II - 4
Ihr Herz pochte wild gegen ihre Rippen, während sich ihre Brust vor Wehmut verkrampfte und trotzdem stolzgeschwellt war. Florian sah mit seiner Dinosaurier-Schultüte so süß aus und sie konnte gar nicht genug Fotos von ihm machen.
Was ihren Sohn offenbar nervte, denn er stöhnte nur, als sie ihn ein weiteres Mal darum bat, in Stellung zu gehen. Im Augenwinkel bemerkte sie das Augenzwinkern, das Hendrik Florian zuwarf, ehe er sich zu ihr beugte. „Meinst du nicht, es reicht langsam, Liebling?"
„Aber ... das Licht spiegelt sich gerade so schön in seinem Haar..." Schmollend ließ sie die Kamera sinken und schaute ihren Mann an, der sie so liebevoll musterte, dass ihr Unmut sofort verflog. Es war kaum zu glauben, dass ihr Sohn nun schon so groß war, dass er ab heute die Schulbank drücken durfte.
Offenbar hatte Hendrik den gleichen Gedanken, denn sein Blick huschte zu Florian und er seufzte, ehe er sich durch sein Haar strich. „Wir werden alt, Liebling."
„Was heißt hier wir? Untersteh dich und schließe nicht von dir auf mich!" Sofort grinste Hendrik wieder und hauchte ihr einen Kuss auf die Wange.
„Mein Fehler. Du bist natürlich immer noch so jung wie die Teenagerin, die mich doch nicht so kalt gelassen hat, wie ich es mir gewünscht hätte." Zufrieden nickte sie und grinste, als Florian mit den Augen rollte, weil ihm anscheinend peinlich war, dass seine Eltern vor seinen künftigen Klassenkameraden turtelten. Damit musst du wohl klarkommen, Raupe.
Langsam setzten sie sich in Bewegung und betraten das Schulgebäude. Sie schlenderten den anderen Heerscharen von Eltern nach, die ihre beranzten Kinder in die Aula begleiteten. Wieder machte sich Wehmut in ihr breit. Auch sie fühlte sich, als wäre es kaum eine Woche her, seit Florian sie mit seinen blauen Augen im Kreißsaal angestarrt hatte. Oder er sie zum ersten Mal anlächelte.
Sie drehte ihr Gesicht Hendrik zu, der seine Finger in ihre schob, während Flo mit nun doch unsicheren Schritten vor ihnen herlief. Seine Augen strahlten sie an und ein Seufzen wanderte ihre Kehle hinauf. Sie liebte ihn so sehr. Wie so manches Mal stieg die Erkenntnis in ihr auf, wie dankbar sie Hendrik für die Tatsache war, dass er sie bedrängt hatte, Florian zu adoptieren.
Aber bevor sie etwas dazu sagen konnte, lenkte Flo ihre Aufmerksamkeit wieder auf sich, weil sich seine eiskalte Hand nun doch in ihre verirrte. Schnell presste sie ihre Lippen aufeinander, um ein Lächeln zu verbergen. Sie sprach ihm etwas Mut zu, lediglich so laut, dass nur er sie verstehen konnte, und begleitete ihn zwischen den Stuhlriegen hindurch, da die Schulanfänger sich in die ersten beiden Reihen setzen sollten.
Während Flo sich die Kinder verunsichert anschaute, die nervös an den Säumen ihrer Kleidung zupften, lächelte sie ihnen zu und deutete auf einen freien Platz. Nachdem Flo sich gesetzt hatte, ging sie vor ihm in die Knie und sah ihn an. „So. Ich gehe zurück zu Papa, ja? Sie rufen bestimmt bald deinen Namen auf und dann gehst du zu deiner Lehrerin, ok?"
Er nickte, blickte sie aber mit so weitaufgerissenen Augen an, dass sich ihre Brust noch ein bisschen fester zusammenzurrte. „Flo?"
Nochmal wanderte sein Blick zu den restlichen Kindern, ehe er sich vorbeugte und flüsterte: „Was ist, wenn sie mich nicht mögen?"
„Das kann ich mir nicht vorstellen. Sei hilfsbereit und höflich, ja? Jeden muss man auch nicht mögen. Aber man muss die anderen respektvoll behandeln. Immer. Ich bin mir aber ziemlich sicher, dass die anderen sich die gleichen Gedanken machen wie du." Zweifelnd verzog ihr Sohn den Mund und runzelte die Stirn. Dann seufzte er kaum vernehmlich und nickte abermals. Dein Stichwort ihn loszulassen, Gretel.
Sie erhob sich, zwinkerte Florian nochmal an und ging anschließend zurück zu Hendrik, der in der Zwischenzeit schon zwei Plätze in den hinteren Reihen ergattert hatte. Lächelnd bemerkte er, wie sie neben ihn schlüpfte und legte den Arm um ihre Schultern. Seufzend schmiegte sie sich hinein und fühlte sich sofort besser als der Geruch seiner Lederjacke zusammen mit seinem Aftershave zu ihr drang. „Wie macht er sich?"
„Er ist nervös ohne Ende. Aber das ist ja auch nicht verwunderlich. Den anderen Kindern geht es genauso." Sie merkte, wie Hendrik nickte und etwas sagen wollte, doch dann betrat die Schulleiterin die kleine Bühne und leitete endgültig Florians ersten Schultag ein.
*
Ein paar Stunden später lief ein gar nicht mehr nervöser Flo neben ihnen her und erzählte ihnen mit glänzenden Augen, dass die Lehrerin einfach nur super sei und er schon mit zwei anderen Kindern gesprochen habe. „Da ist ein Mädchen. Sie heißt Amelie. Sie ist auch nett."
„Aha. Nett also?" Sie hörte den Schalk in Hendriks Stimme und riss sich gerade noch zusammen, nicht mit den Augen zu rollen. Es war ihr klar, dass ihn das aufs höchste Maß amüsierte. Sie warf ihm einen Blick zu und bemerkte, dass er wie erwartet ganz breit lächelte. Spielerisch buffte sie mit der Hüfte gegen seine und hörte, wie er leise kicherte.
Ein Schauer überlief sie, weil es so herrlich rau klang. Währenddessen starrte Florian seinen Vater irritiert an. „Ja, nett. Was sonst?"
„Schon ok, Raupe. Papa hat auf der Witzseite der Zeitung geschlafen. Wieso findest du sie denn nett?" Sie beobachtete, wie Florian seinen Weg wieder aufnahm, dabei aber zu ihnen statt nach vorne schaute. „Ist einfach so. Sie hat mir geholfen, als sich mein Buntstift irgendwie im Spitzer verfangen hat. Das fand ich nett."
„Ist es", bestätigte sie und strich ihm über seinen Kopf, wobei er ihrer Bewegung etwas auswich. Oha – jetzt ist er zu cool für solche Zärtlichkeiten. Obwohl sie ein Stich durchzuckte, behielt Gretel das Lächeln bei. „Vielleicht könnt ihr ja Freunde werden."
Er zuckte mit seinen Schultern und kniff seinen rechten Mundwinkel zusammen, wie Hendrik es immer machte, wenn er über etwas ernsthaft nachdenken musste. „Jaaaa, vielleicht. Ist halt ein Mädchen. Die sind halt nicht so cool wie Jungs."
Entrüstet schaute sie Hendrik an, der losprustete, ehe ihr Blick wieder zu Florian wanderte. Dessen Augen wurden ganz groß und er räusperte sich, als sie an ihrem Auto ankamen. Er wippte auf den Fußballen und meinte: „Mama, du bist schon alt. Du bist kein Mädchen mehr. Darum bist du auch cool."
Wider Willen musste sie grinsen, als Hendrik loslachte. Was waren die beiden bloß für Kindsköpfe. Flo grinste jetzt ebenfalls schief und sie rollte nun tatsächlich mit ihren Augen. „Vielen Dank auch. Los. Gib mir deinen Ranzen und steig ins Auto. Nennt mich da einfach alt."
Da ihr Sohn wusste, dass sie nur scherzte, vertiefte sich sein Grinsen nur, als er tat, was sie von ihm verlangte. Nachdem sie den Schulranzen im Kofferraum verstaut und sich Hendrik wieder beruhigt hatte, schlang er seine Arme um sie und drückte ihr einen Kuss auf die Lippen. „Komm, du Oma. Lass uns zum Italiener fahren."
„Hahahaha. Oma. Tztztztz. Dafür musst du ein Tiramisu spendieren." Sie bemerkte, wie er sie anstrahlte und nickte. Nachdem er ihr zugeflüstert hatte, dass ihm jeder ihrer Wünsche Befehl wäre, küsste er sie nochmal. Als er sich löste, seufzte sie und wandte sich kopfschüttelnd ab, um ebenfalls ins Auto zu steigen.
Lächelnd kam Gretel wieder in der Gegenwart an. Während sie in dieser Erinnerung geschwelgt war, hatte sich Florian offenbar genähert und schaute sie an. An seinen Lippen zupfte ebenfalls ein breites Lächeln und die Wärme seiner Finger hinterließen auf ihrer nackten Schulter einen Abdruck. „Boah, ich hab Kohldampf. Ich hätte mich nicht darauf einlassen sollen, dass es jetzt nur eine Kleinigkeit gibt. Ich war so nervös, dass ich nicht mal frühstücken konnte..."
„Wie du konntest nichts essen? Das ist ja eine Seltenheit." Sie grinste, als ihr Sohn ihr die Zunge herausstreckte. Sie wusste ja, dass er ihr das nicht übelnahm. Was sich bestätigte, als er sich vorbeugte und ihr einen Kuss auf die Wange hauchte. Dann wurde er von den Tabletts abgelenkt, die auf hübsche Brotzeitbretter drapierte Leckereien transportierten. Reflexartig rollte sie mit den Augen, musste aber weiterlächeln, als ihre Gedanken wieder abdrifteten, als ihr Blick an Erik klebenblieb...
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