sein wille geschehe
Er wacht gechillt auf. Zum ersten Mal seit Monaten verflucht er mit seinem ersten Gedanken nicht die Tatsache, dass er wieder aufgewacht ist, sondern öffnet ganz neutral die Augen. Er schaut an sich herab, sieht den zugepickten Arm und das Bein, die roten Abdrücke, die das nachkommende Blut leicht auf die Pflaster gezeichnet hat. Dann kicken die Emotionen. Fuck.
Hektisch greift er nach dem Valium, zerbröselt ungeschickt drei Pillen mit 'nem Feuerzeug und legt wacklige lines, die er mit bloßer Nase reinzieht. Gefühlt die Hälfte des Pulvers bleibt an seinen Nasenflügeln hängen, einiges pustet er durch seinen Atem auch unabsichtlich auf den Boden. Aber egal, schnell rein damit, eine andere Abwehr hat er nicht gegen die Gedanken, die schon auf ihn einstürmen.
Denn holy shit, wie hart hat er nur verkackt. War ja klar, wenn er einmal die Schere in die Hand nimmt, kann er sich nicht mehr zurückhalten. Kurz bereut er, dass er sich nicht die Unterseite des Arms aufgeschnitten hat, wo er vielleicht 'ne fette Ader erwischt hätte und verblutet wäre. In der nächsten Sekunde haut er schon wieder seinen Kopf mit voller Wucht gegen die Wand, weil er sowas wegen T nicht denken darf.
Fuck, oida, T...T wird so enttäuscht sein, so endlos verletzt. Er wird sicher weinen, vielleicht gibt er sich sogar selbst die Schuld, oder er macht gleich Schluss mit ihm. Ja, das wird's wohl sein. Einmal mehr ist Guk haushoch überzeugt, dass ihre Beziehung hiermit ein Ende hat. T wird das sicher nicht mehr wollen, wären gestern ein paar Dinge anders gelaufen, hätte es legit aus sein können mit seinem Freund. Genauso wie letztens in dieser Bar bei der Votivkirche. Ob er deswegen Glück oder Pech hat, ist Ansichtssache.
Was hat er auch dieser verfickte Schere in der Wohnung. Das ist doch ein Teufelskonstrukt, das muss weg. Holprig steht er auf, spürt Schmerz, als er das rechte Bein belastet, und schnappt sich die Schere, die noch immer blutig am Boden liegt, weil er vergessen hat, sie zu putzen. Kurz kommt ihm eine Idee. Was ist, wenn er sich jetzt einfach die Adern aufschneidet? Dann wär's vorbei, dann hätte er nicht heut Nachmittag das scheiß Vorstellungsgespräch, morgen kein Date mit der Psychiatrie, keine Camille am Wochenende, keine Enttäuschung, die er an T sehen müsste. Und am wichtigsten, kein Leben. Kein fucking Aufstehen jeden Tag, kein Aushalten von Gedanken, kein Hass gegen sich. Er sehnt sich nach Ruhe, Erlösung.
The fuck? Was denkt er da schon wieder, er ist mit T zusammen, das kann er ihm nicht antun. Frustriert schüttelt Guk den Kopf, haut ihn noch ein paar Mal gegen die Tischkante und öffnet dann das Fenster. Fuck, nicht ans Springen denken, Schere rauswerfen, sonst nix! Mit aller Kraft schießt er das Monsterteil aus dem Fenster, macht sogleich wieder zu und kraxelt zurück ins Bett. Warum muss es auch überall eine Möglichkeit geben, sich selbst zu verletzen. Den ganzen Versuchungen kann man doch echt nicht lange widerstehen.
Er liegt also unter der Bettdecke, das Herz geht ihm schnell, die Wunden pulsieren und bluten vielleicht schon wieder. Starr glotzt er auf die Wand gegenüber, hat alle Mühe, seinen Kopf im Zaum zu halten und keinen Suizid zu planen. Nervös knetet er seine Finger, die sich kälter als sonst anfühlen und reißt dünne Hautfetzen von den Nagelbetten. Das ist noch das Harmloseste, was er gerade machen kann.
Doch die Schuldgefühle bringen ihn um. Er hasst sich, weil er gestern so schwach gewesen ist und dem Drang, sich selbst zu verletzen, nachgegeben hat. Er hasst sich, weil er gestern so egoistisch gewesen ist und nur seine eigene Genugtuung im Sinn hatte, als er sich das Gewebe aufgeschlitzt hat. Er hasst sich, weil er gestern nicht den Mut gehabt hat, bis zum Ende durchzuziehen. Er hasst sich auch für diesen Gedanken gerade.
Vor Verzweiflung schluckt er noch zwei weitere pills, braucht kein Wasser und betet für Frieden. Er bekommt ihn nicht, also lenkt er sich ab mit seinem Handy. 11:32, in drei Stunden muss er zum Vorstellungsgespräch. Fuck. T hat geschrieben. Guks Vater auch. Noch mehr fuck. Er liest, einfach nur weil er es allein nicht aushält.
Ich hab am Samstag einen Tisch für uns zwei reserviert im Saloon. 18 Uhr. Freue mich, auf dein Kommen.
Was? Sein Vater will mit ihm Essen gehen und hat schon 'nen fucking Tisch reserviert? Samstag, das ist ja schon übermorgen. Guks Atem wird schneller, er kann da nicht hin, das ist ihm doch viel zu viel. Und wie soll er vor seinem Vater auftreten, er ist ein scheiß Wrack. Aber hat er eine Wahl? Wenn er rumspinnt, bekommt er vielleicht kein Geld mehr von ihm. Und dann sieht's wirklich düster aus. Vor lauter Angst schickt Guk einen Daumen hoch als Antwort. Er hat keine Ahnung, wie das funktionieren soll. Er will die anxiety verscheuchen und geht auf Ts Chat.
morgen, guk,,, viel erfolg beim vorstellungsgespräch heut,, ich hab dich lieb, egal wies heut ausgeht <3
Guk wimmert verzweifelt. Was für anxiety verscheuchen, die wird doch nur intensiver, wenn er an T denkt. So auch jetzt. Sein Freund hat ja keine Ahnung, was alles in den letzten zwölf Stunden schief gelaufen ist. Er kann ihn nicht lieb haben, das ist unmöglich. Trotzdem nimmt er die Mühe auf sich und schreibt ihm diese nette Nachricht. Wäre es Guk möglich, ihm das Geschriebene zu glauben, würde er sich ja wahrscheinlich auch freuen, aber so kann er nur frustriert an seinen Haaren ziehen und sich selbst verabscheuen. Es gibt keine Welt in seiner Vorstellung, in der das Gespräch heute positiv ausgehen könnte. Versagen ist vorprogrammiert. Und damit auch, dass er T enttäuschen wird.
Trotzdem ist er verpflichtet, etwas zu antworten. Am besten etwas, dass seinem Freund keine Sorgen bereitet, etwas ganz Normales einfach. Etwas, woraus man nicht schließt, dass er sich letzte Nacht wie ein Metzger das Fleisch aufgeschlitzt hat. Hastig überlegt er, bevor er tippt.
danke <3 hab dich auch lieb
Das ist solide. Und wahr. Er wird T nichts von gestern erzählen, außer er fragt danach. Wenn er irgendwie danach fragt, wird er ihm ehrlich antworten, aber von selbst wird er es nicht erwähnen. Obwohl...ist das dann nicht auch Betrug? Etwas verschweigen kann genauso Verrat sein wie die Tat an sich. Noch dazu will T doch immer die offene Kommunikation. Fuck, er müsste es ihm eigentlich sagen. Doch bevor er weiter mit sich selbst diskutieren kann, bekommt er 'ne neue Nachricht von seinem Freund.
möchtest am abend vorbeikommen zum abendessen?
Guk erstarrt. Fuck, er will alles andere als zu T. Nach dem Gespräch ist er wahrscheinlich noch zerstörter, weil sie ihn nicht nehmen werden und dann kickt die Hoffnungslosigkeit erst recht. Aber er darf diese Einladung doch nicht ausschlagen. T will obviously, dass er den Abend bei ihm verbringt, also muss er sich danach richten. Sein Wille geschehe, ihr wisst.
klar, ich komm vorbei ^.^
Er hat Angst.
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