Kapitel 2
Der Flug hatte Stunden gedauerte, aber da ich nach kurzer Zeit bereits genervt die Augen geschlossen hatte, bekam ich kaum etwas mit. „Guten Morgen meine Damen und Herren, wir werden in Kürze in LA landen, die örtlichen Temperaturen betragen circa 25 Grad.“
Danach wiederholte die Stewardess das Selbe nochmal in Englisch. „Schalten sie bitte jegliche elektronischen Geräte aus und schnallen sie sich an.“ Ich zog mir die Ohrstöpsel aus den Ohren und packte sie in meine schwarze Handtasche, in der sich mein Handgepäck befand.
Als ich mein Handy in der Tasche versengte, fiel mir ein weißer Zettel in die Hände. Er war zusammengeknüllt, also faltete ich ihn langsam auf, um zu lesen, was dort stand. „Endlich sind wir dich los du Freak!“
Tränen traten mir in die Augen. Wie konnten Menschen nur so gemein sein? Warum beurteilten sie mich allein nach meinem Gendefekt und nicht danach, wie ich tatsächlich war?
Es hatte in der ersten Klasse angefangen, als mich alle gemieden hatten, weil ihre Eltern nicht wollten, dass sie Kontakt zu mir hatten. Mit den Jahren war es dann schlimmer geworden, was meine bisherige Schulzeit nicht gerade angenehm gemacht hatte.
Während der Landung versuchte ich das dumpfe Gefühl in meinem Magen zu ignorieren und einfach an nichts zu denken. Ich ballte meine Hände zu Fäusten und zerknüllte dabei den Zettel, den ich wütend in die Tasche zurück pfefferte.
Das Wackeln, als das Flugzeug endlich auf dem Boden aufkam, ließ mich unmerklich aufatmen. Die Ereignisse der letzten Jahre hatten mich zu einem ewigen Pessimisten gemacht, deshalb rechnete ich immer mit dem Schlimmsten. „Bitte warten sie mit dem Aufstehen, bis das Flugzeug vollständig zum Stehen gekommen ist.“
Daraufhin folgte eine weitere Ansage, die ich mit einiger Mühe als englischsprachig identifizierte. „Wie wünschen ihnen einen schönen Aufenthalt in den USA, danke, dass sie unsere Fluglinien gewählt haben.“
Irgendwo im hinteren Teil des Fliegers, begann ein Baby zu schreien, was mich bei diesem Englisch auch nicht wirklich verwunderte. Obwohl ich Englisch nie außerhalb der Schule gelernt hatte, wusste ich, dass sowohl Aussprache, als auch Grammatik der Stewardess schrecklich waren.
Das Baby wurde kurz darauf von seiner Mutter zum Schweigen gebracht und so senkte sich die Stille wieder über das Flugzeug. „Jamie? Nur noch ein paar Sekunden, dann beginnen wir unser neues Leben.“
Meine Mutter griff nach meiner Hand und drückte sie leicht. „Naja, neu ist das Leben ja nicht wirklich.“ Sie legte den Kopf schief und sah mich aus zusammengekniffenen Augen an: „Mit dieser Einstellung wird das sicher nie was!“
Obwohl ich hundemüde und völlig verschlafen war, wusste ich, dass sie einen Witz gemacht hatte. Ich fuhr mir durch die Haare, damit sie mir nicht mehr ins Gesicht hingen, aber auch, um einfach meine völlig versteiften Glieder zu bewegen.
„Du darfst jetzt übrigens aufstehen.“ „Was? Wir stehen schon?“ „Schon seit einiger ganzen Weile Schatz.“ Ich hatte natürlich mal wieder nichts mitbekommen, stellte nun aber fest, dass wir uns tatsächlich nicht mehr bewegten.
Mit weichen Knien stand ich auf, griff nach meiner Tasche und drängte mich in Richtung vorderen Ausgang. Zuerst musste ich mich an den Lehnen verschiedener Sitze abstützen, da ich Angst hatte, zu fallen.
Als es hinter mir schepperte und irgendjemand leise aufschrie, drehte ich mich um, um zu sehen, was los war. Ich sah meine Mutter auf dem Boden liegen und konnte mir das Grinsen nicht verkneifen.
„Sind deine Beine eingeschlafen?“ Sie sah mich überrascht an: „Woher weißt du das?“ Lachend antwortete ich: „Meine auch, aber ich war intelligent genug, um mich festzuhalten.“
Ich war zwar immer noch völlig kaputt, doch langsam wich die Müdigkeit einer seltsamen Aufregung. Meine Mutter hatte Recht: das hier würde tatsächlich ein neues Leben werden, ich hoffte nur, dass es auch gut werden würde. Jetzt konnte ich keinen Rückzieher mehr machen, jetzt war es zu spät dafür.
Mein neues Leben gestaltete sich schon schwierig bevor es überhaupt richtig angefangen hatte. Unsere Möbel und unsere Kleidung würden sich verspäten, da sich das Schiff, auf dem sich die Dinge befanden, in einen Sturm geraten war.
„Womit soll ich denn jetzt in die Schule?“ Ich war alles andere als begeistert von der Vorstellung mit denselben Klamotten in die Schule zu gehen, wie mit denen, mit denen ich geflogen war.
„Zieh doch einfach die Kleidung aus dem Flieger an. Das wird schon keinem auffallen!“ „Mum das ist der erste Schultag, ich will wenigstens einmal gut aussehen! Die denken bestimmt wieder, dass ich ein Freak bin! Bei diesen Klamotten könnte ich es ihnen nicht einmal verübeln.“
„Was hast du denn an deinem Outfit auszusetzen? Das ist doch völlig in Ordnung!“ Ich blickte an mir hinunter und fand meine Kleidung jetzt noch viel schrecklicher, als einige Sekunden zuvor.
„Welche Farbe hat die Hose nochmal?“ „Dunkelgrün.“ Eigentlich halfen mir die Namen der Farben kaum weiter, da ich raten musste, was, welche Farbe war, da ich zwar farbig träumte, allerdings nicht wusste, welche Farbe, welchen Namen hatte.
„Das Grün passt auf jeden Fall zum Oberteil und jetzt mach, dass du fort kommst!“, versicherte mir meine Mutter. Da kaum noch Zeit blieb, um zu Frühstücken, schnappte ich mir ein Brötchen, schnappte mir meine Sachen und zog meine weißen Schuhe an. Murrend verließ ich das Haus, da ich immer noch misslaunig war und machte mich auf den Weg, zur Schule.
Mum hatte Recht gehabt, als sie sagte, die Schule sei nicht weit entfernt von unserem Haus, dennoch wunderte ich mich, als ich schon nach wenigen Minuten ein großes, bunt gestrichenes Gebäude erreichte, vor dem zahlreiche Jugendliche standen, palaverten und in einzelnen Gruppen auch rauchten.
Während ich darauf wartete ins Gebäude gelassen zu werden, spürte ich die Blicke der anderen auf mir ruhen. Ich war bereits mit einem mulmigen Gefühl aufgewacht, dass nun von Sekunde zu Sekunde stärker wurde.
Obwohl mir die Blicke der anderen unangenehm waren, war es um einiges erträglicher, als die Worte und Beschimpfungen, die ich mir sonst anhören hatte müssen.
Noch waren die Blicke nur neugierig, denn es wusste ja auch noch niemand, dass etwas nicht mit mir stimmte. Ein unsanfter Schlag in den Rücken, ließ mich aus meinen Gedanken fahren.
Ich drehte mich nicht um, je weniger ich sie kannte, desto weniger würde es wehtun, deshalb tat ich, als sei nichts gewesen. Ein spöttisches Lachen erklang hinter mir und ich merkte, wie Blicke mich durchbohrten.
„Oh, was haben wir denn hier?“ Schritte ertönten und ich sah aus den Augenwinkeln, dass er in mein Blickfeld treten wollte. Schnell wand ich mich ab und versuchte, mich von ihm zu entfernen.
Bitte nicht, nicht jetzt schon! „Schau, sie ist schüchtern! Süß, wird ihr allerdings nicht helfen.“ Mit wem redete dieser Idiot? Meine Versuche mich ihm zu entziehen wurden kläglicher.
„Kann sie auch sprechen?“, fragte er sich selbst, er rechnete nicht mit einer Antwort. Sollte ich mich wehren? Wenn ich jetzt nichts unternehmen würde, wäre es vermutlich für immer zu spät.
„Sei gefälligst still! Ich rede nicht mit Idioten!“, sagte ich leise und drohend. Was hatte ich getan? Gab es keine Wiederholungstaste, die ich drücken könnte und etwas anderes sagen könnte.
„Ich sehe schon, sehr stark, nicht?“ Konnte er mich nicht einfach in Ruhe lassen? Ich ignorierte ihn. Statt ihm Beachtung zu schenken, folgte ich dem Strom an Schülern ins Schulgebäude.
Von innen war das bunte Gebäude sehr viel größer, als von außen, dennoch gelang es mir nicht, den Jungen abzuschütteln. „Könntest du es nicht einfach lassen und die Klappe halten?“, fragte ich meinen Verfolger genervt.
Mit der Zeit hatte ich gelernt, dass es nicht half, sie einfach zu ignorieren- im Gegenteil, sie merkten, dass man verletzt war. Wenn ich meine Trauer unter Wut versteckte, wurde es ihnen oft langweilig, denn ich zeigte nicht, dass ihre Worte weh taten.
„Du denkst wirklich, dass ich deine Angst nicht sehen könnte, oder?“ Ich biss die Zähne zusammen und drehte mich um, um ihm in die Augen zu sehen. Ein Paar graue Augen blickten mir entgegen.
Seine Augen standen in krassem Gegensatz zu seinem bisherigen Auftreten, sie waren sanft und strahlten Wärme und Ruhe aus. Er war ebenso überrascht wie ich, deshalb dachte keiner auch nur im Entferntesten daran, weg zu schauen.
Mir entwich ein leises Oh, dann spürte ich, wie meine Wangen zu glühen begannen, doch ich konnte meinen Blick einfach nicht abwenden. Da ich ihm immer noch in die Augen schaute, bemerkte ich nicht, wie sich sein Mund zu einem spöttischen Grinsen verzog.
„Magst du meine Augen?“, fragte er in einem arroganten Tonfall. Die Antwort war ungewollt, platzte aber einfach aus mir heraus: „Ich finde dieses dreckige grau nicht schön, ich habe schon viel schönere Augen gesehen!“
In dem Moment, als ich die Worte aussprach wusste ich, dass es ein Fehler gewesen war; hoffentlich hatte er nicht bemerkt, dass ich seine Augen als grau bezeichnet hatte. Ich drehte mich um und rannte davon und zu meiner Verwunderung, ließ er mich gehen.
Seine tatsächliche Augenfarbe kannte ich nicht und mir wurde auch jetzt erst klar, dass ich keine Ahnung hatte, wie der Rest von ihm aussah. Kurz hatte ich sogar die Befürchtung, ich würde ihn nicht erkennen, aber dann erinnerte ich mich an seine wunderschönen Augen und seine unverkennbare Stimme. „Wunderschöne Augen? Nicht dein Ernst Jamie!“, sagte ich zu mir selbst.
„Mit wem redest du?“ Die Stimme ließ mich zusammen fahren und ich verstreute meine wenigen Sachen auf dem Boden. „Oh, sorry, ich wollte dich nicht erschrecken.“ „Schon okay“, sagte ich matt und ging auf die Knie, um meine Sachen wieder aufzusammeln.
Als wir gleichzeitig nach meinem Buch griffen, schaute ich auf und starrte erneut in dieses warme Grau, von dem ich inzwischen annahm, dass es eigentlich ein schönes Braun war.
Die Stimme jedoch unterschied sich sehr, von der meines Verfolgers, dennoch wich ich erschrocken zurück, als ich bemerkte, dass es seine Augen waren. „Ist alles okay?“ Ich nickte ein wenig zu schnell, deshalb schenkte er meiner Antwort auch keinen Glauben.
Er musterte mich kurz, dann fragte er: „Bist du neu hier?“ Ich nickte schüchtern, da er nett zu sein schien. „Und du hast Angst, keine neuen Freunde zu finden.“ Obwohl es mehr eine Feststellung war, nickte ich kaum merklich.
„Okay, dann bin ich jetzt wohl dein erster Freund hier. So nebenbei; ich heiße Rocky.“ „I-Ich bin Jamie“, stotterte ich und er lächelte lieb. Mein erster Freund. Nicht nur hier, sondern in meinem ganzen Leben und ich hoffte, er wäre nicht wie alle anderen.
„In welche Klasse gehst du?“ Er hob meinen Stundenplan vom Boden auf und nur einige Sekunden später hellte sich sein Gesichtsausdruck auf: „Du bist in einer Klasse mit meinem Bruder Ross.“
Ross? Rocky? Ich musterte ihn genauer und stellte geschockt fest, dass er es tatsächlich war. Seine Haare waren anders und er war älter, deshalb hatte ich ihn nicht sofort erkannt, aber jetzt wurde mir langsam klar, dass mein einziger „Freund" in meinem kompletten Leben Rocky Lynch aus R5 war.
„Hey Jamie, willst du, dass ich dir den Biosaal zeige?“ „Natürlich!“ Ich lächelte erneut, diesmal fast noch schüchterner. Er nahm mir die Bücher aus der Hand und lief mir voran, bis er bemerkte, dass ich nicht neben ihm, sondern hinter ihm lief.
Er blieb kurz stehen und wartete, bis ich neben ihm war. „Magst du Musik?“ „Ja, ich liebe Musik!“ Er war der erste Mensch in meinem Alter, den ich zu interessieren schien und ich hatte jetzt schon Angst davor, wie er reagieren würde, wenn er je von meinem Gendefekt erfahren würde.
„Das ist großartig! Musik ist sozusagen mein Leben!“, antwortete er. „Spielst du irgendein Instrument?“ Ich schüttelte betrübt den Kopf: „Noch nicht, aber meine Mum hat gesagt, dass sie einen Gitarrenlehrer bezahlen würde, nachdem wir umgezogen sind.“
„Ich könnte es dir beibringen, wenn du willst.“ Er kannte mich kaum und trotzdem wollte er so etwas für mich tun? Es gab also doch noch nette Menschen. „Das wäre unglaublich nett von dir, aber bist du dir sicher, dass du einen Teil deiner Freizeit mit mir verbringen willst?“
„Du scheinst nett zu sein, also wieso sollte ich nicht?“ „Weil ich ziemlich schnell auf den Geist gehe.“ „Oh ich denke nicht, dass du mir je auf den Geist gehen wirst“, sagte er lächelnd.
„Okay, wir sehen uns in zwei Stunden. Das ist dein Bioraum.“ Er zeigte auf eine Tür, die hinter einigen Menschen fast verschwand und händigte mir meine Bücher aus. „Vielen Dank fürs herbringen, bis nachher.“
Er umarmte mich schnell und lief dann den Gang hinunter, dennoch sah ich, dass sein Gesicht einen anderen Farbton annahm, von dem ich stark annahm das es ein Zeichen der Nervosität war.
-------------------------------------------- Rocky ist also der beste Freund, aber wer ist wohl der Mobber? :o ach ja, alles was schräg geschrieben ist, ist eigentlich auf Englisch ;)
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro