horror
Still und regungslos steht T wie paralysiert im Gang. Da das Licht hier einen Bewegungssensor hat, ist es finster um ihn herum, nur das kalte Licht aus Guks offener Wohnung leuchtet zu ihm heraus. Er hat noch nie etwas so Schreckliches wie diese offene Tür gesehen, er findet gar keine Worte für seinen Schock. Denn es ist ihm klar, dass das nichts Gutes bedeuten kann. Sein Freund ist jemand, der immer Türen schließt und sehr privat ist. Niemals würde er freiwillig sein Leben zur Schau der Nachbarn stellen. Niemals würde er vergessen, eine Tür zu schließen.
Und das weiß T. Er wünschte, er wüsste es nicht, denn dann könnte er einfach unschuldig und nichtsahnend reinspazieren und die Situation erkennen, wie sie wirklich ist. Aber so fährt die Angst so tief in ihn rein, dass sie seinen gesamten Bewegungsapparat lahmlegt. Dabei muss er sich bewegen. Er muss da rein, schauen was mit Guk los ist und im Ernstfall schnell Hilfe holen. Vielleicht verliert hier durch seine Starre nur wertvolle Sekunden. Bringen tut's auf jeden Fall nichts.
Aber obwohl T bewusst ist, wie er jetzt handeln muss, um die Situation zu retten, kann er es nicht. Seine mind ist zu stark, er fürchtet sich so davor, was er da drinnen sieht. Vor seinem inneren Auge malen sich schon Bilder aus, dass sein Freund sich irgendwo da drin mit einem Strick aufgehängt hat, bewusstlos am Boden mit der Überdosis liegt oder eine Aderlass veranstaltet hat. Er hat so Angst, dass etwas davon real sein könnte, er kann dem nicht begegnen. Es ist so eine komische Art der Angst. Es ist ja nicht so, als wäre T in Gefahr, ihm kann eigentlich nichts passieren. Aber die Vorstellung, Guk zerstört vorzufinden, erfüllt ihn mit solchem Horror, dass es ihn komplett lähmt. Vielleicht ist es doch Selbstschutz, weil er diesen Anblick nicht ertragen könnte.
Doch wer sonst soll ihn ertragen? Außer T ist niemand hier, er hat keine Ahnung, was für Menschen hinter den anderen Wohnungstüren schlafen, er ist auf sich allein gestellt. Rettung kann er auch keine rufen, er könnte ja nicht mal die aktuelle Lage des Schwarzhaarigen beschreiben. T ist allein, er ist der Einzige, der da reingehen kann zu Guk. Umso mehr verabscheut er sich, weil er es nicht zusammen bringt, einen Fuß vor den anderen zu setzen. Er muss da doch rein, er weiß es ja. Es bringt nichts, hier draußen im Gang wie erstarrt zu stehen, er muss was Konstruktives machen und da reingehen.
Irgendwie schafft Ts Kopf es, seinen Körper von dieser Aufgabe zu überzeugen. Er macht drei Schritte vorwärts, es trennen ihn noch zwei Meter von der Wohnung. Er bleibt stehen. Drinnen sieht er das Licht brennen, der Gang ist ausgeleuchtet, sonst nichts. Auf einmal fällt sein Blick auf eine Glasflasche, die leer am Boden kullert. T meint, Eristoff zu erkennen und das gibt ihm den Rest. Er stolpert einen Schritt zurück, schaut schnell weg und presst sich die Hand auf den Mund, um nicht laut los zu schluchzen. Tränen steigen in seine Augen und er ahnt genau, was ihn drinnen erwartet. Ein vollgespiebener Guk mit Alkoholvergiftung, wahrscheinlich mit Glasscherben aufgeschlitzten Handgelenken und nicht bei Bewusstsein. Er stellt ihn sich so deutlich vor, wie er kaputt in seinem Bett in der eigenen Kotze mit Blut vermischt liegt. Es ist zu Ende, er weiß es genau. Der Fakt, dass er seit locker fünf Minuten hier im Gang steht und noch kein einziges Geräusch aus der Wohnung gehört hat, bestätigt das.
Und da kann T nicht anders, als sich selbst zu peinigen. Es ist seine Schuld, obviously. Was fängt er auch eine Beziehung mit Guk an, es war ihm doch klar, dass er major mental health problems hat. Und wieso musste er ihn so unter Druck setzen heute Nachmittag beim AKH, hätte er ein bisschen mehr Rücksicht gezeigt, wäre das alles nicht passiert. Er ist halt der fetteste Egoist der Welt, sogar jetzt steht er dumm hier draußen rum, anstatt zu seinem Freund zu gehen und zu retten, was noch zu retten ist. Er weint stumm, wie lautloser Sommerregen tropfen die Tränen von seiner Hand, mit der er sich noch immer den Mund zuhält. Es ist zum Verzweifeln, er hätte das viel früher beenden sollen, gar nichts erst anfangen sollen oder Guk zumindest einweisen lassen ins Krankenhaus. Aber nein, er muss ja so auf liberal und hoffnungsvoll tun, was seinen Freund nur ins Verderben geleitet hat.
Man merkt, er kommt richtig in Fahrt mit den selbsthassenden Gedanken, man könnte schon meinen, wir hätten hier Guk vor uns und nicht T. Doch es ist T, denn auch er ist ein Bekannter des Selbsthasses, hält ihn normalerweise gut in Schach, hat aber im Moment keine Kapazität dazu. Und so macht er sich fertig, weil er nicht reingeht, es soweit hat kommen lassen und so ein fucking Egoist ist. Dagegen kämpfen die Gedanken, die noch immer ein Ziel vor Augen haben, nämlich Guk zu helfen. Vielleicht wertvolle Minuten sind schon verstrichen, doch möglicherweise ist es noch nicht zu spät und da die Priorität im Moment Guks Leben ist, muss T da rein, egal was in seinen head vor sich geht. Respekt vor allen, die so rational nach den Endzielen handeln können. T kann es meistens auch, aber jetzt ist die Emotion zu stark, er schafft es nicht, sie zu unterdrücken. Drum steht er nur mitten im dunklen Gang und kämpft mit sich selbst.
Wie unerwartet Menschen aus dem Leben gerissen werden können, dass ist blanker Horror für ihn. Leben ist fragil, das war ihm spätestens klar, als sein Vater von 'nem anderen Auto niedergemäht wurde. Ohne Vorwarnung oder irgendwas, einfach zack, weg. Kein Wunder, dass T Konflikte normalerweise meidet. Er hat immer im Hinterkopf, dass es vielleicht der letzte gewesen sein könnte.
Auch jetzt sieht er klar vor sich, dass Guk tot ist. Er hat eigentlich keinen Grund zu der Annahme, aber er geht so stark davon aus, als wäre es das einzig Logische für ihn. Dabei besteht die Möglichkeit, dass er seinem Freund noch helfen kann. Und diese Möglichkeit, der kleine Hoffnungsschimmer, hält schlussendlich doch die Angst und den Horror in Schach, T schafft es, sich vorwärts zu bewegen. Mit flachem Atem macht er Minischritte Richtung Wohnung, presst die Hand so stark auf seinen Mund, dass es wehtut und hat die glasigen Augen weit aufgerissen vor Furcht. Als wäre er in einem Horrorfilm, schleicht er maximal achtsam und verstört zur Tür, als könnte jede Sekunde eine verkorkste Gestalt mit leerem Blick und zerfetztem Maul hinter ihr hervorspringen.
Mit einem unglaublichen Battle in seinem Kopf überbrückt T die letzten Meter, kriecht durch die Tür und steht in der Wohnung. Und dann sieht er es. Kopfüber liegt Guk verrenkt an der Schwelle zum Bad, kleine Blutlachen sind am Boden. Er kann nicht hinschauen, wirft den Kopf gegen die Wand und weint.
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