann Tar Fe aber nicht alleine lassen.«

Rin Verran grinste. »Siehst du? Du bist mutiger als du denkst.« Er griff an seinen Gürtel und holte den Dolch Spiegel hervor, den er Bao Jenko reichte. »Dein Herzstück hat einen langen Weg hinter sich. Verliere es nicht mehr und gib es erst recht nicht weg.«

Bao Jenkos Augen leuchteten auf. Mit den Fingern strich er über die zerkratzte Stelle an der Klinge, wo früher ›Spiegel‹ gestanden hatte. Er wirkte leicht gedankenverloren, riss sich dann jedoch wieder zusammen. Als er Rin Verran ansah, war ein Teil der Angst und Traurigkeit aus seinen Augen verschwunden. »Jetzt bist du dran. Ich habe vieles über dich gehört und konnte fast alles nicht glauben.«

Rin Verran atmete tief durch und fing an, zu erzählen. Alles. Ohne etwas auszulassen. Bao Jenko hörte aufmerksam zu und irgendwann vergaßen sie alles um sich herum. Es fühlte sich an, als wären sie wieder die jungen Schüler in der Gämsen-Pagode, die nach dem Essen noch im Speisesaal sitzen blieben und sich unterhielten. Ohne Sorgen. Erst spät in der Nacht kehrten sie in ihre Zelte zurück, nur, um sich am nächsten Morgen wieder zusammenzusetzen. Dieses Mal war auch Tar Fe dabei.

Anscheinend war sie eine der wenigen gewesen, die noch rechtzeitig aus dem Rothirsch-Turm hatte fliehen können – sie war von ihrem Ehemann weggeschickt worden, der bei dem Angriff gestorben war –, sodass sie von den Erzwächtern der Ghan-Gilde nicht gefunden worden war. So war sie auch dem Schicksal entflohen, das Mahr Lesara ereilt war. Später war sie durch einen Zufall auf Bao Jenko getroffen, der in der Nähe des Schwarzgras-Berges eine Arbeit bei einem Bauern gefunden hatte. Dort waren sie fast fünf Jahre lang geblieben und hatten durch Geschichten in Wirtshäusern und auf der Straße mitbekommen, was um sie herum geschah. Erst, als sie von dem geplanten letzten Angriff auf die Gämsen-Pagode gehört hatten, waren sie aufgebrochen, um den Kriegern der Sonne zu helfen.

»Wisst ihr etwas über meine Tochter?«, fragte Rin Verran vorsichtig, konnte sein Herzklopfen aber nicht unterdrücken.

Bao Jenko und Tar Fe wechselten einen Blick, der seine Hoffnung sinken ließ.

»Wir haben nicht viel aus dem Rothirsch-Turm gehört«, gab Tar Fe zu. »Wir wissen nur, dass Rin Veyvey geschworen hat, drei Jahre lang Trauer zu tragen und das tut sie immer noch. Deiner Tochter geht es aber bestimmt gut.«

Rin Verran nickte und versuchte, seine Niedergeschlagenheit zu verbergen. Ich weiß nicht mal, wie sie jetzt aussieht. Erinnert sie sich überhaupt an mich?

Die Gruppe aus drei alten Freunden redete noch viel und lange, doch alles hatte irgendwann ein Ende. Pünktlich nach zwei Tagen ertönte der niederschmetternde Ruf von der Mauer: »Die Erzwächter der Ghan-Gilde setzen sich in Bewegung!«

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