Sonntag, 08. Dezember 2019
"Ich will aber den Stern!", kreischt eine laute Mädchenstimme durch den gesamten Raum und ich komme nicht drum herum, das Gesicht zu verziehen. Meine Ohren klingeln ungesund und die Art wie Luca neben mir zusammen zuckt zeigt mir, dass auch er von den Tönen meiner kleinen Cousine mehr als überrascht ist. "Gib ihn her!"
"Luna!", ermahnt Lucie ihre Schwester streng. "Moritz hatte den Stern zuerst. Du kannst ihn danach benutzen."
Wie immer am 2. Advent sind wir alle bei Familie Brown zum jährlichen Plätzchen backen eingeladen. Im Vergleich zu den letzten Jahren ist jedoch auch mein Onkel Will dabei und dieser zieht gerade das erste Blech fertige Plätzchen aus dem Ofen. Aus Milan's Musikbox dringt leise Weihnachtsmusik und zu meiner halben Freunde ist es nicht die klassische Musik, sondern eher Pop. Im Moment läuft zum Beispiel Like It's Christmas von den Jonas Brothers. Daher weiß ich auch, dass Lucie für die Beschallung zuständig ist und nicht mein Cousin selbst. Der würde vermutlich nur Elektro laufen lassen. Und obwohl ich Weihnachten nicht leiden kann, finde ich es momentan sogar wirklich schön. Die Familie beisammen, die leise Musik im Hintergrund und der Geruch von frisch Gebackenem.
"Ich vergesse immer wieder, dass Luna nicht immer der Engel ist für den man sie hält.", seufzt Luca neben mir und ich wende mich dem Brünettem zu. Er ist ein Stück größer als ich, weshalb ich zu ihm aufsehen muss und so bekomme ich gerade noch mit, wie er die haselnussbraunen Augen verdreht. "Manchmal ist sie wirklich beängstigend."
Ich muss grinsen und kann dabei nur nicken. Da muss ich ihm einfach recht geben. Luna sieht aus wie die Unschuld in Person, aber sie kann auch wirklich der Teufel schlechthin werden. Vor allem wenn sie schlecht geschlafen hat oder einfach eine Phase hat. Da hat mir Lucie schon genügend Geschichten erzählt und ich bin froh, dass ich das nur selten miterleben muss.
Trotz der kleinen Streiteren über die Ausstechformen arbeiten wir wie immer als Team zusammen und zur Mittagszeit können wir bereits eine wirklich gute Zwischenbilanz ziehen. Da es in der Küche aussieht wie auf einem kleinen Schlachtfeld der Weihnachtselfen und überall Mehl herumfliegt, setzen wir uns mit unserer bestellten Pizza ins Wohnzimmer. Das Esszimmer wird dummerweise von den bereits fertigen Plätzchen belagert. Allerdings habe ich sowieso nichts gegen Mittagessen auf der Couch einzuwenden. Auch wenn wir bei Luna, Ben und meinem Bruder wirklich wegen dem Kleckern aufpassen müssen.
"Machen wir später noch Zimtsterne? Bitte Lucie! Es macht so Spaß sie zu verzieren.", bettelt Ben und auch die anderen beiden Zwerge steigen mit ein.
"Oh bitte bitte!"
"Ich will bei der Glasur helfen!"
Lachend nickt meine Cousine und löst damit einen lauten Jubel der drei Mini's aus. Es ist unglaublich süß, wie man Kinder mit so wenig Dingen glücklich machen kann. Sie sind noch so unschuldig und rein, dass sie sich sogar über eine Haarklammer freuen. Man braucht nicht viel um ihnen ein Lächeln zu entlocken und ihre Augen zum Leuchten zu bringen.
Meine Lippen verzogen zu einem Lächeln wende ich mich wieder meinem Smartphone zu, auf dem ich mit einer Hand durch meinen Instagram-Feed scrolle. Dabei bleibe ich an einem neuen Post meiner Schwester hängen und like ihn dabei. Sie ist was das Bilder posten angeht in jedem Fall aktiver als ich, obwohl sie tatsächlich weniger Zeit hat als ich.
Gerade bleibe ich an einem ebenfalls aktuellen Post von Paddy hängen. Er zeigt sie mit ihren beiden älteren Brüdern in weihnachtlichen Outfits vor einer weißen Wand stehen. Ich weiß, dass sie heute nach Hause gefahren ist um den Tag mit ihrer Familie zu verbringen. Erst gestern haben wir uns noch über WhatsApp darüber unterhalten. Es ist toll sie so glücklich zwischen den beiden jungen Männern zu sehen. Ich wünschte das wäre bei uns ebenfalls möglich. Da Hannah jedoch erst kurz vor Heilig Abend nach Hause kommen wird, werden sich unsere diesjährigen Familienbilder sowieso nur auf die typisch gestellten vor dem Baum beschränken.
Eigentlich ziemlich schade. Früher waren wir wirklich die perfekte Familie. Erfolgreicher Vater, liebende Mutter die immer für uns da war und dann wir Kinder. Hannah und ich, die Zwillinge, und unser kleiner Nachzügler. Obwohl Hannah und ich zweieiige Zwillinge sind, gleichen wir uns beinahe wie ein Ei dem anderen. Einzig unsere Augenfarbe unterscheidet uns. Naja und unser Charakter ist natürlich auch nicht derselbe.
Früher.
Das war vor den Diskussionen von Mama und Papa. Bevor die Diskussionen zu Streitereien wurden. Bevor wir unsere kleine Villa auf dem Killesberg verlassen haben und weggezogen sind. Es war nicht Hannah die durch ihren Wegzug nach Chemnitz unsere Familie kaputt gemacht hat. Es waren unsere Eltern, zwischen denen irgendetwas vollkommen schief gegangen ist. Und ich habe heute noch genauso wenig eine Ahnung wie vor all den Jahren, in denen der Haussegen bereits schief hängt.
∞
"Tut mir leid Süße, aber ich muss Paolo helfen. Ich glaube er zieht seiner Tochter sonst die Windel noch über den Kopf." Meine Zwillingsschwester verdreht die Augen und ich kann ein Lachen nicht zurückhalten. Obwohl unten in der Küche gerade das Backen in die Endrunde geht und alles wirklich drunter und drüber geht, habe ich es geschafft mich für ein paar Minuten nach oben in Lucie's Zimmer zu verziehen und dort mit Hannah zu telefonieren.
"Wie kann man nur so überfordert sein? Der Mann ist doch nicht erst seit heute Vater oder habe ich da etwas verpasst?", frage ich und kann nur den Kopf schütteln. Ich kann nicht glauben, dass sich wirklich ein Vater so unfähig und überfordert verhalten kann. Naja, der Freund meiner Schwester lehrt uns immer wieder eines besseren. Hätte ich das Ganze nicht schon einmal live gesehen, würde ich meiner Schwester bestimmt kein Wort glauben. Doch leider weiß ich nur zu gut über den Ernst der Lage bescheid.
Hannah schüttelt den Kopf, wobei ihr eine blonde Haarsträhne in's Gesicht fällt. Energisch schiebt sie diese hinter's Ohr und fährt sich dann einmal über die Stirn. "Ich habe keine Ahnung. Manchmal frage ich mich ja schon, ob er überhaupt schonmal ein Baby auf dem Arm hatte. Da sind mir seine Eltern als Betreuung wirklich um einiges lieber. Sie sind nicht so zimperlich. Man merkt einfach, dass die beiden ganze vier Kinder großgezogen haben."
"Vielleicht kommt das alles ja noch. Die Hoffnung stirbt ja bekanntlich zuletzt." Es ist ein jämmerlicher Versuch meine andere Hälfte aufzumuntern und ich weiß, dass es vermutlich auch nicht besonders viel bringen wird. Hannah war noch nie die Person, die sich von diesen Floskeln hat ablenken oder aufmuntern lassen. Deshalb halte ich es auch für das Beste das Skype-Gespräch an dieser Stelle zu beenden. "Wie dem auch sei. Ich hab dich lieb meine Kleine. Pass auf dich und deinen Chaoten auf und geb der kleinen Prinzessin einen Kuss von mir."
Ich werde niemals aufhören meiner Schwester unter die Nase zureiben, dass ich beinahe 15 Minuten älter bin als sie.
"Mach ich. Grüß Mama und Papa. Oh und knuddel Moritz später von mir. Ich hab dich auch lieb. Wir hören von einander. Pass gut auf dich auf.", erwidert Hannah meine Verabschiedung und mit einem letzten Lächeln betätige ich den Auflege-Button auf dem Touchscreen meines iPhone.
Obwohl ich nur kurz mit meiner Schwester gesprochen habe ist es wirklich einmal wieder schön ihre Stimme zu hören und nicht nur über WhatsApp und vielleicht mal eine Sprachnachricht zu kommunizieren. Seit sie mit Paolo und ihrer kleinen Prinzessin in eine kleine Wohnung gezogen sind, hat sie noch viel weniger Zeit. Immerhin versucht sie gleichzeitig auch noch ihr Studium zu managen. Ich weiß wirklich nicht, wie meine Schwester das alles hinbekommt.
Nachdenklich lasse ich mich auf das gemachte Bett meiner Cousine sinken und blicke aus dem Fenster in den grauen Himmel. Es dämmert bereits und ich weiß, dass ich eigentlich wieder nach unten gehen und den anderen zur Seite stehen sollte. Aber irgendwie wollen sich meine Beine einfach nicht in Bewegung setzen. Zu sehr genieße ich in diesem Moment die Stille um mich herum, in der ich mit meinen Gedanken einfach allein sein kann.
Mit meinen Gedanken über meine Cousine und ihren Freund die gemeinsam durch Höhen und Tiefen gehen obwohl sie erst seit einem Jahr wirklich fest zusammen sind. Mit meinen Gedanken über unsere kaputte Familie bei der ich mich doch langsam frage, wie lange wir noch so weitermachen können. Wie lange wir die Fassade der glücklichen Familie noch aufrecht erhalten können. Mit meinen Gedanken über Jin, der einfach nicht vollkommen aus meinem Kopf verschwinden will. Der einfach wie eine feine Staubschicht darüber liegt. Auch wenn ich ihn manchmal übersehe, so ist er dennoch immer da.
Mein iPhone vibriert und meldet mir so eine neue Nachricht.
Schweren Herzens schaffe ich es den Blick vom Himmel zu lösen und auf das Gerät in meiner Hand herunter zu blicken. Instagram. Ich könnte die Nachricht einfach ignorieren, vermutlich ist sie sowieso nur von Jenny die mir wieder einen Beitrag schickt. Heute scheint unsere Freundin defintiv etwas zu viel Zeit zu haben, die sie auf der Social Media Plattform verbringt. Auf der anderen Seite jedoch bin ich einfach viel zu neugierig um die Nachricht zur Seite zu wischen.
Also öffne ich sie mit einem einfach tippen und blicke auf eine eingehende Nachricht nieder. Den Nutzernamen kenne ich nicht. Zumindest kommt er mir nicht einmal annähernd bekannt vor. Allerdings erkenne ich den Kopf auf dem Profilbild sofort. Es ist kaum zu übersehen wer da mit einem Dior-Shirt arrogant in die Kamera blickt. Dennoch überrascht es mich, dass ich eine Nachricht von ihm auf meinem Handy habe. Auch wenn es nur ein einfaches Hey ist.
Ein einziges Wort. Ohne Punkt. Einfach nur die drei Buchstaben.
Während ich jedoch noch vollkommen überrascht auf das Display blicke, trudelt bereits die nächste Nachricht ein. Und diese Worte klingen schon mehr nach Jin wie das einfach Hey. Sie klingen um einiges arroganter und herablassender. Einfach besserwisserischer. Etwas, das ich überhaupt nicht leiden kann. Vor allem wenn man eine ganze Woche lang mehr unfreundlich als irgendetwas anderes mit mir umgeht.
Ich weiß das du die Nachricht gesehen hast.
Stirnrunzelnd blicke ich auf die beide Nachrichten herab. Es scheint ganz so als würde Jin erwarten, dass ich ihm sofort antworte. Vermutlich hätte ich die Nachricht doch besser ignorieren sollen. Doch da die Nachricht bereits geöffnet ist kann ich unmöglich so tun als wäre es anders. Das würde das ganze nur noch peinlicher machen.
Ich weiß auch nicht wieso ich mir so viel Gedanken darum mache wie ich auf Jin wirke. Eigentlich sollte es mir egal sein. Er kann mich nicht leiden und das merke ich mehr als deutlich. Es ist auch wirklich nicht schwer zu bemerken. Was genau hat sich also verändert?
Vermutlich braucht er einfach einen Rat oder er findet irgendetwas nicht das er sucht. Und da ich seine Patin bin, bin ich logischerweise auch seine Ansprechpartnerin. Logischerweise wendet er sich dann bei Fragen an mich. Was denke ich auch sonst.
Nachdenklich blicke ich erneut aus dem Fenster und frage mich dabei, wie ich am besten auf diese beiden Nachrichten reagieren soll. Doch da vibriert mein Handy erneut und ich senke wieder den Blick auf die Nachrichten, die sich um eine dritte Nachricht erweitert haben.
Oh komm schon. Ich sehe das du online bist.
Was genau will Jin mit dieser Nachricht bezwecken? Will er mich unter Druck setzen oder mich darauf aufmerksam machen ihm zu antworten? Will er mir einfach nur unter die Nase reiben, dass er aufmerksam ist und ich ihm nicht vormachen kann die Nachrichten nicht zu empfangen?
Ich habe keine Ahnung. Meine Motivation ihn danach zu fragen ist jedoch auch nicht besonders groß und so schreibe ich einfach die logischste Antwort, die mir in diesem Moment einfällt. Mit der Frage Was ist? kann ich nicht besonders viel falsch machen und es ist von meiner Seite aus alles gesagt. Zumindest meiner Meinung nach. Aber was weiß ich schon. So unbeholfen wie bei Jin habe ich mich wirklich selten angestellt. Ich sollte mich wirklich für mich selbst schämen. Was ist nur los mit mir?
Tatsächlich bin ich wenig überrascht, als ich wenige Sekunden später bereits eine Antwort von Jin auf meine knappe Frage bekomme. Allerdings überrascht mich der Inhalt der Nachricht umso mehr. Automatisch frage ich mich sofort was wohl mit ihm los ist und ob er mich veräppeln will. Denn danach klingt seine Nachricht definitiv. Vielleicht hat der Koreaner auch einfach zu viel getrunken, denn eine andere Erklärung für den Inhalt der Nachricht fällt mir einfach nicht ein. Wieso sollte Jin mich fragen ob ich zu ihm in eine Bar kommen will? Das ergibt doch überhaupt keinen Sinn. Ich frage doch nicht jemanden den ich überhaupt nicht leiden kann nach so etwas.
Ich wünschte wirklich ich könnte in sein Gehirn blicken. Das würde mir das Leben erheblich erleichtern.
Da ich jedoch kein Interesse daran habe zu ihm in die Stadtmitte zu fahren und meine Freizeit mit ihm zu verbringen, wo ich ihn und seine Laune doch morgen sowieso wieder den ganzen Tag ertragen muss, sage ich knapp ohne mich ausführlicher zu erklären ab. Und um einem weitern Spam und Besserwisserei aus dem Weg zu gehen, schließe ich Instagram sofort und stehe vom Bett meiner Cousine auf.
Immerhin habe ich nicht gelogen und ich habe tatsächlich vor zu Backen. Mit meiner Familie und dem Freund meiner Cousine. Und weil ich diesen Vorwand bereits als "Ausrede" genutzt habe, werde ich auch genau das jetzt tun. Ich werde nach unten zu den anderen gehen und beim Backen helfen. Vielleicht schaffe ich es so ja Jin wieder zu einer Staubschicht in meinem Gehirn zu verwandeln und ihn so für die nächsten beiden Stunden erneut zu vergessen.
Wie bereist zu meiner Cousine gesagt: Die Hoffnung stirbt schließlich zuletzt.
∞∞∞
ANMERKUNG:
Ich weiß Charlie und Jin unterhalten sich nur auf Englisch und logisch wäre es natürlich, wenn die beiden auch auf Englisch schreiben würden, aber ich denke so ist es einfacher. Nicht nur zum Lesen, sondern auch für Leser die vielleicht nicht so gut Englisch beherrschen. Ich hoffe ihr alle habt damit kein Problem. Ich meine die Unterhaltungen im Buch schreibe ich ja auch auf Deutsch.
Ich persönlich finde es einfach sinnlos wenn ich da auf einmal ins Englische wechseln würde. Was meint ihr?
Lasst mich eure Meinung dazu gerne wissen.
Dann habe ich noch eine weitere Frage an euch.
Nachdem Hannah nun in's Spiel kommt und hier von ihrer kleinen Prinzessin bereits die Rede war, habt ihr irgendwelche Namensvorschläge? Ich selbst habe mich noch nicht entschieden und dachte es wäre doch ganz cool wenn ihr bestimmen könntet / mitwirken könntet indem ihr einfach mal Namen vorschlagt.
Wenn euch also welche einfallen, schreibt sie mir doch gerne in die Kommentare.
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