6 - Graffiti
LETZTES KAPITEL
Es war drei Uhr am Morgen.
Ich lag in meinem warmen Bett und lauschte der akustischen Musik, welche ich durch die winzigen Boxen meines Smartphones spielen lies.
Sie war alles woran ich dachte; Bandit. In mir Entwickelte sich ein unbeschreiblich großer Wille sie zu sehen, sie ganz nah bei mir zu halten und ihr meine Gefühle zu beichten. Ihr zu sagen, wie überglücklich ich doch war, dass sie Part meines Lebens geworden war.
Immer wieder tippte ich eine Nachricht für sie ein, aber löschte diese bevor ich auf 'Senden' drücken konnte. Warte doch einfach bis morgen, Chelsea!
Doch schlussendlich gewann mein Verlangen. Das Verlangen Bandit zu riechen, ihre Stimme zu hören und ihre atemberaubende Gegenwart zu genießen.
"Bist du noch wach?", ohne weiter nach zu denken, schickte ich die Nachricht ab.
Nicht mal fünf Minuten später bekam ich auch schon eine Antwort: "Warum bist du noch wach?"
Ich bass mir auf die Unterlippe. Was wenn sie mich nicht sehen wollte? Was wenn sie mich so sehr sehen wollte, wie ich sie? Es gab wohl nur einen Weg dies heraus zu finden.
"Magst du mit mir raus? Einen Spaziergang machen oder so...", es klang genau so verzweifelt, wie ich mich fühlte, trozdem drückte ich auf 'Senden'. Alles oder Nichts.
Und die kommende Nachricht lies das Blut in meinen Adern gefrieren: "Ich bin in zehn Minuten vor deiner Tür."
Sie hatte zugesagt. Ich las diesen Satz immer und immer wieder. Sie hatte ernsthaft zugesagt.
Die verfluchten zehn Minuten verbrachte ich damit, mir etwas zum Anziehen raus zu suchen, eine kleine aber feine Panikattacke zu haben, in Folge der kleinen aber feinen Panikattacke, einen Haufen Magensäure aus meinem Inneren zu kotzen, mir gefühlte hundert Mal die Zähne zu putzen und in meinem Kopf auszumalen, was genau ich tuen und sagen werde.
So leise, wie mir meine Füße erlaubten, schlich ich mich aus dem Haus. Mein Herz hämmerte regelrecht gegen meinen Brustkorb. Es war das aller erste Mal, dass ich so eine Aktion wagte.
Sie stand dort, Kippe zwischen den wunderschönen Lippen und ein Strahlen in den hellen Augen.
"Na, bad Girl?", scherzte das Mädchen und zog mich als Begrüßung in eine Umarmung. Ich stieß ein erschöpftes Kichern aus.
"Tut mir Leid, dass ich dich um diese teuflische Zeit heraus zerre aber", wir lösten uns und ich blickte zum Sternenhimmel, "Ich wollte dich unbedingt sehen."
Bandit spürte, dass etwas mit mir nicht stimmte und schmunzelte deswegen nur ein sanftes: "Ach, kein Problem, Engelchen."
Ich konnte mein Lächeln nicht zurückhalten, sie war eindeutig zu süß zu mir: "Ich bin kein Engel."
"Stimmt.", sie trat ihre Zigarette aus, "Du bist mein Engel."
Gerade, als ich mit all meiner verbliebenen Kraft protestieren wollte, fuhr das Mädchen fort: "Folg mir, ich will dir einen mega coolen Ort zeigen."
Schweigend tat ich worum sie mich bat. Es war eine kühle, ruhige Nacht und ich verfluchte mich selbst dafür, dass ich meine Kamera vergaß.
"Ist alles in Ordnung bei dir?", erklang Bandits raue aber irgedwie glasklare Stimme, "Oder warum wolltest du mich so dringend sehen?"
Würde ich nun wirklich eine meiner neuen Freundschaften auf's Spiel setzten?
Ein tiefes Seuftzen drang durch meine Lippen: "Bandit, ich-"
Sie sah mich erwartungsvoll an.
"Keine Ahnung.", murmelte ich dann bloß, "Ich habe keine Ahnung, was ich hier gerade tue."
Meine Begleitung schien für einen Moment sprachlos zu sein, dann warf sie ihren Arm um mich: "Das ist okay, Chelsea. Manchmal geht es Einem eben dreckig scheiße, ohne zu wissen wieso und deswegen tut man Dinge, ohne zu wissen warum. Es ist vollkommen okay."
Bandit hatte sowas nicht verdient. Ganz und gar nicht.
"Uii, wir sind da!", ihr Arm lies meine Schultern los und ich schauerte.
Durch den starken Mondschein konnte man einen, nicht all zu hohen Drahtzaun vor unseren Nasen erkennen. Ein Meter, höchstens.
Ehe ich mich versah, kletterte das Mädchen geschickt über den Zaun und legte eine äußerst elegante Landung hinter sich.
"Bandit, ich muss dir etwas beichten.", meine Hände klammerten sich an das relativ biegbare Draht.
Sie zog ihre zerrissene, schwarze Jeans hoch, der Stoff schmiegte sich eng an ihre bombastischen Beine: "Und das wäre?"
Ich hievte meinen Oberkörper nach oben und schnaufte mühsam: "Ich bin der unsportlichste Mensch, der jemals auf dieser Erde einen Atemzug genommen hat."
"So schlecht kannst du gar nicht-"
Ehe das wahre bad Girl ihren freundlichen Satz zu Ende bringen konnte, fiel ich, wie ein Päckchen voll Zucker, vor ihre Füße, nur war ich dabei nicht so süß, wie ein Päckchen voll Zucker, außerdem tat es ein Wenig weh. Aber nur ein Wenig.
Bandit lachte lauthals los: "Oh mein Gott, bist du noch ganz dicht?!"
"Nein, ich glaube mein Päckchen ist zerplatzt.", japste ich und blieb einfach auf dem harten Boden liegen. Sowas passierte doch nur mir. Warum verabscheute mich das Schicksal so sehr?
"Wie bitte?", sie konnte ihr Gelächter nicht in Grenzen halten.
"All mein Zucker läuft aus.", jammerte meine Wenigkeit, während das Mädchen versuchte Luft zu holen.
Sie hielt mir gackernd ihre Hände hin: "Was redest du da? Bist du auf Trip oder so? Siehst du ein fliegendes Einhorn?"
"Natürlich!", zischte ich und nahm ihre Hilfe danklos an, "Sein Name ist Reiner und er furzt radioaktive Regenbögen!"
Bandit kicherte mich an: "Lass mich raten; sein voller Name ist Reiner Bullshit?"
Ich schnaubte abfällig: "Der war so flach."
"Sorry, Engelchen!"
"Ich bin immernoch kein-"
Ohne mich ausreden zu lassen, zog sie mich am Arm in Richtug Backsteingebäude: "Genug davon, ich will dir etwas präsentieren!"
"Wo sind wir hier eigentlich?", fragte ich verwirrt.
"Dies ist ein verlassenes Feuerwehrrevier! Ich benutze es in Zwischen als Leinwand."
Plötzlich hielten wir an, vor einer mit Graffiti bezauberten Steinwand und was ich sah, raubte mir den Atem, genau wie Nate Drake alles, was hohen Wert besaß, raubte. Die Blume, welche sie nach unserem aller ersten Gespräch auf meinen Handrücken gemalt hatte, befand sich nun vor mir. Der einzige Unterschied lag in den Farben. Ich erinnerte mich, dass die Blume an meiner Hand farblos war, doch diese hier besaß so unglaublich viele, schöne Farben. Das ganze Spektrum wurde vertreten. Jede einzelne Blüte schimmerte wortwörtlich in einem Meer aus vielen verschiedenen Farbtönen.
"Wow, Bandit, ich-", mir fehlten die Worte, "Es ist so toll geworden."
Deswegen besaßen ihre Hände also stets bunte Flecken; Graffiti.
"Das sind Alles deine eigenen Farben Chelsea!", die Künstlerin klang außerordentlich erfreut, "All diese Farben sehe ich ganz allein in dir."
Unser erstes Gespräch wiederholte sich in meinem Kopf.
"Ich sagte dir, du bist mehr als du denkst. Du bist mehr als nur grau.", ihre Worte brannten sich in mein Gehirn und würden mich nie mehr verlassen, "Nach jedem Tag den ich mit dir verbracht hatte, kam ich hier her und fügte eine Farbe hinzu, weil du jeden Tag neue Farben ausgeschüttet hast. Grün, wie der Fingerabdruck, den ich versehentlich auf deiner Kamera hinterlassen habe! Rot, wie die Lippenstiftdeckel über die wir disskutiert hatten! Blau, wie die Videospielhüllen von den Games, die wir vorgestern gespielt haben! Und noch so so so viele mehr, mehr als ein Buch Kapitel haben könnte!"
Mit zitternden Fingern strich ich die Blume nach. Ich sollte sie gießen, jetzt sofort.
Meine Beine trugen mich zum nächsten Kunstwerk; ein kaltes, eisblaues Augenpaar.
"Sind das deine Augen?", wollte ich wissen, es waren zu hundert Prozent ihre Augen. Ich würde sie überall erkennen.
"Jup."
"Ich liebe deine Augen.", platzte es verträumt aus mir herraus. Schüchtern wand ich meinen Körper zu ihr.
"Weist du, Mark vergleicht die Augen seines Schwarms immer mit dem klaren, blauen Himmel oder mit den geheimnissvollen Tiefen des Ozeans. Aber ich möchte nicht fliegen oder schwimmen. Ich bevorzuge braune Augen.", erzählte Bandit und trat einen Schritt näher, "Deine Augen sind warm und heimisch, wie eine Tasse Kaffe an einem regnerischen Selbstmordtag und ich liebe sie."
Ich schluckte den Kloß in meinem Hals hinunter und sprach mit ächzender Stimme: "Was sind wir? Sind wir Freunde oder sind wir mehr? Es fühlt sich nämlich nicht nach Freundschaft an, Bandit."
"Ich wollte dich auch unbedingt sehen. Ich hielt es gar nicht ohne dich aus, um ehrlich zu sein.", sie lächelte, doch es war schmerzerfüllt, "Alles was ich tat, als du nicht bei mir warst, war an dich denken und alles was ich tue, wenn wir bei Einander sind, ist Panik zu schieben, weil sich jede verdammte Sekunde einfach so wichtig anfühlt. Ich bin außer Kontrolle und ich kann mir nicht weiter helfen! Ich gehöre noch nicht mal mehr mir selbst, ich gehöre dir und was wenn du mich nicht willst? Wie kannst du mich so sehr wollen, wie ich dich will?!"
Und die Tränen fingen an ihre Augen zu verdüstern. Selbstzweifel, schrie ihre Mimik mich an, sie zweifelte so sehr an ihren eigenen Wert.
Eine Frage würde diesen Zweifel jedoch zerstöhren. Sie musste nur ehrlich antworten.
"Du willst mich vielleicht aber kannst du mich auch lieben?", ich hielt meinen eigenen Wasserfall so gut, wie möglich zurück, "Ich bin ziemlich schwer zu lieben, glaub mir."
Ihre Tränen tropften an ihrem hübschen Kinn hinunter auf den Asphalt und makierten diesen.
"Chelsea, mein kleiner Engel.", hauchte Bandit und nahm meine Hand, ihre Wärme breitete sich sofort in mir aus, wie ein Feuer, "Wenn du mich um vier Uhr am Morgen anrufst, zu traurig, um auch nur irgendein Wort heraus zu bringen, werde ich deiner Stille lauschen, bis du einschläfst. Wenn du weinen musst, werde ich nicht deine Tränen weg wischen, denn du bist auch nur ein Mensch und manchmal sind Tränen das nähste an Lachen woran du kommst und das ist absolut okay. Wenn du müde wirst, lass ich dich auf meinen Arm sabern und werde nicht lachen, fallst du zu laut schnarchst. Wenn du das Bedürfnis hast, so laut zu schreien, dass deine Stimme zerbricht und deine Beine nachgeben, werde ich dich festhalten und mit dir schreien. Wenn du so sauer wirst, dass du deine Hände blutig schlägst, werde ich deine Knöchel mit Eis kühlen und dir sagen, dass Wunden heilen; außen und auch innen. Und genau, sowie die Kälte, welche harsch und brennend ist, werde ich immer die Wärme sein, die dich wärmt. Ich werde da sein. Ich werde dich lieben."
Es mussten keine weiteren Worte mehr gesprochen werden.
Ich presste unsere Lippen zusammen und beichtete ihr somit meine Liebe.
Dieses Mädchen hatte mir meine Farben vorgestellt ohne, dass ich es wahr nahm und nun konnte ich es gar nicht abwarten sie endlich zu benutzen.
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro