Kapitel Vierzehn
„Wenn Sie noch etwas brauchen, rufen Sie die Rezeption an. Ich bin Faye." Ich stelle den Koffer des neuen Gastes ab und reibe mir die Hände. Mit einem Lächeln verabschiede ich mich von ihm und schließe die Tür hinter mir. Der kühle Wind der Klimaanlage schlägt mir ins Gesicht.
Auf der anderen Seite des Flurs sehe ich Nathan, der gerade ebenfalls aus einem der Zimmer kommt.
„Nathan!", rufe ich und renne den Flur runter. Er dreht sich um und sieht mich verwundert an. Die Art, wie seine Familie ihn behandelt hat, lässt mich immer noch nicht los.
„Hey", grüße ich ihn, aber er ignoriert das und stopft ein paar Bettlaken in den großen Rollwagen für Schmutzwäsche. „Wie geht's dir?", fahre ich fort und lehne mich an den Rollwagen, der einige Zentimeter verrutscht und gegen die Wand stößt.
„Bestens und dir?" Der Blonde sieht mich weiterhin nicht an, sondern geht zum nächsten Zimmer. Ich begleite ihn und helfe ihm bei der Bettwäsche.
„Gut", sage ich nickend. „Wenn du reden magst..." Ich halte inne und öffne weiter die Knöpfe des Bezugs.
„Über was?", keift er sauer und reißt so sehr an einem der Bezüge, dass ein Knopf abfällt. Überrascht sehe ich ihn an und dann zu dem Knopf, der auf dem Boden liegt.
„Ich ... weiß ja auch nicht", murmle ich und werfe den alten Bezug auf den Boden.
Ich hätte von Nathan nicht erwartet, dass er so reagiert. Zwar zeigt es mir, dass er weiß, worüber ich spreche, aber gleichzeitig sehe ich auch, dass er nicht darüber reden will.
„Manchmal hilft das halt."
„Weißt du, was auch hilft? Wenn du dich um deine Sachen kümmerst und andere in Ruhe lässt." Genervt wirft er den kaputten Bezug zu Boden und greift nach einem Kissen.
„Ich will dir nur helfen!", beteuere ich eindringlich und sehe ihm in die Augen. Zu sehen wie fertig Nathan an diesem Tag war, wie sein Vater ihn behandelt hat, war grauenvoll.
„Du kannst mir nicht helfen, das kann niemand und jetzt lass es bitte sein, Faye!" Seine Stimme zittert. Ich weiß nicht, ob vor Wut oder vor Traurigkeit, aber was spielt das schon für eine Rolle? Nathan befindet sich in einer Situation, aus der er offensichtlich nicht raus kann.
„Okay." Meine Stimme ist nur ein Flüstern, aber mir ist es auch egal, ob er es hören kann. Ohne ein weiteres Wort zu sagen, gehe ich aus dem Zimmer und lasse ihn alleine.
Die Rezeption ist leergefegt, als ich unten ankomme. Glücklicherweise ist Michelle erst spätabends da und ich muss ihr nicht über den Weg laufen. Seit der Sache mit Ben und den Drogen gehen wir uns so gut wie möglich aus dem Weg. Sie will nicht einsehen, dass ich im Recht bin und und nicht Ben, der eine Straftat begangen hat. Gelangweilt lasse ich meinen Blick durch die Eingangshalle gleiten und bleibe bei Nick hängen, der draußen die Straße fegt. Grey habe ich heute noch nicht gesehen, aber ich habe auch nicht vor, Nick nach ihm zu fragen. Wie komisch würde es werden, wenn er Grey von davon erzählt?
Soweit ich weiß, gibt es für die Hausmeister keine Schichten, also ist es unwahrscheinlich, dass er heute noch kommt. Enttäuschung macht sich in mir breit. Wie gerne hätte ich mit ihm über den letzten Tag geredet oder wäre einfach gerne in seiner Nähe gewesen.
***
„Ich mach' ja schon!" Augenverdrehend nehme ich den Wäschekorb und trotte zur Haustür. Mama grinst siegessicher, woraufhin ich ihr nur die Zunge rausstrecke. Die Frage, wer die Wäsche macht, ist ein ewiger Kampf. Die Waschräume sind ganz unten im Keller, was bedeutet, wir müssen jedes Mal vier Stockwerke runter und wieder rauf laufen. Das Schlimmste ist aber immer noch, dass die Keller einfach verdammt gruselig sind und die Lampen gerne mal einen Wackelkontakt haben. Da wird das Wäschewaschen schnell zu einem Horrorfilm der Mittelklasse.
Trotzdem bin ich froh, als ich feststelle, dass ich alleine im Keller bin. Wenn man in einem so großen Komplex wohnt, will man nicht viel mit seinen Nachbarn zu tun haben. Und weil das hier fast jeder so sieht, funktioniert das Zusammenleben eigentlich auch ganz gut.
Ich werfe eine Wertmarke in den dafür vorgesehenen Schlitz und klappe den Deckel zu, als ich höre, wie die Tür hinter mir aufgeht.
„Hey Faye." Sam lächelt mich überrascht an. Verwirrt nicke ich ihm zu und folge ihm mit meinem Blick.
„Was machst du denn hier?" In der letzten Zeit ist so viel passiert, dass es sich anfühlt, als hätten wir uns seit Ewigkeiten nicht mehr gesehen.
„Ich helfe meiner Tante, schon vergessen?" Er schlägt den Deckel der Waschmaschine etwas zu laut zu und stellt die Temperatur ein. „Die Verrückte", bemerkt er. Ich merke, wie mir vor Scharm warm wird. Es ist mir immer noch unangenehm, dass mir das vor ihm so rausgerutscht ist.
„Ja, klar. Natürlich."
Die Stille, die sich auf uns legt, hat etwas Unangenehmes. Einzig die lauten Waschmaschinen lenken etwas davon ab.
„Wie geht's dir?", fragt Sam schließlich. „Du hast nicht gut ausgesehen, als ich dich das letzte Mal gesehen habe."
Ich weiß, worauf er anspielt, aber mir ist nicht danach, die ganze Geschichte wieder aufzuwühlen. Deshalb zucke ich einfach nur mit den Schultern und greife nach meinem Wäschekorb.
„Es geht mir gut. Wie geht es dir?" Ich öffne die Tür und gehe voraus, aber Sam hat mich schnell eingeholt und läuft die Stufen neben mir her.
„Ganz gut. Hab' viel zu tun." Ich nicke verstehend und wieder ist da diese betretene Stille. Am liebsten würde ich davonrennen und ihn stehen lassen, aber glücklicherweise muss Sam sowieso eine Etage weniger laufen als ich.
Die Stufen knarzen laut, als wollten sie noch unterstreichen wie unangenehm die Situation ist. Aber ich bleibe hartnäckig und starre auf meine Füße, so lange, bis wir die erste Etage erreicht haben.
„Also gut", sage ich lächelnd und erleichtert darüber, dass ich es geschafft habe. „Man sieht sich." Ich winke Sam ein letztes Mal zu, der mich fragend mustert und sich nachdenklich auf die Lippe beißt.
Gerade, als ich die vorletzte Stufe nach oben erreicht habe, höre ich ihn meinen Namen rufen. Innerlich seufzend drehe ich mich um und sehe ihn fragend an.
„Weißt du ... also ich dachte, wenn du damit einverstanden bist ..." Er fährt sich nervös durch die blonden Haare und atmet aus. „Hast du vielleicht Lust, mal essen zu gehen?"
„Ich ... ähm ..." Überrumpelt stehe ich auf der Treppe. Sams Blick wirkt augenblicklich hoffnungsvoll.
„Klar aber ..." Ich ringe mir ein Lächeln ab und sehe, wie Sam plötzlich anfängt zu grinsen.
„Heute Abend?"
„Uh ... Da kommt Roy vorbei." Ich bin eindeutig die Meisterin im Stottern. Sein Blick wird plötzlich undurchsichtig. Er nickt und fährt sich mit der freien Hand durch die Haare.
„Dann vielleicht ein anderes Mal."
Ich nicke betreten und warte ab, bis er in der Wohnung seiner Tante verschwunden ist. Ein Stein so groß wie ein Elefant fällt mir vom Herzen. Die Stimmung zwischen uns ist komisch und unangenehm. Woran das liegt, weiß ich nicht, denn eigentlich haben wir uns bis jetzt ja gut verstanden.
***
Es ist mitten in der Nacht, als das Vibrieren meines Handys mich weckt. Bis ich zu mir komme, dauert es eine Weile. Das Vibrieren hat mittlerweile wieder gestoppt. Ein Blick auf die Uhr neben meinem Bett verrät mir, dass es drei Uhr ist. Roy liegt mit dem Rücken zu mir, sein leises Schnarchen erfüllt den Raum.
Wieder vibriert mein Handy auf der anderen Seite des Zimmers. Leise stehe ich auf, darauf bedacht, meinen Freund nicht zu wecken. Die Müdigkeit, die mich bis jetzt noch fest in ihren Klauen hat, verschwindet, als ich die fünfzehn verpassten Anrufe auf meinem Display sehe. Die Nummer ist nicht in meinem Handy eingespeichert und auch sonst kann ich sie nicht zuordnen.
Als die Nummer wieder auf meinem Display erscheint, drücke ich auf Annehmen und schleiche aus meinem Schlafzimmer. Leise drücke ich die Türklinke nach unten und gehe ins Badezimmer.
„Hallo?" Das Erste, was ich höre, ist, wie etwas mit einem lauten Klirren zerspringt.
„Ist da Faye?", höre ich eine weibliche Stimme fragen. Wieder knallt es im Hintergrund.
„Ja ... ja. Wer ist da?"
„Ich bin Marissa." Der Name kommt mir augenblicklich bekannt vor, aber ich kann ihn nicht einordnen.
„Hör mal, kannst du zu Grey ..." Sie macht eine kurze Pause, in der wieder etwas zerspringt, gefolgt von einem Schrei. „Du kennst aber Grey, oder?" Bevor ich etwas erwidern kann, fährt sie fort. „Kannst du bei ihm vorbeikommen?"
Überfordert von der Situation stammle ich eine vage Antwort. „Äh ... ich ... ich weiß nicht ..."
„Ich schick dir seine Adresse." Wieder ein lauter Knall im Hintergrund. „Beeil dich bitte."
Das Einzige, was die Stille noch unterbricht, ist das schrille Läuten meines Handys.
Irritiert sehe ich in den Spiegel. Es ist mitten in der Nacht und offensichtlich scheint Grey in Schwierigkeiten zu sein. Zumindest hat es sich nicht so angehört als wäre alles in Ordnung.
Ohne darüber nachzudenken nehme ich die Klamotten, die ich für den nächsten Tag rausgelegt habe, vom Badewannenrand und streife sie mir über.
So leise, wie ich kann, schleiche ich in mein Zimmer, um meine Schlüssel und meine Tasche zu holen. Ich kann Roy jetzt nicht wecken und ihm alles erklären. Wir haben erst vor ein paar Stunden beim Abendessen darüber gesprochen, dass wir uns nicht mehr belügen. In diesem Moment jedoch ist das Versprechen egal. Unser Gespräch ist egal, denn Grey braucht mich.
Ich weiß gar nicht mehr, wie ich ins Auto gestiegen bin, wie ich die Adresse in das Navi eingegeben habe und jetzt vor der weiß lackierten Tür stehe. Mit sachten Bewegungen klopfe ich gegen sie. Der Lack splittert in alle Richtungen ab, die Tür sieht mitgenommen aus. Weil ich schon einmal hier war, weiß ich, dass es sich hierbei um Marissas Wohnung handelt. Das letzte Mal habe ich nur nicht auf alles geachtet. Es klingt immer noch, als würde jemand die Wohnung hinter der Tür in Einzelteile zerlegen.
Es riecht nach Alkohol und modrigem Holz, die meisten Türen haben bessere Tage hinter sich, während die Scharniere einiger schon völlig lose sind. Einladende Matten sind schon durchgetreten und das Fenster, das dem Flur Licht spenden soll, ist zersprungen.
Die Tür geht auf und vor mir steht ein rothaariges Mädchen. Sie hat wilde Locken, die in alle Richtungen abstehen und große grüne Augen.
„Du musst Faye sein." Sie öffnet die Tür ein Stück weiter und lässt mich herein.
„Grey ist ..." Sie wird von einem Knall, der mich zusammenzucken lässt, unterbrochen.
„Er hat die ganze Zeit etwas von einer Fee gemurmelt und du warst das Einzige in seiner Kontaktliste, was dem auch nur nahekam."
„Was hat er?" Ich sehe mich um und dann wieder zu Marissa. Ihr kupferrotes Haar leuchtet im Schein der grellen Flurlampe.
„Ich denke er hat eine Nachricht bekommen, die er nicht wirklich verarbeiten kann."
Auf dem Boden liegen einzelne Holzteile und Splitter, die wohl mal zu einer Garderobe gehört haben.
„Kann ich zu ihm?"
Marissa nickt sofort und deutet auf eine Tür ganz hinten im Flur. Sie steht nur halb offen und ich kann ihn bereits von hier fluchen hören. Mit leisen Schritten gehe ich auf die Tür zu und klopfe.
Ich hätte besser warten sollen bis er mir antwortet, denn als ich die Tür einen Spalt aufziehe und meinen Kopf rein strecke, kommt mir etwas entgegengeflogen.
„Verpiss dich Miri!", schreit er und dreht sich zur Wand, nur, um das letzte, heile Regal runterzureißen und es in Stücke zu hauen. Erschrocken starre ich auf das viele Holz, das durch das Zimmer fliegt. Grey schreit verzweifelt auf und bevor ich reagieren kann, schlägt seine Faust durch die dünne Trennwand.
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