~Kapitel 11~
Im Halbschlaf öffnete ich den Eingang des Zeltes und lugte hinaus. Ein Wiehern riss mich aus meiner Müdigkeit. Vor mir erblickte ich eine grinsende Morticia, die drei Pferde an den Zügeln hielt. „Das hätte ich nicht erwartet", meinte ich ehrlich und kroch zurück ins Zelt um Matrep zu holen. Dieser machte Melly gerade transportfähig. „Wer nimmt sie vor sich auf sein Pferd?", wollte ich wissen, als wir abmarschbereit bei den Pferden standen. „Ich nehme sie", erklärte der Lapi sich bereit. Gemeinsam hoben wir Melly auf den braunen Wallach, den er reiten würde.
„Welches willst du?", fragte mich die Rächerin.
Ich musterte die beiden übrigen Pferde. Eine Fuchststute und eine Rappenstute. „Ich würde die Fuchsstute reiten, wenn das okay ist", antwortete ich. Morticia nickte, drückte mir die Zügel in die Hand und schwang sich auf ihr Pferd.
Während ich der Stute über den Hals streichelte, stieg ich auf. „Haben die Pferde eigentlich Namen?", erkundigte ich mich, bemüht darum ein besseres Verhältnis zu meiner Begleiterin zu schaffen. „Matreps Pferd heißt Joker, deine Stute heißt Ricky und meine Nyx", antwortete Morticia kurz angebunden.
Schweigen breitete sich aus, während wir im Schritt durch die hügelige Wiesenlandschaft ritten.
Meine Gedanken schweiften zu meiner Familie. Ich hatte in den letzten Tagen gar nicht an sie gedacht, jetzt fühlte ich mich schuldig.
Ob meine Mutter wohl eine Vermisstenanzeige bei der Polizei rausgegeben hatte? Immerhin war ich jetzt fast zwei Tage verschwunden. Würde meine Oma ihr sagen was los ist?
Und was, wenn meine Mutter ausgerechnet jetzt die Nachricht erhielt, dass mein Vater im Krieg gestorben war?
Daran wollte ich gar nicht denken. Ich wäre am Boden zerstört und meine Mutter ebenso. Eigentlich konnten wir uns gar nicht mehr sicher sein, dass mein Vater noch lebte. Als ich dreizehn gewesen war wurde er im Iran stationiert. Das letzte Lebenszeichen von ihm war schon fast ein Jahr her. Ich vermisste meinen Vater schrecklich. Er war immer für mich da gewesen und tröstet mich, wenn die Kinder aus meiner Klasse mich mal wieder geärgert hatten.
„Hey, hörst du mich oder schläfst du!", rief Morticia und ich schreckt aus meinen Gedanken hoch. „Ich höre dich, kein Grund so zu schreien", murmelte ich. Eigentlich hoffte ich, dass meine Begleiterin meinen Kommentar überhörte doch sie antwortete: „Ich habe dich schon drei Mal gefragt, ob wir galoppieren können. So würden wir mehr Strecke hinter uns bringen." Schnell nickte ich. Galoppieren war eine tolle Sache, hoffentlich ließ sich Ricky genauso einfach galoppieren, wie mein Pferd Sammy zu Hause.
Ich trieb die Fuchsstute in den Trap, saß einige Schritte aus und gab dann die Galopphilfe. Nebeneinander galoppierten wir zu dritt eine Anhöhe hinauf. Matrep hob die Hand und parierte durch. Verwundert taten wir Mädchen es ihm nach. „Melly wäre mir fast vom Sattel gerutscht", erklärte er kurz. Der Lapi rückte Melly wieder gerade und ritt im Trab weiter. Nach einer kurzen Reaktionszeit kamen Morticia und ich ihm hinterher.
„Wettrennen?", fragte Morticia und grinste. Grinsend nickte ich. Das war doch nicht übel. „Bis zu dem Baum?", wollte sie wissen. „Ja, ist gut", stimmte ich zu und machte mich breit. „Drei, zwei, ein, los!", rief die Schwarzhaarige. Ich gab Ricky die Galopphilfe und ließ die Zügel länger werden, damit Ricky sich mehr strecken konnte. Während ich das Gleichmäßige Trommeln der Pferdehufe auf dem Gras hörte und der Wind mir ins Gesicht blies, vergaß ich kurz alle meine Sorgen. Ich warf einen Blick zur Seite, Morticia und Nyx war dicht bei uns, Morticia stand in ihren Steigbügel und war vornübergebeugt, wie ein Jockey. Schon bald sah ich die beiden nur noch von hinten. Am Baum angekommen wartete sie schon auf mich. „Nicht schlecht", meinte ich anerkennend. „Danke", erwiderte sie bloß. Dann platzte es aus ihr heraus: „Ragna hätte so etwas nie gemacht, sie ist für so etwas viel zu vernünftig." „Hat sie ja auch recht, bei so einem Wettrennen kann man sich alle Knochen brechen" brummte Matrep, der gerade angeritten kam.
Gemeinsam setzen wir unseren Weg fort, wir wollten heute noch einiges an Strecke hinter uns bringen. Die Zeit lief uns davon.
Doch schon bald war klar, dass wir nicht mehr weiterkonnten. Mellys Fieber war wieder angestiegen und sie stieß in unregelmäßigen Abständen Schmerzenslaute aus. Ebenso setze die Abenddämmerung ein. Ich hatte mich immer noch nicht an den schnelleren Verlauf der Zeit gewöhnt. Es kam mir vor, als ob wir erst Mittag hätten, doch jetzt war es schon Abend.
Liebevoll versorgte ich die Pferde, während sich die beiden anderen um Melly kümmerten. Ich tätschelte Rickys Hals uns blieb noch eine Weile bei den drei Pferden stehen, bevor ich mich überwand und das Zelt betrat.
Schreckliche Angst, was mich erwarten würde, beschrieb meine Gefühle wohl am besten. Mein Blick fand meine Freundin und alle meine Ängste bestätigten sich, als Matrep den Kopf schüttelte. „Ich kann nichts mehr für dich tun Melly, es tut mir leid", eröffnete er Melly bedrückt. Auf einmal trat ein Lächeln auf Morticias Gesichte und sie meinte: „ Aiana, du hast doch Terras Segen geerbt. Kannst du nicht mit einer Pflanze sprechen und sie nach einem Heilmittel für Melly fragen?" Ich biss mir auf die Lippe nickte aber. Seitdem ich mit meiner Oma geübt hatte, hatte ich keine einzige Sekunde damit verbracht zu lernen, wie man Terras Segen einsetzte.
In Morticias Begleitung verließ ich das Zelt, sie würde mich beschützen, falls wir angegriffen werden würden. Nachdem ich tief durchgeatmet hatte, begann ich meinen Geist von allen Gedanken zu befreien. Doch es fiel mir noch schwerer, als beim ersten Mal. Tausende Gedanken schwirrten durch meinen Kopf und setzen sich hartnäckig fest. Ich versuchte eine Verbindung zu dem Baum vor mir herzustellen, aber es gelang mir nicht, egal wie sehr ich es versuchte. Eine Hand legte sich auf meine Schulter. „Es hat keinen Sinn", erklang Morticias Stimme, „egal was der Baum zu dir gesagt hat, wir wären nicht schnell genug zurück."
Bedrückt gingen wir wieder hinein und ich kniete mich neben Melly. Der Lapi und die Rächerin verließen das Zelt und ließ mich mit meiner Freundin alleine. „Es tut mir leid, so unendlich leid Melly", begann ich zu reden, doch Melly legte mir schwach einen Finger auf die Lippen. „Nicht Aiana, ist schon gut", sagte sie mit zittriger Stimme. „Nein ist es nicht", protestierte ich leise, „ich hätte mein Schwert ziehen sollen und den Adler erstächen sollen, doch ich war zu schwach." „Und das ist das, was ich so an dir schätze, du willst niemand umbringen, sondern lieber eine friedliche Lösung finden", entgegnete der Luftgeist und rang nach Atem, das Sprechen fiel ihr schwer.
„Danke", flüsterte ich. „Aber ich werde einen Weg finden müssen, mich zu verteidigen, ohne jemand zu töten", legte ich eine Art versprechen ab. Ich wollte, dass Melly wusste, dass ich so etwas nie wieder passieren lassen würde, aber gleichzeitig das erhalten zu versuchte, was sie so an mir mochte. „Weißt du, du bist die erste und einzige Freundin, dich ich jemals hatte", erzählte ich ihr mit gedämpfter Stimme. Melly lächelte leicht und sagte leise ein Wort, was ich nach kurzem Überlegen als Ragna identifizierte. „Vielleicht, aber du bist und bleibst meine beste Freundin", widersprach ich leise. „Unterbrich mich jetzt bitte nicht", bat Melly mit leiser, schwacher Stimme.
Ich nickte und beugte mich zu ihr hinunter, um sie besser zu verstehen. „Wir werden uns Wiedersehen, versprochen. Denk dran, der Himmel sagt immer die Wahrheit. Ich habe dich lieb kleine Schwester" Dann holte Melly ein letzte Mal Luft und sah mir in die Augen. Ihr Kopf kippte zur Seite und für einige Momente, war mein Körper einfach nur leer. Dann brach ich neben ihr zusammen und begann hemmungslos zu schluchzen.
Am Rande nahm ich war, dass Matrep und Morticia das Zelt betraten und draußen ein Sturm losbrach. Ich begann um mich zu schlagen und zu treten, um meiner Trauer Luft zu machen, während die Tränen mir immer noch die Sicht verschleierten. Zwei Arme schlossen sich von hinten um mich, während Matrep vortrat und Melly die Augen schloss. Und dann verschwand meine beste Freundin vor unsere Augen. Sie war fort, für immer fort und ich konnte nichts dagegen tun. Morticia ließ mich los und ich lag vor ihren Füßen, heftiger weinend, als jemals zu vor. Ein Stück von mir war zerbrochen, als Melly gestorben war und ich bezweifelte, dass es sich jemals wieder zusammensetzen würde.
Ich nahm war, wie Morticia mich in meinen Schlafsack verfrachtete. Ich weinte immer noch und wehrte mich nicht, als sie mir wie ein kleines Kind über die Wange strich. „Weißt du, für Melly warst du immer wie eine kleine Schwester", sagte sie nach kurzem Zögern. Ich nickte und wischte mir die Tränen aus den Augen. Morticia schluckte schwer und meinte dann: „Schlaf jetzt, es ist schon spät." Sie wandte sich ab und verließ das Zelt. Ich schloss die Augen, doch vor meinem geistigen Auge sah ich Melly, sodass ich meine Augen schnell wieder öffnete. Doch irgendwann musste ich vor Erschöpfung doch eingeschlafen sein, denn als ich das nächste Mal meine Augen öffnete, fiel ein Sonnenstrahl durch das Zeltdach.
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