Vier
„Der Turm ist unterkellert", erklärte Anton als sie rannten. „Mehrere Stockwerke tief sogar! Tief genug um uns Schutz vor den Bomben zu geben. Vielleicht finden wir sogar noch einige Vorräte. Altes Zeug, das sie da gelassen haben. Es ist ideal!" Er lachte auf und grinste Freya an, „Wir werden es schaffen, Kleines."
Freya erwiderte sein Grinsen, glaubte ihm jedoch kein Wort – doch darum ging es auch nicht mehr. Sie wollte nur noch mit Anton zusammen sein, wenn das Ende kam. Dass sie an dem Ort sterben würden, an dem sie einander gefunden hatten ... Es war fast poetisch.
Sie erreichten ihr Ziel nur wenige Minuten später und nach einigem Suchen fanden sie ein mit Pressholz abgedecktes Loch im Absperrzaun, der um den Fernsehturm verlief. Beide duckten sich hindurch und eilten die Stufen zu den Eingangstüren hoch.
Freya blickte auf. Der Fernsehturm wuchs wie ein gigantischer Obelisk den Nachthimmel empor, finster und bedrohlich. Sein verwahrloster Zustand schnitt ihr jedoch tief ins Herz. Der Zahn der Zeit hatte sichtlich an dem Gebäude genagt und der verglaste Eingangsbereich war mit Graffiti übersprüht. Bilder von Hakenkreuzen, obszönen Zeichnungen und Hass-Slogans zierten die Betonwände.
„Eine Schande was aus dieser Stadt geworden ist", sagte Anton.
„Was aus der Welt geworden ist ..." fügte Freya traurig hinzu.
Anton prüfte die Tür – sie war nicht verschlossen – und drückte sie erleichtert auf. Als sie in die Dunkelheit der Eingangshalle schritten fragte er: „Hast du ein Feuerzeu—"
Der Rest seiner Worte ging in Donner und einem Lichtblitz unter.
Etwas Feuchtes spritzte Freya ins Gesicht und Anton wurde zur Seite gerissen, als hätte ihn ein Auto erfasst. Sie taumelte vorwärts, stürzte fast als die Tür hinter ihr mit einem Schnappen zufiel und die Eingangshalle erneut in Dunkelheit tauchte.
Was... Was ist passiert?
Ein Pfeifen hallte in Freyas Ohren wider und sie stolperte vorwärts. „Anton?", fragte sie, hob die Hand und wischte sich etwas Heißes, Klebriges von der Wange. Ihre Finger erstarrten, als ein bösartiges Lachen hinter ihr ertönte. Ein Licht zerriss die Dunkelheit und schändete Freyas Verstand mit der grausamen Realität.
Ihr Blick fiel auf den kopflosen Körper Antons.
Freya schrie, als stünde ihre Seele in Flammen. Ein Schrei, der verstummte, als ein muskulöser Arm sich über ihren Hals legte. Ihr Angreifer hob sie mühelos hoch. Freya heulte auf, kratzte und schlug um sich, jedoch vergeblich ...
„Ho-ho. Da haben wir uns ein hübsches Vögelchen gefangen", raunte ihr eine heisere Stimme ins Ohr.
Der Atem ihres Angreifers war eine faulige Böe, stank nach Bier und Zigaretten. Sie verstärkte ihre Mühen, doch wer immer sie auch festhielt war größer und wesentlich stärker als sie. Raues Lachen ertönte und Freya hielt lange genug inne, um eine Gruppe aus drei Männern erkennen zu können, die langsam näher kam. Neo-Nazis, gekleidet in Bomberjacken und Springerstiefel. Halunken. Abschaum übelster Sorte. Ironischerweise war einer von ihnen afrikanischer Abstammung.
„Heute ist dein Glückstag, Baby ... Zum großen Bang darfst du mit einem Gang-Bang abtreten", stöhnte ihr Peiniger ihr ins Ohr und lies seine Zunge über ihren Hals gleiten. Freya würgte und verstärkte ihre Gegenwehr, kratzte und hämmerte ihre Stiefel gegen sein Schienbein.
Der Mann heulte vor Schmerz auf, knurrte, „Verdammte Schlampe!", zog eine abgesägte Schrotflinte und hielt sie Freya vor die Augen. Sie konnte die Hitze, welche vom Lauf der Waffe ausstrahlte, auf ihrer blutbespritzten Haut fühlen. „Halt still, Hure, sonst ..." zischte ihr Angreifer.
Freyas Augen weiteten sich bei der Erkenntnis, dass dies die Waffe war, die ihren Mann getötet hatte, das einzig Gute in ihrem Leben. Namenlose Wut überkam sie und sie verstärkte ihre Gegenwehr. Ihr Peiniger fluchte und steckte seine Waffe wieder weg, sein Bluff aufgeflogen.
„Hoho", lachte einer der Neo-Nazis als die Gruppe heran war. „Sieht so aus als hätten wir uns eine kleine Wildkatze gefangen." Seine Stimme war hoch und unangenehm. Sie passte zu dem spitzen, schmalen Kopf mit den gemeinen, zu eng beieinander stehenden Glubschaugen.
„Eher eine Stute", meinte ein anderer grinsend und offenbarte dabei einen Mund voll verrottender Zähne. Er strich sich mit einer Hand über den mit einem Hakenkreuz tätowierten Schädel und mit der anderen über die Beule, die sich auf seinem Schritt abzeichnete. „Eine Drei-Loch-Stute. Wünschte nur sie wäre nicht so bockig ..."
„Ich mag es wenn sie sich wehren", sagte der stämmige Schwarze, „dauert länger so." Er machte einen Schritt auf sie zu und griff nach ihren Brüsten.
Freya trat aus und hämmerte ihre Stiefelabsätze gegen sein Kinn. Es knirschte widerlich. Der dunkelhäutige Neo-Nazi grunzte vor Schmerz und Überraschung und taumelte benommen zurück. Er wäre gefallen, hätten ihn seine beiden Kumpane nicht gackernd aufgefangen. Der stämmige Mann erholte sich jedoch schnell, spuckte Blut und ein paar gebrochene Zähne aus und zischte, „Dafür wirst du büßen, Schlampe. Ich bring dich auch zum Bluten!"
Die Halunken fielen über sie her und begannen ihr die Kleidung vom Leib zu reißen. Freya schrie und wehrte sich, was ihre Peiniger nur noch mehr anstachelte. Tränen der Wut und Scham flossen über Freyas Wangen. Ihre Augen suchten und fanden Antons Körper am Rande des Lichtkegels. Wider die Vernunft hoffte sie, dass sie sich getäuscht hatte, dass er am Leben war und sich erheben würde um sie zu retten. So wie vor all den Jahren, als sie sich von der Aussichtsplattform des Fernsehturms werfen wollte.
Doch Anton lag still und bewegungslos da, die 9mm Pistole noch immer in der Hand, weit außerhalb ihrer Reichweite. Sie schluchzte als gierige Hände grob ihre Brüste packten und zudrückten. Freya fand einen kleinen Trost darin, dass Anton das was kommen würde nicht mit ansehen musste.
Der Abgrund tat sich vor Freya auf und diesmal ließ sie sich bereitwillig in ihn fallen. Ihre Gegenwehr erschlaffte, was den Schindern zuerst enttäuschte Ausrufe, dann Lachen entlockte. Geschwind rissen sie ihr die letzten Fetzen vom Körper. Ein überraschter Ausdruck huschte über das breite Gesicht des Afrikaners als er ihr zuallerletzt Hose und Stiefel herabzog. Seine Augen weiteten sich.
„Verdammt!" rief er. „Die Schlampe ist—"
Sein Ausruf ging in einem Gurgeln unter, als Freya austrat und die raubvogelartigen Klauen an ihrem Fuß ihm die Kehle herausrissen. Blut sprühte einem Sturzbach gleich aus der gähnenden Wunde, über ihren nackten Körper und auf seine überraschten Kumpane. Die beiden Vergewaltiger wichen zurück, ihre Gesichter Masken des Schreckens.
Ein Schrei, der die komprimierte Wut, Hass und Angst eines ganzen Lebens in sich trug, kämpfte sich aus Freyas Brust und brach über ihre Lippen. Drei Zentimeter lange Krallen, schwarz und spitz wie Dornen, bohrten sich durch das Fleisch ihrer Fingerspitzen und senken sich tief in den Arm der sie festhielt. Ihr Peiniger schrie und riss sich los, was zur Folge hatte, dass Freyas Klauen sein Fleisch bis auf die Knochen öffnete.
Sie landete geschmeidig und richtete sich langsam vor den Männern auf. Eine Göttin des Zorns und des Blutes. Nicht das Opfer, das Spielzeug, das sie in ihr gesehen hatten, sondern eine Veränderte. Ein Monster. Ein Un-Mensch.
Es war das Letzte das sie sahen. Freyas Klauenhände zuckten vor, schneller als das Auge sehen konnte, und die Welt der Männer tauchte sich in ewige Dunkelheit. Beide gingen kreischend neben ihrem dunkelhäutigen Kameraden zu Boden, die Hände auf die Ruinen ihrer Gesichter gepresst.
Die erwachte Furie versank in einem Meer aus Zorn. Es war die gleiche, alles verzehrende, irrationale Wut, die sie in jener Nacht vor zehn Jahren übermannt hatte, als sie sich mit ihren Eltern stritt. Die Wut, welche ihre erste Verwandlung herbeigeführt hatte. Damals konnte sie sie nicht kontrollieren. Heute wollte sie es nicht, gab sich ihr voll und ganz hin, blühte auf. Klauenhände hoben und senkten sich immer wieder auf die schreienden, unbedeutenden Fleischstücke zu ihren Füßen.
Spielzeuge.
Futter.
Ein Schuss brüllte auf, riss Freya von den Beinen und schleuderte sie meterweit durch die Luft. Sie spürte den Schmerz jedoch kaum, wand sich einer Katze gleich im Flug und grub tiefe Furchen in den Betonboden, als sie auf allen Vieren niederkam.
Augen, kalt wie das Herz eines Gletschers, bohrten sich in die ihres Angreifers. Das jämmerliche Mensch-Ding stand in einer Ecke des Raums und versuchte panisch die abgesägte Schrot-Flinte nachzuladen. Sein verstümmelter Arm verriet ihn jedoch und die Patronen, die er aus seiner Jackentasche hervorholte, fielen zu Boden.
Freya überbrückte die Distanz in zwei Herzschlägen. Der Nazi kreischte als ihr erster Hieb ihn entmannte, seine Stimme schrill genug, um Glas zum beben zu bringen. Der zweite Schlag öffnete seine Bauchdecke. Ein Knäuel Gedärme glitt hervor, platschte auf den Boden und breitete sich vor den weit aufgerissenen Augen des Mannes aus wie ein Haufen rot-schleimiger Würmer. Seine Augen füllten sich mit Tränen. Sein Mund öffnete sich in einem wortlosen Flehen ...
Zwei Klauen-Schläge später hatte er weder das eine noch das andere.
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