gotik
"Hast du das Gender Video von Alicia Joe gesehen?", fragt T seinen Freund, als sie nebeneinander in der U2 Richtung Schottentor sitzen, on their way to Votivkirche.
"Hm, glaub nicht...Das letzte, was ich kenn, ist dieses Kinderinfluencer Ding. Ist es gut?", erkundigt Guk sich und streicht mit dem Daumen über Ts Handrücken, da sie zart Händchen aufeinander gelegt haben.
"Ja, voll. Sie gendert halt nicht. Und ich mein, bis jetzt war ich voll auf der Pro Seite vom Gender, aber ihre Kontra Argumente machen Sinn"
"Was sagt sie denn?"
"Zum Beispiel dass Gendern Deutsch halt für Leute, die's nicht so gut können, viel schwieriger macht. Vor allem weil's keine gescheiten Regeln gibt und jeder irgendwie gendert, das ist komplett unübersichtlich und diskriminierend für diese Leute dann"
"Gab's da aber nicht mal so 'ne Studie? Wo die die Lesbarkeit gecheckt haben und das Textverständnis. Da ist doch rausgekommen, dass es wurscht ist"
"Ja, nur wurden da halt Studis gefragt. Die können ja obviously Deutsch, für die is' es sicher kein Problem, so wie's uns jetzt relativ wurscht ist"
"Hm, true...macht Sinn", stimmt Guk irgendwie erstaunt zu.
Guk hat das Gender game halt einfach mitgespielt, hat sich nicht viel dabei gedacht und war halt eher auf dem vibe, ja wird Frauen und Nicht-Binären ja eher helfen als schaden. Aber die, die mit der Sprache eh schon strugglen, hatte er gar nicht im Visier. Interesting.
"Sie erklärt halt auch 'nen Haufen grammatikalischen shit, wie Genus und Sexus an sich nicht zusammenhängen. Dass 'ne Frau das Genie sein kann, ein Mann die Leiche und wer non-binary der Mensch"
"Was ist dann mit diesem Lehrer*innen Ding? Ein Lehrer ist doch maskulin"
"Na ja, impliziert ist es nicht. Das ist halt generisches Maskulinum, wir nehmen halt für alles mal die maskuline Form, schließt Frauen, Nicht-Binäre aber genauso ein. Wenn ich an meine Lehrer denk, denk ich auch an die Lehrerinnen"
Guk denkt ein bisschen drüber nach. Ganz leicht ist das nicht, denn bevor sie sich auf den Weg gemacht haben, hat er noch seinen J gesmoket. Aber etwas bringt er doch zusammen.
"Ich weiß nicht...Irgendwie hat das schon einen ausschließenden vibe für mich, als wären prinzipiell die Lehrer maskulin, aber es gibt auch weibliche Lehrer. Warum sollt's sonst die Bezeichnung Lehrerin überhaupt geben?"
"Sie erklärt das ganz gut geschichtlich anhand von Deutschland, wie dieses Gegenderte gekommen ist und so. Ah ja, Movierung heißt das, wenn man Lehrer in Lehrerin umwandelt. Oder umgekehrt Witwe in Witwer auch. Jedenfalls die Deutschen, die waren ja in Ost und West geteilt und bei den Kommunisten mussten die Frauen halt auch voll arbeiten, war ganz normal und die wurden dort auch ganz gechillt Lehrer, Müller oder whatever genannt. Im Westen aber sind die Frauen daheim geblieben und da hat man die Frau vom Müller zum Beispiel Müllerin gemacht. Das rennt bei uns im Dorf auch so"
"Okay, aber das ist ja nicht so selbstverständlich, dass Frauen und Nicht-Binäre auch gemeint sind. Ich mein, da gab's ja diese andere Studie in den Schulen, wo sie die Kinder gefragt haben, was sie von paar aufgelisteten Berufen werden wollen. Waren halt so klischeehaft männliche und weibliche Berufe, einmal gegendert und einmal nicht. Und die kids haben sich viel eher für das quasi nicht Klischeehafte entschieden, wenn's gegendert war"
"I know. Ich find, das ist auch ein stronges Argument. Ist nicht in Ordnung, wenn man Leute in eine Richtung drängt und es als komisch gilt, wenn man was anderes macht. Aber es Neulingen im Deutschen schwer zu machen, ist auch kacke. Vor allem haben auch viele natives gar kein Bock auf gendern. Die Alicia macht dann halt den Vorschlag, dass man weiter generisches Maskulinum verwendet, aber es einfach einen kulturellen change braucht, dass in die Köpfe durchsickert, dass das Genus einfach nix übers Sexus aussagt. Dass man alles machen kann, was man will und so"
"Hm, ja klar, das wär 'ne chillige Lösung. Dann bräucht's keine Sprachreform lol. Aber ich weiß nicht, wie realistisch das ist. Überhaupt irgendwie würd ich mich schlecht fühlen, wenn ich nicht gendere. Like, warum müssen wir immer das Maskulinum verwenden? Ich glaub, das ist schon nicht so cool für non-binaries und women"
"Vielleicht, ich bin mir nicht sicher. Aber gegen Deutsch noobs will ich auch nicht shooten, denen sollten wir's nicht noch schwerer machen...Ich muss noch überlegen, ob ich weiter gendere oder nicht"
"Ich glaub, ich mach's weiter. Aber ich schau mir daheim dann auch das Video von ihr an, sicher interessant"
"Ja, das ist gut investierte Zeit"
Genderdiskussion ist fürs Erste beendet, ihr könnt gern in den Kommentaren teilnehmen und eure Argumente droppen, würd alle freuen und joa. TGuk kommen an beim Schottentor, Endstation heißt's, weil sie restlichen Stationen grad irgendwie umbauen, oder ist wegen der U5 gesperrt, die jetzt auch endlich mal kommen soll. For real, Wiener U-Bahnen bisserl unlogisch, eins bis vier gibt's seit Jahren, fünf wird neuerdings gebaut und sechs existiert auch schon ewig. Zählen war da wohl nicht so die Stärke von jemandem. Oder es gab Planungsschwierigkeiten, ist vielleicht wahrscheinlicher.
Jedenfalls unsere zwei Helden, die marschieren mal durch das ganze Getümmel an jungen Leuten rauf an die Erdoberfläche. Dunkel liegt die Nacht über Österreichs capital city, Lichter sparklen durch die Gegend. Die Hauptuni ist gleich daneben, altes, irgendwie griechisch aussehendes Gebäude. Drum herum fahren Straßenbahnen, Radlwege gibt's, einen Haufen Lokale und der Ring führt auch vorbei mit seiner dicken Schleppe an Autos. Legit, wer fährt in Wien Auto? Lost.
Die Votivkirche ist nicht weit, man muss nur ein paar Schritte gehen et voilà, ein Meisterwerk. Sie steht da, in kaltem, gefühlslosem weißen Licht und ragt in die Höhe. Aber sie ist nicht einfach beleuchtet, nein. Dadurch, dass sie an die Gotik angelehnt ist, wird sie immer filigraner nach oben, es gibt viele Strebepfeiler, Bögen und Gesimse. Das Maßwerk ist detailliert und die nach oben schmaler werdenden Türme enden in zarten Pyramiden mit kleinen Kreuzen oben drauf als Abschluss. Und durch dieses verspielte, durchlöcherte Mauerwerk dringt das kaltweiße Licht von innen nach außen, bringt die Kirche zum Strahlen. Wie geschnitzte Knochen stechen die hellen Steine in die Dunkelheit. Es ist wirklich erschreckend, als würde sich innen etwas Göttliches abspielen, das man zufällig mitbekommt, aber auf keinen Fall stören darf, nicht näher kommen.
Guk steht legit für ein paar Sekunden nur da und ist wie erstarrt vor Schrecken und Ehrfurcht. Er glaubt an keinen Gott, aber dort ist Übernatürliches im Gange, er ist sich sicher. Fucking Kunst. Wie gnadenlos die einfach ist. Das Strahlen hebt sich markant von der finsteren Nacht ab, aber er weiß nicht, was ihm unheimlicher erscheint, die Dunkelheit oder die leuchtende Kirche. Daneben rennen die Leute vorbei, als würde nichts passieren, als wäre alles normal. Das muss wohl Sünde sein.
Sie bleiben einige Zeit, gehen bisschen herum, halten immer einen gewissen Abstand zur Kirche. T wäre zwar gern reingegangen, aber Guk kann es nicht, er fühlt, dass er seine menschliche Welt übertreten würde, wenn er näher kommt, geschweige denn reingeht. Das ist verboten, er kann es spüren.
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