Kapitel Neunzehn
Die Nacht war nur kurz, als mein Wecker mich aus meinem Schlaf reißt. Ich bekomme die Augen kaum auf und das trotz der Sonne, die warm durch mein Zimmer scheint.
In der Küche riecht es bereits nach Kaffee und Pancakes. Was mich eigentlich freuen würde, weil Mama selten Frühstück unter der Woche macht, aber meine Vorfreude wird gedämpft, als ich meine Schwester durch die Küche tanzen sehe.
Sie stoppt sofort, als sie mich sieht und lächelt mich schüchtern an.
„Ich habe dir Kaffee gemacht." Sie hält mir abwartend meine Lieblingstasse entgegen. Ehrlich gesagt wundert es mich nicht, dass sie diese Tasse gewählt hat. Mama hatte, als ich noch klein war, eine Töpferphase in der sie diese Tasse gemacht hat. Der Henkel sieht aus, wie ein krummer Kaktus, der Rest der Tasse ist komplett grün angemalt. Ich liebe diese Tasse, weil sie mich an meine Kindheit erinnert. Skeptisch nehme ich sie entgegen und bedanke mich.
„Was machst du heute noch?" Elaine streicht sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht und hebt die letzten Pancakes aus der Pfanne ehe sie diese in der Spüle abstellt.
„Arbeiten, das kennst du sicherlich? Zumindest hast du es schon mal gehört." Ich nippe an meinem Kaffee, der wirklich gut schmeckt und fülle ihn dann in meinen Thermobecher.
„Ich ..." Elaine stockt und spielt nervös mit ihren Fingern.
„Hör mal Faye, es tut mir leid, okay? Ich wünschte auch, das wäre alles anders gelaufen, aber ich kann es nicht ändern, sondern nur versuchen, besser zu machen." Ihre grünen Augen schauen mich voller Schuldgefühle an. Ich schnaube genervt auf und ziehe mir meine Strickjacke an.
„Tu was Sinnvolles und räum die Küche auf. Mama wird das Chaos nicht freuen." Meine Stimme ist so eisig, dass sie den nächsten Winter einläuten könnte.
Aber es ist mir egal, was sie denkt oder wie sie sich fühlt. Sie hat es damals nicht interessiert, wie Mama und ich uns gefühlt haben, als sie uns verlassen hat. Ihr war es egal und heute ist es mir egal. Also schnappe ich mir meine Tasche und meine Schlüssel und verschwinde aus unserer Wohnung.
Im ersten Stock kommt mir Sam entgegen. Lächelnd hebt er die Hand, um mich zu begrüßen, aber ich winke ihn mit einer einfachen Bewegung hab. „Jetzt nicht", knurre ich gereizt und versuche so schnell wie möglich, die letzten Stufen nach draußen zu gehen.
Mama und ich, wir, haben uns in den letzten Jahren ein neues Leben aufgebaut und das lasse ich mir von niemandem kaputt machen. Erst recht nicht von Elaine, die wahrscheinlich nicht mal im Geringsten eine Ahnung davon hat, was es bedeutet, alles zu geben, um die Vergangenheit hinter sich zu lassen.
Und jetzt taucht sie hier auf, tut als ob nichts wäre, als ob sie damals nicht die Familie abgeschrieben hat um mit ihrem reichen Schnöselfreund durchzubrennen. Und jetzt macht sie Pancakes und verdammt guten Kaffee und denkt, alles ist mit einer Entschuldigung wieder getan.
Vollkommen in meinen Gedanken gefangen, fahre ich auf die Mitarbeiterparkplätze des Hotels und sehe Greys Motorrad auf seinem Platz stehen. Mein Herz macht einen Sprung nach oben, bis mir wieder einfällt in was für einer Situation er sich befindet. Dann rutscht es mir in die Magengrube.
„Guten Morgen", werfe ich Michelle zu, die mich anlächelt und mir zuwinkt. Zwischen uns ist lange nicht wieder alles okay, aber irgendwie scheint das das Motto für den heutigen Tag zu sein. Jeder tut so, als wäre alles wieder in Butter.
„Kann ich mal mit dir reden?" Michelle sieht mich bittend an und schaut mir dabei zu, wie ich meine Karte durch den Leser schiebe.
Ich unterdrücke ein genervtes Seufzen und drehe mich zu ihr um. „Okay."
Sie reibt sich nervös die Hände und atmet tief ein und aus. „Es tut mir leid", fängt sie an. Ich kann nicht verhindern, dass ich die Augen verdrehe. Es ist fast schon ein Reflex.
„Hör zu", bittet sie, als sie meine Reaktion bemerkt. Ich lehne mich abwartend an den Tresen und warte darauf, dass sie anfängt zu sprechen.
„Ben ist ein Idiot und ich hätte das viel eher sehen sollen. Er hat dir Drogen untergemischt und anstatt hinter dir zu stehen, wie eine richtige Freundin, habe ich dich fallen gelassen. Das war falsch und wenn du mit mir fertig bist, dann kann ich das verstehen. Aber es tut mir ehrlich leid und ich will, dass du das weißt. Meinst du, du kann-"
„Hol' mal Luft", sage ich und nehme ihre Hand, mit der sie unruhig gefuchtelt hat. Michelle sieht mich mit großen Augen an.
„Das war absolut scheiße von dir, ja. Aber es ist okay. Ich nehme deine Entschuldigung an." Lächelnd breite ich die Arme aus und muss nicht lange warten, bis Michelle mich umarmt. Sie hat einen Fehler gemacht und offenbar tut es ihr leid.
Und sie hat recht, Ben ist ein Idiot.
„Oh Gott sei Dank", murmelt sie und lässt mich wieder los. Sie grinst über das ganze Gesicht. Selbst, als einer der Gäste sie um Hilfe bittet, kann sie nicht aufhören zu Grinsen. Ich muss mir ein lautes Lachen verkneifen und fange mit meiner Arbeit an.
Immer wieder sehe ich nach draußen, aber von Grey ist nichts zu sehen. Wäre dort nicht sein Motorrad, würde ich fast glauben, er ist nicht da.
***
„Hey, Fee." Ich schreibe gerade eine Rechnung für einen Gast, als plötzlich Grey vor mir auftaucht. Er schubst besagten Gast zur Seite, der empört und wütend zu ihm schaut. Doch Grey scheint es überhaupt nicht zu interessieren.
„Du kannst die Leute aber nicht so schubsen", zische ich und werfe dem Mann einen entschuldigenden Blick zu. Grey zuckt mit den Schultern und sieht mit ernster Miene zu unserem Gast, der sofort seinem Blick ausweicht und merklich schluckt.
„Hier Bitteschön." Ich unterschreibe die Rechnung und händige sie ihm aus. „Ich hoffe Sie hatten einen schönen Aufenthalt!", füge ich lächelnd hinzu und bin mir sicher, dass der so schnell nicht wieder bei uns einchecken wird.
Ich schaue zu Grey, der überraschend frisch und ausgeruht aussieht. Seine Haut ist nicht mehr so blass, wie beim letzten Mal als ich ihn gesehen habe und die dunklen Augenringe unter seinen Augen sind auch fast nicht mehr sichtbar. Skeptisch bleibt mein Blick an seinem Lächeln hängen, das sich bildet, als er wieder zu mir sieht.
„Du siehst ... besser aus." Die Besorgnis ist wahrscheinlich trotzdem deutlich in meinem Gesicht zu sehen.
„Ja, es geht mir gut."
Ich ordne ein paar Unterlagen und sehe wieder auf. „Das kann und will ich dir nicht glauben", murmele ich skeptisch.
Das Ganze sieht für mich viel eher nach Verdrängung aus, als nach guter Laune. Es ist mir nicht möglich, nachzuvollziehen, wie sich seine Laune innerhalb von einem Tag so heben kann.
„Es geht mir aber gut", wiederholt er deutlich gereizter als noch gerade eben.
„Hör auf damit, Grey. Du kannst vielleicht den anderen was vor machen, aber mir sicherlich nicht."
Ich sehe ihn nicht an, sondern konzentriere mich auf den Ordner vor meiner Nase. Allerdings muss ich Grey nicht anzusehen, um zu wissen, dass sich seine Stimmung ändert.
„Warum musst du immer bohren, Fee? Kannst du es nicht mal sein lassen?", entfährt es ihm.
„Ich will aber nu-"
„Hey." Ich werde mitten im Satz unterbrochen, als jemand an den Tresen kommt und sich lächelnd zu mir beugt. Es ist meine Schwester, mit einer Dose in der Hand.
„Was willst du hier?", keife ich genervt und sehe auf die Dose in ihrer Hand.
„Woher weißt du überhaupt, dass ich hier arbeite?"
„Mama hat es mir gesagt. Und weil du heute Morgen nichts gegessen hast, dachte ich, ich bringe dir was und wir essen zusammen", schlägt sie vor und sieht neben sich, wo Grey steht, der gelangweilt auf sein Handy schaut.
„Willst du uns vielleicht vorstellen?" Elaine setzt ihr bestes Lächeln auf und sieht zu Grey, der jetzt auch aufsieht.
„Nein", gebe ich trocken zurück und sehe das Schmunzeln, das sich auf Greys Gesicht bildet.
„Ich bin Elaine", sagt sie zu Grey gewandt und hält ihm die Hand hin. Ich lächle bereits, denn ich kenne Grey gut genug, um seine Reaktion zu kennen.
Er schaut auf ihre Hand und dann in ihr Gesicht, dass sich augenblicklich rot färbt.
Wahrscheinlich hat meins denselben Farbton, aber nur weil ich es hasse, wenn sie so etwas macht.
„Grey", antwortet er knapp und wendet sich wieder zu mir.
„Wir sehen uns später, Fee." Er steckt sein Handy in die Hosentasche und beugt sich über den Tresen, um mir einen Kuss auf die Wange zu geben.
Völlig Perplex lasse ich meinen Kugelschreiber fallen und sehe Grey nach, der lässig bei den Aufzügen verschwindet.
„Uhh, ist das dein Freund?", will Elaine wissen und beißt sich auf die Lippe. „Den würde ich auch sofort nehmen!", sagt sie, während sie Grey hinterher sieht.
„Nein. Ich bin mit Roy zusammen, was du wüsstest, wärst du nicht jahrelang weg gewesen, ohne dich zu melden.", antworte ich bissig.
„Der ist echt heiß!", redet sie weiter und versucht damit offensichtlich, meiner Bemerkung aus dem Weg zu gehen. Die Tatsache, dass Grey gerade so viel Nähe gezeigt hat, dass mir fast das Herz stehen geblieben ist, wird von Elaine und ihrer ständigen Nerverei in den Hintergrund gedrückt.
„Danke für das Essen, könntest du jetzt bitte wieder gehen? Ich habe noch keine Pause und, um ehrlich zu sein, ich will sie nicht mit dir verbringen." Ich schlage den Ordner zu und lasse ihn unter der Ablage verschwinden.
Enttäuscht sieht meine Schwester zu mir und lässt den Kopf hängen. „Du bist echt noch wütend, hm?" Sie stellt die Frage, als hätte ich keinen Grund dafür.
Ich schnaube spöttisch. „Ja und jetzt geh, ich muss arbeiten". Ich nicke hinter sie, wo noch ein Kunde wartet.
Sie schaut sich um, nickt dann verstehend. „Schönen Tag noch", murmelt sie und verlässt geknickt das Hotel.
Greys Berührung kribbelt noch immer angenehm auf meiner Wange. Mein Herz macht einen Aussetzer bei dem Gedanken daran, was hier gerade passiert ist. Ich darf das nicht gut finden. Roy sollte derjenige sein, der solche Gefühle in mir auslöst. Roy, nicht Grey.
In der Pause beschließe ich, Grey zu suchen und noch einmal mit ihm zu reden. Ich möchte nicht, dass er sauer ist oder denkt, ich würde ihm etwas Böses wollen. Dabei ist ja das genaue Gegenteil der Fall.
Leider kann ich ihn weder im Pausenraum, noch im Raucherbereich draußen finden. Normalerweise sind das die einzigen Orte, wo er sein könnte. Also beschließe ich, dass ich Nick fragen werde. Hausmeister müssen voneinander Bescheid wissen, oder?
Nick verbringt seine Pausen immer im Außenbereich der Cafeteria. Ich schlängle mich an unseren Gästen vorbei bis zur Tür und sehe mich um, aber wieder nichts.
Stirnrunzelnd gehe ich um die Ecke, in der Hoffnung, ihn dort irgendwo zu finden, aber statt Nick finde ich dort Grey, der auf dem Boden sitzt und mit Kopfhörern im Ohr gedankenverloren auf den Boden sieht.
Er bemerkt mich nicht. Erst, als ich mich neben ihn setze, sieht er auf und nimmt die Stöpsel aus den Ohren.
„Hey", murmelt er leise und verstaut sie in seiner Jackentasche. Mir ist es immer noch unbegreiflich, wie er eine Jacke anziehen kann. Zwar haben wir Spätsommer und der Herbst kündigt sich durch das Verfärben der Blätter an, trotzdem ist es dafür noch viel zu warm. Außerdem verdeckt es seine Tattoos und dabei mag ich die so sehr.
„Ich wollte dir vorhin nicht zu nahetreten, tut mir leid", sage ich und erst jetzt fällt mir auf, wie oft dieser Satz heute schon gefallen ist. Ich bin es fast schon leid, ihn zu hören.
„Schon okay", nickt er und sieht in den Garten gegenüber.
„Darf ich dich was fragen?" Ich zupfe Löwenzahn aus den Spalten zwischen den Steinen und spiele damit in meiner Hand.
„Na frag schon." Grey schubst mich leicht in die Seite und lacht.
„Das gerade eben ..." Ich muss daran denken, wie er mich einfach so auf die Wange geküsst hat. Als wäre das völlig normal für uns und keine große Sache. „Was sollte das? Also nicht ... nicht, dass du mich falsch verstehst, ich ... ich bin dir nicht böse aber ..." Mir fehlen die Worte, weil ich mich schon viel zu sehr verrannt habe. Das Lächeln auf Greys Gesicht wird größer als schon zuvor und er beugt sich ein Stück nach vorne.
„Ich mag dich, Fee, und genau das sollte das. Oder macht man das heute nicht mehr, die Frau die man mag, auf die Wange küssen?" Ich glaube zu spüren, wie mein Herz stehen bleibt. Greys Worte lassen das Kribbeln in meinem Bauch so schlimm werden, dass ich es fast nicht mehr aushalten kann.
„Ich ..." Mir fehlen die Worte, mein Kopf ist wie leergefegt.
Grey setzt sich mir gegenüber, so nah, dass seine Knie meine berühren. Mein Herz droht aus meinem Brustkorb zu springen, direkt in Greys Arme, wo es wohl behütet bleiben würde.
„Ich mag dich", wiederholt er erneut. „Ich mag es, wie du immer mit deinen Fingern spielst, wenn du nervös bist." Er deutet auf meine Finger, die unruhig in meinem Schoß liegen. „Ich mag es, dass du wegen mir nervös bist." Seine Stimme ist nicht mehr als ein Flüstern. Ich kann das Lächeln, das sich in mein Gesicht stiehlt nicht länger zurückhalten.
„Ich mag dein Lächeln und wie sich deine Nase kräuselt, wenn du konzentriert am Empfang stehst und arbeitest. Ich mag es, wie du mich anstarrst und ich mag deine Augen, das dunkle Grün, das mich daran erinnert, wie gefährlich du sein kannst."
Ich sehe auf Greys Lippen, die sich die ganze Zeit bewegen und sehe zu ihm auf, als er aufhört zu reden. Die Zeit scheint vollkommen still zu stehen.
Sein Gesicht ist mir so nah, dass sich unsere Nasenspitzen fast berühren. Ich möchte ihn küssen, seine Lippen auf meinen spüren, aber ich traue mich nicht, den ersten Schritt zu machen.
Wir atmen die gleiche Luft und mir wird bewusst, dass ich sie mit niemand anderem teilen würde. Grey ist die einzige Person, der ich meine Luft geben würde.
Er hebt seine Hand und streicht mit seinem Daumen über meine Wange.
„Ich kann gefährlichen Sachen nicht widerstehen, Fee. Das ist meine Schwachstelle", gibt er zu und beugt sich noch ein Stück nach vorne. Diese wenigen Zentimeter fühlen sich wie Meilen an. Erst recht nachdem Nick vor uns steht und sich räuspert. Ich fahre erschrocken nach hinten und schlage mir den Kopf an der Steinwand an.
„Deine Pause ist vorbei", lässt er Grey stoisch wissen und sieht zu uns runter. Anstatt einfach zu verschwinden, bleibt er stehen und wartet offensichtlich, bis Grey ihm folgt.
Ich reibe mir die schmerzhafte Stelle am Kopf und sehe zu Grey, der jetzt fast schon wütend wirkt. Genervt schnauft er auf und hilft mir aufzustehen.
Die Spannung in der Luft ist mit einem Mal komplett verflogen. Nüchternheit breitet sich in mir aus.
„Wir sehen uns, Fee", flüstert er mir ins Ohr und streift mit seiner Lippe mein Ohrläppchen. Ich weiß nicht, ob das Absicht von ihm war, aber sein Grinsen bestätigt meinen Verdacht.
Doch wo gerade noch das wohlige Kribbeln war, breiten sich jetzt Schuldgefühle aus. Um ein Haar wäre ich Roy fremdgegangen. Das darf einfach nicht passieren. Roy und ich, wir sind zusammen. Ich liebe ihn. Mein Telefon klingelt und als hätte das Universum einen siebten Sinn dafür, ist es Roy, der mich anruft.
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