
- 003 -
"T-Tommy ist tot?"
Das waren die ersten Worte, welche Louis über die Lippen kamen, nach dem er sich wieder halbwegs beruhigt hatte. Ich saß wieder auf dem Sessel, um Louis seinen Freiraum zu geben. Ich wusste nicht, wie er auf Nähe reagieren würde. Vor allem in so einer Situation und testen wollte ich es nicht.
"Ja, er ist verstorben. Es tut mir leid, Louis." Entschuldigend blickte ich ihn an. Da er aussah, als würde jeden Moment die nächste Panikattacke folgten, griff ich sanft nach seiner Hand. "Louis, tief durchatmen. Denk an dein Baby. Ich weiß das ist schwer... Das Gefühl, als würde gerade alles in einem zerreißen. Den Drang diese eine Person noch einmal zu berühren, zu sehen... Es schmerzt, aber es wird weniger. Versprochen."
Meine Gedanken schweiften kurz zu Joshua und wie verletzt ich damals war. Es hatte Tage gebraucht, bis ich mich überhaupt von seinem Grab entfernen konnte. Manchmal kam der Schmerz zurück und die Trauer nahm überhand. Aber das war okay. So etwas sollte man dann auch nicht unterdrücken. Es war sogar besser sich an manchen Tagen einfach auszuweinen und in Erinnerungen zu schwelgen.
Louis' Wimmern holte mich aus meinen Gedanken zurück in die Realität und ließ mich zu ihm schauen. "Er ist... Oh Gott" Es war, als würde er es immer wieder aufs Neue vergessen. Mitleidig drückte ich seine Hand. "Kann ich... Wo ist er...?"
Kurz schloss ich meine Augen und holte tief Luft. "Es tut mir leid, ich weiß nicht, wo er ist." Louis schluchzte laut auf und krallte sich auf einmal an meinem Unterarm fest. "I-Ich weiß es, glaube ich", weinte er und sah mich verletzt an.
Doch bevor ich nachfragte musste er sich erstmal wieder beruhigen. Es war überhaupt nicht gut, dass er so viel weinte und sich immer wieder verkrampfte.
Mehrere Minuten lang gab ich mein Bestes, doch nichts half. Er weinte nur noch mehr und mein Unterarm schmerzte so langsam, da er seine Fingernägel in meine Haut bohrte. Verzweifelt seufzte ich, strich durch meine Locken und stand auf. Hoffentlich würde das jetzt helfen.
Ich setzte mich zu Louis ins Bett und hob ihn ohne Anstrengung auf meinen Schoß. Da er zitterte legte ich ihm die Decke über und hielt ihn eng bei mir. Vermutlich war ihm nicht kalt, aber er sollte sich geborgen und sicher fühlen.
Sanft wiegte ich ihn hin und her und lächelte, als nach einem Moment sein Weinen nachließ. Vorsichtig strich ich mit dem Zeigefinger seine Tränen weg und konnte mich nicht zurückhalten, weswegen meine Lippen kurz seine Stirn streiften.
Als ich mich etwas zurückzog sah er mich mit seinen blauen Augen an, welche noch leicht gerötet waren. Es schien Louis nichts ausgemacht zu haben. Die Tatsache ließ mein Herz für einen Augenblick schneller schlagen. Doch es war nicht richtig, weswegen ich es dabei beließ und ihn absetzte, als er wieder vollkommen zur Ruhe gekommen war.
Ich legte ihn in die Kissen zurück und deckte ihn ordentlich zu. "Harry?" Ich nickte und schaute ihn geradewegs an. "Ja?" - "Bleibst du hier? Ich möchte jetzt nicht alleine sein", gestand er mir leise und zog die Decke höher. Überrascht nickte ich und griff nach dem Tonbecher. "Ich hole dir noch etwas Wasser und etwas zu Essen, dann setzte ich mich wieder zu dir."
In der Küche schnitt ich Obst zurecht und lief mit der Holzschüssel und einem neuen Tonbecher mit frischem Wasser zurück zum Zimmer. Zumindest wollte ich das, aber Gemma, welche gerade zur Tür hineinkam, hielt mich davon ab. "Ich dachte ich komme persönlich vorbei. Ich habe den Wichtigsten Bescheid gesagt und sie kommen in ungefähr einer Stunde vorbei. Ist das okay?" - "Das ist in Ordnung, danke." Meine Schwester lächelte mich an und deutete auf die Sachen in meinen Händen. "Geht es dem Omega gut?"
"Nicht so ganz, er weiß das sein Gefährte verstorben ist und wegen dem Baby ist das alles etwas kompliziert." Sie lächelte mich an. "Er ist bei dir in den besten Händen, bis später dann." Ich verabschiedete sie und wollte zu Louis, doch dieser stand auf einmal in der Tür. Besorgt sah ich ihn an. "Was ist los?"
Kurz sah ich zu Gems, welche das alles mit einem Schmunzeln beobachte bevor sie die Tür hinter sich schloss. "Es tut weh", klagte Louis und hielt sich seinen Bauch. "Aber dann solltest du erst recht nicht aufstehen. Du hättest mich auch rufen können", ermahnte ich ihn und ging mit ihm ins Zimmer zurück. Ich stellte die Sachen ab und half Louis wieder ins Bett zu kommen.
"Darf ich?", ich sah ihn fragend an und schob sein Oberteil hoch, nachdem er leicht nickte. Ich legte meine Hände auf seinen Bauch und schloss für einen Moment meine Augen. Ich musste lächeln, als ich feststellte, dass das kleine Wesen sich einfach nur bewegte. "Mach dir keine Sorgen, du bist noch nicht erholt und da tun die Tritte auch mal weh."
Louis sah mich mit großen Augen an und nickte leicht. "E-Es ist schwer sich keine Sorgen zu machen", murmelt er leise. Verstehend nickte ich. "Ich weiß, es ist schwierig, aber ich bin ja hier. Falls etwas sein sollte, kann ich direkt helfen", beruhigte ich ihn und strich ein letztes Mal über seinen Bauch, bevor ich sein Shirt wieder hinunterzog und ihn zudeckte.
"I-Ich kann das alles ohne Tommy nicht, wie soll ich das schaffen?", wimmerte Louis leise und krallte sich in die Decke. Mitleidig sah ich ihn an und überlegte, wie ich ihm die Sorgen nehmen konnte. "Du kannst das, da bin ich mir sicher." Sanft strich ich über seine Schulter. "Wenn du es zulässt kann ich auch dir helfen..." Doch Louis lehnte es ab und schüttelte meine Hand von seiner Schulter. "Ich will meinen Mann und keinen anderen, der meint ihn ersetzten zu müssen", knurrte er leise.
Schnell zog ich mich zurück und schob ihm das Obst zu. "Tut mir leid, ich wollte dir nicht das Gefühl geben, dass ich deinen Mann ersetzen möchte. Mach dir darüber keine Gedanken." Louis nickte nur und sagte nichts mehr. In Ruhe aß er das Obst, weswegen ich vom Sessel aufstand und zur Tür ging. "Ich komme gleich wieder. Ich- Ich holte nur schnell etwas."
Ohne auf eine Antwort zu warten trat ich aus dem Zimmer und schloss die Tür hinter mir. Schwer atmend lehnte ich mich an diese und versuchte mein Herz zu beruhigen. Immer wieder schmerzte es und sorgte dafür, dass mir schlecht wurde. Wenn das nicht bald besser wird, dann werde ich noch wahnsinnig.
Louis hatte seinen Mann verloren und ich sollte mir nicht im Geringsten irgendwelche Hoffnungen machen. Vermutlich würde es niemals funktionieren. Er hat gerade erst einen Verlust erlitten und stand alleine mit einem Baby da. An seiner Stelle würde ich auch an andere Dinge denken.
Tief atmete ich durch, trat in das Zimmer und nahm wieder auf dem Sessel Platz. Louis schaute nicht auf und aß gerade ein Stück Apfel, jedoch verschluckte er sich und begann zu husten. Schnell stand ich auf, setzte mich auf die Bettkante und klopfte ihm auf den Rücken. Erst als er sich beruhigt hatte stand ich auf, doch diesmal hielt Louis mich davon ab. Er griff nach meiner Hand und sah mich ängstlich an.
"Tut mir leid, dass ich dich angeknurrt hab... Du bist ein Alpha und das- und das darf ich nicht." Ich schüttelte meinen Kopf und lächelte ihn an. "Du brauchst dich nicht entschuldigen. Du wolltest dich nur wehren." Überrascht sah er mich an und konnte es anscheinend gar nicht glauben. "W-Was du... Du bist nicht sauer?" Ich schüttelte meinen Kopf. "Nein, warum sollte ich?"
"Du bist der Ranghöchste, man kann dich doch nicht einfach anknurren." - "Nur weil ich der Alpha bin, heißt es nicht, dass du mich nicht anknurren kannst. Ja, ich bin der Ranghöchste, dennoch mache ich Fehler und kann angeknurrt werden. Du kannst mich auch anfauchen. Es ist mir egal. Solange es berechtigt ist und du nicht aus Spaß mich vor dem ganzen Rudel meinst zurechtweisen zu müssen."
Louis sah mich mit großen Augen an.
Harry, wir warten.
Ich keuchte leise bei Liams Stimme in meinem Kopf. Ich bin auf dem Weg.
"Auch wenn du dir gewünscht hast nicht alleine zu sein, ich muss zu einer Versammlung. Es dauert vermutlich nicht lange." Louis nickte nur, kuschelte sich mehr in die Decken und schloss seine Augen. Für einen Moment beobachtete ich ihn noch, bis ich aus dem Zimmer trat und ins Wohnzimmer zu der kleinen Gruppe ging, welche es sich dort schon bequem gemacht hatte.
Als ich mich auf meinen Sessel setzte kam meine Mutter zu mir und legte ihre Hand auf meine Schulter. "Ist alles in Ordnung?" - "Nicht, was ich nicht selbst regeln kann. Alles gut. Reden wir lieber über die anderen Dinge."
Ich begrüßte jeden einzelnen und erzählte von den Geschehnissen in den Dörfern. Nicht nur ich, sondern auch alle anderen waren besorgt und hatten Angst, dass es uns bald treffen könnte. Auch meine Schwester machte sich Sorgen, vor allem wegen den Kindern. "In den letzten Monaten wurden so viele Wölfe geboren, was ist, wenn ihnen etwas zustößt?"
"Ich kann nichts versprechen. Ich gebe allerdings mein Bestes und versuche uns zu schützen. Womöglich muss ich mich jetzt öfter auf den Weg nach draußen machen, aber ich hoffe das mein Beta und auch die anderen mich unterstützen werden. Zwingen möchte ich niemanden. Es ist jedem selbst überlassen, ob er sich dieser Verantwortung stellen möchte."
"Ich werde dir auch helfen", erwähnte mein Vater, doch schnell schüttelte ich meinen Kopf. "Nein, du bleibst hier. Ich weiß das du stark bist, aber Mama braucht dich, sowie Alyssa und Rose dich brauchen. Ich nehme ihnen nicht den Großvater. Vergiss es."
Auch wenn mein Vater stark war, konnte ich das einfach nicht verantworten. Wegen meiner Entscheidung knurrte er mich leise an, kassierte jedoch einen Klaps von meiner Mutter, weswegen er aufhörte und mich entschuldigend ansah.
"Und es gibt noch etwas. Wir haben Zuwachs. Liam?" Ich sah meinen Beta lächelnd an, welcher mein Lächeln erwiderte und die zwei Mädchen holte. Als er mit ihnen auf dem Arm wiederkam, schmiegten sich die beiden an seine Schultern.
"Wir haben sie in der Nähe eines abgebrannten Dorfes gefunden. Sie werden bei Liam und seinem Gefährten leben. Den Omega, welchen ich zuvor gefunden habe lebt momentan bei mir. So lange bis er wieder fit ist und für sich selbst entscheiden kann."
"Ein Omega? Wird er Euer neuer Gefährte?" Mit großen Augen sah ich Leyla an und biss mir auf die Lippe, als meine Gedanken zu Louis schweiften und mein Herz sich zusammenzog. "Er hat gerade erst seinen Mann verloren. Ich binde mich jetzt an niemanden."
"Ihr seid doch schon so lange alleine. Es wird so langsam Zeit, dass Ihr wieder einen Partner habt. Wir allen wollen für Euch doch nur das Beste. Versteht es doch. Auch wenn Ihr keinen Nachwuchs haben könnt, habt Ihr dennoch einen Partner an Eurer Seite verdient."
Traurig lächelte ich Leyla an und nickte langsam. "Es wird schon die richtige Zeit kommen. Nur nicht jetzt." Sie wollte erneut etwas sagen, doch Zayn tippte sie an und schüttelte seinen Kopf. Von ihm kam nur ein leises 'Lass es, bitte'. Leyla lächelte mich nur zurückhaltend an und ließ es dann tatsächlich bleiben.
Der Gedanke daran, dass ich niemals mein eigenes Fleisch und Blut in den Händen halten würde versetzte mir einen schmerzhaften Stoß mitten durchs Herz. Keuchend griff ich nach meiner Brust und atmete tief durch. Zumindest wollte ich es, doch der Schmerz in meinem Inneren hinderte mich daran.
Da es nicht mehr viel zu besprechen gab, lösten wir die Versammlung auf, doch Liam blieb mit Zayn. Die Mädchen schliefen bei Zayn auf dem Sofa und Liam stellte sich neben mich und zog mich in seine Arme. "Sie hätte dich nicht daran erinnern sollen. Manchmal bist du einfach zu nett und weist die anderen nicht ausreichend zurecht." Ich erwiderte die Umarmung und blinzelte die aufkommenden Tränen weg. "Harry?"
Doch ich war gerade zu nichts im Stande.
"Oh Harry", murmelte Liam und drückte mich näher an sich, als ich die Tränen nicht mehr zurückhalten konnte. Still weinend versteckte ich mein Gesicht an seiner Schulter. "Es tut mir leid, wirklich." Langsam schüttelte ich meinen Kopf und nahm etwas Abstand. Ich strich mir die Tränen weg und holte tief Luft. "Du musst dich doch nicht wegen meiner Unfruchtbarkeit entschuldigen. Dafür kannst du nun wirklich am wenigsten."
"Du doch auch, mach dich deswegen bitte nicht so fertig, bitte. Das kann ich nicht mit ansehen. Damals war es schon schlimm genug und ich möchte ungern, dass sich das wiederholt." Ich brachte nur ein Nicke zu Stande. "Du solltest dich etwas hinlegen. Wir bleiben hier und ich achte auf Louis."
Zuerst wollte ich es ablehnen, da ich bei dem Omega bleiben wollte. Doch Liam sah mich mit mahnendem Blick an und schüttelte seinen Kopf. "Ich meine es ernst Harry. Du brauchst mal ein paar Minuten Ruhe."
"Ist ja gut..." Dankbar nickte ich, ging hoch in mein Schlafzimmer und legte mich hin. An Schlaf war nicht zu denken. Ich dachte an den Unfall, welcher sich vor 15 Jahren ereignete und spürte wie eine unangenehme Kälte sich in meiner Brust ausbreitete. Keuchend setzte ich mich auf atmete tief durch. Ich muss hier raus. Wenigstens für ein paar Minuten.
Ich ging kurz zu Liam, welcher die Mädchen schlafend an seinen Seiten hatte und Zayn küsste. "Ich gehe an die frische Luft", unterbrach ich die beiden kurz. "Pass auf, es ist bereits ziemlich dunkel." Leicht schmunzelte ich. "Keine Sorge."
Ohne weiter nachzudenken verließ ich mein Haus, verwandelte mich und lief so lange an der Schutzwand entlang, bis ich eine geeignete Stelle fand und sie durchbrach. Ich rannte jedoch keine große Runde und als ich umkehrte ging ich zu Joshuas Grab. Dort ließ ich mich ins Gras fallen und legte meinen Kopf auf meinen Pfoten ab.
In meinem Inneren war alles durcheinander und wie ich das beheben sollte wusste ich nicht.
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[2311 Wörter, 08/12/2020; 10/03/2021]
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