Kapitel Zwei
Am Montag nach der Schule stehe ich wieder hinter der Rezeption des Hotels und helfe den Menschen beim Ein- und Auschecken.
Ich bin müde und ausgelaugt von dem langen Tag. Die Urlaubszeit fängt langsam an, was heißt, dass ich meistens länger arbeiten muss. Viel mehr Gäste suchen sich ein Plätzchen in dieser Stadt und verlangen meine Aufmerksamkeit. Mein Blick liegt auf dem Computermonitor vor mir, als ich die schrille Klingel der Eingangstür höre. Sofort schießt mein Kopf nach oben und Roy steht vor mir.
Sein roter Schopf ist schon von weitem zu sehen, mit einem charmanten Lächeln wie immer kommt er auf mich zu.
„Hey." Überrascht komme ich hinter dem Empfangstresen vor und falle ihm in die Arme. Sein Parfüm steigt mir in die Nase. Es riecht nach Karamell, erinnert mich an gebrannte Mandeln vom Weihnachtsmarkt. Mein Kopf wackelt leicht auf seiner Brust, als er anfängt zu lachen. Sofort fühle ich mich ein Stück besser, weniger gestresst und erleichtert, dass er wieder da ist.
„Wieso hast du mir nicht geschrieben? Seit wann bist du wieder da?" Die Fragen sprudeln nur so aus mir heraus, ohne dass ich mich halten kann. Ich sehe zu ihm auf, seine hellblauen Augen schauen mich belustigt an.
„Noch nicht lange, deine Mum hat gesagt, dass ich dich hier finde. Am Arbeiten, wie immer." Er lässt seinen Blick durch die Empfangshalle schweifen und schaut dann wieder zu mir. Ich kichere, weil es tatsächlich kaum Tage gibt, an denen ich absolut nichts zu tun habe. Bin ich nicht in der Schule, bin ich hier und wenn ich nicht hier bin, bin ich mit den Prüfungsvorbereitungen beschäftigt.
„Wann hast du Pause? Ich dachte, wir könnten etwas essen gehen." Fragend sieht er mich an. Ich schaue auf meine Armbanduhr und zu Michelle, die wie gerufen aus dem Hinterzimmer kommt und sich ihre Uniform geradezupft.
„Gib mir zwei Minuten, ich komme raus." Mit einem dicken Grinsen wende ich mich meiner Arbeitskollegin zu. Ich habe nicht gewusst, wann Roy wiederkommen würde und dass er jetzt schon da ist, macht alles irgendwie einfacher. Mit Roy fühlt sich vieles einfacher an.
Das Wetter ist herrlich, die Sonne strahlt und Roy läuft neben mir her, hält meine Hand und erzählt von seiner Arbeit. Er arbeitet als Consultant in der Firma seines Stiefvaters, berät andere Firmen, die in der Klemme stecken und ist deshalb oft unterwegs. Ich könnte ihm stundenlang zuhören. Nicht, weil mich seine Arbeit interessiert, sondern weil er eine Art hat, Dinge zu erzählen, die alles viel interessanter macht. Oder es liegt einfach daran, dass er ein wunderbarer Mensch ist.
Wir entscheiden uns für ein kleines Restaurant in der Innenstadt. Wegen des Wetters sind wir offensichtlich nicht die einzigen, die auf die Idee gekommen sind, ihre Mittagspause hier zu verbringen. „Jetzt erzähl mal von dir. Was passiert in der Schule?" Wir haben gerade unsere Bestellungen aufgegeben. Der Kellner bringt uns zwei Gläser Wasser, die ich dankend entgegennehme.
„Ehrlich gesagt, gibt es da nicht viel. Entweder bin ich im Hotel oder in der Schule und meine Zeit Zuhause verbringe ich mit Lernen. Du kennst das doch." Schulterzuckend nehme ich das Wasserglas in die Hand. Die Eiswürfel klirren laut gegeneinander.
„Du brauchst wirklich mal eine Pause." Roy runzelt und schaut mich besorgt an. „Quatsch. Sobald die Prüfungen rum sind, ist das Schlimmste rum und dann sind Ferien."
„Bis das College anfängt." Er malt mit seinem Daumen kleine Kreise auf meine Hand, die auf dem Tisch liegt. Lächelnd nicke ich. Das Gespräch über Colleges will ich jetzt nicht aufbringen, denn ich bin mir sicher, dass wenn er und Mama erfahren, dass ich eigentlich nicht aufs College will, beide ihre eigene Meinung dazu haben und für diese Situation bin ich jetzt noch nicht bereit.
***
„Ich halte das nicht länger aus", jammere ich und lasse mein Kopf auf die Ablage sinken. Michelle wischt gerade die Tische der Cafeteria ab, hört sich aber trotzdem mein Gejammer an. „Du musst mit den beiden reden", antwortet sie schulterzuckend und wringt den Lappen im Putzeimer aus.
„So einfach ist das nicht." Ich sehe aus dem Fenster der Mensa und schaue einem Mann dabei zu, wie er die Außentische abwischt und zusammenräumt. „Meine Mutter würde mich köpfen." Das ist für keinen von uns eine neue Information. Michelle hat meine Mutter schon kennengelernt und wenn es um meine Zukunft geht, ist mit ihr nicht zu spaßen.
„Sie würde dich aber auch nicht unglücklich sehen wolle." Ich beobachte weiter den Mann auf den Terrassen. Er hat Probleme dabei, den letzten Stuhl zusammenzuklappen. „Sie würde es nicht mal sehen, wenn ich unglücklich wäre."
Ich liebe meine Mutter mehr als irgendjemanden sonst, doch was das angeht, ist sie verbissen. Sie will nur mein Bestes, das ist mir bewusst, aber ich bin mir sicher, dass sie nicht mit sich reden lässt. Für sie war schon immer klar, dass ich nach der Schule aufs College gehen werde, und lange Zeit hat mich der Gedanke auch nicht gestört. Erst als ich angefangen habe, hier zu arbeiten, ist mir bewusst geworden, wie sehr ich das hier mag.
„Wer ist das eigentlich?" Ich deute mit einem Nicken zu den Fenstern.
Michelle folgt meinem Blick nach draußen. „Irgendein Typ, der Sozialstunden abbauen muss, glaube ich", antwortet sie und beginnt, die Stühle auf die Tische zu stellen.
Seufzend stehe ich auf und helfe ihr. „Nick hat ihn unter seine Fittiche genommen."
„Ah." Ich schaue weiter aus dem Fenster. Viel kann man von ihm nicht sehen, denn er steht mit dem Rücken zu mir. Also arbeitet er wirklich hier. Dass es derselbe Mann ist, wie der in den Umkleiden, erkenne ich nur daran, dass er den gleichen Pullover trägt wie letzte Woche. Er hat das Logo einer Metal-Band auf dem Rücken. Ich erkenne es nur, weil mein Vater ebenfalls ein Fan von dieser Band war.
Wir stellen gemeinsam die restlichen Stühle nach oben, das Putzen wird die Reinigungskraft erledigen. Alleine das gehört schon nicht mehr zu unserem Aufgabengebiet, manchmal aber müssen wir die Zeit bis zum Feierabend totschlagen und Michelle hat sowieso einen kleinen Putzfimmel. Zumindest behaupte ich das, auch wenn sie beteuert, dass das nicht stimmt.
„Ich mach' das schon", sage ich zu Michelle gewandt und hebe den Eimer mit dem dreckigen Wasser an. Sie lächelt mir dankend zu und wischt sich den Schweiß von der Stirn.
Eigentlich dürfen wir die Küche nicht einmal betreten, weil wir keine Hygienekleidung tragen, doch ich habe absolut keine Lust, den Eimer erst bis zur nächsten Toilette tragen zu müssen.
Sobald die Schule zu Ende ist, habe ich ein paar Wochen frei und Roy hat nicht ganz unrecht, wenn er sagt, dass ich das bitternötig habe. Zwar bin ich jemand, der gerne viel zu tun hat, trotzdem klingt eine Pause wie Musik in meinen Ohren.
Ich kippe das Wasser in den Abfluss am Boden, als ich plötzlich spüre, wie meine Füße nass werden. Stöhnend stelle ich den Eimer zur Seite und stapfe aus der grauen Brühe. Ich taste suchend meine Hose nach meinem Telefon ab, doch schnell wird mir wieder bewusst, dass ich es an der Rezeption liegen lassen habe.
Diese eine Aufgabe ist es, die mich von meinem Feierabend trennt, und dass ich nicht einfach die nächste Toilette aufgesucht habe, scheint mir jetzt zum Verhängnis zu werden.
Mir bleibt nichts anderes übrig, als zur Rezeption zu gehen und Nick anzurufen. Er könnte überall sein und ihn zu finden, wird zu lange dauern.
Am Eingang angekommen sehe ich, dass Michelle offensichtlich schon gegangen ist. Ich schnappe mir das Telefon und drücke auf die Kurzwahltaste.
„Ja", eine grummelige, alte Stimme meldet sich am Telefon.
„Nick kannst du bitte in die Cafeteria kommen? Irgendwas stimmt mit dem Abfluss in der Küche nicht!" Dass ich ihn wahrscheinlich verstopft habe, verschweige ich vorerst. Nervös kaue ich an meinem Finger.
Ich höre ihn genervt seufzen. „Geh nach Hause, ich mache das, Faye." Damit beendet er das Telefonat. Nick war noch nie sonderlich gesprächig und wenn man ihn kennenlernt, kommt er einem sehr unhöflich vor, doch eigentlich ist er wirklich nett. Erleichtert atme ich aus und lege das Telefon hinter den Computerbildschirm.
Der Tag war lang und ich bin unglaublich müde. Montags gibt es am meisten zu tun, denn die meisten Besucher checken am Sonntag aus, und das bedeutet viel Papierkram und die Zimmer auf Fundsachen absuchen. Ich schleppe mich in die Umkleiden und ziehe mich um.
Weil ich ein schlechtes Gewissen Nick gegenüber habe, entschließe ich mich, noch bei ihm vorbeizuschauen und mich zu entschuldigen. Er wird so oder so herausfinden, dass ich den Abfluss verstopft habe.
Die Lichter der Mensa sind mittlerweile ausgeschaltet, nur die Notfalllichter brennen noch. „Hey Nick." Ich schlage die Tür zur Küche auf, wo er über dem Abfluss gebeugt ist und mit seiner Hand in das tiefe Loch am Boden greift.
„Weißt du schon, was das Problem ist?" Ich spiele mit dem Autoschlüssel in meiner Hand und lehne mich gegen die Tür.
„Irgendein Trottel hat das Sieb verstopft", schimpft er. Sofort wird mir bewusst, dass das nicht Nicks Stimme ist. Ich zucke vor Schreck zusammen. „Ich ... äh ..." Ich spüre, wie mir die Röte ins Gesicht steigt.
„Ich bin Faye", stelle ich mich vor und reiche ihm die Hand. Er hebt seinen Kopf und musterte diese, dann schaute er auf seine, die noch im Loch steckt.
„Und ich bin am Arbeiten." Er klingt genervt und nicht so, als würde er sich auf ein Gespräch einlassen. Verlegen fahre ich durch meine langen Haare und nehme meine Hand wieder zurück.
„Tut mir leid." Ich weiß nicht, wofür ich mich genau entschuldige. Für die Sauerei auf dem Boden oder dafür, dass ich ihn störe.
„Du musst der Neue hier sein." Mir ist bewusst, dass er nicht reden will, schon die Art, wie er sich von mir abwendet, und die knappen Antworten machen mir das klar, aber Höflichkeit ist etwas, das mir meine Mutter von klein auf beigebracht hat.
„Willkommen." Ich lächle höflich und beuge mich nach unten um sein Gesicht sehen zu können, doch bis auf etwas Glänzendes an seiner Augenbraue, kann ich nicht wirklich etwas erkennen.
Er antwortet nicht, sondern steht auf, um sich die Hand am Waschbecken zu waschen.
„Okay", flüstere ich leise und nicke. „Dann einen schönen Feierabend." Es fällt mir schwer, doch ich versuche, weiterhin zu lächeln. Schön und gut, wenn er sich nicht mit mir unterhalten will, aber etwas Anstand ist ja wohl nicht zu viel verlangt.
Ich drehe mich um und gehe wieder zu Tür, als ich seine tiefe Stimme höre.
„Grey, mein Name ist Grey." Überrascht drehe ich mich um, doch er sieht mich nicht an, sondern verstaut die Glocke wieder im Abfluss. Mein Lächeln wird etwas breiter. Er klingt zwar genervt, aber immerhin weiß ich jetzt, wie er heißt.
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