Kapitel 24
Die in das helle Licht der aufgehenden Sonne getauchte Landschaft rauschte nur so an uns vorbei. Vor kurzem war die Morgendämmerung hereingebrochen und aus einem mir unbekannten Grund, kam mit der Helligkeit auch ein Gefühl der Sicherheit.
Vielleicht hatte ich die Hoffnung, dass sich die Kreaturen der Nacht am Tag eher zurückziehen würden, doch insgeheim wusste ich es natürlich besser. Kreaturen der Nacht war ohnehin der falsche Begriff für diese Wesen.
Sie waren Geschöpfe der Dunkelheit, der Finsternis, und die Menschen verwechselten oft die Bedeutung dieser Worte. Ich persönlich mochte die Nacht, denn ohne ausreichendes Licht sah jeder lediglich Grauabstufungen.
Jeder war dann ein wenig mehr wie ich und ich wollte kein Freak sein. Es war ja nicht so, als würde man mir auf den ersten Blick ansehen, dass ich anders war, aber dennoch war ich so anders, dass man nichts mit mir zu tun haben wollte.
Fast wie im Mittelalter, auch wenn man das in diesem Jahrhundert nicht mehr erwarten sollte. Die meisten Menschen hatten Angst vor dem Unbekannten und ich war nun einmal anders, ob ich es wollte, oder nicht.
Ross neben mir auf dem Fahrersitz gähnte ausgiebig. Schon seit einer geraumen Weile war er kurz davor einzuschlafen, versuchte aber, sich nichts anmerken zu lassen. „Ross“, begann ich vorsichtig, „wir müssen anhalten. Du bist müde und ich kann nicht fahren.“
Seine Finger um das Lenkrad geklammert, antwortete er mir: „Wir könnten beide draufgehen, wenn wir anhalten, also kommt das gar nicht in Frage!“ Auch ich war müde, allerdings hatte ich in der Zwischenzeit einige Zeit schlafen können, während er dafür sorgte, dass wir am Leben blieben.
Es war Selbstmord, ihn am Steuer zu lassen, also raufte ich mir verzweifelt die Haare und spannte mich an: „Wenn du unbedingt weiterfahren willst, dann lass mich fahren.“
Entschlossen blickte ich ihn an, aber er schüttelte ablehnend den Kopf. Was hatte er denn jetzt schon wieder auszusetzen? Als ob ich eine so schlechte Autofahrerin wäre!
„Also gut, beim nächsten vertrauenserweckenden Hotel halte ich an, einverstanden? Dann schlafen wir so lange wie möglich und fahren weiter, okay?“ Es wunderte mich, dass er sich tatsächlich von mir überreden hatte lassen, aber für Triumph war in diesem Moment keine Zeit.
Ich machte mir Sorgen, um Dawn, Rylie und sogar Ross. Noch immer hatten sich die Schuldgefühle ihm gegenüber nicht verdrängen lassen. Aller Wahrscheinlichkeit nach, war ich dafür verantwortlich, dass er hier mit drin hing!
Warum wir diesen Traum gehabt hatten, konnte ich mir zwar nicht erklären, aber irgendwas würde ich schon damit zu tun haben. Ich war der Grund, warum er seine Freunde und Familie vielleicht für immer verlassen musste, dabei war das sicher nicht meine Absicht gewesen.
Egal was irgendjemand sagen würde, es war meine Schuld. Ich mit meinem blöden Gendefekt. Erschöpft ließ ich meinen Kopf gegen die Lehne des Autositzes sinken und blickte der aufgehenden Sonne entgegen.
„Kannst du mir vielleicht die Farbe der Sonne beschreiben?“, fragte ich zögerlich. Ich wusste nicht, wie ich gerade jetzt darauf kam, und ich kannte bereits zahlreiche Beschreibungen meiner Mutter, aber sonst hatte sich nie jemand die Mühe gemacht, mir zu sagen, was hinter den Farben steckte.
Ross lachte leise: „Wir werden von Monstern gejagt und du fragst mich nach der Farbe der Sonne.“ Er warf mir einen kurzen Blick zu und lächelte dabei. Schüchtern lächelte ich zurück, wandte mich aber recht schnell wieder ab.
Wir schwiegen eine Weile, doch dann begann er mit seiner Interpretation der Farbe der Sonne: „Die Sonne strahlt dieses unglaublich warme Leuchten aus. Ihre Farbe ist das Kribbeln auf der Haut, wenn man mit geschlossenen Augen von ihren Strahlen gekitzelt wird. Die Farbe der Sonne, erinnert mich an Curry, Sommer, und das strahlende Lächeln einer Person, das dich automatisch auch zum Lächeln bringt. Sie steht für Freiheit, Grenzenlosigkeit und für das Gute.“
Er betonte seine Worte nicht übermäßig, dennoch überlief mich ein Schauer, als ich in das graue Licht der Sonne blickte und die Augen schloss. Ich versuchte nachzuempfindenden, was Ross mir beschrieben hatte und er hatte recht, das Ergebnis brachte mich zum Lächeln.
„Warum genau kannst du eigentlich keine Farben sehen?“ Lange Zeit hatte ich es selbst nicht verstanden, doch als ich 13 wurde, hielt mein Therapeut es für nötig, mich mit meiner Andersartigkeit auseinanderzusetzen.
„Die Rezeptoren in meinen Augen, die für das farbige Sehen zuständig sind, haben sich nicht richtig entwickelt. Grau kann ich sehen, da dafür andere Teile der Netzhaut verantwortlich sind.“
Seufzend blickte ich in die graue Welt um mich herum: „Ich wünschte so sehr, es wäre anders.“ „Aber dann wärst du nicht du.“ Sollte das etwa ein Widerspruch sein? Ich holte tief Luft: „Als ob das jetzt ein Verlust wäre.“
Sein Schweigen darauf war Antwort genug und obwohl ich es geahnt hatte, versetzte es mir einen Stich. Aber ich konnte niemanden dazu zwingen, mich so zu mögen, also würde ich es auch bei ihm einfach lassen.
Ich legte meine Wange auf die recht kalte Fensterscheibe und starrte nach draußen. „Bist du jetzt sauer, weil ich dir nicht widersprochen habe, Jamie?“ War ich sauer?
Nein, eher enttäuscht, dass er nach dieser ereignisreichen Nacht -das klang anders, als beabsichtigt- noch immer so über mich dachte. Vielleicht bedeutete ich ihm aber auch einfach gar nichts.
„Nein, ich bin nicht sauer.“ Ich wandte meinen Blick nicht von draußen ab, sonst würde er vermutlich merken, dass ich log. Allerdings war ich ja tatsächlich nicht sauer, es fühlte sich nur so verletzend an.
Früher hatte ich mir oft solche Aussagen anhören müssen und irgendwann fing ich an, an ihre Worte zu glauben. Die Erinnerungen taten zwar bei weitem nicht mehr so weh, wie noch vor wenigen Monaten, aber ein schönes Gefühl brachten sie wahrlich nicht mit sich.
Wieder herrschte schweigen, bis wir auf dem Parkplatz eines relativ neu wirkenden Hotels anhielten. „Wir sind noch nicht fertig damit“, meinte er, bevor er ausstieg. Wenn das so weiterging, würde ich den Rest meines Lebens wohl nur noch seufzen können.
Langsam öffnete ich die Tür und trat an die frische Luft. „Meinst du, das reicht für sie, um uns zu riechen?“, fragte ich, während ich mich suchend auf dem Gelände umsah. Insgesamt standen lediglich drei Autos hier, ansonsten schien das Hotel ziemlich leer zu sein.
„Das war deine Idee, ich hab dich von Anfang an vor den Risiken gewarnt. Aber nein, du kannst ja nicht hören und jetzt gehen wir da rein und schlafen!“ Sein bestimmerischer Tonfall gepaart mit seinem müden Auftreten brachten mich zum Lächeln.
Selbst wenn ich sauer auf ihn sein sollte, konnte ich ihm nicht lange böse sein. Allerdings erschien es mir in unserer Situation auch mehr als unangemessen, mich lediglich um irgendwelche zweitrangigen Themen zu kümmern.
Zuerst einmal sollten wir zusehen, dass wir lebendig aus der ganzen Sache herauskamen und unsere Differenzen könnten wir danach klären. Falls es ein Danach geben würde.
Sicher war ich mir da nicht, denn keiner würde uns glauben. Selbst wenn wir ihnen eine Lüge zu unserem Verschwinden auftischen würden, könnte ich danach nicht einfach so weiterleben, als sei nie etwas passiert.
Ich sah jetzt schon in jedem Schatten ein gefährliches, blutrünstiges Wesen. Wie sollte das dann erst werden, wenn wir uns den Kreaturen stellen würden. Denn irgendwann würden wir das tun müssen, ob wir wollten oder nicht.
„Kommst du endlich?“ Ross‘ Worte rissen mich aus meinen Gedanken und ich nickte geistesgegenwärtig, bevor ich ihm ins Innere des Hotels folgte. Hier sah es schon mal um einiges besser aus, als im letzten Hotel, dass wir betreten hatten.
Sogar der Angestellte an der Rezeption empfing uns mit einem Lächeln, auch wenn es etwas müde wirkte. „Wie kann ich Ihnen weiterhelfen?“, fragte er höflich und blickte uns auffordernd an.
„Wir hätten gerne ein Zimmer, mit zwei Einzelbetten.“ Ich wollte gerade gegen die Anzahl der Zimmer protestieren, als er mich mit einem Wink zum Schweigen brachte. Also gut, wenn er also Krieg wollte: „Mein Freund hier ist Bettnässer, wenn Sie also für zwei Laken sorgen könnten?“
Ich schenkte Ross ein zuckersüßes Lächeln und er wirkte ebenso überrascht wie ich. Das hatte er mir wohl nicht zugetraut. „Meine Freundin“, er betonte den Ausdruck extra lang und erst da fiel mir auf, dass ich ihn Freund genannt hatte, „weiß manchmal nicht recht, was sie von sich gibt. Sie dürfen ihr das nicht übel nehmen, sie ist ein wenig verrückt.“
Verwirrt blickte der Angestellte in Uniform zwischen uns umher, schüttelte dann aber den Kopf, als müsste er die Stimmen in seinem Kopf beiseite wischen. „Ein Zimmer für eine Nacht, in eurem Fall eher einen Tag, macht 79 Dollar.“
Schweigend überreichte Ross ihm das Geld und ich nahm den Zimmerschlüssel entgegen. Als wir die Treppe zu unserem Zimmer erklommen, sah er mich mit hochgezogener Augenbraue und einem Lächeln auf den Lippen an: „Seit wann sind wir denn Freunde?“
Das wüsste ich allerdings auch gerne.
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