19 • 2 | Azvar
Wie ich diesen Mann hasste. Wie gern ich ihn demütigen würde. Wie gern ich ihm das Schwert in die Brust rammen würde. Wie gern er jetzt ausversehen in den Tod stürzen könnte.
Aber er war nunmal ein Hochzeitsgast, mein künftiger Schwager und Kairas Bruder.
Während sie schon die Treppe des Turms wieder hinunterging, standen er und ich noch oben und tauschten einen Blick. Er hasste mich genauso wie ich ihn, das sah ich ihm an. Doch wir hatten eine Sache gemeinsam: Kaira war uns wichtig.
"Müssen wir uns jetzt so förmlich ansprechen oder können wir uns duzen?", fragte Najik, ein kleines Grinsen im Gesicht.
Ich fragte mich, ob er mich provozieren wollte oder ob das eine ernstgemeinte Frage war. "Wir sind per Du. Alles andere würde dir mehr Respekt erweisen als du verdienst", entgegnete ich und verzog die Lippen zu einem schmalen Lächeln.
"Hey. Kaira hat dir doch sicher auch verboten mich zu beleidigen." Najik verschränkte die Arme und musterte mich.
"Natürlich. Sie ist aber nicht hier. Und ich bin der mit der Waffe."
"Und der mit dem Königreich. Das ist hier alles unfair verteilt."
Diese trockene Aussage brachte mich tatsächlich zum Lachen. "Tu mir den Gefallen und bring deinen Vater um, dann hast du auch eines. Und ich ein Problem weniger."
Zu meiner Überraschung reagierte Najik nicht gereizt. Er lächelte und folgte Kaira ohne ein weiteres Wort. Verwirrt ging ich ihm hinterher und schwieg, bis wir am Fuße der Treppe wieder auf Kaira stießen.
"Ihr lebt noch", stellte sie fest und grinste leicht.
"Noch", murmelte Najik mit einem schelmischen Grinsen und die beiden tauschten einen Blick. Ich hatte den Eindruck, dass sie sich stumm verständigten und mich aus einer ganzen Konversation ausschlossen. Das Gefühl gefiel mir nicht.
Deutlich vernehmbar räusperte ich mich und übernahm nun die Führung, um Najik seine Gemächer zu zeigen. Mein Arm legte sich um Kairas Schultern.
Najik konnte ruhig sehen, wer hier das Sagen hatte.
-'-
Der Morgen meiner Hochzeit dämmerte klar und warm und versprach das schönste Wetter zu bieten, das man sich vorstellen konnte. Kaira und ich waren im Morgengrauen auf den Beinen und spazierten Arm in Arm durch den Palastpark, der in diesen Minuten nur uns gehörte.
"In zwölf Stunden werden wir Mann und Frau sein", stellte sie leise fest und lehnte sich leicht an mich. "Und ich Königin."
"Und ich kann mir nichts Schöneres vorstellen", erwiderte ich und lächelte. "Wenn mir vor zwei Jahren jemand gesagt hätte, dass ich eine Lazaliv heirate ..."
"Wenn meinem Vater jemand gesagt hätte, dass seine Tochter den caralischen König heiraten wird ...", meinte sie und schmunzelte. "Wenn er mich nicht offiziell aus der Familie verstoßen hätte, hättest du seine Erlaubnis gebraucht, mich zu heiraten."
"Das wäre kein Problem gewesen. Ein junger, wohlhabender, einflussreicher Mann - was will er denn mehr?", fragte ich spöttisch.
"Du hast gutaussehend vergessen", murmelte Kaira grinsend und strich einmal durch meine Haare. "Und so eine gute Wahl hätte er für mich gar nicht treffen wollen. Das einflussreich wäre ihm am wichtigsten gewesen."
"Ich will mich nicht über deine Verbannung beschweren", erwiderte ich und drückte kurz ihre Hand.
"Ich auch nicht. Du glaubst gar nicht, wie viel lockerer ihr Caraliv seid."
"Lockerer?", hakte ich nach und beobachtete einen Vogel, der flatternd in einem Baum landete.
"Ja. Bei uns gibt es sogar Vorschriften, wie man das Besteck zu halten hat. Oder wie viel Grad der Arm der Frau beim Tanzen angewinkelt sein muss. Oder wie lange eine Frau ohne ihren Gemahl ausgehen darf."
"Vorschriften für das Besteck gibt es bei uns auch, es interessiert sich nur eigentlich keiner dafür. Beziehungsweise interessiert sich niemand dafür, wenn sie sehen, dass der König sich auch nicht daran hält", erklärte ich belustigt.
"Dann muss die Königin sich also auch nicht daran halten?", fragte Kaira grinsend nach.
"Nein", bestätigte ich und für eine Weile gingen wir schweigend weiter. Erst, als wir uns dem Palast wieder näherten, stellte ich fest: "Das Land hatte schon seit Jahren keine Königin mehr."
"Das stimmt. Wird man viel von mir erwarten?" Die Frage war locker gestellt, doch ich konnte mir denken, dass sie Kaira beschäftigte.
"Normalerweise zeigt die Königin sich öfter in der Öffentlichkeit als der König. Sie ist mehr mit den Leuten verbunden. Ich kann aber auch verstehen, wenn du dich eher zurückhalten willst und die Caraliv nicht als dein Volk siehst."
"Natürlich ist es mein Volk. Irgendwie. Genauso, wie die Lazaliv nur noch irgendwie mein Volk sind", murmelte sie und seufzte tief.
"Kaira", sagte ich leise und wandte mich ihr zu, noch außerhalb der Hörweite der Soldaten um den Palast. "Die Caraliv sind dein Volk. Du wirst ihre Königin sein. Meine Frau. Du gehörst genauso zu mir wie ich zu dir gehöre und ich bin ein Caraliv."
Sie nickte kaum merklich und lehnte sich an meine Brust. Sachte streichelte ich über ihren Rücken und küsste sie auf die Stirn. "Du wirst das alles hinbekommen. Und wenn nicht, wandern wir eben aus."
"Auf eine einsame Insel?", fragte sie und ich hörte das Lächeln in ihrer Stimme.
"Wohin du willst."
"Ich liebe dich, Azvar", flüsterte sie leise und sah zu mir auf. "Danke."
Mit einem zärtlichen Kuss auf die Lippen übermittelte ich ihr meine eigenen Gefühle für sie und verabschiedete mich gleichzeitig so von ihr. Bis zur Zeremonie würden wir uns nun nicht mehr sehen, eine Tradition, die tatsächlich in beiden Völkern so eingehalten wurde. Der morgendliche Spaziergang war wiederum lazalisch, ansonsten hätten wir uns heute noch gar nicht zu Gesicht bekommen. Wir hatten uns nach einigem Überlegen auf eine Mischung aus den beiden Kulturen geeinigt, weil keiner von uns vollständig auf die eigenen Traditionen verzichten wollte.
"Bis später", murmelte ich und hob ihre Hand kurz an meine Lippen.
"Bis später", erwiderte sie und schenkte mir ein warmes Lächeln, das wie Sonnenstrahlen in mein Herz drang. "Lass dich nicht nerven, ja?"
"Ich tue mein Bestes", versprach ich schmunzelnd und während sie zurück zum Palast ging, warf ich einen letzten Blick auf die Vorbereitungen für die Hochzeit. Aufgestellt für die Vermählung waren Reihe um Reihe an weißen Stühlen im größten Innenhof des Palastes, der durch einen großen Bogengang vom Park erreichbar war. Ich vermied es, durch die Mitte nach vorne zu kommen, denn dieser Gang war für später bestimmt. Vor den Stühlen befand sich ein geschmücktes Rednerpult, daneben ein noch leeres Podest. Später würden darauf zwei silberne Halsketten liegen.
Mindestens ein Dutzend Bedienstete wuselten hier noch herum, rückten die Stühle millimetergenau gerade oder zogen vereinzelte, vertrocknete Stängel aus den Blumengestecken. Über uns trug je eine Fahnenstange die Flagge von Arnarith und die der caralischen Königsfamilie. Mit einem Anflug von Stolz ließ ich den Blick durch den Hof schweifen und lächelte. In ungefähr zwei Stunden würde ich hier stehen, Kaira an meiner Seite. So, wie sie es für immer bleiben würde.
Der Weg zurück durch den Palast zog sich etwas in die Länge. Mit den zahlreichen Gästen wurde ich an jeder dritten Ecke aufgehalten und in ein Gespräch verwickelt, aus dem ich mich erst nach mehreren Minuten wieder lösen konnte, ohne unhöflich zu sein. Auch Najik begegnete mir kurz, doch unsere Interaktion beschränkte sich auf einen kurzen, abschätzigen Blick.
Da Kaira und ich uns ja nicht mehr sehen wollten, hatte sie unsere Gemächer für sich beansprucht und ich wich auf die des Prinzen aus. Als ich die Tür öffnete und mich in meinem ehemaligen Schlafzimmer wiederfand, fragte ich mich unwillkürlich, wie lange es wohl dauern würde, bis hier ein Kind von mir einzog.
Die zwei Diener, die das Bad vorbereitet hatten und mich anschließend fertig machen sollten, arbeiteten schweigend und pflichtbewusst und ich war froh darüber, denn so konnte ich meinen Gedanken nachhängen und musste mich auf nichts anderes konzentrieren. Inzwischen fühlte sich mein Magen an, als hätte man ihn mit Felsbrocken gefüllt und anschließend auf die Größe einer Beere gepresst.
Es war nicht so, dass ich Zweifel an der Hochzeit hatte. Vielmehr hatte ich Zweifel daran, Kairas Vorstellungen und Erwartungen gerecht zu werden. Sie hatte diesen Tag für so lange geplant und sich so sehr darauf gefreut. Was, wenn etwas schief ging? Was, wenn ich etwas falsch machte?
Nein, versuchte ich mich zu überzeugen. Kaira heiratete mich nicht für diesen einen Tag. Sie würde mich auch als Mann nehmen, wenn diese Hochzeit nicht vollkommen perfekt war.
Trotzdem. Ich wollte, dass sie perfekt war. Dass Kaira glücklich war.
Als die Diener den Raum wieder verlassen hatten, betrachtete ich mich nachdenklich im Spiegel. Ich trug eine dunkelgraue Uniform, darunter ein weißes Hemd. Kein einziges Staubkörnchen war auf dem Stoff zu finden. Meine Haare hatte ich mit Absicht nicht machen lassen. Kaira beschwerte sich jedes Mal, wenn sie ihr zu ordentlich waren und behauptete, ich sei süßer, wenn ich einen Strubbelkopf hatte.
Für einen Moment ließ ich die Maske von meinem Gesicht fallen und musterte meine goldenen Augen, die Nase mit dem hässlichen Hügel darauf und die markanten Wangenknochen. Selbst mir war dieser Anblick nicht mehr vertraut. Natürlich würde Kaira sich freuen, wenn ich sie mit unveränderten Gesichtszügen heiraten würde - so, wie es bei uns vor allem früher ein Muss gewesen war - doch konnte ich mich allen Zuschauern einfach so zeigen? Ich fühlte mich ohne Anpassungen wie nackt, bloßgestellt.
Langsam fuhr ich mit einer Hand über die Narbe an meiner Schläfe. Als ich am Auge angelangt war, blickte es mir wieder schwarz und ungetrübt entgegen. Kaira wusste, wie ich wirklich aussah. Das musste reichen.
Auf dem Weg nach draußen nahm ich einen kleinen Umweg und warf einen Blick durch die Fenster in den Innenhof. Die meisten Gäste saßen inzwischen auf ihren Plätzen. Die nahe beieinander stehenden Sonnen erhellten den Hof und brachten die weißen Elemente zum Leuchten. Es war ein schöner Schauplatz für eine Hochzeit.
Ich verließ den Palast über den Haupteingang und schritt an den zahlreichen Wachen vorbei, die die Mauern säumten. Neben dem Bogengang blieb sich stehen, um auf Kaira zu warten, die in den nächsten Minuten erscheinen sollte. Einige Bedienstete waren hier noch am Arbeiten, doch sie verzogen sich, sobald ich in Sichtweite kam.
Die drei Minuten, die ich noch auf Kaira warten musste, zogen sich in die Länge wie mehrere Stunden. Nervosität flatterte in meinen Eingeweiden und sorgte dafür, dass ich kaum stillstehen konnte. Kuladr, der als Zeremonienmeister vor Kaira und mir einziehen würde, beobachtete mich mit milder Belustigung im Blick.
Ein Ruf ließ mich herumfahren. Kaira schritt auf mich zu, neben ihr Najik und die beiden Angestellten, mit denen sie sich angefreundet hatte.
Nie hätte ich Kaira als Frau beschrieben, deren Schönheit man auf den ersten Blick erkannte. Sie fiel im ersten Moment nicht einmal auf. Doch sie hatte die Eigenschaft, den Blick aufzuhalten. Man sah sie an und etwas brachte einen dazu, nochmal hinzusehen. Genauer darauf zu achten. Ihre Gesichtszüge, ihr Körper, ihre Kurven. Langsam wurde einem bewusst, dass sie eine attraktive Frau war.
In diesem Moment war das nicht so. Ich blickte Kaira an und fühlte mich, als würde eine dritte Sonne aufgehen. Sie trug ein goldenes Kleid. Ich wusste nicht, ob ich mit Schwarz oder mit Gold gerechnet hatte, vermutlich hatte ich mir nicht einmal Gedanken dazu gemacht. Doch das Kleid, das sie trug, zeigte und betonte ihre perfekten Kurven und man musste nicht zweimal hinsehen, um sie als Schönheit betiteln zu können.
Ihr Haar fiel in sanften Wellen über ihren Rücken, einzelne Strähnen geflochten und verwoben mit den anderen. Dezente Diamanten glitzerten hier und da, genauso wie in ihrem breiten Rock, der mit etwas dunkleren Stickereien verziert war.
Kaira beschleunigte ihr Tempo und offenbarte einen Schlitz in ihrem Kleid, der bei jedem Schritt ihr Bein zeigte. Selbst das wirkte elegant und anmutig, auch als sie beinahe rannte und sich mir mit einem breiten Grinsen in die Arme warf.
Auch ich lächelte und fing sie auf. Meine Nervosität verschwand beinahe vollständig. Es würde nichts schief gehen. Solange ich Kaira bei mir hatte, war alles gut.
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