20 • 3 | Azvar
Vor der Tür der Putzkammer erwartete uns ein Schlachtfeld. Blut in jeglichen Grauabstufungen und leuchtendem Rot war in Spritzern an den Wänden und Pfützen am Boden verteilt. Einige Fenster waren zersprungen, die Glasscherben glitzerten im hereinfallenden Sonnenlicht. Tote und Schwerverletzte lagen am Boden, vereinzeltes gequältes Stöhnen oder Wimmern war zu hören.
Die Verstärkung musste uns erreicht haben und war auf die lazalischen Soldaten getroffen, die die Eingangspforten zum Thronsaal bewacht hatten. Jetzt war der Korridor verlassen, bis auf die Toten und die, die es bald sein würden.
Ich drehte mich zu Najik und Kaira um und musterte das Geschwisterpaar. Sie stützten sich gegenseitig, um sich auf den Beinen zu halten. Najiks Blick war entschlossen und gleichzeitig ein wenig erleichtert. Kairas Gesichtsausdruck zeugte von Unsicherheit, als unsere Blicke sich trafen und wir uns für einige Sekunden direkt ansahen. Ihre Augen waren umwölkt vom Schmerz ihrer Wunden.
Vergeblich suchte ich in meinem Herzen nach Mitleid.
Die beiden bewegten sich nur langsam, und da ich nicht vorhatte ihnen zu helfen, war ich es, der die Türen aufstieß und mich einer Reihe an Lazaliv gegenüber fand. Scheinbar blockierten sie nun von innen die Tür, um die Caraliv an der Flucht zu hindern. Sobald sie mich zu Gesicht bekamen, wollten sie auch auf mich losgehen, doch Najik gebot ihnen Einhalt.
"Der Angriff ist beendet!", rief er laut über den Kampflärm hinweg und kam mühsam wieder auf die eigenen zwei Beine. "Zieht euch zum Lager zurück!"
Die Soldaten hielten verwirrt inne. Mit diesem Befehl hatten sie nicht gerechnet. Ein Riese von einem Mann, dessen Gesicht von rotem Blut gesprenkelt war, schüttelte den Kopf. "Der König hat-"
"Der König ist tot", fuhr Najik ihn barsch an. "Wollt Ihr meinen Befehl verweigern?"
Langsam breitete sich die Nachricht auch weiter in den Saal aus. Viele hielten mitten in der Bewegung inne und starrten auf Najik und mich, die keine zwei Meter voneinander entfernt standen und sich ja offensichtlich nicht bekämpften.
"Lasst die Waffen sinken", befahl ich mit lauter Stimme. "Diese Schlacht wird die letzte gewesen sein."
Ein Raunen breitete sich unter den Kämpfenden aus und niemand wollte glauben, was ich ihnen gerade verkündet hatte. Najik und der Hühne starrten sich gegenseitig in die Augen, bis der Riese sich umdrehte und zu seinen Männern blickte. "Worauf wartet ihr noch?", rief er. "Der König hat befohlen und wir werden gehorchen!"
Es war ein ohrenbetäubender Lärm, als alle Lazaliv gleichzeitig mit den Flügeln schlugen und durch die zerbrochenen Fenster in den blauen Himmel verschwanden. Doch als sie weg waren, blieb eine schwere, geladene Stille zurück und ich spürte die Blicke aller Überlebenden auf mir ruhen.
"Der Krieg zwischen den Lazaliv und den Caraliv ist beendet", verkündete ich. "Umsorgt die Verletzten und zählt die Toten. Der Abend wird weitere Neuigkeiten bringen."
Nur langsam kam Bewegung in die wenigen, die noch auf beiden Beinen standen. Viele lagen reglos am Boden, einige konnten sich gerade noch so von einem Ort zum anderen schleppen. Blut hatte sich über den gesamten Boden verteilt und verfärbte den weißen Marmor. Vereinzelte Federn schwammen verklebt und zerfleddert in den Lachen.
Auf den ersten Blick konnte ich Eljina nicht entdecken, weswegen ich selbst die Koordinationsaufgabe übernahm. "Du, hol alle Heiler die du auftreiben kannst und lass die Dienerschaft kommen", gab ich einen Auftrag an eine junge Soldatin, die beinahe unverletzt schien, und suchte dann nach weiteren Caraliv, die noch arbeiten konnten. "Ihr beide, geht und holt eure Kollegen, die nicht im Dienst sind. Sucht den Palast nach Lazaliv ab, aber tötet sie nicht. Du, verkünde den Bürgern der Stadt, dass sowohl der Angriff als auch der Krieg vorbei ist. Hat irgendjemand Generalin Eljina gesehen?"
"Azvar." Die leise, brüchige Stimme ließ mich herumfahren. Mein Magen schien sich zu überschlagen, als ich die blutverklebte schwarze Haarpracht erkannte.
"Eljina", murmelte ich und kniete mich neben sie. Ein tiefer Schnitt zog sich quer über ihr Gesicht, das Blut lief ihr in die Augen und den Mund, als sie versuchte zu sprechen. Beide Hände presste sie auf ihre Taille, knapp unter den Rippen, doch das Blut lief zwischen ihren Fingern hindurch und breitete sich langsam auf dem Boden unter ihr aus.
"Ich habe mein Bestes gegeben", flüsterte sie so leise, dass ich sie kaum verstand. Sie verschluckte sich beim Sprechen an ihrem eigenen Blut und der Hustenreflex schüttelte ihren Körper. Ihr Oberkörper zog sich zusammen, als sie rasselnd Luft holte und keuchend einmal schluckte.
"Nein." Ich selbst hörte meine Stimme wie aus weiter Ferne, als ich ihr das Blut aus den Augen zu wischen versuchte und gleichzeitig die Hände ebenfalls auf ihre Wunde pressen wollte. "Heiler!", brüllte ich laut über die allgemeine Geräuschkulisse. Irgendjemand musste ihr doch helfen!
"Ist es wahr?", krächzte sie und ihre Hand griff nach meiner. Hastig versuchte ich ihren Griff zu lösen, die Blutung wieder abzuschwächen, doch die blasse, kühle Hand hielt mich mit erstaunlicher Kraft fest. "Der Krieg ...?"
"Ja", sagte ich leise. "Es herrscht Frieden in unserem Land."
Das Blut auf ihren Lippen glänzte, als Eljina lächelte. "Danke", hauchte sie zwischen zwei röchelnden Atemzügen und dann, endlich, waren die Heiler da. Widerstrebend machte ich ihnen Platz und fühlte mich nutzlos, als ich sie dabei beobachtete, wie sie das Leben der Heerführerin zu retten versuchten.
Während mein Körper sich erhob, hatte ich das Gefühl, als würde ich fallen. Als würde ich fallen und irgendwo am Boden zerschmettert werden. Meine Finger waren taub, mein Kopf fühlte sich schwer und klobig an. Eljina war schwer verletzt, ihr Überleben stand in den Sternen und Kaira hatte mich verraten. Was konnte ich noch verlieren?
Nur mit Mühe konnte ich mich zusammenreißen. Ich war ein König. Ich musste stark bleiben, wenigstens, bis diese Situation hier endlich vorbei war. Danach könnte ich mich verkriechen und schlafen und all das hier verarbeiten. Noch brauchte mein Volk mich.
Ich ließ den Blick durch den Saal schweifen. Einige Verletzte wurden nach draußen getragen, andere an Ort und Stelle behandelt. Schmerzerfüllte Laute hallten durch den großen Raum und stachen in meinen Ohren wie hohe Pfeiftöne.
Doch zum ersten Mal ließ ich den Gedanken zu, dass diese Situationen jetzt ein Ende haben würden. Wir hatten tatsächlich gerade Frieden geschlossen. Seit einem Jahrhundert hatte es keinen Versuch mehr gegeben und noch nie hatte jemand wie Kaira existiert. In diesem Punkt hatten sie Recht. Es war etwas Neues und wahrscheinlich auch etwas Gutes.
Wir würden das hinbekommen.
Erst jetzt wurde mir bewusst, dass ich seit sicher mindestens zwei Minuten in Kairas Richtung starrte. Sie saß an die Wand gelehnt am Boden und wurde von einem Heiler versorgt, der ihre Wunden gerade reinigte. Ihr Blick wurde bittend und ich wusste, dass sie die Hoffnung hatte, ich würde zu ihr kommen.
Ohne eine Reaktion zu zeigen wandte ich meinen Blick ab. Najik saß verloren auf einem der nicht zerstörten Stühle für die Gäste der Krönungszeremonie - die mir vorkam, als wäre sie Jahre her - und schien nicht zu wissen, wohin mit sich. Nicht ganz überzeugt davon wies ich einen heraneilenden Heiler an, den lazalischen König zu verarzten.
Skeptisch blickte er zu Najik. "Ich bin eigentlich gekommen, um Eure Wunden zu versorgen", meinte er zögerlich und deutete auf meine Schulter. "Ihr seid verletzt."
Das taube Gefühl hatte sich inzwischen von meinen Fingern in den ganzen Körper ausgebreitet. Ich spürte den Schmerz nur am Rande, als wäre er von anderen Dingen deutlich überlagert. "Versorgt ihn und bringt ihn in den königlichen Krankenflügel." Mit Mühe konnte ich mich zu einem bestimmenden Ton zusammenreißen. Der Heiler gehorchte und näherte sich Najik mit einiger Vorsicht.
Ein Soldat kam auf mich zugehumpelt. "Ar Mhlenae", begann er und wartete, bis er vor mir stand, bevor er weitersprach. "Wir haben die Leiche von König Zokaar in einem der Korridore gefunden und wissen nicht, was wir damit tun sollen."
"Zu den anderen lazalischen Leichen bringen. Der Bastard hat keine Sonderbehandlung verdient." Wenigstens fiel mir die Antwort darauf leicht. Besonders scharfsinnig Nachdenken konnte ich heute ganz sicher nicht mehr.
Als der Soldat langsam wieder davonhumpelte, machte sich ein Pochen hinter meinen Schläfen bemerkbar, das sich innerhalb weniger Sekunden in jede Nervenfaser meines Körpers ausbreitete. Der Saal um mich herum begann sich zu drehen und ich musste mich an einer Säule festhalten, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren.
Ich besaß die Dreistigkeit, von mir zu behaupten, ich wäre hart im Nehmen. Doch jetzt in dieser Sekunde wurde mir das alles zu viel. Und ich spürte, wie ich allmählich unter der Last zusammenzubrechen begann.
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