Kapitel Achtunddreißig
Während der ganzen Fahrt von Grey zu mir, verlässt mich das Grinsen nicht. Er hat es gesagt und auch wenn das ein großer Schritt für unsere Beziehung ist, so glaube ich, dass es für Grey noch ein viel größerer Schritt ist. Ich bin mir nicht sicher, aber ich glaube, er hat das noch nie zu einer Frau gesagt und selbst wenn. Das ist nicht das Gleiche. Für das, was Grey und ich teilen gibt es keinen Vergleich. Kein schlechter oder besser.
Als ich die Haustür öffne, ist alles, was ich höre, Stille. Mich beschleicht ein ungutes Gefühl, dass ich nicht zuordnen kann. Mama wird bestimmt noch bei ihrem Verehrer sein. Das Einzige, das mich verwundert ist, dass auch Elaine nicht auf meine Rufe reagiert. Ich ziehe meine Jacke und Schuhe aus und packe alles an seinen Ort, bevor ich in die Küche gehe. Das Licht brennt, obwohl niemand hier ist. In meinem Kopf spielen sich die verrücktesten Dinge ab. Weil ich mich unwohl fühle, taste ich meine Hosentasche nach meinem Handy ab. Ich werde schnell fündig und suche Greys Nummer raus. Es tutet zwei Mal, mein Blick wandert aus dem Küchenfenster. Es ist nicht ungewöhnlich, dass niemand zuhause ist. Aber weder Mama noch Elaine würden Lichter brennen lassen. Ungeduldig tippe ich mit einem Finger auf der Anrichte. Es tutet ein weiteres Mal, als mir das Handy plötzlich aus der Hand gerissen wird.
Schreiend drehe ich mich um, nur um meine Schwester zu sehen, die sich vor Lachen fast auf dem Boden krümmt.
„Sag mal, hast du sie noch alle?", fauche ich und sehe sie wütend an. Mein Herz schlägt wie wild in meiner Brust und ich könnte schwören, dass ich nicht mehr weit von einem Herzinfarkt entfernt bin. Elaine lacht immer noch.
„Wie du dich erschreckt hast." Sie schnappt nach Luft und hält sich den Bauch. Ich reiße ihr mein Handy aus der Hand und drücke Nathans Nummer weg, die gerade auf meinem Bildschirm aufleuchtet. Angst kriecht durch meine Adern wie dickflüssiges Gift.
„Das ist nicht lustig, Elaine! Wieso hast du nicht geantwortet, als ich nach dir gerufen habe?"
Wütend sehe ich sie an. Allmählich scheint sie sich wieder zu beruhigen, trotzdem ist ihr Gesicht noch immer rot vom ganzen Lachen und sie kichert weiterhin.
„Du hättest mal dein Gesicht sehen sollen!" Sie setzt sich auf einen Stuhl mir gegenüber und fängt wieder an zu lachen. Genervt lege ich mein Handy auf den Rand des Spülbeckens und fülle mir ein Glas mit eiskaltem Wasser. Es ist absurd und verrückt, dass ich tatsächlich dachte es wäre Ben, der irgendwie in die Wohnung gekommen ist. So durchtrieben kann nicht einmal er sein. Oder?
Mein Handy klingelt erneut, es ist Grey der anruft. Ich trinke das Glas in einem Zug leer und drücke auf Annehmen.
„Faye?", höre ich seine atemlose Stimme. „Es ist alles gut", murmle ich.
„Ich habe mich vertippt, entschuldige", sage ich und versuche meine Nerven zu beruhigen.
„Ist bei dir alles gut?", will er wissen. „Ja, ja alles bestens." Ich sehe zur Uhr, die über der Tür hängt. „Ich hoffe, ich habe dir keine Umstände gemacht", füge ich noch hinzu.
Damit Elaine nicht alles von dem Gespräch mitbekommt, gehe ich in mein Zimmer und schließe die Tür hinter mir. „Absolut nicht. Ich liebe dich." Grey wirkt besorgt, was ich ihm nicht verübeln kann.
„Ich dich auch", flüstere ich und lege auf.
Ich kann es immer noch nicht fassen, dass wir hier über Ben reden. Ben, der mir zwar von Anfang an nicht sympathisch war, aber von dem ich nie gedacht hatte, dass er mir solch eine Angst machen könnte.
***
Ich fühle mich, als wäre eine Herde Pferde über mich getrampelt. Selbst meine Onlineverabredung mit Claire konnte mich nur für kurze Zeit ablenken. Es tat gut, sie mal wieder zu sehen, selbst wenn es nur über den Bildschirm war. Manchmal hat es sich so angefühlt, als wäre sie gar nicht weg und wir würden zusammen im Café sitzen und uns unterhalten.
Mit Kopfschmerzen betrete ich das Hotel. Mein Blick klebt auf dem Boden wie Kaugummi unter einer Tischplatte. Ich bin müde, gerädert, habe kaum ein Auge zumachen können in der letzten Nacht. Immer wieder hatte ich Angst, dass das, was Nathan gesagt hat, wahr werden könnte. Dass Ben irgendwann durchdreht und etwas macht, das er früher oder später bereuen wird. Größer ist allerdings meine Angst davor, dass er Grey etwas antut und dass ich nichts dagegen tun kann.
„Hey." Jemand umfasst meine Schultern. Ruckartig sehe ich auf und versuche, den Schreck zu verstecken, der mir durch den Körper jagt. Es ist Nathan, der vor mir steht und mich mit gerunzelter Stirn mustert. Seine blonden Haare liegen perfekt auf seinem Kopf. Im Gegensatz zu mir wirkt er ausgeruht und frisch.
„Dir geht es offensichtlich nicht so gut." Er mustert mich besorgt und lässt meine Schultern los. Ich schüttle den Kopf und sehe mich um. Ein Kollege läuft an uns vorbei und sieht zwischen uns hin und her. Auf Reflex bringe ich mehr Abstand zwischen Nathan und mich, weil wir uns gerade fast Brust an Brust stehen.
„Mir geht's gut, bis auf die Tatsache, dass irgendein Verrückter versucht, mich und Grey zu jagen", kommt es mir sarkastisch über die Lippen. Seufzend reibe ich mir die Schläfe. „Tut mir leid ich hab' nur nicht so gut geschlafen."
Nathan nickt verstehend. „Er jagt euch nicht. Ich wollte dir keine Angst machen, Faye. Ben kann nur sehr unberechenbar sein. Aber ..." Er hält einen Finger nach oben und fängt an zu lächeln. Abwartend sehe ich ihn an. „Ich denke, ich habe da etwas, dass deine Laune bessern könnte", redet er weiter und streift sich den Rucksack vom Rücken. Verwirrt beobachte ich ihn dabei und verschränke die Arme vor der Brust.
„Ben denkt vielleicht, er ist schlau, aber so schlau dann aber nicht. Ich war ja schon immer der Meinung, dass er der Blonde in unserer Familie ist."
„Nathan", sage ich ungeduldig und neugierig zugleich. Ich frage mich was es ist, dass Nathan da aus seinem Rucksack holt.
„Hier." Er zieht etwas aus seinem Rucksack und hält es mir entgegen. Ungläubig reiße ich die Augen auf und starre abwechselnd zu Nathan und dem grünen Notizbuch in seiner Hand. „Das..."
„Wie?" Mir steht der Mund offen, weil ich absolut keine Ahnung habe, was ich sagen soll. Ich nehme das alte Notizbuch wieder in die Hand und starre es einen Moment lang nur an. „Das ist unglaublich! Danke!" Ich falle Nathan um den Hals, der etwas überrumpelt anfängt zu lachen und mich umarmt.
„Kein Problem. Ben hat es die ganze Zeit auf seinem Schreibtisch liegen und ich dachte, er wird es nicht so sehr vermissen, wie du es tust."
Ich lasse von Nathan ab und blättere noch immer ungläubig durch die Seiten. „Ich schulde dir etwas", gebe ich zu und lasse das Notizbuch in meiner Handtasche verschwinden. „Quatsch. Ich habe nur am Rand mitbekommen, dass es dir gehört und offensichtlich viel Bedeutung für dich hat." Nathan zuckt mit den Schultern, als wäre nichts weiter dabei und grinst.
„Doch", beharre ich und nicke. „Was hältst du davon, wenn ich dich zu einem Kaffee einlade? Als kleines Dankeschön. Nach der Arbeit", schlage ich vor und sehe ihn fragend an. Nathan reibt sich gespielt nachdenklich übers Kinn und lacht auf.
„Gerne. Aber jetzt sollten wir beide erst mal etwas arbeiten." Er sieht auf die Uhr an seinem Handgelenk. Ich nicke zustimmend. „Wir sehen uns, Faye." Er umarmt mich kurz und geht an mir vorbei.
Ich muss mich mit dem Umziehen beeilen, denn dank dem Gespräch mit Nathan bin ich schon viel zu spät dran. Mr. Cellin sieht das nie so eng, allerdings ist seine Frau da anderer Meinung. Sie ist es auch, die die Karten ausliest. Trotzdem kann ich nicht anders, als noch einmal das Notizbuch zu nehmen und es mir anzuschauen. Es wirkt so fremd in meiner Hand. Das letzte Mal hatte ich es vor zwei Monaten und damals war alles noch so viel anders. Grey und ich waren nicht mal Freunde, Ben war nur ein unsympathischer Blödmann und Claire war noch hier, um sich alle meine Theorien über Grey anzuhören. Gedankenverloren blättere ich durch die Seiten. Mir bleibt keine Zeit, um zu lesen, was ich hier damals geschrieben habe. Das einzige, das mir ins Auge sticht, ist der letzte Satz auf der letzten, beschriebenen Seite.
Er ist weg aber ich weiß, er kommt wieder; Weil er das immer tut.
Obwohl es mir trotzdem nicht automatisch besser geht, ist meine Laune etwas gehoben. Ich habe mein Tagebuch wieder und somit kann Ben mir nichts mehr und ich werde Grey nie erklären müssen, was es damit auf sich hat. Er hätte mich wahrscheinlich für verrückt erklärt. Es fällt mir schwer, darüber nachzudenken, aber vielleicht ist es das Beste, wenn ich dieses Tagebuch entsorge. Es sind lediglich Fantasien eines Kindes, das es nicht besser wusste und sich einen Freund erfunden hat, als es gerade niemand anderen gab.
Wie vereinbart warte ich nach der Arbeit an meinem Auto auf Nathan. Ich bin ihm viel mehr als nur einen Kaffee schuldig, aber es ist immerhin ein Anfang. Mein Blick wandert über den verlassenen Parkplatz. Es ist schon spät am Abend und die meisten meiner Kollegen haben längst Feierabend gemacht. Auch Greys Motorrad steht nicht mehr auf seinem Platz. Ich vermisse ihn und das obwohl wir uns vor ein paar Stunden in der Pause noch gesehen haben. Es ist ein angenehm komisches Gefühl, das ich bei Roy nie in dieser Form gespürt habe. Am Anfang habe ich Roy vermisst, aber irgendwann, war ich froh über jede Stunde, die ich nicht mit ihm verbringen musste. Ich frage mich, ob so alle Paare aus der Liebe rausfallen. Schleichend langsam, bis es einen plötzlich trifft und einem klar wird, dass das nicht mehr ist, was man möchte. Dass man andere Dinge braucht, dass man einfach nicht mehr glücklich ist. Ich weiß nicht, ob Grey der Auslöser für mein Denken war. Damals kam so viel aufeinander, dass ich es mit Roy nicht mehr ausgehalten habe. Vielleicht lag es tatsächlich an meiner Faszination für diesen Jungen, mit den dunklen Haaren und noch dunkleren Augen.
„Es ist ganz schön kalt." Nathan reibt sich die Hände und kommt zu mir ans Auto gelaufen. Ich nicke zustimmend und drücke den Knopf meines Autoschlüssels.
„Und dazu noch windig." Ich ziehe die Tür auf und steige ein. Mittlerweile wird es früher dunkel. Zwar hält es sich noch in Grenzen, aber mir graut es schon jetzt vor der kalten Jahreszeit. Alles wirkt dann so dunkel und ... tot.
Das letzte Mal, als Nathan in meinem Auto saß, machte er einen niedergeschlagenen Eindruck, war abweisend, voller Hass gegen wen oder was auch immer und wollte keinen Ton mit mir reden. Heute ist das ganz anders. Fast schon würde ich sagen wir sind gute Freunde.
„Wo wollen wir hin gehen?", fragend sehe ich zu Nathan, der nur mit einem Schulterzucken antwortet. Ich verdrehe theatralisch die Augen und seufze.
„Ich habe Hunger", sagt er und schaut zu mir rüber.
„Also keinen Kaffee?" Ich sehe fragend zu ihm rüber und dann wieder auf die Straße. „Wir könnten auch Burger essen gehen." Schon wieder zuckt er mit den Schultern. Ich stimme lachend mit ihm überein. Es ist schön, dass das alles zwischen mir und Nathan so normal ist.
„Die Bedienung ist echt süß." Nathan dreht seinen Kopf in die Richtung, in der die Kellnerin verschwindet, die gerade unsere Bestellung aufgenommen hat.
„Nicht mein Beuteschema." Er dreht seinen Kopf wieder zu mir. Ich ziehe die Augenbrauen zusammen und spiele mit der roten Tischdecke. „
Was genau ist denn dein Beuteschema, wenn ich fragen darf?"
Überlegend sieht er aus dem Fenster, an dem sich kleine Regentropfen sammeln, die rhythmisch dagegen prallen. „Dunkle Haare, aber helle Augen, humorvoll, selbstständig und vor allem: männlich." Er grinst schelmisch und wartet eine Reaktion meinerseits ab.
„Oh", huscht es mir über die Lippen, bevor ich überhaupt nachdenken kann. „Dann müssen wir nach einem Kellner Ausschau halten", antworte ich grinsend. Ich hätte nie vermutet, dass Nathan schwul sein könnte. Zumindest hat er nie so auf mich gewirkt.
„Du warst überrascht, nicht wahr?", hakt er nach. Dabei klingt er, als wäre das die einzige Reaktion, die er auf diese Aussage bekommt. „Ein bisschen, ja." Gebe ich zu. Nathan lacht, sagt aber nichts mehr, sondern nimmt der Bedienung die Teller ab, die sie gerade an unseren Tisch bringt.
Der Burger ist unglaublich gut und die Unterhaltungen mit Nathan interessant. Wir unterhalten uns über Gott und die Welt, bis es irgendwann komplett dunkel ist. Mein Blick wandert nach draußen, wo nur noch die Laternen Licht spenden. Mein Magen ist so voll, dass ich Angst habe, mich übergeben zu müssen und dabei hat Nathan noch den Rest meiner Pommes verschlungen.
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