2 - Fingerabdruck
Ich verstand Bandit nicht. Ich verstand sie beim besten Willen nicht.
Heute war Donnerstag und lasst mich euch Eines sagen, dieses Mädchen bekam man einfach nicht weg. Egal, wie oft ich gesagt hatte sie solle mich in Ruhe lassen und dass ich Nichts mit ihr und ihren Freunden zu tuen haben wollte, Bandit gab nicht auf. Warum eigentlich? Was war denn so besonders an mir?
"Chelsea, woran denkst du gerade?", fragte mich meine ach so tolle Sitznachbarin zum gefühlten hundertsten Mal. Meine Güte, sie war schlimmer als ein kleiner, hungriger, gelangweilter Welpe!
"Sehe ich so aus als hätte ich etwas zu fressen?!", platze es aus mir heraus und weil das Schicksal mich eindeutig gewaltig hasste, drehte sich die ganze Klasse zu uns um.
Bandit legte ihren Kopf schief: "Was-"
"Also ich weis was Bandit gerne essen würde, wenn ihr versteht was ich meine!", grinste Jack dreckig und in meinem ganzen Leben war mir etwas noch nie so unangenehm.
Mark schlug sich sofort mit seiner Hand auf die Stirn.
"Häh, was meint er denn?", kam es von der Reihe ganz vorn.
"Ihre Pussy.", antwortete Bandit direkt, "Also lügen tut er nicht."
Ich riss meine Augen auf. Was war bloß los mit der Jugend?!
Ein Typ mit Collegejacke lachte: "Aye Bandit, ich wusste gar nicht, dass du 'ne Lesbe bist?"
Mir stieg die Hitze sofort in mein Gesicht. Kümmerte es niemanden, dass sogar der Lehrer zu hörte?!
"Pansexuell.", korrigierte sie ihn gelassen.
Ich wünschte ich könnte so offen mit meiner Sexualität umgehen, doch dafür hatte ich nicht den Mut. Denn auch wenn Bandit einwenig nervig war, brachte sie mein Herz zum rasen. Ich war mir schon sicher, dass ich homosexuell bin. Jedoch wollte ich, zu dieser Zeit, meine Gefühle für dieses Mädchen nicht akzeptieren. Es war nur ein dummer,kleiner Crush, dachte ich. Es wird schon vergehen, dachte ich.
"Und seid wann sind Charlotte und du ein Paar?", wollte das Mädchen von vorne wissen.
"Ihr Name ist-"
"Wir sind kein Paar!", rief ich empört.
Jack zog scharf Luft ein: "Oh, und schon wieder wird Bandit von Chelsea gekorbt. Echt mies."
"Halt deine Klappe Jack!", stöhnte Bandit.
"Also ich denke Cherry steht auf Mark.", warf der Typ ein, "Warum ist die sonst in eurer Clique?"
Fing es etwa schon mit den Gerüchten an?! Warte, seid wann gehörte ich zu deren "Clique"?! Es waren nur drei Tage vergangen, Gott verdammt!
"Chelsea ist bei uns, weil sie cool ist nicht sowie ihr!", Bandit warf ihre bunten Haare nach hinten.
"Genau!", stimmte Jack lauthals zu, "Und außerdem kann sie nicht auf Mark stehen, weil-"
Bevor er es aussprechen konnte, hielt Mark ihm den Mund zu und zischte: "Ich warne dich junger Mann!"
Die ganzen Blicke der Anderen machten mich inzwischen unbeschreiblich nervös, dazu murmelten sie auch noch und kicherten. Ich hasste Aufmerksamkeit.
"Okay, okay, ganz ruhig!", sprach nun endlich der Lehrer, "Genug Gossip! Es wird sich jetzt bitte wieder auf Physik konzentriert."
Die Klasse wand sich zurück nach vorn. Innerlich bedankte ich mich bei dem Lehrer.
Nach einer Weile war die Stunde schließlich vorbei und es hieß Schluss für diesen Tag.
"Endlich!", jubelte Jack und dehnte sich auf seinem Stuhl.
"Hey Chelsea, hast du heute vielleicht Lust mit uns ab zu hängen?", lächelte Bandit. Hatte ich schon erwähnt, dass ihr Lächeln sie tausend Mal hübscher machte?
Ich schüttelte hastig meinen Kopf: "Nein, ich habe heute schon was vor."
Dies war sogar keine Lüge. Das Wetter war schön und deswegen wollte ich meinem Hobby nachgehen. Photographie.
Einige Leute sahen mich verwundert an. "Wie kannst du zu ihr bloß Nein sagen?!", schrieen ihre Blicke.
"Schade Schokolade.", die Enttäuschung stand ihr in das makellose Gesicht geschrieben, "Vielleicht wann anders!"
Die drei verließen zusammen den Klassenraum, nachdem sie sich von mir verabschiedet hatten. Ich stöpselte meine Kopfhörer in die Ohren und machte mich selbst auf den Weg nach Haus.
Nach einer nicht all zu langen Zeit, kam ich schließlich an unserem Haus an.
Mit Hilfe meines Schlüssels öffnete ich die Tür und rief: "Ich bin da, wer noch?"
"Wir!", ertönte die Stimme meiner Mutter von der Küche aus.
Ich lies meine Tasche auf die Treppen fallen und tapste gelassen durch den Flur, in die Küche.
Mom drehte sich vom Herd weg, um mich anzusehen: "Es gibt Nudeln mit Tomatensoße!"
Ich schenkte ihr ein dankendes Lächeln, denn dies war wohlmöglich mein Leibgericht so langweilig es auch klang, und lies mich auf den Stuhl am gedeckten Esstisch, neben meinem jüngeren Bruder, fallen.
"Na Cry, wie geht's?", ich beobachtete, wie er auf seinem Nintendo irgendein Pokemonspiel spielte.
Sein eigentlicher Name war Ryan, jedoch nannte ich ihn immer Cry, da er als Baby eine totale Heulsuse war, welche meine Eltern und mich inklusive, jeden Tag um eine gefährlich frühe Uhrzeit weckte. Diese Zeiten waren natürlich schon vorbei aber der Spitzname blieb hängen.
Cry nickte stumpf, ohne seine Augen vom Display zu entfernen. Dieser Junge war mit Abstand, der Ruhigste und Coolste zwölfjährige Typ, aller Zeiten.
Ich kicherte: "Alles klar. Mir geht's auch prächtig, danke der Nachfrage!"
Er lächelte nur.
Mom legte dampfende Teller vor unsere Nasen: "Ryan, leg dieses Teil weg. Wir essen!"
Mein Bruder gehorchte und nahm eine Gabel in die Hand.
"Hat Dad wieder Überstunden?", fragte ich, als meine Gabel drei nudeln auf ein Mal aufspießte.
Unsere Mutter seufzte: "Ja, leider. Der Firma geht's anscheinend nicht so gut."
Wir redeten eine Weile über Jobs und sogar Universitäten, bis das Essen aufgegessen war.
"Mom, ich hatte vor noch raus zu gehen und ein paar Fotos zu schießen.", mein Körper erhob sich.
"Natürlich, komm aber nicht zu spät zurück und nimm dein Handy mit!", sie legte ihren Kopf schief, "Hast du irgendwelche Hausaufgaben auf?"
"Nein und mach ich!"
Mit einer Geschwindigkeit, die nur Teenager besitzen, um Fragen ihrer Eltern auszuweichen, stieg ich die Treppen hoch. Zum Glück, hatte sie nicht nach einem Zimmer gefragt, denn es war alles andere als aufgeräumt.
Ich ging in den soeben genannten Raum, dessen Boden aus Klamotten bestand und packte all die Gegenständen, welche ich für die Außenwelt benötigte, in einen kleinen Rucksack.
Mein Zimmer sah aus, als wäre es aus einem Manga entsprungen. Alles war schwarz, weiß oder grau.
Ohne noch weiter dort drin zu bleiben, schloss ich die Tür. Wieder unten angekommen verabschiedete ich mich von den Beiden und war gerade dabei das Haus zu verlassen aber so leicht war es nun wirklich nicht.
"Warte warte warte Fräulein, hast du dein Zimmer schon aufgeräumt?", Mom tauchte im Flur auf. Ihre Augen glichen den, eines wütenden Drachens.
Ich verzog mein Gesicht und sprach dann mit Lichtgeschwindigkeit: "Nein aber ich tue es, wenn ich wieder da bin! Versprochen! Ich hab dich lieb Mutter! Du bist die Beste und dein Essen ist unbeschreiblich, göttlich, lecker! Du siehst fantastisch aus! Hast du etwa abgenommen? Diese Frisur steht dir! Du solltest deine Haare öfters so tragen! Es lässt dich jünger wirken! Das soll nicht heißen, dass du alt bist! Pff, ganz im Gegenteil! Du siehst so aus, als wärst du meine Schwester! Ich will auch so gut aussehen in deinem Alter! Das soll auch nicht heißen, dass du alt bist oder so..."
Sie verschränkte ihre Arme vor der Brust und hob ihre Augenbrauen.
Mit den ungeschickt auserwählten Worten"hübsches Décolleté", zog ich die Schutzbarriere, besser bekannt als Tür, zu und rannte so schnell mich eine Beine trugen, aus der Siedlung.
Keuchend blieb ich stehen. Dies war eindeutig zu viel Sport für einen Tag, dachte ich mir.
Diese Zeit alleine, verbrachte ich damit in den Wald zu gehen und dort die malerische Schönheit der Natur mit meiner schwarzen Kamera zu fotografieren, bis die Sonne sich bereit zum Untergang machte. Ich sollte lieber wieder zurück, bevor die Zeit mich einholen würde.
Summend ging ich den Fußgängerweg, neben einer leeren Straße, entlang und musterte fasziniert den nun blau-orangenen Himmel. Ich packte entschlossen meine Kamera aus.
Plötzlich erklang ein lautes Hupen. Vor Schreck erstarrte ich und wand meinen Kopf vorsichtig nach links, woher das Geräusch kam. Wer zur Hölle war das? Ein Vergewaltiger?!
"Heyo Chelsea!", grinste mich niemand anderes außer Bandit von dem Rücksitz aus an.
Das Auto war ein quietsch gelbes Cabrio, selbstverständlich ohne Dach. Am Steuer saß Mark und daneben Jack. Natürlich waren es diese Idioten, die wollten, dass ich einen Herzinfarkt bekam. Oh Schicksal, was hatte ich dir bloß getan?
Das Mädchen zog ihre Sonnenbrille aus und legte diese auf ihren Kopf: "Komm steig ein!"
"Nein.", antwortete ich sofort, "Ich komme auch schon so zu Recht. Danke trotz-"
"Ach, halt die Klappe Süße!", lachte Jack laut und mir fiel die Zigarette zwischen seinen Lippen auf, "Wir lassen dich doch nicht alleine hier rum latschen!"
"Mein rechter, rechter Platz ist frei!", sang Bandit und öffnete die Tür. Ihre Finger hielten ebenfalls eine Zigarette fest.
Seufzend lies ich mich auf das schwarze Leder fallen, meine Kamera immer noch in meiner Hand. Irgendwie war es schon nett in so einem hübschen Ding mitzufahren.
Mark drückte auf das Gaspedal und blickte mich vom Rückspiegel aus an: "Wo geht's hin?"
Ich nannte ihm meine Adresse, nicht ohne mich ein weiteres Mal zu bedanken. Er rauchte anscheinend nicht.
War es ein Fehler ihnen meine Adresse zu geben? Bestimmt nicht, sie werden mich doch wohl nicht stalken. Oder?
Der warme Sommerwind fühlte sich außerordentlich toll an. Mark fuhr relativ langsam, was ich persönlich gut fand.
"Was hast du eigentlich ganz alleine getrieben?", wollte Bandit wissen. Ihre Augen schimmerten regelrecht in diesem Licht.
Ich erhob die Kamera: "Fotos geschossen."
"Du schießt Fotos als Hobby?", fragte Jack nach.
"Ja.", meinte ich unsicher. Ist das etwa zu uncool für sie?
"Geil.", schmunzelte Mark. Jack stimmte ihm zu.
Ich weis, mir sollte es egal sein, was diese Leute von mir dachten, jedoch wäre es gelogen, wenn ich sagen würde, dass Erleichterung mich nicht durch füllte.
Das Mädchen neben mir nahm einen Zug und blies dann den Rauch heraus: "Darf ich sie mir anschauen?"
Nach kurzem Überlegen schaltete ich das Gerät ein und drückte es in ihre, mit Farbe bedeckte, Hand. Außer meiner Familie hatte noch nie jemand meine Bilder betrachtet. Nicht, weil ich es nicht wollte, sondern, weil es sonst niemanden interessierte. Mein Herz schlug höher als sie immer weiter durch meine Galerie klickte. Insgeheim hoffte ich, dass sie Gefallen in meinen Werken fand.
"Die sind der Hammer!", jubelte sie dann und nahm einen weiteren Zug, "Ernsthaft, du machst, dass die Welt schöner aussieht, als sie eigentlich ist!"
Ich konnte mein Lächeln nicht zurückhalten: "Danke dir."
Bandit lächelte zurück: "Nur die Wahrheit."
Hatte dieser Mensch überhaupt eine Ahnung, wie atemberaubend sie aussah, wenn ihr Mund lächelte?
"Hey, wie wär's, wenn wir mal ein Selfie machen?", sie warf die Zigarette achtlos weg und legte ihren Arm um meine Schultern, "Wo muss ich drauf drücken?"
"Auf den großen, grauen Knopf.", erklärte ich, während sich die Gänsehaut auf meiner Haut breit machte. Ihre Nähe fühlte sich alles Andere als falsch an.
Nach dem Klicken, gab Bandit mir meine Kamera wieder zurück.
Ich musterte den grünen Fingerabdruck, welcher von ihrem Daumen kam und nun das Schwarz meiner Kamera, in einen Kontrast zog.
Bandit wurde an diesem Tag damit bekannt, was ich in meiner Freizeit tat. Sie wusste eine Sache über mich, welche ansonsten nur meiner Familie bewusst war und ich wusste in diesem Moment nicht, was ich davon halten sollte.
Meine Wenigkeit hatte damals keine Ahnung, dass dieses Mädchen eines Tages alles über mich wissen wird. Sie wird mein Geburtsdatum wissen, meinen zweiten Namen, wo ich geboren wurde, mein Sternzeichen und den Namen meiner Eltern. Sie wird wissen wie alt ich war, als ich das Fahrradfahren lernte, wie meine Großeltern gestorben sind, wie viele Haustiere ich hatte und wie sehr ich die Schule doch hasste. Sie wird meine Augenfarbe kennen, meine Narben, meine Muttermale, meine Sommersprossen und jede meiner Lachfalten. Sie wird mein Lieblingslied kennen, mein Lieblingsbuch, meine Lieblingsband, meinen Lieblingsfotograf, meine Lieblingskünstlerin, meinen Lieblingsfilm und mein Leibgericht. Sie wird wissen, warum ich fast jede Nacht um 5 Uhr Morgens wach bin, wo ich war, als ich realisierte, dass ich einen Freund verlor, warum ich mich selbst hasste und wie ich es schaffte damit aufzuhören, bevor es zu weit ging. Sie wird meine Phobien kennen, meine Träume, meine Ängste, meine Sorgen und meine Wünsche. Sie wird meine Stärken kennen, meine Schwächen, meine Energie, meine Faulheit und dieses Gefühl, überhaupt Nichts zu fühlen. Sie wird meine Liebe für Mayonnaise kennen, meinen Traum als kleines Kind, ein Rockstar zu werden, meinen Instinkt jedes einzelne Wort meines Lieblingsfilms zu zitieren und meine Angst Erwachsen zu werden. Sie wird meine schlechten Angewohnheiten kennen, meine Manieren, meine Gesichtszüge und mein Lachen, so als wäre es ihr Lieblingslied. Die Art wie ich kaue, trinke, gehe, schlafe, zögere und küsse. Sie wird genervt davon sein und im Nachhinein akzeptieren, wie ich meine Klamotten ständig auf dem Boden liegen lasse, ungefähr zwanzig Minuten brauche, um etwas in einem Restaurant zu bestellen, meine Bücher alphabetisch sortiert haben muss und immer mein Horoskop ab checken... nur zur Sicherheit. Sie wird meine McDonald's Bestellung auswendig kennen, wie viel Zucker ich in meinen Tee tue und wie viele Eiscreme Kugeln ich haben will. Sie wird wissen wie ich mich fühle ohne, dass ich es ihr sagen muss, dass ich weine ohne auch nur eine Träne zu vergießen. Sie wird alles wissen. Alles. Mich kennen, von Kopf bis Fuß, von innen nach außen. Sie wird jedes Detail kennen, was es zu kennen gibt. Und wisst ihr was? Sie wird mich immer noch lieben.
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